# taz.de -- Ungewollt schwanger: Im Aufwachraum
> Unsere Autorin entscheidet sich für eine Abtreibung. Was ein einfacher
> Eingriff sein könnte, ist ein politisches und gesellschaftliches
> Minenfeld.
(IMG) Bild: Positiv! Wie geht die Gesellschaft mit Frauen um, für die das keine positive Nachricht ist?
Auf dem Weg zur Absaugung des Embryos, der in mir heranwächst, höre ich
„Scenes From an Italian Restaurant“ von Billy Joel. Mit der Leichtigkeit
des Songs versuche ich gegen das, was in mir vorgeht, anzukämpfen. Es ist
ein erster sonniger Frühlingstag, lächelnde und über das Wetter erleichtert
wirkende Gesichter ziehen an meinem Busfenster vorbei. Die Lichtreflexionen
an den Gebäuden sind so hell, dass sie zusammen mit Billy Joel meine Sinne
betäuben. Die dunkle Schwere, die ich in mir spüre, ist trotzdem stärker
als alles andere. Ich fühle mich wie ein wandelnder Widerspruch, wie eine
Gleichzeitigkeit von Leben und Sterben.
Ich bin in der achten Woche schwanger und werde es schon in ungefähr zwei
Stunden nicht mehr sein. Die letzten Tage sind wie in einem Nebel
vergangen. Ich war nicht darauf vorbereitet, schwanger zu sein. Und der
Druck, der plötzlich auf mir lastete, hat mich an vielem zweifeln lassen:
an den feministischen Errungenschaften in unserer Gesellschaft, am
Gesundheitssystem, an meiner eigenen Identität.
Bevor das alles passierte, hielt ich mich für weitgehend gleichberechtigt.
Priorität in meinem Leben hatten meine Ausbildung und mein Beruf. Nach
meinem Erststudium und ein paar Jahren Berufstätigkeit hatte ich
Schwierigkeiten, mich finanziell über Wasser zu halten. Also habe ich mich
vor Kurzem, mit Dreißig, noch mal für eine berufliche Umorientierung
entschieden und studiere jetzt im Zweitstudium Medizin.
Das war eine Überwindung, weil man sich als ältere Studentin oft fehl am
Platz fühlt und rechtfertigen muss. Aber vor allem war es finanziell
gewagt: Ich habe einen Studienkredit aufgenommen und trotz Nebenjob muss
ich sehr aufs Geld achten. Familienplanung hatte da bisher keinen Platz.
Hinzu kommt, dass ich nie in einer langen Beziehung war. Also ließ ich es
mir offen: Wenn es sich ergeben würde, eine Familie zu gründen, fände ich
es schön, wenn nicht, dann hat es wohl nicht sein sollen.
Der Embryo wurde von einem Mann gezeugt, mit dem ich nur ein kurzes
Verhältnis hatte. Er hat nach wenigen Treffen den Kontakt zu mir
abgebrochen mit der Begründung, mein Verhalten würde ihn an seine
Exfreundin erinnern und triggern. Es ist also keine Liebesgeschichte. Es
ist eine, die ich bereue.
Wenige Wochen nach meiner Affäre bleibt meine Periode aus und ich spüre,
dass etwas anders ist als sonst. Ich ignoriere es, solange es geht. Ich
wohne gerade für vier Wochen bei meinen Eltern, weil ich für mein Studium
ein unbezahltes Praktikum in meiner Heimatstadt mache und mir keine eigene
Unterkunft leisten kann. Ich schiebe meine Abgeschlagenheit auf die neuen
Eindrücke und die langen Arbeitszeiten. Aber irgendwann kommt Übelkeit
dazu. Ich kann es nicht länger leugnen.
Als ich den Schwangerschaftstest mache, sitze ich auf dem Fußboden des
Badezimmers, in dem ich mir als Kind die Zähne geputzt habe. Ich versuche
mich in Entspannungstechniken, aber der Test lässt mir keine Zeit: Er zeigt
sofort ein positives Ergebnis an. Sechste bis siebte Schwangerschaftswoche.
Auf einer Website gebe ich den Zeitpunkt meiner letzten Periode ein und
neben dem ungefähren Zeitpunkt der Empfängnis wird mir plötzlich, ohne dass
ich es will, auch ein Geburtstermin angezeigt.
Ich bekomme riesengroße Angst. Angst davor, es jemandem sagen zu müssen.
Angst davor, verurteilt zu werden, weil ich in keiner festen Beziehung bin.
Angst davor, eine Entscheidung zu treffen, die ich bereuen könnte. Und
Angst, weil ich nicht weiß, ob ich dem Mann, der den Embryo gezeugt hat,
davon erzählen soll. Er hat gesagt, dass er keine Kinder will, weil er
ungebunden leben möchte. Ich befürchte deshalb, dass er die Vaterschaft
bestreiten und mir unterstellen wird, dass ich zeitgleich noch mit anderen
Männern geschlafen hätte.
## Mit den Konsequenzen allein
Es scheint verrückt. Ich bin in einer Kultur aufgewachsen, die die sexuelle
Freiheit von Frauen zelebriert: Musikvideos mit sexy Tänzerinnen, Filme, in
denen eine hübsche Frau verführt. Ich war in Berliner Klubs und auf
sexpositiven Partys. Aber jetzt wirkt das alles wie die hämische Fratze des
Patriarchats auf mich. Denn Sex ist eben nicht nur ein spaßiges Spiel, Sex
ist auch ein Risiko.
Meine Wut richtet sich aber auch gegen mich selbst. Weil ich die
„Rausziehmethode“ mitgemacht habe, obwohl ich wusste, dass sie nicht sicher
ist. Wie etwa jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter leide ich [1][am
PCO-Syndrom], einer Hormonstörung, die es erschweren kann, schwanger zu
werden. Also war ich leichtsinnig genug, zu glauben, dass schon nichts
passieren würde. Ja: ziemlich dumm. Aber für diese Selbsterkenntnis ist es
zu spät. Ich war unvorsichtig und muss jetzt die Konsequenzen tragen. Und
zwar allein.
Denn egal, ob ich mit dem Mann darüber spreche oder nicht: Der Embryo ist
in meinem Körper. Ich bin es, die zum Arzt gehen muss. Ich bin es, die eine
Abtreibung organisieren muss – mit allen Folgen. Denn sobald ich mich nach
dem ersten Schock wieder gesammelt habe, ist mir klar, [2][dass ich
abtreiben will]. Vielleicht will ich irgendwann ein Kind, aber sicher nicht
von diesem Mann und nicht in meiner jetzigen Lebenssituation.
Trotzdem fühlt sich ein Teil von mir moralisch verpflichtet, den Mann zu
informieren. Nicht, weil ich ihn in die Entscheidung miteinbeziehen will,
ob ich abtreibe oder nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass er grundsätzlich
über die Situation informiert werden sollte, weil er ja beteiligt war. Also
rufe ich ihn an. Ich ziehe mich dafür in mein ehemaliges Kinderzimmer
zurück, laufe eine gefühlte Ewigkeit im Raum auf und ab, bis ich mich
endlich traue.
Mit jedem Tuten wächst meine Anspannung – aber er geht nicht ran. Ich lege
auf und merke, wie eine Last von mir abfällt. Dann verfalle ich in
Schockstarre. Stundenlang sitze ich auf dem Bett und fixiere die Wand, in
meinem Kopf ein einziges Rauschen. Später versucht der Mann, mich
zurückzurufen, aber ich bewege mich nicht vom Fleck. Heute bin ich froh
darüber, dass unsere Anrufe ins Leere gelaufen sind. Die Unterhaltung hätte
nichts geändert.
Mit einer ungewollten Schwangerschaft bewegt man sich auf geächtetem
Terrain. Erst voriges Jahr bezeichnete [3][Friedrich Merz es als
skandalös,] dass Olaf Scholz als Bundeskanzler einen Gesetzesvorschlag
unterstützte, der den Schwangerschaftsabbruch entkriminalisieren wollte.
Dabei ist die Debatte ein uralter Hut, sie dreht sich seit Jahrzehnten im
Kreis.
Historisch hatte erst die Kirche Einfluss auf den Fötus, später auch der
Staat. Das bedeutet, dass immer Männer über den weiblichen Körper verfügt
haben. Wie unvereinbar feminine Sexualität und Selbstbestimmung von den –
oft männlichen –Abtreibungsgegnern dargestellt werden, beklagte schon die
amerikanische Kulturjournalistin Ellen Willis 1979 in ihrem Essay „Abortion
– Is A Woman a Person?“. Damals argumentierten die Abtreibungsgegner damit,
Frauen müssten eben auf Sex verzichten, wenn sie selbstbestimmt leben
wollten.
Das vergleicht Willis treffend mit dem berühmten Zitat der französischen
Königin Marie-Antoinette, die über ihr hungerleidendes Volk gesagt haben
soll: „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen.“
Männern geht eine Schwangerschaftserfahrung genauso ab wie damals den
Aristokraten die Armut. Dennoch glauben viele, es besser zu wissen. [4][Die
falsche Überheblichkeit vieler Abtreibungsfeinde] ist ein zentrales
Problem: Sie schafft eine moralische Zweiklassengesellschaft zwischen
Frauen und Männern. Heute, 46 Jahre, eine weitere Feminismuswelle und eine
Me-too-Bewegung später, sind wir immer noch am gleichen Punkt.
## Eigene Menschlichkeit verteidigen
Dabei ist das Thema Abtreibung ein Minenfeld, in dem man sich kaum
aufzuhalten traut. [5][Viele Begriffe sind politisch aufgeladen.] Das fängt
schon bei der Bezeichnung dessen an, was abgetrieben wird. Laut
Vertreter*innen der sogenannten Pro-Life-Bewegung, die in den 1970er
Jahren in den USA entstand, handelt es sich bei dem entstehenden
Schwangerschaftsgewebe schon um ein „ungeborenes Kind“. Diese Übertreibung
ist Framing und soll Gefühle wecken.
Ein Teil der gegnerischen Aktivist*innen, die für das Recht auf
Schwangerschaftsabbrüche kämpfen, spricht dagegen von einem „Zellhaufen“
statt von einem Embryo, so als wollten sie auf keinen Fall Gefühle
aufkommen lassen. Der erhitzte Umgang mit solchen Reizwörtern erschwert den
Blick auf das Wesentliche. Für mich ist es kein Widerspruch, zu
akzeptieren, dass es ein Embryo war, den ich abgetrieben habe, und
gleichzeitig für die reproduktiven Selbstbestimmungsrechte von Frauen und
die Legalisierung von Abtreibung zu sein.
Es genügt ein Blick in die USA, wo [6][teilweise rigorose
Abtreibungsgesetze gelten] und die Trump-Regierung weiter gegen
Schwangerschaftsabbrüche vorgeht. Im Februar [7][wurde etwa eine New Yorker
Ärztin verklagt, weil sie Patientinnen in Texas und Louisiana
Abtreibungsmedikamente verschrieben und zugeschickt haben soll]. Texas
verhängte eine Geldstrafe von 100.000 Dollar gegen die Ärztin – und
Louisiana forderte ihre Auslieferung, die von der New Yorker Gouverneurin
jedoch blockiert wurde.
2024 landete die Schriftstellerin Jessica Valenti mit ihrem Buch „Abortion“
einen Bestseller. Es ist eine wütende Kampfansage an die rückschrittliche
Abtreibungspolitik in den USA. Das Buch handelt von den Geschichten vieler
betroffener Frauen. Am Anfang schreibt Valenti, dass sie es demütigend
findet, mit ihren Schilderungen die Menschlichkeit verteidigen zu müssen.
Und um nicht weniger geht es. Denn allein durch Sex mit einem Mann kann
eine Frau ihre ganze Lebensgrundlage verlieren, während der Mann
unbescholten weiterlebt – das ist in vielen Ländern Realität. Zudem werden
Frauen oft moralisch verurteilt, ohne den Kontext mitzudenken. Doch der
Kontext spielt eine riesige Rolle, erst recht in einer Situation, die auf
so komplizierte Weise menschliche Grundrechte mit der traditionellen
Ungleichverteilung von Macht verwebt.
Ich denke an meinen speziellen Kontext: ein Mann, der mir gleich beim
ersten Treffen gesagt hat, dass ich mich seinem ausgeprägten Sexdrive
anpassen müsse, wenn ich länger für ihn interessant bleiben wolle. Ein
Zeugungsakt, der deshalb zwar nicht gegen meinen Willen, aber auch nicht
mit meiner Lust vonstatten gegangen ist. Klar: Ich hätte das alles nicht
mitmachen müssen. Ich hätte auch Nein sagen können. Aber Nein sagen zu
einem Mann entspricht nicht dem, [8][was ich über meine ganze Kindheit und
Jugend gelernt habe] und immer noch in mir trage.
Besonders prägend war ein Ereignis mit meinem ersten Freund. Ich war 16, er
20. Eines Morgens in seinem WG-Zimmer weckte er mich mit
Annäherungsversuchen. Ich war noch im Halbschlaf und reagierte nicht
richtig, also fluchte er leise und ging ins Bad. Ich hörte, wie er sich
dort selbst befriedigte. Als er rauskam, war er seltsam distanziert und
frustriert. Seitdem hat sich mir eingeprägt, dass Sex vor allem heißt:
verfügbar sein. Denn sonst verärgere ich jemanden. Auch in den nächsten
Jahren verlangten die Männer oft Sex, wenn ich einfach nur neben jemandem
einschlafen oder aufwachen wollte.
Wenn ich andeutete, dass ich nicht mehr will, wurde mir oft halbironisch
entgegnet, dass man wegen möglicher Penisschmerzen nie mittendrin aufhören
dürfe. Den Kommentar fand ich nie witzig, wohl deshalb, weil er eben doch
immer ernst gemeint war. Es wurde zu einem Motiv, das sich durch mein Leben
zog: Manchmal hatte ich Sex, weil ich es wollte. Aber meistens hatte ich
Sex, weil jemand anderes es wollte. Immerhin: Durch die ungewollte
Schwangerschaft ist mir bewusst geworden, wie falsch das ist.
Für den Ausnahmezustand, in dem ich mich befinde, gibt es einen
medizinischen Fachbegriff: „Konfliktgravidität“ oder auch
„Konfliktschwangerschaft“ genannt. Ich frage mich, welcher Konflikt damit
gemeint ist. Der zwischen mir und dem Vater oder der zwischen mir und dem
Embryo? Der zwischen mir und meinem leeren Geldbeutel oder der zwischen mir
und meiner Zukunft? Letztlich ist die Antwort egal. Mit allen Konflikten
bin ich erst mal eins: alleine.
In den Tagen nach dem positiven Test traue ich mich nicht, mit
irgendjemandem darüber zu reden. Weder mit meiner besten Freundin, noch mit
meinen Eltern. Obwohl ich mit denen sonst fast jede Entscheidung in meinem
Leben bespreche. Ich schaffe es nicht, weil ich mir wegen der Umstände,
unter denen die Schwangerschaft zustande gekommen ist, so naiv vorkomme.
Deshalb denke ich anfangs, es sei das Beste, die Abtreibung heimlich zu
machen.
Ich versuche angestrengt, mir nichts anmerken zu lassen. Auf der Arbeit
schleiche ich vor die Tür, um einen Termin für die
Schwangerschaftskonfliktberatung zu vereinbaren. [9][Die ist gesetzlich
vorgeschrieben], wenn man einen Abbruch vornehmen lassen will. Während ich
bei der Beratungsstelle anrufe, beginne ich zu zittern. Es ist das erste
Mal, dass ich die Worte laut ausspreche: „Ich bin schwanger.“ Als ich
auflege, sinke ich auf dem Treppenabsatz zusammen. Ich beginne, im Internet
nach Kliniken und Praxen zu suchen. In meiner mittelgroßen bayerischen
Heimatstadt scheint aber niemand Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.
Ich fühle mich hilflos. Erst von der Sozialpädagogin, die mit mir das
Beratungsgespräch macht, erfahre ich, dass die Kliniken der Stadt diese Art
von Operation nicht anbieten. Sie erzählt mir, dass es nur zwei
niedergelassene Frauenärztinnen gebe, die jeden Donnerstag wöchentlich
abwechselnd für die ganze Stadt und den umliegenden Landkreis Abtreibungen
durchführen würden.
Alleine in der Stadt leben knapp 69.000 Frauen. Erst später erfahre ich,
dass die [10][Bundesärztekammer eine Liste mit Ärzt*innen führt, die
Abtreibungen anbieten]. Die Aufnahme in diese Liste [11][ist allerdings
freiwillig]. Wenn man meine Heimatstadt eingibt, findet sich dort nur
gähnende Leere.
Die Unterversorgung hat einen Grund: Nach § 218 des Strafgesetzbuchs ist
der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig, wird
aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft. Trotzdem kann es für
Ärzt*innen rufschädigend sein, Abtreibungen durchzuführen. Sie riskieren
Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen.
Selbsternannte „Lebensschützer“ belagern Praxen, Kliniken und
Beratungsstellen, um Schwangere daran zu hindern, eine Abtreibung
vorzunehmen. Immerhin: Seit 2024 gibt es in Deutschland ein Gesetz, das
diese „[12][Gehsteigbelästigung]“ in einem Radius von hundert Metern zu den
Einrichtungen verbietet. Zu den Voraussetzungen für die Straffreiheit einer
Abtreibung gehört neben der Schwangerschaftskonfliktberatung eine
dreitägige Bedenkzeit.
Das ist entwürdigend: Als wäre eine erwachsene Frau nicht auch ohne beides
in der Lage, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Insgesamt geht es
mit dieser widersprüchlichen Gesetzeslage ungewollt Schwangeren hier
dennoch besser als in vielen anderen Ländern.
## Kein ärztliches Vorgespräch
Die Sozialpädagogin ist zwar nett und verständnisvoll, aber sie fragt mich
über Dinge aus, die allein meine Angelegenheit sind, wie mein Sexleben und
mein Kontostand. Ich erkläre ihr, dass ich wegen meines aufwendigen
Bildungswegs derzeit kein Kind in mein Leben integrieren kann. Trotzdem
entwirft sie Zukunftsszenarien für mich als Mutter und zählt auf, welche
Gelder ich als Alleinerziehende beantragen könnte.
Als ich am nächsten Tag in einer der zwei gynäkologischen Praxen anrufe,
rät mir eine Mitarbeiterin, mich schnell zu entscheiden, denn die Termine
für den operativen Schwangerschaftsabbruch gingen weg wie geschnitten Brot.
Ein Vorgespräch sei nicht möglich. Es gäbe noch die Möglichkeit des
medikamentösen Abbruchs, aber zu den Methoden könne man mich nicht beraten.
Also recherchiere ich im Internet. Obwohl ich selbst Medizin studiere, sind
mir nicht alle Details und Risiken der Methoden klar.
Am Ende entscheide ich mich für die operative Abtreibung, die meist mittels
Vakuumaspiration gemacht wird. Dabei wird unter lokaler Betäubung oder
Kurznarkose das Schwangerschaftsgewebe aus der Gebärmutter abgesaugt. In
manchen Fällen wird es zusätzlich ausgeschabt. Ich mache einen OP-Termin in
der nächsten Woche aus.
Eine andere Sorge ist die Finanzierung. Die OP kostet 523 Euro, plus 19
Euro für die Nachsorge. Ich frage bei meiner Krankenkasse nach, in welchen
Fällen sie die Übernahme bewilligt: Erstens, wenn es sich um eine
Vergewaltigung handelt oder die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist.
Trifft nicht auf mich zu. Zweitens, wenn eine Schwangere die finanziellen
Mittel nicht aufbringen kann. Okay, das müsste zutreffen. Allerdings muss
man den Antrag sehr schnell stellen, rückwirkend ist er nicht möglich.
Fuck. Nur noch drei Werktage bis zum OP-Termin. Mir rennt die Zeit davon.
Meine Angst, dass die Kostenübernahme durch die Krankenkasse aus
irgendwelchen Gründen nicht klappen könnte, ist so groß, dass ich jetzt
doch meine Eltern einweihe. Nie in meinem Leben habe ich mich so geschämt,
wie in dem Moment, als ich ins Arbeitszimmer meines Vaters trete und ihm
sage, dass ich ungewollt schwanger bin. Mit über Dreißig. Ich habe Glück:
Meine Eltern reagieren verständnisvoll und bieten mir an, im Notfall die
Kosten zu übernehmen. Aber wie geht es Frauen, die diese familiäre
Unterstützung nicht haben? Zwei Tage später habe ich den Termin bei der
Krankenkasse. Ich bringe meine Kontoauszüge der letzten drei Monate mit.
Große Erleichterung: Mein Antrag wird genehmigt.
Unterdessen ist es für mich immer schwieriger geworden, zu arbeiten. Ich
leide unter so starker Übelkeit, dass ich mich mehrfach täglich übergeben
muss. Sobald ich etwas esse, würgt es mein Körper sofort wieder hoch. Ich
fühle mich schrecklich und bekomme bald Ekelgefühle vor mir selbst: Es ist,
als ob in mir ein Alien heranwachsen würde. Als würde mich der Mann, der
den Kontakt zu mir abgebrochen hat, mit dieser Schwangerschaft endgültig
demütigen.
Ich fühle mich schuldig, weil ich solche negativen Gedanken habe. Aber vor
allem schäme ich mich unermesslich. Eine ähnliche Erfahrung hat die Autorin
Anika Landsteiner gemacht, wie sie in ihrem 2024 erschienenen Buch
berichtet. In „Sorry not sorry“ beschreibt sie ihre eigene ungewollte
Schwangerschaft als „das größte Schamgefühl“, das sie je erlebt hat. Sie
habe sich nicht getraut, dem beteiligten Mann von ihrer Schwangerschaft zu
erzählen, „weil es sich so anfühlte, als würde ich ihn in etwas reinziehen,
was meinen Körper betrifft, ihm jedoch die Zukunft verbaut. Ich fühlte mich
als Überbringerin schlechter Nachrichten.“
Kein Wunder: Schuld- und Schamgefühle von Frauen sind kulturhistorisch in
unserer Gesellschaft verankert. Von Eva als Urheberin der Erbsünde über
böse Stiefmütter in Märchen bis zu Hexenverbrennungen: Für explizit
weibliche Schuldfiguren gibt es viele Beispiele.
Die Scham galt früher sogar als weibliche Tugend, denn die Frau sollte ja
auf keinen Fall selbst kühn und sexy sein, um als unschuldige Jungfrau
erobert zu werden. Ich war deshalb schon immer in einer emotionalen
Zwickmühle. Weil ich christlich erzogen wurde, war mein Idealbild von mir
als Frau mit Keuschheit verknüpft. Aber dieses Bild kollidierte mit meiner
Lebensrealität.
So war die Scham mein ständiger Begleiter, etwa wenn ich in meinen
Zwanzigern nach einem Tinder-Date mit jemandem im Bett landete. Wie
unnötig, denke ich heute. In Bezug auf meine ungewollte Schwangerschaft ist
zwar kein Stolz angebracht. Aber dass es mir so schlecht geht, während der
beteiligte Mann Urlaubsfotos vom Strand in Spanien postet, erscheint mir
unverhältnismäßig.
Diese Schieflage wird durch die gegenwartsfremde Kirche und Politik
strukturell aufrechterhalten. Und auch die weibliche Selbstaufopferung, auf
die auch Anika Landsteiner sich bezieht, hat Tradition. Am schlimmsten ist,
dass sie nie aufhört: Erst opfert man sich für Männer auf, später für die
Kinder.
Erst am Tag der OP lerne ich die Ärztin kennen, die meine Abtreibung
vornehmen wird. Während ich im Wartezimmer sitze, betrachte ich die
ausgelegten Prospekte. Fast alle haben Mutterschaft zum Thema oder wie man
den Wunsch, schwanger zu werden, umsetzen kann. Überall wird
Schwangerschaft als etwas Wunderbares angepriesen, das man anstreben sollte
und über das man sich zu freuen hat.
## Ärzt*innen unter Druck
Nicht ein einziger Prospekt bezieht sich auf die Situation, in der ich
gerade bin. Auch dafür finde ich später einen möglichen rechtlichen Grund:
Zwar wurde 2022 der § 219a StGB, das Werbeverbot für
Schwangerschaftsabbrüche, aufgehoben. Allerdings verbietet das
Heilmittelwerbegesetz eine irreführende oder kommerzialisierende Werbung.
Es könnte ja eine Frau auf die Idee kommen, abzubrechen, weil die Werbung
für Abtreibung so ansprechend ist, oder?
Als ich ins Zimmer der Ärztin trete, steht sie neben ihrem Schreibtisch,
als sei sie auf dem Sprung. „Hallo, sind Sie sich sicher?“, fragt sie
gestresst. Ich sage: „Ja.“ Wir machen schnell eine Ultraschalluntersuchung
und schon bin ich wieder draußen.
Meine Ärztin ist wie ihre Kolleg*innen in einer misslichen Lage: Sie
muss sich nach einem strengen, teils absurden Abrechnungssystem richten,
das ihr die menschliche Zuwendung erschwert oder unmöglich macht. Darüber
hinaus verlangt es Ärzt*innen auch in Deutschland viel Durchhaltevermögen
ab, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen wollen.
Das zeigt auch der Fall von [13][Joachim Volz]. Der Gynäkologieprofessor
hat im Sommer gegen das neue Abtreibungsverbot seines Arbeitgebers, des
Christlichen Klinikums Lippstadt, geklagt. Die Klage wurde abgewiesen, doch
Volz hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Zudem hat er eine Petition
gestartet, die inzwischen mehr als 290.000 Menschen unterschrieben haben.
Gynäkolog*innen wie Alicia Baier kritisieren die rudimentäre
Ausbildung im Medizinstudium. Mit ihrem gerade erschienenen Buch „Das
Patriarchat im Uterus“ und dem Verein Doctors for Choice setzt sie sich
zusammen mit anderen Abtreibungsbefürworter*innen für eine bessere
Versorgungslage ein. Zu diesem Zweck bietet der Verein unter anderem
[14][Papaya-Workshops] an, in denen Studierende die grundlegenden
Kenntnisse eines chirurgischen Abbruchs an einer Papaya lernen.
In einem ambulanten OP-Zentrum im sechsten Stock eines Hochhauses warte ich
auf meine Abtreibung. Die Menschen neben mir scheinen alle aus anderen
Gründen hier zu sein. Die meisten haben sichtbare Verletzungen wie einen
gebrochenen Arm oder eine Wunde am Kopf, und viele sind Männer. Auf dem
Schild an der Wand sind auch die gynäkologischen Leistungen aufgereiht.
Aber die, die ich gleich in Anspruch nehme, steht nicht drauf. Ich komme
mir kriminell vor. Wenig später sitze ich im OP-Hemdchen in der Schleuse
zum Operationssaal und starre auf die Uhr an der Wand, während der
Sekundenzeiger sich um die eigene Achse schleppt. Dann werde ich abgeholt.
Als ich nach der Abtreibung wieder zu mir komme, liege ich in einer
Blutlache. Man hat mir eine schlabbrige Onesize-Netzunterhose mit einer
dicken Einlage übergezogen. Die OP-Schwester bringt mir Cola und Kekse wie
einem Kind. Hinter dem Fenster des Aufwachraums erstreckt sich endlos
weißer Himmel. Ich schaue hinaus und endlich kann ich wieder weinen. Es
sind Tränen der Trauer und Wut, aber vor allem sind es Tränen der
Erleichterung.
Wenn man den Argumenten der Abtreibungsgegner*innen glaubt, müsste es
mir nach der Abtreibung schlecht gegangen sein. Dabei ist das sogenannte
Post-Abortion-Syndrom ein Märchen, das auf die „Lebensschützer“ zurückgeht.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen etwas anderes: Die Mehrzahl der
Frauen ist zufrieden mit ihrem Abbruch und nur bei wenigen Frauen, die
meist schon psychische Vorerkrankungen haben, kommt es zu Folgen wie
Depressionen oder Schlafstörungen.
Einige Monate später steht der geschätzte Geburtstermin an. Wenn ich auf
der Straße eine hochschwangere Frau sehe, denke ich: So schwanger wäre ich
jetzt auch, wenn ich nicht hätte abtreiben können. Und jedes Mal bin ich
unendlich erleichtert und dankbar, dass ich es konnte. Die Abtreibung war
für mich alternativlos.
Im Klartext: Es war nicht die Abtreibung, die mich seelisch belastete, es
waren die Umstände. Meine Sozialisierung, die es mir nicht leicht macht,
Männern Grenzen zu setzen. Eine Gesellschaft, die verantwortungsloses
Handeln bei Männern unter den Teppich kehrt, während sie Frauen für
dasselbe Handeln bestraft. Gesetze, die Frauen als geistig unreife oder
bösartige Wesen darstellen, denen keine vernünftige Entscheidung zuzutrauen
ist. Ein Gesundheitssystem, das Frauen in einer Notsituation zwar auf
umständliche Weise Hilfe leistet, aber die Rahmenbedingungen für einen
würdevollen Umgang mit einem Thema, das uns alle betrifft, verwehrt. Und
aktuell eine Regierung, die es für „skandalös“ hält, an diesen Umständen
etwas zu ändern.
Ich hatte das Glück, meine „Konfliktgravidität“ gut zu überstehen. Aber ich
mache mir Sorgen um alle Frauen, die in Zukunft eine haben werden.
*Mina Billner ist ein Pseudonym, um die Autorin zu schützen. Ihr wirklicher
Name ist der Redaktion bekannt.
8 Dec 2025
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