# taz.de -- Bekämpfung von Wohnungslosigkeit: Kommt das Zuhause für alle?
> Bis 2030 soll niemand mehr wohnungslos sein müssen. Ist das realistisch?
> Wie geht es denjenigen, die keine Wohnung haben? Protokolle von
> Wohnungslosen.
(IMG) Bild: Hilfsorganisationen springen ein, wenn der Staat nicht mal für eine warme Mahlzeit sorgen kann
Bis zum Jahr 2030 sollen alle Menschen im Land angemessen wohnen. Niemand
soll sein Zelt unter der Brücke aufschlagen, Studierende nicht monatelang
das Sofa von Bekannten belegen, weil die Suche nach einem [1][WG-Zimmer an
vielen Orten zum Glücksspiel] geworden ist. So sieht es der Nationale
Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit vor, der 2024 noch unter [2][der
Ampelregierung beschlossen wurde].
Menschen können aus unterschiedlichsten Gründen keine Wohnung haben.
Verweilt jemand übergangsweise bei Freunden, etwa nach einer Trennung, wird
die Person als wohnungslos bezeichnet. Dazu zählen aber auch Frauen in
Frauenhäusern oder anerkannte Geflüchtete, die in Wohnheimen festhängen,
weil sie nichts anderes finden.
Für obdachlose Menschen, sie schlafen im Freien, ist die Situation
besonders existenziell und lebensbedrohlich. Sie sind Hitze, Kälte und
Gewalt schutzlos ausgeliefert. Grundbedürfnisse, wie die Möglichkeit, sich
zu waschen, sind für sie nicht selbstverständlich erfüllbar. Das [3][Leben
auf der Straße] stelle „die extremste Form von Armut, Ausgrenzung und
gesundheitlicher Gefährdung […] dar“, heißt es im Nationalen Aktionsplan.
Das darin formulierte Ziel ist, bis 2030 alle Menschen mit angemessenem
Wohnraum zu versorgen. Auch die schwarz-rote Koalition bekennt sich dazu.
Laut dem [4][letzten Wohnungslosenbericht] sind etwa 531.600 Menschen in
Deutschland wohnungslos. Schätzungsweise 47.300 von ihnen leben auf der
Straße. Wie viele es wirklich sind, ist aber unklar. Der Aktionsplan
bündelt verschiedene Maßnahmen, die von Bund, Ländern und Kommunen
umgesetzt werden sollen. Das umfasst zum Beispiel mehr Geld für
Sozialwohnungen, mehr Prävention, Forschung, aber auch die Erarbeitung von
einheitlichen Standards in Notunterkünften oder eine verbesserte Förderung
von [5][Housing First]. Dieser Ansatz ist sehr gut erprobt, um Obdachlosen
mit komplexen Problemen zu helfen. Eine eigene Wohnung wird dabei als
Grundvoraussetzung betrachtet. [6][Finnland] gilt als Vorreiter bei der
Bekämpfung von Obdachlosigkeit, zur finnischen Strategie gehört aber auch
der Bau von günstigem Wohnraum.
## „Grundvoraussetzung für Würde und Teilhabe“
Um das Ziel des Aktionsplans zu erreichen, brauche es vor allem mehr
bezahlbaren Wohnraum, erklärt die Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner (CSU),
zuständige Berichterstatterin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der taz. Ein
sicheres Zuhause sei die „Grundvoraussetzung für Würde und Teilhabe“.
Zeulner verweist auf die aufgestockten Gelder für den sozialen Wohnungsbau
und [7][den beschlossenen Bauturbo]. Daneben sei „Prävention und der Ausbau
niedrigschwelliger Unterstützungsangebote“ sehr wichtig.
„Wohnen ist ein Menschenrecht“, sagt die Abgeordnete Heike Heubach, die in
der SPD-Bundestagsfraktion für das Thema zuständig ist. Zentrale Hebel
lägen „im Zusammenspiel von Prävention, Wohnraumschaffung,
Unterstützungsangeboten und einer wirksamen Koordinierung aller Akteure“.
Bundestagsabgeordnete Sylvia Rietenberg (Grüne) hält die Anstrengungen für
nicht ausreichend. „Statt die wirklichen Ursachen sozialer Not konsequent
anzugehen, betreibt die Bundesregierung noch zusätzlich [8][Symbolpolitik
beim Bürgergeld.“] Wer Wohnungslosigkeit überwinden wolle, müsse „soziale
Sicherung und Wohnungsbaupolitik zusammen denken“.
Ähnlich sieht das Sahra Mirow, Sprecherin für soziales Wohnen der
Linksfraktion. Mit Blick auf Housing First verweist Mirow auf den viel
höheren Anteil an Sozialwohnungen in Finnland. „Housing First allein bringt
nichts, wenn die staatlichen Sozialwohnungen dazu fehlen“, sagt sie.
Tatsächlich ist die [9][Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland rückläufig]
– trotz der vielfach bekundeten Rekordinvestitionen.
Achim, 61, Karlsruhe: „Gewalt auf der Straße hat zugenommen“
„Das Beste ist, wenn man jemanden findet, der einen ein paar Nächte bei
sich schlafen lässt. Das können Bekannte sein oder – wenn man sich traut,
sie anzusprechen – Leute auf der Straße, die vertrauenswürdig erscheinen.
Aber das kommt immer seltener vor, dass da jemand mal Ja sagt. Auch gut
sind trockene Hauseingänge oder die Plätze in der Fußgängerzone, wo die
Wärme aus den U-Bahnen hochkommt. Die Plätze sind dann auch mal umkämpft.
Insgesamt stelle ich fest, dass die Bürger in der Stadt immer weniger
akzeptieren, wenn Obdachlose irgendwo ihr Quartier aufschlagen. Da wird
schnell die Polizei geholt oder die Hauseingänge sind mit Toren
verschlossen. Früher haben Kollegen von mir auch mal auf einem Campingplatz
überwintert, doch auch da werden wir Wohnungslose immer seltener
akzeptiert. Aber es ist immer noch besser als in den meisten anderen
Ländern in Europa. Da gibt es oft noch viel weniger Akzeptanz für Menschen
auf der Straße.
Wichtig ist halt immer, dass du einigermaßen warm und trocken liegst. Das
kann auch ein Sandboden unter einer Brücke mit Schlafsack und Isomatte
sein. Aber ich habe immer schlecht auf der Straße geschlafen. Ich habe
immer Angst gehabt, dass mich jemand überfällt. Junkies oder andere
Wohnungslose. Das hatte ich immer im Hinterkopf. Inzwischen passiert es
aber auch hier in Karlsruhe, dass irgendwelche Leute zum Spaß Menschen auf
der Straße angreifen. Ich finde, die Gewalt hat auf der Straße insgesamt
stark zugenommen.
Eigentlich gibt es in der Stadt für den [10][Winter] genug Schlafplätze.
Zum Beispiel in der Kriegsstraße 88. Wenn man sich registrieren lässt, hat
man ein eigenes Bett und kann tagsüber kommen und gehen, wie man will. In
der Kleiderkammer gibt es frische Wäsche, und man kann seine Sachen auch
für zwei Euro waschen und trocknen. Die „88“ ist ein guter Ort, um über den
Winter zu kommen. Aber wenn man fremd in einer Stadt ist, muss man diese
Orte erst mal finden. Da ist man auf Tipps angewiesen.“ Protokoll: Benno
Stieber
Melanie, 50, Berlin: „Ich brauche meine Ruhe“
„Obwohl es kontrovers klingt, ist der Winter für mich einfacher als die
anderen Jahreszeiten. Das liegt daran, dass es in dieser Zeit mehr
Anlaufstellen für obdachlose Menschen gibt. Im Sommer dagegen sind die
Plätze begrenzter, die Konkurrenz ist groß. Jedes Jahr erscheint der
Kältehilfewegweiser der Berliner Kältehilfe, wo alle Notunterkünfte
aufgelistet sind.
Um der Kälte zu entkommen, kann man sich in Übernachtungsstätten,
Nachtcafés und Tagesstätten aufhalten. Jede Unterkunft hat ihre Zeiten. Ich
bin zum Beispiel tagsüber beim Unterschlupf e. V., beim Frauentreffpunkt
Sophie oder bei Evas Haltestelle. Zum Schlafen gehe ich in
Übernachtungsstätten, entweder in der Petersburger Straße oder in der
Tieckstraße. Die Plätze sind beschränkt. Ich habe nur wenige Wochen einen
Platz, dann muss ich die Unterkunft wechseln. Bei der Suche nach einem
neuen Platz hilft mir oftmals die Leitung der Einrichtung. Ich halte mich
inzwischen nur noch in Fraueneinrichtungen auf. Hier fühle ich mich wohler
und sicherer als in gemischten Unterkünften, wo oft Alkohol und Drogen im
Spiel sind. Ich brauche meine Ruhe. Außerdem bin ich lesbisch und habe mit
Männern so gut wie nichts zu tun.
In den Einrichtungen kann ich täglich duschen und ein- bis zweimal die
Woche meine Kleidung waschen. Außerdem habe ich oftmals Internetzugang, den
ich für ein paar Stunden am Tag nutzen kann. Man muss nur gut auf seine
Sachen aufpassen, weil hier oft geklaut wird: Ich trage meine immer bei
mir.
Ich komme ursprünglich aus Wiesbaden. Dort habe ich Gewalt erfahren und bin
eines Nachts geflohen. Bevor ich nach Berlin kam, lebte ich einige Zeit in
einem Zelt in Hamburg. Manchmal kamen betrunkene Männer, die nachts daran
rüttelten oder versuchten, es zu öffnen. Ich rief dann ganz laut: „Haut
jetzt endlich ab“, dann ließen sie mich meistens in Ruhe. Die Straße kann
gefährlich sein – auch für Männer, aber besonders für Frauen. Am besten
findet man als Frau Schutz vor [11][Gewalt] in Fraueneinrichtungen.
Ich besitze eine negative Schufa – durch meine Flucht aus der Wohnung sind
Schulden entstanden. Es ist schwierig für mich, eine Wohnung zu finden. Ich
wünsche mir, dass ich geradeaus gehen kann und irgendwann eine feste Bleibe
finde. Protokoll: Lisette Habig
Hans-Peter, 61, Wuppertal: „Dann kommt die Polizei und wir werden geräumt“
Im Sommer wurde ich mit einer Metallstange angegriffen. Ich habe in einem
Hauseingang geschlafen und dann haben mir nachts drei Jugendliche die
Stange über den Kopf gezogen und sind weggerannt. Ein Kollege hat die
Polizei gerufen, aber bis die da war, waren die Täter über alle Berge. So
ist das meistens. Einen sicheren und warmen Schlafplatz finden, das ist
eigentlich immer die größte Sorge.
Eine Zeitlang konnte ich zusammen mit einem Freund in einem leer stehenden
Geschäft schlafen. Da haben wir eigentlich niemanden gestört. Irgendwann
haben sich die Inhaber dann aber doch beschwert. So läuft das eigentlich
immer. Und dann kommt die Polizei und wir werden geräumt. Und dann sucht
man sich wieder was Neues. Wenn ich draußen geschlafen habe, dann oft mit
ein paar Leuten zusammen und nicht direkt im Stadtzentrum. Da ist man
sicherer vor Gewalt, als wenn man mittendrin ist. Aber richtig sicher ist
man draußen eben nie.
Wenn es richtig kalt wird, öffnet die Stadt auch mal den Bahnhof. In die
Notunterkunft in Wuppertal kannste meines Erachtens gar nicht gehen:
Gefühlte 40 Betten in einem großen Raum, viele Leute gehen alkoholisiert
dahin, benehmen sich daneben. Du musst aufpassen, dass dir nichts geklaut
wird. Die letzten Jahre habe ich meistens draußen geschlafen.
Zuletzt habe ich oft bei einem Bekannten geschlafen, der hat eine Wohnung
und stellt für fünf Euro die Nacht einen Schlafplatz und eine warme
Mahlzeit zur Verfügung. Wenn ich dusche oder wasche, gehe ich ins Gleis 1.
Das ist Kontaktladen, Drogenhilfe und Konsumraum in einem. Die helfen einem
auch, wenn man mal was im Internet nachschauen muss. Da ist es warm, da
arbeiten Sozialarbeiter, die helfen auch mal bei Problemen.
Über sie habe ich jetzt auch endlich eine Wohnung vermittelt bekommen.
Sechs Monate darf ich da erst mal wohnen. Mein Ziel ist es dann, über einen
Bildungsgutschein von der Agentur für Arbeit eine Ausbildung zum
Genesungsbegleiter für Suchtkranke zu machen. Bis auf die Geschichte mit
der Eisenstange hab ich hier in Wuppertal viele positive Erfahrungen
gesammelt. Wenn ich mit der Schwebebahn fahre, spreche ich die Kontrolleure
oft einfach an: „Hi, ich lebe gerade auf der Straße und kann mir kein
Ticket leisten.“ Manchmal lassen die mich dann trotzdem mitfahren.
Protokoll: Charlotte Kranenberg
Hartmut, 64 Jahre, Rastatt: „Ich war seit über zwanzig Jahren nicht beim
Hausarzt“
Ich bin 1981 das erste Mal obdachlos geworden. Als Durchreisender, so hieß
das damals, bekam ich Sozialleistungen nur tageweise ausgezahlt. Nach drei
Tagen musste man weiterziehen. Das habe ich auch getan, zuerst mit
Rucksack, später mit Fahrrad, heute bin ich 64 und habe ein E-Bike. Ich bin
immer noch viel unterwegs, aber ich habe eine Homebase in Rastatt in Baden
Württemberg. Ich bin dort geduldet auf einem ehemaligen Militärgelände, da
stehen zwei Garagen drauf und ich zelte praktisch im Winter in der Garage,
wenn ich vor Ort bin.
Ich hatte in meinem Leben Phasen mit und ohne Wohnung. Das Leben auf der
Straße macht mir keine Angst. Ich kenne mich aus und weiß, wie man sich
verhält. Manche denken, Wohnungslose oder Obdachlose sind nicht gut
strukturiert, dabei muss man alles selbst organisieren. Man braucht einen
sicheren Platz zum Schlafen, man muss täglich gucken, dass man an Geld
kommt, man geht täglich einkaufen, weil man keinen Kühlschrank hat, braucht
Strom fürs Handy. Um etwas autarker zu sein, habe ich ein klappbares
Solarpanel. Das reicht, um mein Handy oder meinen Laptop aufzuladen. Für
mein E-Bike nutze ich eine App, die mir alle Ladestationen anzeigt.
Der Winter ist kein Problem für mich. Ich habe ein gutes Immunsystem. Ich
war bestimmt seit über zwanzig Jahren nicht mehr beim Hausarzt oder
Zahnarzt. Eine gute Ausrüstung ist wichtig. Ich habe einen Schlafsack, der
bis minus 30 Grad aushält. Da lege ich einen leichten Sommerschlafsack
rein, weil ich den einfacher waschen kann. Ich nutze verschiedene
Anlaufstellen, zum Waschen oder für einen Kaffee im Warmen. In Rastatt gibt
es auch Tagesaufenthalte, wo ich manchmal essen kann.
Ich engagiere mich viel für die Rechte von wohnungslosen Menschen. Zum
Beispiel bin ich Teil einer Facharbeitsgruppe beim Nationalen Aktionsplan
zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit. Das meiste ist ehrenamtlich, bei
Treffen bekomme aber ich die Fahrtkosten bezahlt und manchmal gibt es eine
Aufwandsentschädigung, wenn ich mal auf ein Podium geladen werde. Wenn ich
in Berlin bin, übernachte ich meist bei einem alten Freund, der allein in
einer Dreizimmerwohnung lebt. Aber ich kenne deutschlandweit viele, die
sich mittlerweile das Fest gemacht haben. So nennt man das in unseren
Kreisen, wenn Leute im Laufe der Zeit eine Wohnung bekommen haben.
Protokoll: Jasmin Kalarickal
Sarah, 38 Jahre, Hamburg: „Kein Zustand, in dem man ewig leben möchte“
Ich bin 38 Jahre alt und lebe seit 2018 auf dem Kiez in Hamburg. Mein
Alltag spielt sich größtenteils auf der Straße ab. Zwei- bis dreimal in der
Woche kommen Streetworker vorbei. Sie bringen Schlafsäcke oder andere
Dinge, die wir gerade brauchen. Vor allem aber fragen sie nach, wie es uns
geht. Ich habe das Gefühl, dass sie sich wirklich Zeit nehmen und uns ernst
nehmen. Das tut gut. Außerdem erfahre ich von denen, wo ich hingehen kann,
wenn ich weitere Hilfe oder Beratung brauche.
Am Wochenende ist auf der Reeperbahn immer etwas los. Die betrunkenen Leute
können anstrengend sein, aber meistens sind sie lustig. Hier passieren die
verrücktesten Geschichten, und ganz ehrlich gesagt, sind die Betrunkenen
auch am spendabelsten. Trotzdem ist das natürlich kein Zustand, in dem man
ewig leben möchte. Ich will auf jeden Fall runter von der Straße. Aber ins
Notprogramm gehe ich nicht. Das ist die Hölle. Nachts muss man fast schon
die Klamotten anschnallen, damit sie einem im Schlaf nicht geklaut werden.
Das ist nichts für mich. Ich will mich sicher fühlen und etwas Ruhe haben.
In letzter Zeit merke ich, dass mehr Menschen helfen wollen. Erst vor
Kurzem kam ein Paar zu mir. Sie hatten eine Serie „Hartes Deutschland“
gesehen und wollten sich bei einem Wochenendtrip die Situation ansehen und
helfen. Mir haben sie neue Winterschuhe geschenkt, meiner Freundin ein
Packen dicker Socken. Was mich überrascht hat, ist, dass ausgerechnet die
Heilsarmee hier auf dem Kiez so viel macht. Dort gibt es dreimal die Woche
Essen, und Kleidung bekommt man dort auch.
Mir ist es generell wichtig, dass ich mich wohlfühle. Es gibt ein paar
Adressen, wo ich duschen kann, und einige Cafés in der Nähe, in denen man
in Ruhe sitzen kann. Das Essen hier schmeckt meistens ganz gut. Was mich
glücklich macht, ist, dass die Menschen in den Einrichtungen alle nett
sind. Ich fühle mich immer willkommen und jede:r tut sein oder ihr Bestes.
Ich habe den Eindruck, dass in Hamburg niemand verhungern muss. Nur mit den
Schlafplätzen sieht es schlecht aus. Da finde ich oft keine sichere Lösung.
Protokoll: Nele Beste
Dennis, 39, Bremen: „Es ist wichtig, regelmäßig was Warmes zu essen“
Ich lebe seit einem halben Jahr auf der Straße. Davor hatte ich eine Zeit
lang eine Wohnung, aber davor hab ich auch schon auf der Straße gelebt.
Noch haben wir ja Glück mit dem Wetter, aber wenn es kälter wird, weiß ich
noch nicht genau, was ich mache. Wärme finde ich eigentlich gar nicht so
wichtig. Na ja, nachts packe ich mich eben in mehrere Schlafsäcke ein. Und
ich habe ein Wurfzelt, da schlafe ich mit meiner Freundin Jacky und Mütze,
unserer Hündin. Das Zelt verstecken wir immer irgendwo im Gebüsch. Man muss
echt aufpassen, mir wurde schon einmal ein Zelt geklaut.
Wir schlafen an ganz unterschiedlichen Ecken, aber wir suchen uns immer
ruhige Orte mit möglichst wenig Menschen. Das ist sicherer, gerade für
Jacky als Frau. Irgendwo außerhalb eben. Stress gehen wir eigentlich immer
aus dem Weg. Vielleicht habe ich deshalb bisher keine Gewalt erlebt. Manche
suchen den Stress ja richtig.
Im Moment habe ich kein Handy. Aber Internet gibt’s ja eigentlich überall.
Wenn ich ein Handy habe, dann gehe ich immer in die Stadtbibliothek oder zu
Rewe oder so fürs WLAN. Warmes Essen bekomme ich von den Suppenengeln, im
Café Papagei oder beim Bremer Treff. Das kostet halt ein bisschen, es lohnt
sich aber. Es ist wichtig, regelmäßig was Warmes zu essen. Dort trifft man
auch immer andere Menschen. In der Oase kann man heiß duschen und Kleidung
waschen. Das kostet nichts. Ich nehme eigentlich nie die Bahn, laufe immer
oder fahre Rad. Die Kälte ist scheiße, aber ich mache mir keine Sorgen. Ich
habe eigentlich alles, was ich brauche. Protokoll: Amanda Böhm
16 Nov 2025
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