# taz.de -- EU-Gipfel in Brüssel: Rubel und Skrupel
       
       > Beim EU-Gipfel soll entschieden werden, ob russisches Geld für die
       > Ukraine genutzt werden kann. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
       
 (IMG) Bild: Für die EU vielleicht die sicherste Bank, um die Ukraine zu unterstützen: die Euroclear-Zentrale in Brüssel
       
       Um wie viel und wessen Geld geht es eigentlich? 
       
       Es geht um schätzungsweise 210 Milliarden Euro. Das meiste davon gehört der
       russischen Zentralbank und ist durch die sogenannte Staatenimmunität
       geschützt. Den größten Teil – etwa 185 Milliarden Euro – verwahrt das
       Finanzhaus Euroclear in Belgien. Ein Teil des Geldes liegt aber auch in
       Deutschland und Frankreich. In Deutschland sollen es einige hundert
       Millionen Euro sein, in Frankreich bis zu 25 Milliarden Euro. Berlin und
       Paris halten sich aber bedeckt und versuchen, „ihr“ Russen-Geld aus der
       Debatte beim EU-Gipfel herauszuhalten. Bundeskanzler Friedrich Merz zeigte
       jedoch bei den am Donnerstag gestarteten Verhandlungen Bereitschaft, auch
       in Deutschland eingefrorenes Vermögen der russischen Zentralbank zur
       Unterstützung der Ukraine einzusetzen.
       
       Was soll damit passieren? 
       
       Kurz vor dem EU-Gipfel wurde das von Euroclear verwaltete Geld unbefristet
       gesperrt. Damit ist es vor fremdem Zugriff sicher. Dies hat aber einen
       hohen Preis: Um ein Veto Ungarns zu umgehen, wurde [1][Artikel 122 des
       EU-Vertrags] genutzt, der für wirtschaftliche Notfälle gedacht ist. Damit
       umging man nicht nur Ungarn, sondern auch das Europaparlament, das nun
       keine Mitsprache mehr hat. Im nächsten Schritt soll das Geld an die
       EU-Kommission übertragen werden, um ein sogenanntes Reparationsdarlehen von
       90 Milliarden Euro für die Ukraine zu finanzieren.
       
       Wie genau soll die Finanzhilfe eingesetzt werden? 
       
       Anders als der Titel „Reparationsdarlehen“ vermuten lässt, geht es nicht um
       Reparationszahlungen für den Wiederaufbau nach dem Krieg. Deutschland und
       die meisten anderen EU-Länder wollen vielmehr Waffen und Militärhilfe
       finanzieren, damit die Ukraine noch zwei Jahre gegen Russland bestehen
       kann. Die Idee dahinter: Kyjiw soll die Kredite nach dem Krieg
       zurückzahlen, sobald Russland Reparationen an die Ukraine leisten muss.
       „Wir wollen die russischen Vermögenswerte dafür nutzen, die ukrainische
       Armee für mindestens zwei weitere Jahre zu finanzieren“, sagt Merz.
       Offenbar rechnet der Kanzler noch mit einem langen Krieg – über
       Reparationen wird aber erst danach gesprochen.
       
       Warum liegen die russischen Gelder eigentlich in Belgien? 
       
       Das liegt an der Attraktivität des belgischen Finanzplatzes, der Nähe zu
       den EU-Institutionen und dem guten Ruf von Euroclear. Seit 1968 wickelt
       Euroclear internationale Finanzgeschäfte ab und zählt heute zu den ältesten
       und größten Finanzdienstleistern der Welt. Russland ist nicht das einzige
       Land, das dort Teile seines Zentralbankvermögens verwahrt. Laut eigenen
       Angaben arbeitet Euroclear mit über 2.000 Finanzinstituten aus mehr als 90
       Ländern zusammen. Sie alle vertrauen darauf, dass ihr Geld in Belgien
       sicher bleibt.
       
       Was ist Euroclear f ü r ein Unternehmen, wie funktioniert es? 
       
       Euroclear ist keine klassische Bank, sondern ein „Clearinghaus“ mit einer
       besonderen Funktion: Die unscheinbare Firma mit Sitz in Brüssel dient als
       zentrale Verwahrstelle, im Fachjargon CSD („Central Securities
       Depository“). Es ist also ein gigantisches Wertpapierdepot mit Anlagen im
       Gesamtwert von 42 Billionen Euro. „Wir sind systemrelevant“, betont
       Euroclear-Chefin Valérie Urbain. Wegen der EU-Pläne hat die
       US-Ratingagentur Fitch bereits damit gedroht, die die Bonität
       herabzustufen. Der Ausblick wurde auf „negativ“ gesenkt.
       
       Was befürchten [2][die Länder, die dagegen sind], die Gelder an die Ukraine
       zu geben?
       
       Die schärfste und wichtigste Kritik kommt aus Belgien selbst. Durch einen
       Zugriff auf Euroclear würde die Firma, aber auch das Land und womöglich die
       gesamte Eurozone mit hohen Risiken belastet, fürchtet [3][Premier Bart De
       Wever.] Dies sei nur tragbar, wenn diese Risiken von allen 27 EU-Staaten
       mitgetragen werden. Italien hat andere Sorgen: Das Budgetdefizit könnte
       steigen, wenn Rom – wie geplant – das Reparationsdarlehen mit einer
       nationalen Garantie absichern müsste. Diese Garantie dürfte hoch ausfallen;
       für Deutschland geht es um mehr als 50 Milliarden Euro.
       
       Was spricht aber auch daf ü r, diesen Weg zu gehen? 
       
       Dafür spricht, dass die Lasten auf Russland abgewälzt werden und die
       EU-Staaten nicht selbst in die Tasche greifen müssen. Außerdem könnte das
       Geld für die Ukraine schnell fließen. Präsident Wolodymyr Selenskyj ist
       denn auch persönlich zum EU-Gipfel in Brüssel gereist, um aufs Tempo zu
       drücken und die Kritiker zu überzeugen. Auch Kanzler Friedrich Merz macht
       Druck. Es gehe darum, Russland die Kosten des Kriegs aufzuzeigen, sagte er
       in Brüssel. Das russische Vermögen zu nutzen, sei der beste und sicherste
       Weg, im Grunde sogar alternativlos.
       
       Was w ü rde es f ü r den belgischen Staatshaushalt bedeuten, wenn das Geld
       aus Euroclear abgezogen wird? 
       
       Für den belgischen Staatshaushalt hätte dies keine unmittelbaren
       Auswirkungen. Allerdings ist Belgien schon jetzt hoch verschuldet und tut
       sich schwer, den Schuldendienst zu finanzieren. Diese Probleme könnten sich
       durch einen Zugriff auf das russische Vermögen verschärfen – ausländische
       Anleger könnten ihr Geld aus Belgien abziehen, die Kreditzinsen könnten
       steigen. Dies gilt umso mehr, als Russland mit Vergeltung droht und
       versuchen könnte, Belgien direkt zu belangen. Dies steigert die
       Unsicherheit.
       
       Bis wann braucht die Ukraine das Geld? 
       
       Nach Angaben der EU-Kommission und des Internationalen Währungsfonds droht
       der Ukraine im 2. Quartal 2026 die Zahlungsunfähigkeit. Kiew braucht das
       Geld also spätestens im April, sonst rutscht das Land in die Pleite.
       Allerdings werden die angekündigten 90 Milliarden Euro aus der EU nicht
       reichen. Für die nächsten zwei Jahre brauche Kyjiw 137 Milliarden Euro,
       sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die EU deckt davon nur
       zwei Drittel ab – wo der Rest herkommt, ist unklar. Die USA haben sich
       komplett aus der Finanzierung der Ukraine zurückgezogen, andere Länder
       zögern.
       
       Gibt es noch Alternativen? 
       
       Ja. Eine Möglichkeit sei die gemeinsame Aufnahme eines Kredits durch die
       Mitgliedsstaaten, sagte von der Leyen. Allerdings ist Deutschland dagegen:
       Merz lehnt neue EU-Schulden ab. Außerdem wäre dafür Einstimmigkeit nötig –
       und Ungarn hat schon ein Veto angekündigt. Demgegenüber reicht für den
       Zugriff auf das russische Vermögen ein Votum mit qualifizierter Mehrheit.
       Belgiens Nein genügt nicht, um diesen Plan stoppen. Allerdings wäre es eine
       Katastrophe, wenn der Beschluss gegen Belgien fallen sollte; das würde die
       EU in eine schwere Krise stürzen.
       
       18 Dec 2025
       
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