# taz.de -- Tag der Wohnungslosen in Berlin: Im Stich gelassen
       
       > Am Tag der Wohnungslosen soll die Politik in die Pflicht genommen werden.
       > Die taz hat drei Betroffenen zugehört und ihre Geschichte protokolliert.
       
 (IMG) Bild: Ohne Wohnung zu sein, ist oft auch das Ergebnis vieler nicht selbst verschuldeter Zäsuren
       
       ## Depressiv auf der Straße
       
       „Ich heiße Daniel Z. Meinen Nachnamen möchte ich nicht nennen, weil er
       nicht deutsch klingt und ich immer wieder Rassismus erfahren habe. Das hat
       mir in meiner Jugend Probleme bei der Jobsuche bereitet, später habe ich
       eine Tischlerausbildung gemacht. Heute bin ich 60 Jahre alt, psychisch
       erkrankt, wohnungslos. 36 Jahre lang, bis 2017, hatte ich noch eine eigene
       Wohnung. Die war gewissermaßen sogar kostenlos, denn der Ofen war so
       kaputt, dass ich per Vertrag nicht heizen durfte. 2005 habe ich deshalb
       eine Mietminderung bis zu 100 Prozent erstreiten können.
       
       Dagegen hat mein Vermieter 2017 geklagt. Er hat vor Gericht gelogen,
       behauptet, mit dem Ofen sei alles in Ordnung. Vier Mal konnte ich die
       Räumung noch aufschieben, weil ich als suizidgefährdet galt. Kurz vor der
       Pandemie haben sie mich dann rausgeschmissen. Zunächst kam ich in einer
       Notunterkunft unter. Ich stand total unter Schock, durfte mich wegen der
       Pandemie mit niemandem treffen und bin noch viel tiefer in die Depression
       gerutscht.
       
       Inzwischen habe ich mich etwas erholt. Vor einem Jahr habe ich über die
       Caritas das Nutzungsrecht für eine Wohnung bekommen. Einen Mietvertrag habe
       ich aber nicht. Für Wohnungslose ist es schwer, eine eigene Wohnung zu
       finden. Das Jobcenter legt mir Steine in den Weg: Früher habe ich 20
       Prozent Wohnkostenübernahme extra bekommen, weil ich wohnungslos bin, und
       noch mal zehn extra, weil ich als Härtefall gelte. Das hat mir bisher
       bessere Chancen gegeben. Jetzt heißt es aber, ich sei nicht mehr
       wohnungslos – weshalb das Jobcenter mir den Zuschuss gestrichen hat. Ich
       bin aber wohnungslos, weil ich keinen Mietvertrag habe. Vermutlich muss ich
       jetzt klagen.“
       
       ## Der Willkür ausgeliefert
       
       „Ich heiße Janina Berthold und bin 52 Jahre alt. Seit einigen Wochen habe
       ich eine Wohnung, war aber zwei Jahre lang obdachlos. Bis 2020 habe ich in
       Stralsund in der Veranstaltungsbranche gearbeitet. Als aus der Kasse Geld
       verschwunden ist, hat der Chef mich fälschlicherweise beschuldigt und mir
       fristlos gekündigt. Ich hab von ihm keine Papiere bekommen, die ich dem
       Jobcenter hätte vorlegen können. Ganz schnell konnte ich keine Miete
       zahlen, 2023 kam die Zwangsräumung.
       
       Ich bin dann durchs Land gefahren und habe einen Ort gesucht, wo ich
       unterkommen kann. In einer Nacht im Zug hat mir jemand mein Handy geklaut.
       Da war nicht nur mein Ticket drauf, sondern auch mein Personalausweis und
       meine Bankkarte drin. Als ich im Januar 2024 in Berlin ankam, hat mir der
       Kältebus eine Notunterkunft verschafft. Es war komisch, zum ersten Mal in
       einer Obdachlosenunterkunft zu wohnen, aber es war zumindest besser als auf
       der Straße. Dort hatte ich das erste Mal Kontakt mit der Willkür, mit der
       Sozialarbeiter mit Obdachlosen umgehen.
       
       Vieles, was ich machen sollte, um an Personalien und Meldebescheinigung zu
       kommen, hat Geld gekostet. Als ich aber eine Sozialarbeiterin gefragt habe,
       wo ich das hernehmen soll, meinte sie nur, ich schaffe das schon. Sie hat
       mich quasi Pfandflaschen sammeln geschickt. In einer anderen Unterkunft
       drei Wochen später haben alle Anträge drei Tage gedauert und waren
       kostenlos. Dank dieser neuen Sozialarbeiterin bin ich in eine
       Wohnunterkunft für Frauen gekommen.
       
       Ich habe dort auf acht Quadratmetern gelebt. Die Bäder waren oft
       verschimmelt oder verstopft. Viele Frauen waren psychisch krank. Es gab oft
       Streit. Fünf Mal haben mich die Sozialarbeiter innerhalb des Hauses
       umziehen lassen, ich hatte jedes Mal nur eine Stunde Zeit, um zu packen. Im
       Januar hat die Unterkunft eine Regel eingeführt, dass man bei dem kleinsten
       Verstoß auf die Straße gesetzt wird. Eine Frau hat dann etwas angezündet
       und ich wurde vor meiner Tür gesehen. Am nächsten Tag haben sie mich
       rausgeschmissen. Meine Sachen haben sie einfach weggeschmissen.“
       
       ## Autistisch und allein
       
       „Ich heiße Tomi Blum, bin 62 Jahre alt. 1986 kam ich nach Berlin. Meine
       Wohnung hier habe ich 2014 durch häusliche Gewalt verloren. Zwei Tage bin
       ich durch die Stadt geirrt, habe meinen Schlüssel weggeschmissen. Zum Glück
       hatte ich ein paar Freunde auf einem Wagenplatz, die mich aufgenommen
       haben.
       
       Ich bin autistisch. Erst in der Therapie ist mir aufgefallen, dass ich
       dadurch ein gefundenes Fressen für Menschen bin, die so etwas ausnutzen.
       Ich hatte nie einen eigenen Mietvertrag, WGs haben mich immer wieder
       rausgeschmissen. Fünf Jahre habe ich als schwuler und autistischer Mensch
       allein versucht, über eine Förderung des Bundesteilhabegesetzes eine
       Wohnung zu finden – ohne Erfolg.
       
       Dann habe ich die Schwulenberatung gefunden. Meine Beratungsperson kommt
       seit anderthalb Jahren mit zu allen wichtigen Terminen. Ich brauche das.
       Seit November habe ich so eine Wohnung im geschützten Marktsegment
       bekommen.
       
       Ich mache Krisenhilfe für jugendliche Autisten. Bei ihnen bricht Angst aus,
       [1][weil Kanzler Merz Sozialleistungen kürzen will.] Viele fürchten, die
       Wohnung zu verlieren, keine zu kriegen oder ins betreute Wohnen zu gehen.
       Das ganze Hilfesystem ist vor dem Kollaps.“
       
       11 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Moritz Tübbecke
       
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