# taz.de -- Extreme Rechte in Russland: Selfie vor der Leiche
       
       > In einem Moskauer Vorort ersticht ein Neuntklässler in einer Schule einen
       > zehnjährigen Tadschiken. Seine rassistischen Ansichten vertrat er offen.
       
 (IMG) Bild: Aufmarsch von Mitgliedern der „Russischen Gemeinschaft“ am 12. September 2025 in St. Petersburg
       
       Timofej K. betritt am vergangenen Dienstag frühmorgens das Schulgebäude im
       Moskauer Vorort Gorki-2. Der 15-Jährige will nicht zum Unterricht, sondern
       sucht nach der Vertretung seiner Klassenlehrerin, „so eine Dunkle“. Sie
       kamen nicht gut miteinander aus, die Noten des Neuntklässlers ließen zu
       wünschen übrig. Timofej K. filmt seine vergebliche Suche mit einer Kamera.
       Eine andere Lehrerin verweist ihn an den Wachschutz. Er entgegnet, er habe
       noch nichts getan, sei ein Volltrottel, ihn erwarte lebenslängliche Haft.
       
       Dann trifft er auf eine Gruppe Kinder aus den unteren Jahrgängen. „Welche
       Nationalität habt ihr?“, fragt er sie. Von hinten nähert sich ein Wachmann
       und fordert Timofej K. auf, sein Messer abzugeben. Doch der greift den Mann
       an, verletzt ihn und sprüht ihm Tränengas ins Gesicht. Die Kinder laufen
       weg, der 10-jährige Kobildschon A. schafft es nicht. Timofej K. sticht so
       lange zu, bis der Junge tot ist und macht anschließend ein Selfie vor der
       Leiche.
       
       Dieser wahr gewordene Alptraum müsste die russische Gesellschaft bis ins
       Mark erschüttern. Da das Opfer jedoch aus einer tadschikischen Familie
       kommt, hält sich das Mitgefühl in Grenzen. Kobildschons Mutter arbeitet als
       Reinigungskraft in der Schule, sein Zwillingsbruder besucht, wie
       Kobildschon selbst, die vierte Klasse. Der Vater starb vor einem Jahr.
       
       Jene Schule befindet sich unweit der westlich von Moskau gelegenen
       Elitesiedlung Barwicha. In der Gegend wohnen auch weniger betuchte Leute,
       wie die Eltern des Täters. Anfang der nuller Jahre waren sie in einer
       Gesundheitseinrichtung der Präsidialverwaltung beschäftigt. Jetzt ist der
       Vater selbstständig, die Mutter arbeitet als Krankenschwester.
       Mitschüler:innen beschrieben Timofej K. als unauffällig, er habe häufig
       Witze über Nazis gemacht. Die letzten Wochen vor der Tat sei er dem
       Unterricht ferngeblieben.
       
       ## Menschenverachtende Aufschrift
       
       Dass das Nazi-Thema im Umfeld des Neuntklässlers so beiläufig auftaucht,
       macht stutzig. Auf seinem T-Shirt, das Timofej K. während seines tödlichen
       Auftritts in der Schule trug, prangte nicht zufällig „No lives matter“
       (Kein Leben zählt). Im russischen sozialen Netzwerk VKontakte präsentierte
       er sich in Schutzweste mit der gleichen menschenverachtenden Aufschrift.
       
       Seinen Helm hatte er mit dem Kürzel SYGAOWN beschriftet, was für „Stop Your
       Genocide Against Our White Nations“ (Stoppt euren Völkermord an unseren
       weißen Nationen) steht. Außerdem findet sich darauf der Satz „Well I had to
       do it because somebody had to do something“ (Nun ja, ich musste es tun,
       weil irgendjemand etwas tun musste) – angelehnt an den US-amerikanischen
       Massenmörder Dylann Roof, der 2015 neun schwarze Gläubige in einer Kirche
       in Charleston erschossen hatte.
       
       Vor der Tötung des tadschikischen Jungen soll Timofej K. in der Toilette
       einen Sprengsatz zusammengebaut haben, um ihn in einem der Schulräume zu
       platzieren. Wäre dieser Plan aufgegangen, hätte er noch mehr Menschen
       getötet. Nur wenige Tage zuvor hatte er an Klassenkamerad:innen ein
       Manifest mit dem Titel „Meine Wut“ verschickt.
       
       Auf elf Seiten lässt er sich aus der Position eines radikalen weißen
       christlichen Kämpfers gegen „Rassenvermischung“ aus. „Die minderwertigen
       Rassen sind definitiv Feinde der Weißen und Europas insgesamt“, heißt es
       da. Und: „Es gibt keine andere Möglichkeit, gegen die Besatzer vorzugehen,
       als Massenmorde.“ Muslime, Juden, Liberale, LGBT – sie alle gelte es zu
       bekämpfen.
       
       ## Rechtsextreme Foren
       
       Um solch ein Hasspamphlet zu verfassen, musste der Autor nicht lange nach
       Formulierungen suchen. Die vergangenen anderthalb Jahre schien er viel Zeit
       in einschlägigen rechtsextremen Foren verbracht zu haben. Dort hielt er
       sich auch mit Kommentaren nicht zurück. Muslime, so eine seiner
       hetzerischen Behauptungen, würden tagtäglich auf offener Straße in anderen
       Ländern wahllos Menschen niederstechen. Und er agitierte für
       Massenerschießungen.
       
       Es ist bezeichnend, dass der russische Strafverfolgungsapparat mit großer
       Vehemenz das russische Internet nach staatskritischen Aussagen oder
       Sympathiebekundungen für die Ukraine durchforstet und dafür sorgt, dass
       reihenweise Haftstrafen gegen Oppositionelle verhängt werden. Oft reicht
       nur ein kurzer Blogbeitrag mit Verweis auf Verbrechen der russischen
       Streitkräfte an der ukrainischen Zivilbevölkerung.
       
       Auch auf islamistische Strukturen wird der Apparat angesetzt, aber die
       potenziell tödliche rassistische Weltanschauung eines 15-Jährigen will
       anscheinend niemand bemerkt haben. Im vergangenen April hatte ein 14 Jahre
       alter Jugendlicher ebenfalls aus rassistischen Motiven in einem Moskauer
       Vorort einen Jungen aus Kirgistan getötet.
       
       Die russische extreme Rechte versucht aus dem Mord an der Schule Kapital zu
       schlagen. Allen voran die „Russische Gemeinschaft“, die derzeit wohl größte
       rechtsextremistische Gruppierung in Russland. Mit landesweiten
       Anlaufstellen tritt die Bewegung als streng orthodoxe alternative
       Ordnungsmacht gegen Migrant:innen auf.
       
       Ihre Mitglieder patrouillieren auf Straßen und haben mit dem Chef des
       russischen Ermittlungskomitees Alexander Bastrykin einen strammrechten
       Fürsprecher in der politischen Führungsriege. Die „Russische Gemeinschaft“
       bietet sich nun an, die patriotische Erziehung Jugendlicher in die Hand zu
       nehmen. Wer russischen Patrioten die Schuld an dem jüngsten Mord anhängen
       wolle, sei ebenso „Abschaum wie der Mörder“.
       
       18 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Vera Bessonova
       
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