# taz.de -- Vier Bilanzen des Popjahrs 2025: Weltumarmung geht auch ohne Mondpreise
       
       > Girlpower versus Misogynie, CD-Revival statt KI-Songs auf
       > Streamingplattformen, Haltung gegen Nazis. Vier persönliche Bilanzen des
       > Popjahrs 2025.
       
 (IMG) Bild: Musik ist sein Trostpflaster für uns: DJ Koze
       
       ## Rundumschlag der Rebel Queens
       
       Die 90er-Jahre-Nostalgie will musikalisch kein Ende finden. So ist es wenig
       verwunderlich, dass ein zentraler Begriff des Popjahrzehnts 2025 heiß
       diskutiert wurde: Girlpower. Ursprünglich geprägt von den
       Riot-Grrrl-Pionierinnen Bikini Kill (1991), massenkompatibel
       zurechtgestutzt wenig später von den Spice Girls, die vor genau 30 Jahren
       an ihrem Debütalbum arbeiteten.
       
       Atlantic-Redakteurin Sophie Gilbert untersuchte im Buch „Girl vs. Girl“,
       wie die Popkultur der 90er und frühen 00er Jahre Frauen gegeneinander
       aufbrachte. Sonja Eismann holte in [1][„Candy Girls“] zum Rundumschlag
       gegen die Misogynie der Musikbranche aus. Die Autorinnen Paula Fürstenberg,
       Alisha Gamisch und Raphaëlle Red gründeten [2][die erste literarische
       Girlgroup No Scribes], blickten liebevoll auf die Bands, die sie in jungen
       Jahren begleiteten, mit der nötigen kritischen Härte aber auf die Kontexte,
       in denen sich diese bewegten. Die [3][Schwestern Sandra Grether und Kersty
       Grether] widmeten nicht nur, aber auch den „Rebel Queens“ der 1990er einen
       umfangreichen Band über weibliche Stimmen in der Rockmusik.
       
       Ihre Power längst entdeckt haben die Musikerinnen, deren globaler Erfolg
       mitunter als Anzeichen eines kommenden Pop-Matriarchats gewertet wird.
       Taylor Swift hatte natürlich wieder ein Topjahr, [4][Lady Gaga]
       katapultierte sich mit „Mayhem“ ganz nach oben in die Charts, und
       [5][Rosalía] schuf mit der Vorabsingle „Berghain“ ihres Albums „Lux“ einen
       der Hypes des Jahres.
       
       Dass einzelne Musikerinnen sich an die Spitze absetzen, beseitigt jedoch
       leider nicht die Sexismen in der Breite. An den Herrscherinnen des
       Popolymps ist auch nicht alles empowernd, die Mondpreise, die sie für
       Konzerttickets verlangen, sind es zum Beispiel nicht. Schnell ist man da
       mehrere hundert Euro los, wenn man überhaupt welche bekommt. Beate Scheder
       
       ## Die Rückkehr der Silberlinge
       
       Unsere Prognose vom Anfang Jahr hat sich bewahrheitet: Das CD-Revival ist
       in voller Blüte. Die Silberlinge blinken vermehrt wieder im Netz oder von
       Merchtischen bei Konzerten. [6][Überall sah man 2025 CDs liegen, hängen und
       spielen.] Ins selbe Horn stieß das tolle Archivlabel Numero Group aus
       Chicago. „Die Nachfrage nach CDs wird größer!“, meldete es bei Insta. Noch
       aber wehrt sich das Label gegen das neumodische – Zwinkersmiley – Format.
       Weswegen es die Retrospektive der Jazz-Post-Hardcoreband Karate vorerst nur
       auf Vinyl herausbringt. Interessantes erschien aber unserer Ausgangsthese
       entsprechend immer häufiger auf CD.
       
       Wobei sich in einigen Sparten allein aus Kostengründen nie ein anderes
       Medium, abgesehen von Digitalverkauf, durchgesetzt hat – in der
       Improvisations- und Jazzecke zum Beispiel. Folgerichtig, dass man das
       ätherische Drone-Mysterium „For Violin, Snare & Kacapi“ des Trios Bennardo,
       Svensson, Nillesen allein auf CD erstehen kann. Randständige Bereiche von
       Jazz erleben gerade in Berlin und Köln eine Hausse. Sie erforschen
       Rhythmusstrukturen, innovative mikrotonale Stimmungen, Hybridisierungen und
       technisch aufwendige Fusionen und sind selten konform mit den engen
       Formatvorgaben von Vinyl.
       
       Der im Vergleich zum hochexperimentellen Trio konventionellere, aber nicht
       weniger betörende Vocal-Jazz [7][der in München ansässigen Mongolin Enji
       klingt auf CD übrigens vor allem auch wegen der glasklaren Digitaltechnik
       unfassbar gut]. Enkhjargal Erkhembayar machte auf „Sonor“ einen Riesensatz,
       was meines Erachtens fast untergegangen ist. [8][In aller Munde] ist
       hingegen das neue Album von DJ Koze – seine Musik sendet von Hamburg in die
       ganze Welt. Lustigerweise bewies sein Album „Music Can Hear Us“, was
       vinylbewusste Elektroniker ungern hören: CDs sind durch ihre technische
       Variabilität viel geeigneter, um Werke abzubilden, als das umständliche
       Vinyl. Und wer von der CD immer noch nicht überzeugt ist, dem sei die
       Lektüre der brachial guten Biografie von US-Rapper MF DOOM nahegelegt.
       Seine CDs sind spottbillig. Lars Fleischmann
       
       ## Streaming trifft künstliche Intelligenz
       
       KI und Musik: Die Diskrepanz zwischen mancher Perspektive aus dem
       Kunstbetrieb und den kalten Fakten, die von Tech-Unternehmen geschaffen
       werden, könnte kaum größer sein. Aktuell lässt sich das in den Berliner
       Kunstwerken (KW) beobachten. Dort kann die Öffentlichkeit im Rahmen der
       Ausstellung „Starmirror“ am Training einer KI mitwirken. Unter Anleitung
       wird sakral im Chor gesungen – woraus ein öffentlicher Datensatz werden
       soll. Aber wozu das Ganze?
       
       Der Brite Mat Dryhurst und [9][die techaffine US-Produzentin Holly Herndon]
       erklären: „Wir versuchen, KI als monumentale kollektive Errungenschaft und
       Koordinationstechnologie zu positionieren.“ Grundsätzlich ja nicht falsch,
       dass sich der Kunstbetrieb mit KI befasst, aber bitte mit weniger
       Affirmation und mehr Subversion!
       
       Die meisten Musiker:innen können sich davon nichts kaufen. Bis zu 30
       Prozent aller Tracks, die neu bei Streamingdiensten hochgeladen werden,
       sind inzwischen KI-generiert. Angelernt werden diese Programme natürlich
       mit den kreativen Leistungen echter Menschen – was mittlerweile 50.000
       Kunstschaffende [10][eine Intervention] unterschreiben ließ.
       Zwischenzeitlich haben die Major Labels Warner und Universal Lizenzabkommen
       mit einigen KI-Musikdiensten abgeschlossen. Doch wer schützt das geistige
       Eigentum von Künstler:innen, an deren Seite kein Anwalt eines Großkonzerns
       steht?
       
       Musikfreund:innen, [11][denen solche Konsequenzen nicht egal ist, können
       zumindest dem Ohrwurm auf ihrer Playlist hinterher recherchieren.] Ob
       dahinter ein Mensch steckt – und sich am besten gleich ein Konzertticket
       kaufen. Das sorgt für große Gefühle, die künstliche Intelligenz definitiv
       nicht liefert.
       
       Und endlich Spotify den Rücken kehren. Gründe dafür gibt es zuhauf: etwa,
       dass Firmengründer Daniel Ek jetzt in KI-Militärtechnologie investiert.
       Unlängst geriet die Plattform zudem in die Kritik, weil in sogenannten
       Viral-Charts (neben Streamingzahlen fließt ein, ob ein Stück oft geteilt
       wird) massenhaft rechtsextreme, von KI erstellte Songs verbreitet wurden.
       Stephanie Grimm
       
       ## Begriffliche Unschärfe von Pop
       
       Pop kann hierzulande alles Mögliche bedeuten. Leider. Ob meistgestreamte
       Songs, neue Phänomene der Alltagskultur, volkstümliche mediale Popularität,
       eine virale Vermarktungsstrategie oder komplexe ästhetische Zusammenhänge.
       Die begriffliche Unschärfe wird zunehmend zum Problem, wie man am teils
       laxen journalistischen Umgang mit der rechtsradikalen Partei AfD sehen
       kann. 2025 fand bei diesem Thema ein Dammbruch statt. Selbst die Brandmauer
       wurde infrage gestellt.
       
       Auch von Claudius Seidl, feuilletonistische Edelfeder und popaffines
       Gewissen, das über Jahrzehnte in der SZ und FAZ unverdächtige Stücke über
       Astrud Gilberto, Helmut Dietl oder die Vermüllung Berlins im burschikosen,
       vom New Journalism abgeleiteten Stil geschrieben hatte. Die bundesdeutsche
       Alles-ist-Pop-Großspurigkeit brachte es dann mit sich, dass der Münchner
       Journalist in einem Text vor einigen Wochen angesichts der „demoskopischen
       Misere“ [12][der CDU nahelegte, mit „gemäßigten“ AfD-Parteimitgliedern zu
       sprechen, um deren 150-prozentige Nazis bloßzustellen.]
       
       Als Kronzeuge rief Seidl den Historiker Andreas Rödder auf, der ihm
       diktierte, „man könne mit Alexander Gauland zivilisiert streiten, ja sogar
       zu Abend essen“. Vogelschiss, anyone? Eigentlich braucht es jetzt
       Horrorfilm-Knowhow, um das Dinner mit Gauland als offene Feldschlacht am
       Buffet zu orchestrieren: Wenn der Bunsenbrenner die Götterspeise flambiert.
       
       Zum Glück gibt es Musik, die einen feit gegen Unheil. [13][Das Album „Music
       Can Hear Us“ von DJ Koze,] dessen freundlich zugewandte Verknautschheit und
       Weltumarmung auch jenseits des Dancefloors in Krisenzeiten tröstet. Das
       Konzert der [14][New Yorker Disco-Band Say She She], bei dem alle auf den
       Beinen waren und ihren trockenen Kommentar zu Trumps undemokratischen
       Umtrieben gehört haben: „Anders als Ihr-wisst-schon-wer, haben wir immer
       noch unsere ethischen Standards und Werte.“ Deswegen vorwärts und nicht
       vergessen: Nazis sind kein Pop und werden es auch niemals werden. Julian
       Weber
       
       19 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
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