# taz.de -- Juristin über Ja-heißt-Ja-Reglung: „Passives Verhalten bedeutet nicht sexuelle Verfügbarkeit“
       
       > Frankreich und Norwegen wollen die Ja-heißt-Ja-Reglung einführen, die
       > bereits in 13 europäischen Ländern gilt. Sollte auch Deutschland dem
       > folgen?
       
 (IMG) Bild: FeministInnen protestieren 2020 vor dem New Yorker Gerichtsgebäude, wo der erste Prozess gegen Harvey Weinstein geführt wird
       
       taz: Frau Kräuter-Stockton, gerade erst hat die französische
       Nationalversammlung unter dem Eindruck der extremen Gewalt an [1][Gisèle
       Pelicot] eine Ja-heißt-Ja-Reglung beschlossen. In Ländern wie Schweden,
       [2][Dänemark] und [3][Spanien] gilt sie längst, [4][auch Norwegen will
       jetzt nachziehen]. Wie sieht der Status quo etwa in Deutschland oder in
       Frankreich bislang aus? 
       
       Kräuter-Stockton: Nach jetziger Rechtslage ist ungewünschter aufgedrängter
       Sexualkontakt bei einem passiven Verhalten des Opfers, meist sind es
       Frauen, weder in Frankreich noch in Deutschland strafbar. Strafbar sind
       Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung nur dann, wenn sie erzwungen wurden –
       etwa durch Gewalt, Drohung oder ähnliche Mittel – wenn das Opfer überrascht
       wurde, oder wenn sie ihre Ablehnung objektiv erkennbar geäußert hat. Sollte
       das missachtet werden und es kommt zur Anklage, muss ihre erkennbare
       Ablehnung nachgewiesen werden können. Wenn dieser Beweis nicht gelingt,
       kommt es zu einem Freispruch. Dann kann der Eindruck entstehen, dass es
       eben doch auch an der Frau lag. Wäre sie doch nur deutlicher geworden!
       Hätte sie ihre Meinung doch nur eindeutig klargemacht!
       
       taz: Eine Ja-heißt-Ja-Reglung würde das umdrehen. 
       
       Kräuter-Stockton: Genau. Nach dieser Logik erfordern alle sexuellen
       Handlungen eine Zustimmung des Gegenübers. Diese muss frei und aufgeklärt,
       spezifisch, im Voraus und widerruflich sein, wie es etwa der aktuelle
       Entwurf aus Frankreich definiert.
       
       taz: Manche Richter sagen: „Ich glaube den Frauen ja, aber ich kann keine
       Vergewaltigung nachweisen.“ Verfahren zu sexueller Gewalt wurden in 7 von
       10 Fällen eingestellt, wie die Fachstelle Miprof für 2023 in Frankreich
       registriert hat, in Deutschland sind die Zahlen ähnlich. Erhoffen Sie sich
       von einer Ja-heißt-Ja-Reglung mehr Verurteilungen?
       
       Kräuter-Stockton: In Europa gilt inzwischen in 13 Ländern ein
       konsensbasiertes Strafrecht, etwa in Schweden, Dänemark, Großbritannien,
       Spanien und Kroatien. Statistiken zeigen, dass in diesen Ländern deutlich
       mehr Täter verurteilt werden. Eine Ja-heißt-Ja-Reglung ermöglicht, ein
       größeres Spektrum an Fällen strafrechtlich zu erfassen: Zum Beispiel wenn
       ein Opfer zwar die sexuellen Handlungen der anderen Person ablehnt, sich
       aber aus unterschiedlichen Gründen passiv verhält, etwa aus Überforderung,
       Angst wegen der körperlichen Überlegenheit des Täters, als Reaktion auf
       vorherige Gewalterfahrungen oder auch aufgrund der Erziehung und
       Sozialisation.
       
       taz: Das hieße mehr Arbeit für die Justiz? 
       
       Kräuter-Stockton: Eine erhebliche Mehrbelastung erwarte ich nicht. Schon
       der Status Quo bedeutet ja viel Arbeit, etwa wenn Vorwürfe angezeigt
       werden, die wegen fehlender Tatbestandsvoraussetzungen nicht angeklagt
       werden können. Dann müssen Einstellungsverfügungen und Beschwerden
       hiergegen bearbeitet werden. Die Zahl der Verurteilungen von Schuldigen
       dürfte sich erhöhen, ob mehr Fälle angezeigt werden, lässt sich nicht
       vorhersagen. Unabhängig von dieser Reform muss das Personal in
       Strafverfolgungsbehörden und Justiz und allen sonstigen Stellen, die mit
       von Gewalt betroffenen Frauen zu tun haben, zu geschlechtsspezifischer
       Gewalt fortgebildet werden, da in vielen Köpfen noch Geschlechterstereotype
       und Vergewaltigungsmythen existieren.
       
       taz: Einzelne Linke und Feminist*innen kritisieren: Das Opfer steht
       weiterhin im Fokus, muss oft schmerzhafte Fragen beantworten, auch das
       Beweisproblem bleibt bestehen, für intime Situationen zu zweit fehlen meist
       Zeugen. 
       
       Kräuter-Stockton: Bei einer Ja-heißt-Ja-Reglung müsste das Gericht die
       gesamten Begleitumstände in Betracht ziehen. Dazu gehört auch – aber nicht
       nur –, das Opfer intensiv zu befragen. Von betroffenen Frauen würde dann
       nicht mehr wie bisher verlangt, sich gegen unerwünschte Sexualkontakte
       körperlich oder zumindest deutlich erkennbar zur Wehr zu setzen, um sie zu
       vermeiden. Schließlich läge es am Angeklagten, zu erklären, wie er auf die
       Idee kam, sie hätte zugestimmt. Verfahren würden weiterhin lange dauern und
       belastend sein. Aber die Fragen an die Beteiligten wären anders, und vor
       allem würde sich das Gefühl ändern, mit dem eine betroffene Person, ein
       Opfer, am Ende aus dem Prozess herausgeht.
       
       taz: Sie halten das also für eine feministische Reform? 
       
       Kräuter-Stockton: Ja, das wäre ein echter Paradigmenwechsel! Das Statement,
       das Frankreich trifft, sofern jetzt auch noch der Senat die Reform annimmt,
       kann Strahlkraft auf die ganze Gesellschaft haben: Auch passives Verhalten
       bedeutet keine sexuelle Verfügbarkeit. Und es ist schlicht nicht
       nachvollziehbar, wieso für die sexuelle Selbstbestimmung, um die es hier ja
       geht, anderes gelten sollte als für das Eigentum oder das Hausrecht. Auch
       für die Strafbarkeit von Diebstahl oder Hausfriedensbruch ist es
       ausreichend, dass die Person, der das betreffende Recht zusteht, nicht
       eingewilligt hat.
       
       taz: In der EU hat Deutschland letztes Jahr verhindert, dass eine
       Ja-heißt-Ja-Reglung in die Richtlinie gegen Gewalt aufgenommen wird. Warum
       müsste sie trotzdem in deutsches Recht übernommen werden? 
       
       Kräuter-Stockton: Weil Deutschland nach Artikel 36 der Istanbul-Konvention,
       die es ratifiziert hat, dazu verpflichtet ist. Schon 2022 hat der
       Europarats-Ausschuss GREVIO Deutschland aufgefordert, sein
       konventionswidriges Sexualstrafrecht anzupassen. Das altbekannte Problem
       ist, dass völkerrechtliche Übereinkommen über keine robusten Mechanismen
       zur Durchsetzung verfügen. Auch wir vom Deutschen Juristinnenbund fordern
       schon lange eine Gesetzesänderung. Zwar erwarte ich in der nahen Zukunft
       keine großen Sprünge, doch ich appelliere dringend an den guten Willen der
       neuen Bundesregierung.
       
       taz: Präsident Emmanuel Macron hatte keine Skrupel, einen Mann als
       Innenminister zu ernennen, gegen den zu diesem Zeitpunkt Ermittlungen wegen
       Vergewaltigung liefen. Jetzt hat sein Regierungsbündnis diesen
       Gesetzentwurf vorgelegt. Wie steht es bei unseren Nachbarn denn allgemein
       um den Feminismus?
       
       Kräuter-Stockton: Zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen hat Frankreich in
       den letzten paar Jahren mehrere gute und sinnvolle Reformen umgesetzt. So
       wurde ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung verankert.
       Und die Zahl der Femizide konnte dort, anders als Deutschland, reduziert
       werden.
       
       taz: Wie kommt es eigentlich, dass Sie als ehemalige Staatsanwältin so
       feministisch sind, das sagt man ihrer Zunft ja eher weniger nach? 
       
       Kräuter-Stockton: Für mich ist das nicht ungewöhnlich, das zeigt sich etwa
       am Deutschen Juristinnenbund mit vielen feministischen Juristinnen, der vor
       einiger Zeit sein sechstausendstes Mitglied begrüßen konnte. Viele von uns
       haben sich damals für ein Jura-Studium entschieden, weil sie sich davon das
       Handwerkszeug erhofften, benachteiligten Menschen zu „ihrem Recht“ zu
       verhelfen. Und Frauen sind nun mal die größte strukturell benachteiligte
       Gruppe. Die Sachverhalte, mit denen ich dann als Staatsanwältin im Bereich
       „sexuelle Gewalt“ zu tun hatte, haben mir das umso plastischer vor Augen
       geführt.
       
       15 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/norwegen-will-vergewaltigung-ueber-fehlende-zustimmung-definieren-nur-ja-heisst-ja-a-04ea3d7e-c687-4b47-a65e-aa1103d23563
       
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