# taz.de -- Zensur von Abtreibungscontent in den USA: Im Griff von Big Tech
> Posts über Abtreibungen werden als politische, nicht als medizinische
> Inhalte bewertet. Big Tech zensiert deshalb aufklärende Seiten – nicht
> nur in den USA.
(IMG) Bild: Kampagnenmotiv der Electronic Frontier Foundation gegen Zensur
Stellen Sie sich vor, Sie leben in einem der 13 US-Bundesstaaten, in denen
Abtreibung verboten ist, und Sie sind ungewollt schwanger. Ihre Optionen
sind ziemlich limitiert: Entweder nehmen Sie eine lange und eventuell teure
Reise in einen anderen Bundesstaat auf sich, um dort in einer
Abtreibungsklinik versorgt zu werden. Oder Sie lassen sich aus einem
anderen Bundesstaat die Medikamente Mifepriston und Misoprostol per
Telemedizin verschreiben und per Post schicken, das ist von der
US-Arzneimittelbehörde FDA noch immer erlaubt.
Wenn Sie in einem besonders restriktiven Staat wie Texas leben, dürfen Sie
dabei nicht erwischt werden oder ins Krankenhaus, sonst droht Ihnen eine
Geld- oder sogar Haftstrafe. Weil Sie nicht wissen, wie so ein Abbruch
alleine zu Hause abläuft, fangen Sie an, nach Informationen zu der Einnahme
im Internet zu suchen. Doch genau dieser Content wird von den großen
Tech-Firmen zunehmend zensiert.
Seitdem die Bundesstaaten eigenständig über Abtreibungsrechte bestimmen
können, beobachten Organisationen und Nonprofits im Gesundheitssektor einen
besorgniserregenden Trend: Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram
und Tiktok zensieren, verstecken oder entfernen zunehmend Inhalte zum Thema
Abtreibung. Das passiert häufig mit Verweis auf angebliche Verstöße gegen
die „Community-Richtlinien“, obwohl die Inhalte meist sachlich und
rechtlich korrekt sind.
Einige der gelöschten Accounts wurden von Meta erst wiederhergestellt,
nachdem die New York Times darüber berichtet hatte. Die Plattformen
arbeiten mit vagen Regelungen, die keine Klarheit schaffen und im Zweifel
immer zulasten derjenigen gehen, die über Abtreibung informieren.
## Angeblich „Werbung für die Pillen“
So erging es der [1][Nonprofitplattform Rouge Pills]. Alles begann mit
einem simplen Reel: Eine junge Frau erklärt vor der Kamera Schritt für
Schritt den Ablauf eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs zu Hause:
nüchtern und informativ, mit Smarties anstelle von Pillen. Daraufhin wurden
der Account der Organisation @rougedoulas, ihr Partneraccount
@selfguidedabortion sowie das private Profil der Direktorin Lynsey Bourke
Mitte November gesperrt.
Metas Vorwurf: Der Inhalt verstoße gegen die Richtlinien und mache Werbung
für die Pillen. Laut Bourke stimme das nicht. Ihre Organisation kläre
lediglich Menschen darüber auf, wie man die Pillen richtig einnimmt. „Ich
bin einfach nur noch frustriert“, sagt sie über die derzeitige Situation.
Mittlerweile seien alle Accounts wiederhergestellt, aber es sei im
vergangenen Jahr das sechste Mal, dass sie Probleme mit ihrem Content
haben, erzählt Bourke.
Phebe Woods, die die Kommunikation von Rouge Pills leitet und die in dem
Video zu sehen ist, zeigt sich ebenfalls schockiert: „Das wäre nie
passiert, wenn ich Content gemacht hätte, wie eine Mandel-OP funktioniert
oder über Antibiotika gesprochen hätte.“ Es gebe Tausende
Content-Creator*innen, die ähnlich über andere medizinische Themen
aufklären, aber Rouge Pills werde bestraft, weil sie über Abtreibungen
sprechen.
So wie Rouge Pills geht es vielen. Um auf diese Gefahr aufmerksam zu
machen, haben die beiden Organisationen Electronic Frontier Foundation
(EFF) und Repro Uncensored das Projekt #StopCensoringAbortion ins Leben
gerufen. Beide kämpfen gegen digitale Zensur und setzen sich dafür ein,
dass lebenswichtige Informationen zugänglich bleiben.
## Techkonzerne und Online-Plattformen seien Komplizen
Auf der Webseite von Repro Uncensored können über ein Meldeformular Fälle
von digitaler Zensur angegeben werden. Wie viele Accounts wirklich
betroffen sind, sei schwer zu sagen, da die #StopCensoringAbortion-Kampagne
nur die Fälle dokumentiert hat, die ihr auch gemeldet wurden. Das sind
jedenfalls Hunderte.
Martha Dimitratou, Direktorin der NGO Repro Uncensored, sagt, das Problem
bestehe darin, dass Abtreibung als politisches und nicht als
gesundheitliches Thema gesehen werde. Die derzeitige US-amerikanische
Regierung ist auf dem besten Weg dahin, Abtreibung mehr und mehr in die
Illegalität zu schieben, und die großen Techkonzerne und Online-Plattformen
seien Komplizen dabei.
Laut Dimitratou könne man sich kaum davor schützen: „Es gibt bei Big Tech
kein echtes institutionelles Gedächtnis dafür, dass diese Formen der Zensur
immer wieder passieren. Es geschieht einfach immer wieder.“ Meta ist der
Bitte der taz um Stellungnahme nicht nachgekommen.
Dabei habe Big Tech die Kapazitäten, wichtige Gesundheitsinformationen zu
unterstützen und schützen. Ein Beispiel dafür sind die kleinen
Hinweisfenster oder Infobanner während der Covid-19-Pandemie, die über oder
unter Beiträgen eingeblendet wurden, sobald diese bestimmte Schlüsselwörter
wie „Covid“, „Coronavirus“, „Impfung“ oder „Pandemie“ enthielten. Die
Plattformen hatten das Ziel, Desinformation einzudämmen und Nutzer zu
verlässlichen Quellen wie der Weltgesundheitsorganisation zu leiten.
## Verstoß gegen Menschenrechte und demokratische Werte
Die Richtlinien und Entscheidungen der Big-Tech-Unternehmen beeinflussen
zunehmend Inhalte und Aufklärungsarbeit im Netz. Diese Entscheidungen
bleiben nicht lokal. Selbst Länder mit liberaleren Gesetzen sind betroffen.
Ein Beispiel: In Argentinien ist Abtreibung legal – aber Organisationen
können keine Werbung für ihre Inhalte schalten, weil in den USA die
Gesetzeslage eine andere ist.
Organisationen wie [2][Repro Uncensored] beobachten auch zunehmende Zensur
bei dem Zugang zu Informationen über Abtreibungskliniken. Es sei zu Fällen
gekommen, bei denen in der Google-Suche an den obersten Plätzen
Scheinabtreibungskliniken oder religiöse „Lebensschutz“-Kliniken angezeigt
werden.
Das US-amerikanische Wirtschafts- und Nachrichtenmedium [3][Bloomberg
berichtet] über eine neue Untersuchung der Campaign for Accountability, in
der die falschen und teils schädlichen Informationen durch KI-Chatbots
aufgedeckt wurden. Die Wissenschaftler fragten verschiedene KIs, ob es
möglich ist, eine Abtreibung „rückgängig“ zu machen. In 70 Prozent der
Tests empfahlen die Chatbots die Nummer von Heartbeat International, einer
Anti-Abtreibungs-Hotline, die wissenschaftlich nicht belegte und teils
gefährliche Behandlungen bewirbt.
Das liegt daran, dass KI-Systeme stark auf suchmaschinenoptimierte
(SEO-)Inhalte zurückgreifen und die Antiabtreibungsbewegung seit Jahren
massenhaft solche Texte produziert, die dadurch medizinisch verlässliche
Informationen im Netz überlagern.
Am Ende spiegelt dieser Trend im Internet wider, welches politische Klima
auch offline in den USA rund um das Thema Abtreibung herrscht. Das
Zurückhalten oder Abschirmen akkurater Informationen durch die
US-amerikanische Regierung und Big Tech ist ein Verstoß gegen
Menschenrechte und demokratische Werte. Für Martha Dimitratou ist klar:
„Was hier passiert, ist eine Gefahr für den Zugang zu Gesundheitsversorgung
und der freien Meinungsäußerung.“
Die Recherche für diesen Artikel wurde durch das Transatlantic Media
Fellowship der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, D. C. ermöglicht.
23 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://www.rougedoulas.org/
(DIR) [2] https://www.reprouncensored.org/
(DIR) [3] https://www.bloomberg.com/news/articles/2025-11-20/ai-chatbots-give-harmful-tip-to-users-seeking-abortion-reversal
## AUTOREN
(DIR) Julia Belzig
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