# taz.de -- Punkkunst-Ausstellung in Bremen: Das ewige Leben der Tödlichen Doris
> Die Punk-Kunst-Gruppe Die Tödliche Doris hat das Westberlin der 80er
> aufgemischt. Die Bremer Weserburg zeigt nun eine erste umfassende
> Retrospektive.
(IMG) Bild: Die Tödliche Doris beim Festival Genialer Dilletanten, Berlin, 1981
Flirrende Bildschirme, ein hintergründiges Brummen, Stimm- und Musikfetzen
wabern durch die Räume im Zentrum für Künstlerpublikationen des [1][Bremer
Museums Weserburg]. „Es wummert in dieser Ausstellung“, sagt Radek
Krolczyk, Kurator der ersten umfassenden Werkschau der [2][Band und
Künstlergruppe Die Tödliche Doris] angesichts der vielen gleichzeitig
laufenden Super-8-Film-Werke. „Es ist eine stressige Ausstellung.“
Wobei „stressig“ dann wohl doch etwas zu stark ist. Da gäbe es andere
Kaliber, auf die das eher zuträfe, würde man ihnen 45 Jahre nach der
Gründung eine Werkschau widmen. Musikalisch wären das zum Beispiel die
Einstürzenden Neubauten, die ja [3][derselben Ära der frühen 80er Jahre und
demselben Soziotop] der Westberliner Subkultur entstammen.
Die torpedierten, wie die Tödliche Doris, die Erwartungshaltungen des
Publikums, entfachten Anarchie auf der Bühne und ignorierten tradierte
Formen des Musikmachens. Doch im Gegensatz zu deren eher maskuliner
Vehemenz arbeitete die Doris eher spielerisch und mit „kluger Rotzigkeit“,
wie [4][Weserburg-Direktorin Janneke de Vries] die künstlerische oder
gerade auch bewusst nichtkünstlerische Herangehensweise bestimmt.
Westberlin 1980, Mauerstadt, Kalter Krieg, Endzeitstimmung, dunkle
Hinterhauswohnungen mit Kohleöfen – aber eben auch die große Freiheit für
Hausbesetzer, Künstler, Punks. In diesem Milieu gründeten die beiden Kunst-
und Filmstudenten Wolfgang Müller (Jahrgang 1957) und der 1996 verstorbene
Nikolaus Utermöhlen Die Tödliche Doris, die sich [5][zunächst in Gestalt
einer Punkband manifestierte].
## Kunstkonzepte unterwandern
Bereits ein Jahr später trat die Formation beim [6][legendären Festival der
Genialen Dilletanten] im Berliner Tempodrom auf. Bei dem spielten auch
andere illustre Szenegrößen wie die Neubauten, Din-A-Testbild, Christiane
F. und [7][der spätere Techno-Pionier Dr. Motte].
Wolfgang Müller hatte seinerzeit das Konzept des kulturkritischen Ansatzes
verfasst, spartenübergreifend zwischen Musik, Film, Fotografie, Literatur
und Performance zu agieren. Das wurde auch so von der Kritik bemerkt: „Das
Wichtigste an der Tödlichen Doris ist, dass sie immer da ist, wo du sie
nicht erwartest“, schrieb Diedrich Diederichsen 1982 im Musikmagazin
Sounds.
Die Existenz als Band war immer nur ein Teil des Gesamtkonzeptes der
Gruppe. Wobei man – und das ist eine sehr schöne und überhaupt nicht
„stressige“ Idee dieser Ausstellung – sich ein Stockwerk höher an einen
Tisch setzen kann: Dort ist es möglich, über Kopfhörer die alten
Vinyl-Platten der Band zu hören.
Vorwiegend ging es der später auch personell fluiden Gruppe immer darum,
gängige Kunstkonzepte zu unterwandern. Virtuosität oder Meisterschaft, wie
sie selbst ernannte [8][Malerfürsten wie Markus Lüpertz] für sich
beanspruchen, waren der Doris fremd. Das erkennt man gleich zu Beginn der
Ausstellung im 1991 eröffneten Sammlermuseum Weserburg bei dem Werk mit dem
schönen, sperrigen Titel „Die Gesamtheit allen Lebens und alles darüber
Hinausgehende“.
Es besteht aus einem grade mal zwei Sekunden kurzen, gefundenen abstrakten
Super-8-Film. Dessen 44 Einzelbilder wurden 1984 auf eine Leinwand
projiziert und anschließend von zufälligen Besuchern, von Journalisten und
Freunden der Doris ausgemalt.
Einige aus dem Zyklus von Laien-Malereien hängen nun in der Weserburg. „So
ergibt sich ein Daumenkino zum Vorbeilaufen“, sagt Kurator – und taz-Autor
– Radek Kolczyk. Der hat in seiner Bremer Galerie K’ 2020 das Archiv der
Tödlichen Doris unter seine Fittiche genommen, das in Berlin keine
dauerhafte Bleibe gefunden hat.
Die einzige malerische Arbeit der Gruppe ist ein gutes Beispiel für deren
widersprüchliches Spiel mit Erwartungshaltungen. 1987, im Jahr ihrer
offiziellen Auflösung, war die Doris zur Documenta in Kassel geladen –
höhere Weihen gibt es in der deutschen Kunstwelt kaum.
## Verstören und provozieren
Aber statt der erwarteten grellen Punk-Provokation lieferte das Berliner
Kollektiv diese konzeptuelle Malerei. „Niemand wollte damals Konzeptkunst“,
sagt Krolczyk über diese Art der leisen Provokation, die aber trotzdem auch
den widerspenstigen Geist des Punk in sich trägt.
Wobei die Tödliche Doris ja genau genommen schon aus der Postpunk-Ära
stammt. Die Sex Pistols waren 1980 längst Geschichte, Bassist Sid Vicious
an einer Überdosis Heroin gestorben. In dem auch heute noch verstörenden
Super-8-Film „Das Leben des Sid Vicious“ aus dem Jahr 1981 zeigen sich die
punktypischen Strategien der Grenzüberschreitung und der in diesem Fall
alles andere als leisen Provokation der Umdeutung von Zeichen.
Statt Sid Vicious tapst darin der gerade mal zweieinhalbjährige Sohn von
Doris-Drummerin Dagmar Dimitroff im roten Hakenkreuz-Shirt und mit
Iro-Frisur über einen Westberliner Bürgersteig. Später hantiert der Steppke
mit Drogenspritze und Gummimesser herum.
Das ist ein Verweis der Filmemacher auf den bis heute ungeklärten Mord an
der Vicious-Freundin Nancy Spungen. Schon nach der ersten Vorführung 1983
im Berliner Arsenal-Kino gab es erbitterte Debatten über den Film. Auch
heute würde er wohl für einen eklatanten Shitstorm sorgen.
## Film im Mittelpunkt
Bei der Doris-Werkschau in der Weserburg steht nicht umsonst das Medium
Film im Mittelpunkt. „Dort finden Musik, Performance, Fotografie, Text und
Malerei zusammen“, erklärt Radek Krolczyk den Ansatz.
Ein bekannteres fotografisch-filmisches Frühwerk der Tödlichen Doris ist
„Materialien für die Nachkriegszeit“. Für das sind Wolfgang Müller und
Nikolaus Utermöhlen unter Sofortbildautomaten in Westberliner U-Bahnhöfen
rumgekrabbelt.
Sie haben weggeworfene Passfotos aufgesammelt, restauriert und abgefilmt.
Motive des Films wurden laut Eugen Blume, dem langjährigen Leiter des
Museums Hamburger Bahnhof in Berlin, später in großen Produktionen wie „Die
fabelhafte Welt der Amélie“ zitiert.
„Das ist eine Arbeit, die oft zum Ausleihen angefragt wird“, berichtet
Archivar Krolczyk. Weserburg-Direktorin Janneke de Vries bringt anhand der
Werkschau auch den Einfluss der Tödlichen Doris auf die multimedialen
Arbeiten von Künstlern wie Christoph Schlingensief [9][und Pipilotti Rist]
ins Spiel.
Die Idee der Tödlichen Doris war, statt ein fest umrissenes Image zu
präsentieren, die Frage nach der eigenen künstlerischen Identität immer
wieder neu zu stellen. Als Projektionsfläche ohne Persönlichkeit und
eigenen Stil soll sie vom Publikum zum Leben erweckt und neu erfunden
werden, so wie jetzt in der Weserburg: Angesichts der Vermischung von
Wirklichkeit und Wahn dank KI wirkt das visionär – und sehr gegenwärtig.
23 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Kuenftige-Chefin-ueber-Weserburg-Zukunft/!5471273
(DIR) [2] /Archiv-der-Gruppe-Die-Toedliche-Doris/!5925506
(DIR) [3] /Nachruf-auf-Musikmanager-Alfred-Hilsberg/!6108344
(DIR) [4] /Neue-Museums-Leiterin/!5584533
(DIR) [5] /Ausstellung-Punk-oder-so-aehnlich/!5641220
(DIR) [6] /Neue-Musik-aus-Berlin/!6025363
(DIR) [7] /Rave-The-Planet-in-Berlin/!6095959
(DIR) [8] /Malerei-Ausstellung-im-Kunstverein-Koeln/!5980080
(DIR) [9] /Im-Taumel-der-Pixel/!6063883&s=Rist+bremen&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
(DIR) York Schaefer
## TAGS
(DIR) Westberlin
(DIR) Kunst
(DIR) Punk
(DIR) Bremen
(DIR) Ausstellung
(DIR) Social-Auswahl
(DIR) Reden wir darüber
(DIR) Berlin Ausstellung
(DIR) Hamburg
(DIR) Bremen
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Käthe Kruse in der Berlinischen Galerie: Von A wie „Abstiegsangst“ bis Z wie „Zuwanderungsrekord“
Als Künstlerin ordnet Käthe Kruse die Welt. Das zeigt auch die große
Werkschau des einstigen Mitglieds der Anarcho-Musikgruppe „Die tödliche
Doris“.
(DIR) Ausstellung „Exzentrische 80er“: Banden gebildet, Kunst geschaffen
Tabea Blumenschein, Hilka Nordhausen und Rabe perplexum wurden vom
Kunstbetrieb der 80er ignoriert. Eine Hamburger Ausstellung zeigt ihre
Arbeiten.
(DIR) Archiv der Gruppe „Die Tödliche Doris“: Schätze aus dem Kumpelnest
Die Punk-Art-Gruppe „Die Tödliche Doris“ gehört zum West-Berlin der 80er.
Galerist Radek Krolczyk schützt ihr Archiv in Bremen vor Berliner
Nostalgie.