# taz.de -- Debatte Flüchtlingspolitik: Kontingente statt Asyl
       
       > Mit Restriktionen wird sich der Zustrom der Flüchtlinge nicht stoppen
       > lassen. Notwendig ist eine geregelte Zuwanderung – jenseits des Asyls.
       
 (IMG) Bild: Gefährlich: die Flucht übers Mittelmeer nach Europa
       
       Balkanflüchtlinge schneller abschieben, für [1][Syrer den Familiennachzug
       stoppen] und [2][das Dublin-Verfahren wiedereinführen]. Wird das unsere
       „Flüchtlingskrise“ lösen? Nein. Im Gegenteil, es wird sie verschärfen.
       
       Aus dem Westbalkan kommen inzwischen nur noch wenige, die meisten
       Flüchtlinge (141.000 von 181.000 im Oktober) stammen aus Syrien,
       Afghanistan und dem Irak. Die syrischen Asylanträge jetzt wieder als
       Einzelfälle zu prüfen, wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
       (BAMF) weiter lahmlegen und die Wartezeiten in überfüllten Turnhallen
       verlängern.
       
       Wer nach Bulgarien oder Ungarn zurücksoll, wird klagen und noch mehr Papier
       produzieren. Abschrecken lassen sich die Syrer davon nicht.
       
       Wann kapiert die Politik endlich, dass eine Million Flüchtlinge nur deshalb
       bedrohlich wirken, weil sie unkontrolliert kommen. Nicht die Zahl der
       Menschen ist das Problem, sondern das Chaos drum herum. Schuld daran ist
       der Missbrauch unseres Asylrechts – nicht durch Ausländer, sondern durch
       unsere Politiker.
       
       ## Humanitäre Gründe
       
       Mit dem Grundrecht auf Asyl verpflichten wir uns, politisch Verfolgten
       Schutz zu gewähren. Es ist in der Verfassung verankert, kennt keine
       Obergrenze und ist nicht verhandelbar. Leider ist der Asylantrag für die
       meisten Ausländer die einzige Chance, in Deutschland Aufnahme zu finden,
       weil die Regierung keine anderen legalen Wege schafft. So ist aus dem
       individuellen Anspruch des politisch Verfolgten ein Kollektivrecht für
       Kriegsflüchtlinge geworden mit all den Folgen, die eine solche Aushöhlung
       des Asylrechts mit sich bringt.
       
       Was wir brauchen, sind andere Wege nach Deutschland. Menschen, die vor
       Bomben fliehen, einen Asylantrag stellen zu lassen, ist Unsinn. Denn sie
       sind keine politisch Verfolgten, sondern Kriegsflüchtlinge, für die es eine
       andere Form der Aufnahme gibt: die des Kontingents.
       
       Bestes Beispiel sind die Syrer. Unter ihnen sind Oppositionelle, die wegen
       ihrer Kritik am Regime mit dem Tod bedroht sind und Anspruch auf Asyl
       haben. Aber die allermeisten Syrer fliehen vor Assads Luftangriffen, dem
       IS-Terror und den Folgen des barbarischen Krieges. Weil ihre
       Schutzbedürftigkeit unstrittig ist, bekommen sie drei Jahre Aufenthalt, das
       dauert ohne Einzelfallprüfung vier Monate. Warum bieten wir ihnen nicht
       andere Wege als [3][die Balkanroute]?
       
       ## Gab es schon
       
       Juristisch betrachtet, kann die Bundesregierung aus humanitären Gründen
       bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Solche
       Kontingente gab es in den 1970er Jahren für vietnamesische und in den
       1990er Jahren für bosnische Flüchtlinge. Für Syrer hat die Bundesregierung
       seit 2013 zwei Aufnahmeprogramme mit 20.000 Plätzen beschlossen. Angesichts
       dessen, dass allein im Oktober 88.000 Syrer einreisten, ist das eine
       lächerliche Zahl.
       
       Deutschland braucht dringend weitere großzügige Kontingente, mit denen
       Syrer, die in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien registriert sind,
       geordnet nach Deutschland kommen können. Damit würden keine neuen Anreize
       geschaffen, sondern steuerbare Maßnahmen für Menschen, die in den nächsten
       Jahren ohnehin kommen werden, weil sie sich weder von Stacheldraht noch von
       „Leistungskürzungen“ abschrecken lassen.
       
       Auch bessere Flüchtlingslager in der Region, wie von der EU vorgeschlagen,
       werden die Syrer nicht aufhalten, denn wer keine Hoffnung auf eine baldige
       Rückkehr in die Heimat hat, will eine Perspektive für seine Kinder und
       nicht einen Container mit Wasseranschluss.
       
       ## Illegale Wege austrocknen
       
       Wer legale Möglichkeiten für ein Resettlement in Europa schafft, kann die
       illegalen Wege austrocknen. Die unsäglichen Überfahrten von der türkischen
       Küste auf die griechischen Inseln, bei denen täglich Menschen ertrinken,
       dürfen sich nicht mehr lohnen. Jeder ankommende Syrer sollte notversorgt
       und mit der nächsten Fähre in die Türkei zurückgeschickt werden mit der
       Empfehlung, dort einen Antrag auf Resettlement in Europa zu stellen.
       
       Aufnahmezentren der EU in der Türkei müssten diese Anträge zügig bearbeiten
       und die Verteilung auf die EU-Staaten organisieren.
       
       Deutschland sollte jetzt seine Bereitschaft zur organisierten Aufnahme von
       300.000 bis 500.000 Syrern innerhalb den nächsten zwei Jahre erklären,
       weitere EU-Staaten müssten folgen. Das hätte nichts mit naivem
       Gutmenschentum zu tun, denn wir wären in der Flüchtlingsfrage keine
       Getriebenen mehr, sondern Gestalter.
       
       ## Entlastung der Bürokratie
       
       Mithilfe von Kontingenten könnten wir die wirklich Bedürftigen geregelt und
       sicher nach Deutschland bringen, und zwar an Orte, wo man bereits die
       Voraussetzungen für Unterkunft, Integration, Spracherwerb und Bildung
       geschaffen hat. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Menschen würden nach
       humanitären Kriterien ausgewählt (keine nichtsyrischen Trittbrettfahrer
       mehr), sie kämen, ohne ihr Leben riskieren zu müssen (weniger ertrunkene
       Dreijährige am Strand), den Schleppern gingen die syrischen Kunden aus,
       Kommunen könnten sich und ihre Bewohner besser vorbereiten (weniger
       brennende Unterkünfte).
       
       Da ein solches Kontingent auch eingereiste Syrer einschließen kann, wäre
       die kurzfristige bürokratische Entlastung enorm. Würde die Regierung ein
       Aufnahmeprogramm für 300.000 Syrer beschließen, hätten sich alle
       ausstehenden Asylverfahren für Syrer erledigt, und das BAMF könnte die
       übrigen Anträge abarbeiten.
       
       ## Integration schon am Flughafen
       
       Wollen wir also Hunderttausende Syrer, die im Grunde schon auf dem Weg zu
       uns sind, auf Boote und über Zäune schicken, damit sie ihre letzten
       Ersparnisse den Schleppern geben und traumatisiert bei uns ankommen? Um
       ihnen dann am Bahnhof Bananen und Kuscheltiere in die Hand zu drücken und
       uns wenig später über Schlägereien in überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen
       zu beschweren? Oder wollen wir sie mit zwei Jahren Aufenthalt, einem
       eigenen Zimmer, einem Deutsch- und einem Integrationskurs und einer
       sofortigen Arbeitserlaubnis begrüßen?
       
       Ein solches Willkommenspaket steht jedem syrischen Kontingentflüchtling zu,
       es verursacht mittelfristig weniger Kosten als die dauerhafte Notversorgung
       frustrierter Neuankömmlinge. Denn während diese monatelange Ungewissheit
       erwartet, beginnt die Integration der legal einreisenden Syrer schon bei
       ihrer Ankunft am Flughafen.
       
       13 Nov 2015
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristin Helberg
       
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