# taz.de -- Europäische Asylrechtsreform Geas: „Ein System der Abschottung“
       
       > Menschenrechtsorganisationen fürchten „mehr Tod und Leid“ durch die
       > EU-Asylrechtsreform. Sie widerspreche einer humanen Flüchtlingspolitik.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen die Asylreform in Brüssel am 10. April
       
       Das EU-Parlament hat für die umstrittene Asylreform Geas gestimmt. Das
       Gesetzespaket sieht unter anderem schnellere Asylverfahren an den
       Außengrenzen und einen Solidaritätsmechanismus zur Verteilung der
       Schutzsuchenden vor. Kurz zuvor hatte es geheißen, dass eine Mehrheit für
       das Gesetzespaket von insgesamt sieben Verordnungen nicht mehr sicher
       schien.
       
       Gegenüber der taz hatte der SPD-Abgeordnete Dietmar Köster aus dem
       Ruhrgebiet am Mittwochvormittag angekündigt, gegen fünf der neuen
       Verordnungen zu stimmen. „Ich bin der Auffassung, dass der Pakt die
       Grundrechte von Schutzsuchenden gefährdet“, so Köster. Das Geas werde
       „nicht zu mehr Humanität führen und wird den Ansprüchen einer
       menschenrechtsfundierten Flüchtlingspolitik nicht gerecht“. Er glaube
       nicht, dass die große humanitäre Krise an den EU-Außengrenzen durch das
       Geas eingedämmt werde.
       
       „Die Toten im Mittelmeer sind ein Drama, eine Katastrophe, und dieses
       Asylpaket wird nicht dazu beitragen, dass nicht weiter Menschen ertrinken.“
       Auch den widerrechtlichen Zurückschiebungen, etwa an der
       kroatisch-bosnischen Grenze, wirke das Geas nicht entgegen.
       
       Nach neunjährigen Verhandlungen hatten sich Parlament, EU-Rat und
       -Kommission im vergangenen Dezember auf tiefgreifende Änderungen des
       EU-Asylrechts geeinigt. Kern sind Schnellverfahren in geschlossenen Lagern
       an den EU-Außengrenzen für große Teile der ankommenden Schutzsuchenden.
       Anders als ursprünglich angekündigt sind auch Kinder von der Internierung
       in diesen neuen Lagern nicht ausgenommen. Die Mitgliedsländer wollen
       zunächst 30.000 Plätze schaffen, nach vier Jahren sollen es 120.000
       Haftplätze sein.
       
       ## „Gewalt an der Grenze beginnt in Brüssel“
       
       Die Zustimmung der Grünen – die bis vor Kurzem strikt gegen
       Asylverfahrenslager an den Außengrenzen waren – innerhalb der
       Ampelregierung war ein Schlüsselelement, um den Geas-Kompromiss zwischen
       den 27 EU-Staaten noch vor der EU-Wahl im kommenden Juni zum Abschluss zu
       bringen.
       
       Doch seit dem Ende der sogenannten Trilog-Verhandlungen im Dezember habe
       die Diskussion unter den EU-Abgeordneten „eine gewisse Dynamik“ bekommen,
       sagt Köster. „Man war ganz gelassen und dachte, dass es eine breite
       Mehrheit gibt. Mittlerweile wurden aber doch mehr kritische Stimmen
       geäußert.“ Bei den Fraktionssitzungen am Mittwoch sei allgemein davon
       ausgegangen worden, dass es eine sehr knappe Abstimmung geben würde.
       „Entsprechend wurde schon ein gewisser Druck aufgebaut in den Fraktionen“,
       so Köster.
       
       Der SPD-Bundestagsfraktionsvize Dirk Wiese hatte das Geas – ähnlich wie die
       grüne Außenministerin Annalena Baerbock – einen „echten Meilenstein“
       genannt. Zum Jubeln sei ihr nicht zumute, meinte indes die niederländische
       liberale Abgeordnete Sophie in ’t Veld. Es sei eine „völlige Illusion“ zu
       glauben, die Regeln könnten später noch nachgebessert werden, so in ’t Veld
       mit Blick auf den erwarteten Rechtsruck bei den EU-Wahlen im Juni.
       
       In den Tagen vor der Abstimmung war die Kritik von Menschenrechtsgruppen am
       Geas immer schärfer geworden.
       
       „Zu den schon bestehenden Zäunen, Mauern, Überwachungstechniken und
       Pushbacks kommen nun absehbar noch mehr Inhaftierung und Isolierung
       schutzsuchender Menschen an den Außengrenzen“, sagte [1][Wiebke Judith von
       Pro Asyl]. Es werde ein „ein System der Abschottung, Abschreckung und
       Auslagerung etabliert“, sagte [2][Felix Braunsdorf von Ärzte ohne Grenzen].
       „Es wird Menschen dazu zwingen, immer gefährlichere Routen zu wählen, was
       zu mehr Leid und Tod führen wird.“
       
       „Gewalt an der Grenze beginnt in Brüssel“ schrieb das Border Violence
       Monitoring Network in einer Erklärung. „Diese fatale Reform untergräbt die
       Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in der EU.“ Vor dem Parlament wurde
       am Nachmittag gegen Geas demonstriert. Sie hissten Transparente unter
       anderem mit der Aufschrift „Borders kill“.
       
       10 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Einigung-bei-EU-Asylpolitik/!5980977
 (DIR) [2] /Einigung-bei-EU-Asylpolitik/!5980977
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
       ## TAGS
       
 (DIR) EU-Recht
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Asylrecht
 (DIR) Pro Asyl
 (DIR) Asylpolitik
 (DIR) Geflüchtete
 (DIR) GNS
 (DIR) Asylverfahren
 (DIR) Schwerpunkt Grundgesetz
 (DIR) Geflüchtete
 (DIR) Asyl
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Grüne
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Omid Nouripour
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Asylverfahren in der EU: Gerichte können sichere Herkunftsstaaten kontrollieren​
       
       Der Europäische Gerichtshof stoppte Manöver von Italiens Regierungschefin
       Meloni. Sie versuchte, die Kontrollrechte der Gerichte auszuhebeln.
       
 (DIR) 75 Jahre Grundgesetz: Lücke in Sachen Asyl
       
       Keine Feier ohne Wermutstropfen: Geflüchteten bietet das Grundgesetz kaum
       Schutz. Aber es ermöglicht Abschiebungen in „sichere Herkunftsländer“.
       
 (DIR) Sachverständigenrat zu Migrationspolitik: Zwischen Restriktion und Öffnung
       
       Der Sachverständigenrat Migration lobt die GEAS-Reform und das
       Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Allerdings gibt es auch Kritik im
       Jahresgutachten.
       
 (DIR) Schärfere EU-Asylregeln beschlossen: Drittstaaten und Außengrenzen
       
       Einen Monat nach dem EU-Parlament nimmt auch der EU-Ministerrat die
       umstrittenen Asylrechtsverschärfungen an. Damit können sie jetzt in Kraft
       treten.
       
 (DIR) EU-Einigung auf Asylreform: Die grüne Flucht nach rechts
       
       Die Neuordnung des EU-Asylsystems bedeutet für Flüchtlinge Inhaftierung und
       mögliche Abschiebung in Kriegsgebiete. Es zwingt die Grünen zu
       Verrenkungen.
       
 (DIR) Ex-Grüner zum Austritt wegen Asylpolitik: „Ich kann das nicht mittragen“
       
       Der Aktivist Tareq Alaows ist mit anderen Geflüchteten bei den Grünen
       ausgetreten. Sie wollen die Reform des EU-Asylsystems GEAS nicht mittragen.
       
 (DIR) Flüchtlingspolitik in der EU: Am Ende eines verheerenden Jahres
       
       Auf seinem Flüchtlingsforum am Mittwoch will das UNHCR Hilfe für
       Vertriebene und Aufnahmeländer mobilisieren. Viele Staaten verschärfen ihr
       Asylrecht.
       
 (DIR) Streit um Migrationspolitik: Zugeständnisse der grünen Spitze
       
       Auf dem Parteitag stritten die Grünen um Migrationspolitik. Die Einigung
       soll den Spagat schaffen: Zwischen Menschenrechten und Verschärfungen.