# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Skepsis und Misstrauen
> Der sogenannte „Friedensplan“ von US-Präsident Donald Trump trägt ganz
> klar die russische Handschrift. Vier ukrainische Stimmen zum Plan.
(IMG) Bild: Der Versuch von Alltag: Lwiw in der Westukraine Ende November nach einem russischen Raketenangriff
Ein US-Plan, der am 20. November als „Friedensplan“ öffentlich geworden
war, hatte bei vielen Menschen die Hoffnung auf ein mögliches Ende des
Krieges in der Ukraine geweckt. Doch die Euphorie hielt nicht lange vor.
Das Dokument, das mittlerweile in überarbeiteter Form vorliegt, enthält
einen Großteil der altbekannten russischen Maximalforderungen – darunter
auch die Abtretung bisher nicht von russischen Truppen besetzter
ukrainischer Gebiete.
Die taz hat vier Ukrainerinnen und Ukrainer gefragt, wie sie auf den Plan
und die Zukunft ihres Landes schauen.
Hätte nach 9/11 irgendwer Osama bin Laden hofiert?
Maria Pylypchak, Kyjiw
Was ich über den [1][angeblichen Trump-Plan] denke? Der hat nichts mit
Frieden zu tun, sondern kommt einer Kapitulation der Ukraine gleich. Hier
werden klar russische Interessen vertreten, ukrainische hingegen kommen
nicht vor. Wenn wir auf dieser Grundlage verhandeln, verlieren wir alles
und laden dieses Problem bei unseren Kindern ab.
Wie kann man mit Moskau verhandeln, wo es doch noch nie seine
Verpflichtungen erfüllt hat? Jeder weiß, dass wir unsere Atomwaffen 1994
abgegeben haben, um dafür Sicherheitsgarantien zu bekommen. Selbst
Ex-Präsident Clinton hat eingeräumt, dass dies seinerzeit ein Fehler war.
Heute werden täglich Hunderte von uns getötet.
Nach den Anschlägen auf die Zwillingstürme 2001, bei denen über 3.000
Amerikaner gestorben sind, war die Welt erschüttert und hat den USA
geholfen. Die Zahl unserer unschuldigen Opfer ist um ein Vielfaches höher,
doch Amerika hat es nicht eilig, uns zu helfen. Ist es vorstellbar, dass
nach dem 11. September irgendjemand Osama bin Laden hofiert hätte? Er wurde
zum Terroristen Nr. 1 erklärt, niemand wollte mit ihm verhandeln. Russland
terrorisiert seit Jahrzehnten Millionen Menschen, [2][trotzdem wird
Wladimir Putin der rote Teppich] ausgerollt und es werden Pläne
geschmiedet, um seine Interessen zu schützen.
Ich wohne im Dniprowskyj-Bezirk von Kyjiw, etwa 600 Meter von einer
Spezialklinik für Herzoperationen entfernt. Dort wurde am 25. November ein
Wohnhaus getroffen, Menschen starben. Etwas weiter liegt noch ein
Krankenhaus für Notfälle. Ist das etwa kein Terrorismus?
Unsere Regierung hat zwar selbst viel Unheil angerichtet – [3][während
eines Krieges zu stehlen ist schrecklich]. Aber ein eingefrorener Konflikt
wäre kein Schlag gegen die Korruption, sondern gegen die Ukrainer, die die
russische Aggression aufhalten. Solange sich die Ukraine dem Terror
widersetzt, wird ihre Stimme gehört.
Zwar sieht es im Moment nicht gut für uns aus, doch Gott hat uns nicht
erschaffen, um uns im Stich zu lassen. Wir müssen weiter kämpfen und
glauben. Gott hat keine anderen Hände als unsere – und mit diesen Händen
müssen wir die Freiheit verteidigen, die nicht verhandelbar ist. Die
Amerikaner sollten wissen, was Freiheit und christliche Werte bedeuten.
Schon mein Großvater hat immer gesagt: Man kann einem Engländer nichts auf
Französisch erklären. Bei den Russen ist es genauso – sie verstehen keine
andere Sprache als die der Stärke. Was uns der Westen geben müsste, ist
weit weniger als das, was wir geopfert haben. Es würde schon reichen, wenn
Russland endlich spürte, was Krieg bedeutet und wie viel Leid er bringt.
Solange die Russen das nicht spüren, kann man Pläne mit beliebig vielen
Punkten schreiben. Aber die Ursache des Krieges wird damit nicht beseitigt.
Maria Pylypchak ist 70 Jahre alt und Musikpädagogin. Sie lebt in Kyjiw und
hat miterlebt, wie Wohnhäuser in ihrem Bezirk bombardiert wurden.
Protokolliert von Grygorij Palij
Trump denkt vor allem an seinen Profit
Maksym Tkachev, Sumy
Bevor ich von einer russischen Drohne getroffen wurde, hatte ich keine so
große Angst deswegen, dass ich so nahe an der Frontlinie lebe. Aber jetzt
bin ich ständig von Angst erfüllt. Am meisten sorge ich mich um die Kinder,
ihr Leben und ihre Gesundheit. Ich habe bereits schwer unter russischem
Beschuss gelitten. Im vergangenen April hat ein Raketenangriff auf das
Zentrum von Sumy mein Studio zerstört. Im September ist dann eine Drohne
auf das Dach eines angrenzenden Wohnhauses gestürzt, in dem meine Familie
lebt, die Kinder sind fast verrückt geworden vor Angst.
Vor einem Monat traf eine Drohne eine Tankstelle, als ich gerade mit meinem
Auto an der Zapfsäule stand. Mehrere Personen wurden verletzt. Ein Splitter
hätte mir beinahe den Oberschenkelknochen zertrümmert. Ich hätte Glück
gehabt, haben die Ärzte gesagt. Einige Splitter sind in meinem Bein stecken
geblieben. Mein Auto sah aus wie ein Sieb.
Natürlich wünsche ich mir als Bewohner einer Grenzregion, dass der Krieg
schnell endet, aber nicht auf Kosten der Zukunft künftiger Generationen.
Aber ehrlich gesagt, glaube ich nicht an einfache Lösungen für die Ukraine.
Denn es gibt zu viele Probleme und Fallstricke. US-Präsident Trump ist
Geschäftsmann und erst in zweiter Linie Politiker. Wie jeder Geschäftsmann
denkt er vor allem an Profit. Von außen betrachtet wirkt es so, als sei
[4][die Ukraine im großen geopolitischen Spiel] nur Verhandlungsmasse.
Sollte Kyjiw einem solchen Plan zustimmen, werden neue Forderungen folgen
wie beispielsweise „Frieden im Austausch für Land“ oder andere Formen des
Kontrollverlusts über Gebiete. Um den Krieg zu beenden, muss die Ukraine
möglicherweise ihre Gebiete quasi „abtreten“, so als würde sie diese
pachten. Ein Beispiel dafür ist das Abkommen zur Stationierung der
Schwarzmeerflotte in Sewastopol im Jahr 1997. Dieses Abkommen wurde
unterzeichnet; was mit der Krim passiert ist, wissen wir.
Deshalb ist [5][der „Trump-Friedensplan“] für die Ukraine alles andere als
friedlich, sosehr ich mir auch ein schnelles Kriegsende wünsche. Ihm
zuzustimmen, käme einer Kapitulation gleich. Neben den USA hat die Ukraine
immerhin Verbündete in Europa. Daher werden wir weiter für einen
ukrainischen Friedensplan kämpfen.
Maksym Tkachev ist Kameramann und Journalist aus Sumy. Als der 38-Jährige
tankte, schlug eine Kampfdrohne in die Tankstelle ein.
Protokolliert von Anna Klochko
Aus dem Russischen von Barbara Oertel
Ein Abkommen mit Russland ist das Papier nicht wert
Serhij
Ich habe mich 2022 freiwillig für den Dienst an der Front gemeldet. Es gibt
kaum einen Ort im Donbass, wo ich nicht war. Dort wurde ich auch schwer
verletzt. Ich habe Verbrennungen erlitten, die Hälfte meines Körpers war
betroffen. Unter den Folgen leide ich noch heute. Wenn es um eine
friedliche Lösung des Krieges geht, den die Russische Föderation gegen die
Ukraine entfesselt hat, sollte das Volk das erste Wort haben, das dem Feind
ins Gesicht gesehen und sein Land gegen ihn verteidigt hat. Und da sage
ich: Ein Abkommen mit Russland ist nicht einmal das Papier wert, auf dem es
geschrieben steht. Denn die Besatzungsarmee wird den Krieg auch nach einer
Einigung fortsetzen.
Der Kreml wird wie üblich alle seine Taten der Ukraine in die Schuhe
schieben und dabei sowohl versteckte Provokationen als auch diese Taktik
anwenden: Wir tun es vor aller Augen, aber gleichzeitig leugnen wir alles.
Ich glaube nicht an den US-Friedensplan, vor allem, weil ihn noch niemand
vollständig gesehen hat und niemand genau weiß, was er beinhalten wird.
Natürlich sollte das alles so schnell wie möglich aufhören, aber um dieses
Ziel zu erreichen muss die gesamte russische Führung im Gefängnis sitzen.
Ihr Land muss alles wieder aufbauen, was es in der Ukraine zerstört hat.
[6][Am vergangenen Montagabend hat Russland die Ukraine erneut mit fast 500
Shahed-Drohnen und drei Dutzend Raketen verschiedenen Typs angegriffen]. Am
schrecklichsten jedoch ist, dass Zivilisten, die in ihren Häusern
schliefen, getötet und einige kurz vor Wintereinbruch obdachlos geworden
sind. Das beunruhigt mich sehr.
Ich wünsche mir einen gerechten Frieden, den die Ukrainer verdienen.
Gleichzeitig glaube ich nicht an die Rückgabe der von Russland besetzten
ukrainischen Gebiete. Die Toten kann niemand zurückbringen, doch ihr Tod
darf nicht ungestraft bleiben. Putin und seine Militärmaschinerie tragen
die Hauptschuld.
Der Rückzug aus den von der Ukraine kontrollierten Gebieten des Donbass,
wie ihn der „Trump-Friedensplan“ vorsieht, ist ein Wahnsinn, ebenso wie die
Reduzierung der ukrainischen Streitkräfte. Doch davon abgesehen: Ich traue
US-Präsident Donald Trump nicht. Er und Wladimir Putin sind seit Langem
befreundet. Ich habe die Befürchtung, dass über das Schicksal der Ukraine
ohne die Ukraine entschieden wird.
Dabei denke ich auch an den Besuch des russischen Präsidenten in Alaska im
August. Anstatt einen als Kriegsverbrecher anerkannten Mann zu verhaften,
hat das amerikanische Militär Putin den roten Teppich ausgerollt.
Serhij ist 27 und Soldat. Er kämpfte im Donbass gegen die russischen
Invasoren, wurde schwer verletzt. Seinen Nachnamen möchte er nicht in der
Zeitung lesen, auch in keiner ausländischen.
Protokolliert von Walerija Samoshyna
Aus dem Russischen von Barbara Oertel
Ein Papier, das für unsere Kapitulation entworfen wurde
Nataliya Wasyljuk, Luzk
Wenn ich mir die Chronologie der Ereignisse der letzten Woche ansehe, fügt
sich alles zu einem Bild zusammen.
Wie man amerikanischen Medien entnehmen kann, [7][erklärt US-Sonderberater
Steve Witkoff am 14. Oktober Wladimir Putins außenpolitischem Berater Juri
Uschakow, wie man im Gespräch mit Donald Trump die Akzente setzt]: Man
solle Trump als „Mann des Friedens“ darstellen, ihm für seine „Bemühungen
in Gaza“ danken und generell seine wichtige Rolle in internationalen
Prozessen betonen.
Am 20. November tauchen erste Hinweise auf einen „Plan“ in den Medien auf.
Schon am Tag darauf beginnt Trump, Druck auf die Ukraine auszuüben, und
Außenminister Marco Rubio versucht, alle davon zu überzeugen, dass dieses
Dokument angeblich mehrere Monate lang vorbereitet worden sei.
Spätestens am 22. November wird klar: der „Witkoff-Dmitriev-Plan“ (nach dem
russischen Investmentbanker Kirill Dmitriev, der für Putin mit den
Amerikanern verhandelt; Anm. der Redaktion) ist kein amerikanischer Plan,
kein Friedensdokument und ganz sicher führt er nicht zur Beendigung des
Krieges. Es ist ein Papier, das für unsere Kapitulation entworfen wurde.
Und mich wundert sehr, wie viel Kraft unsere Diplomaten für einen Dialog
mit Witkoff haben, der nicht nur russische Narrative verbreitet, sondern
den Russen auch dabei hilft, Gespräche mit Trump vorzubereiten und
FSB-Vorschläge als US-amerikanische auszugeben. Trump nimmt all das als
gegeben hin und billigt es sogar.
Für mich ist ganz klar: Das, was heute „Friedensplan“ genannt wird, soll in
Wirklichkeit die Ukrainer zur Kapitulation zwingen. Und genau das wird
sowohl von Russland als auch von einigen Befürwortern der „Abkommen“ in den
Vereinigten Staaten selbst unterstützt.
Dem sogenannten „Trump-Plan“ hat die US-Regierung einen Preis für ihre
Dienste hinzugefügt und das auch ganz offen benannt: Wir teilen das
eingefrorene russische Vermögen 50:50 mit den Russen.
Der Plan enthält alle russischen Forderungen: sowohl die kampflose Übergabe
von ukrainischen Gebieten als auch die Entnazifizierung, die
Demilitarisierung, den Status der Blockfreiheit, die Wiedereinführung der
russischen Sprache, Kirche und Propaganda.
Doch es gibt auch einen neuen Punkt: Die vollständige, gesetzlich
verankerte Amnestie für alle Straftäter. Das heißt [8][für die Folter von
Zivilisten in Butscha] und Kupjansk die Tötung von Kindern und Frauen im
Theater von Mariupol, [9][die bombardierte Kinderklinkik Ochmadyt] und die
Hochhäusern in Ternopil, Dnipro und Kyjiw, für die Folter und Hinrichtungen
von Gefangenen, für die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland und
für Tausende anderer schrecklicher Verbrechen wird niemand bestraft.
Denkt diese amerikanische Regierung, dass sie so in den Himmel kommt? Sagt
ihnen, dass damit der schlimmsten Kreis der Hölle auf sie wartet. Die
Forderung, dass Eltern die Mörder ihrer Kinder ungestraft davonkommen
lassen sollen, können echt nur solche wie Trump, Vance, Rubio und Witkoff
stellen.
Und während in den Hinterzimmern schon ähnliche solcher „Pläne“ geschmiedet
werden, zahlt die Ukraine Tag für Tag einen schrecklichen Preis. In den
ersten neun Monaten dieses Jahres sind 548 Zivilisten durch russische
Angriffe ums Leben gekommen, weitere 592 wurden verletzt. In Kyjiw sind
allein seit Beginn des Jahre fast viermal so viele Zivilisten umgekommen
wie im gesamten letzten Jahr. Der russische Angriff auf die
Energieversorgung vom 25. November war bereits der siebte Großangriff in
zwei Monaten.
Vor diesem Hintergrund klingen alle Gespräche über „Pläne“, die in den
Büros russischer Berater auf Russisch geschrieben wurden, nicht nur
zynisch. Sie zeigen vielmehr, dass bestimmte politische Kräfte im Westen
bereit sind, die Augen vor der Realität des Krieges zu verschließen und
sich nicht für einen gerechten Frieden, sondern für eine dem Kreml genehme
Lösung zu entscheiden.
Und genau das ist für uns aktuell die größte Gefahr.
Nataliya Wasyljuk ist 59 Jahre alt. Sie arbeitet als Buchhalterin in der
westukrainischen Stadt Luzk.
Protokoll Juri Konkewitsch
Aus dem Ukrainischen Gaby Coldewey
29 Nov 2025
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