# taz.de -- Zurückweisungen an der Grenze: „Bruch des europäischen Rechts“
       
       > Der Grünen-Vize Sven Giegold hat gegen das deutsche Vorgehen Beschwerde
       > bei der EU-Kommission eingelegt. Die guckte zuletzt allerdings eher weg.
       
 (IMG) Bild: Die Bundespolizei kontrolliert an der tschechischen Grenze per Hubschraubersprungfahndung
       
       Berlin taz | Zufrieden stand der neue deutsche Innenminister Alexander
       Dobrindt (CSU) am Donnerstag an der deutsch-österreichischen Grenze.
       Gekleidet in eine Polizeijacke [1][dankte er der Bundespolizei dafür, dass
       sie auf seine Weisung hin seit nunmehr einer Woche Geflüchtete an der
       Grenze zurückweist] – selbst, wenn sie um Asyl bitten. Gegen genau dieses
       Vorgehen Deutschlands hat der stellvertretende Grünen-Vorsitzende Sven
       Giegold nun Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt.
       
       „Nach meiner Erinnerung hat noch nie eine neue Regierung eines großen
       Mitgliedslands mit der quasi ersten Amtshandlung den Bruch des europäischen
       Rechts in Kauf genommen“, schreibt Giegold an EU-Kommissionspräsidentin
       Ursula von der Leyen (CDU). Als Staatssekretär sei er selbst bis November
       2024 dafür verantwortlich gewesen, dass die Bundesrepublik das Europarecht
       einhält. Das für alle Mitgliedsstaaten zu überwachen, sei Aufgabe der
       EU-Kommission. Deutschland gefährde mit seinem Handeln nun „die Grundlagen
       der Europäischen Union“.
       
       Denn, so Giegold: Die EU beruhe darauf, dass Europarecht Vorrang vor
       nationalem Recht hat. Und laut Europarecht ist für den Asylantrag eines
       Menschen zwar das Land zuständig, in dem dieser die EU zuerst betreten hat.
       Also in der Regel nicht Deutschland, das von anderen EU-Staaten umgeben
       ist. Deutschland muss demnach aber erst mal prüfen, welcher Staat zuständig
       ist – und [2][kann Asylsuchende entsprechend nicht einfach abweisen]. Das
       ist nur nach nationalem Recht möglich, das aber eigentlich vom Europarecht
       überlagert wird.
       
       ## Zahl der Asylanträge sinkt sowieso
       
       Grüne und Linke sowie zahlreiche Asylrechtsexpert*innen kritisieren
       die pauschalen Zurückweisungen – Ausnahmen gibt es nur für Schwangere,
       Minderjährige und andere besonders vulnerable Gruppen – als
       europarechtswidrig. Nach Auffassung des Innenministers kann Deutschland
       sich jedoch auf [3][Artikel 72 des EU-Rechts] berufen. Nach dieser Klausel
       kann von EU-Recht abgewichen werden, sofern es die öffentliche Sicherheit
       erfordert.
       
       „Eine Notlage wurde weder angezeigt, noch ist sie gegeben“, sagte der taz
       hingegen der Grüne Sven Giegold. „Die Zahl der Asylanträge in Deutschland
       sinkt.“ Er verweist zudem auf das sehr restriktive und [4][von den Grünen
       mit beschlossene „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS)], das so neu
       sei, dass über dessen Wirksamkeit noch gar nicht bekannt sei.
       
       „Es hat immer ein Geschmäckle, wenn ein deutscher Kanzler von einer
       deutschen Kommissionspräsidentin kontrolliert wird, die zudem in der selben
       Partei ist“, sagte Giegold der taz. „Ich erwarte, dass Ursula von der Leyen
       unparteiisch über die Einhaltung europäischen Rechts wacht. Das wird hier
       in Brüssel auch sehr genau beobachtet.“
       
       Dass die Kommission einschreitet, ist allerdings unwahrscheinlich. Im
       Asylrecht hat sie in den vergangenen Jahren häufig nicht sehr verhement auf
       die Einhaltung europäischen Rechts gepocht. Ein Beispiel dafür sind die
       inzwischen teils seit Jahren andauernden Grenzkontrollen Deutschlands zu
       seinen Nachbarstaaten – erlaubt sind im Schengenraum eigentlich maximal
       sechs Monate.
       
       17 May 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Neue-Haerte-an-den-Grenzen/!6084787
 (DIR) [2] /Deutsch-polnische-Grenze/!6083325
 (DIR) [3] https://dejure.org/gesetze/AEUV/72.html
 (DIR) [4] /Europaeische-Asylrechtsreform-Geas/!6003865
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dinah Riese
 (DIR) Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Asylrecht
 (DIR) Alexander Dobrindt
 (DIR) Sven Giegold
 (DIR) EU-Kommission
 (DIR) EU-Recht
 (DIR) Migration
 (DIR) GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem)
 (DIR) Friedrich Merz
 (DIR) Asylrecht
 (DIR) Migration
 (DIR) Friedrich Merz
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Asylpolitik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Geänderte Unterkunftsregeln: Neue Kategorie: Sekundärmigrant
       
       Geflüchtete könnten bald behandelt werden wie Gefangene. Es geht einzig
       darum, symbolische Härte zu zeigen.
       
 (DIR) Deutsches GEAS-Gesetz: Spielräume ausreizen
       
       Abschieben noch vom Flughafen: Wie Deutschland die Reform des Gemeinsamen
       Europäischen Asylsystems umsetzen will.
       
 (DIR) Urteil zu Zurückweisungen an den Grenzen: Dobrindt hätte die Wahl
       
       Ein Gericht erklärt die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze für
       rechtswidrig. Der Innenminister könnte nun den Spuk gesichtswahrend
       beenden.
       
 (DIR) Urteil zu Asylpolitik: Zurückweisungen sind rechtswidrig
       
       Das Berliner Verwaltungsgericht gibt der Klage von drei Somalier:innen
       statt. Der Eilbeschluss ist nicht anfechtbar.
       
 (DIR) EU-Migrationsrecht: Vorstoß zu Menschenrechtskonvention
       
       Neun EU-Länder fordern nach Klagen, Vorgaben der Europäischen
       Menschenrechtskonvention zur Migration zu überprüfen. Grüne und Linke üben
       Kritik.
       
 (DIR) Schwarz-rote „Asylwende“: Symbolische Grenzpolitik
       
       Die groß angekündigte Asylwende fällt ziemlich klein aus. Die Union hat
       sich in eine Sackgasse manövriert, aus der sie nicht herauskommt.
       
 (DIR) Neue Härte an den Grenzen: Dobrindt lobt Zurückweisung Geflüchteter
       
       Bundesinnenminister Dobrindt freut sich über fast 800 zurückgeschickte
       Personen, darunter knapp 30 Asylsuchende. Doch Polen scheint sich
       querzustellen.
       
 (DIR) Deutsch-polnische Grenze: Einfach mal dicht gemacht
       
       Zurückweisungen sollen nun auch Asylsuchende treffen, sagt Innenminister
       Dobrindt. An der polnischen Grenze sind diese Pushbacks längst Realität.