# taz.de -- Spielfilm „Der vermessene Mensch“: German Kulissenschieber in Namibia
       
       > Regisseur Lars Kraume erzählt vom Völkermord an Nama und Herero. Doch
       > dabei scheitert er an einer verengten filmischen Perspektive auf Namibia.
       
 (IMG) Bild: Die Schauspieler Leonard Scheicher und Girley Charlene Jazama in einer Filmszene
       
       Diese Woche startet ein Spielfilm, der nichts für empfindsame Gemüter ist.
       Lars Kraumes „Der vermessene Mensch“ reinszeniert in aller Drastik die
       Gewaltverbrechen des wilhelminischen Kaiserreichs in Namibia.
       
       1904 hatten sich zunächst die Herero, dann auch die Nama gegen die
       kaiserliche Kolonialmacht in Deutsch-Südwest erhoben. Bis dahin waren die
       kaiserlichen Deutschen wechselnde Bündnisse mit den untereinander
       rivalisierenden afrikanischen Nationen eingegangen. Nama und Herero waren
       verfeindet und bekriegten sich.
       
       Doch unter Generalleutnant Lothar von Trotha ging die deutsche
       „Schutztruppe“ [1][zu einem Vernichtungsfeldzug gegen die Herero, später
       auch gegen die Nama über].
       
       Kraume zeigt den Krieg in Deutsch-Südwest um 1904 im Stile eines
       historischen Reenactments. Aus der Perspektive eines opportunistischen
       Berliner Wissenschaftlers, einer fiktiven Figur, die im Auftrag seines
       Berliner Professors [2][Schädel für die rassekundliche Forschung] sammelt
       sowie Kunst- und Kultobjekte der Herero raubt, wird der Völkermord in Szene
       gesetzt.
       
       ## Tod in der Omaheke
       
       Wie die militärisch unterlegenen Herero-Truppen mit ihren Angehörigen in
       die Omaheke-Wüste flüchten. Wie skrupellose deutsche Soldaten die wenigen
       Wasserstellen dort besetzten und auf afrikanische Frauen und Kinder
       schießen, die sich diesen nähern. Zehntausende Herero, Männer, Frauen und
       Kinder, verdursteten in der Wüste oder landeten in Konzentrations- und
       Zwangsarbeitslagern.
       
       „Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. […] Innerhalb der
       Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh
       erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu
       ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“ Den furchtbaren
       Vernichtungsbefehl Lothar von Trothas lässt der Regisseur einen seiner
       weißen Historiendarsteller in einer Szene im Feldlager am Waterberg
       verlesen.
       
       Doch so löblich Kraumes Absicht, über Genozid und Kolonialverbrechen
       aufklären zu wollen, so eindimensional dabei seine filmische Umsetzung.
       Dialoge und Handlung dienen einzig der Illustrierung politischer Aussagen
       und Thesen.
       
       ## Unfreiwillig komisch
       
       Vieles wirkt naturalistisch aufgesetzt, manches unfreiwillig komisch. Etwa
       wie zu Beginn des Films sich eine Frau aus Namibia und ein Wissenschaftler
       aus Berlin um 1900 kennenlernen. „Hat Wanderlust Sie hierher gebracht?,“
       fragt der weiße Forscher die schwarze Frau in Berlin.
       
       „Nein, man hat mich gezwungen, weil ich Deutsch spreche“, antwortet diese.
       Die Schauspielerin Girley Charlene Jazama spielt den einzigen mit einer
       minimalen Individualität ausgestatteten afrikanischen Menschen in diesen
       Film. Der weiße Wissenschaftler verliebt sich in sie, als er sie am Rande
       einer kolonialen „Völkerschau“ in Berlin kennenlernt.
       
       „Hat Wanderlust sie hierher gebracht?“, so spricht hier also der
       verständnisvollste Weiße, der afrikanische Menschen im Dienste der
       kaiserlichen Forschung studiert. Und der in dem Historienfilm bald nach
       Namibia aufbrechen wird, um im Gefolge der Massaker der deutschen
       „Schutztruppe“ Gebeine, Alltags- und Kultobjekte der Herero zu rauben.
       
       Kraumes Sicht bleibt trotz hehrer Absicht erstaunlich eurozentristisch,
       paternalistisch – ausgearbeitete Perspektiven schwarzer oder brauner
       Akteure kennt sein Film nicht. Vieles war historisch tatsächlich viel
       komplexer, als es der Film suggeriert. Selbst in der deutschen
       Kolonialverwaltung herrschten 1904 unterschiedliche Auffassungen, die der
       Film aber nicht thematisiert.
       
       ## Bruch oder Kontinuität?
       
       Von Trotha brach mit einer Praxis, die auf Koexistenz von deutscher und
       afrikanischer Bevölkerung setzte. Sein brutales Vorgehen führte dazu, dass
       sich auch die mit den Herero verfeindeten Nama- und Orlam-Nationen gegen
       die deutsche „Schutztruppe“ erhoben, anstatt weiter an ihrer Seite zu
       kämpfen.
       
       Der Film stellt das Morden vor pittoresker namibischer Kulisse plakativ
       aus, ohne dabei die Entwicklung des von der Globalisierung erfassten
       Südwestens Afrikas zu erzählen. Eine grobe eurozentristische Verengung. Die
       Globalisierung hatte neue Nationen und Gesellschaften hervorgebracht,
       kulturelle Transformationen und Spannungen, die sich in Kraumes schlichter
       Weiß-gegen-Schwarz-Optik nicht abbilden.
       
       Von den historischen Gegenspielern der Deutschen erzählt „Der vermessene
       Mensch“ nichts. Sie bleiben Objekte. Samuel Maharero auf Herero-Seite oder
       [3][Hendrik Witbooi auf Nama-Seite] unterwarfen ihrerseits zuvor die San,
       die indigene Bevölkerung Namibias. Sie bekämpften sich untereinander und
       befanden sich wechselnd in militärischen Bündnissen mit den Deutschen. Die
       aus Südafrika eingewanderten Nama- und Orlam-Nationen fühlten sich eher den
       Europäern als den Herero zugewandt.
       
       Doch Kraume belässt es bei einer einzigen afrikanischen Protagonistin in
       Gestalt der Schauspielerin Girley Charlene Jazama, der der opportunistische
       deutsche Forscher im namibischen Buschland tölpelhaft hinterherstolpert.
       
       ## Monströse Zurschaustellung
       
       Und die er, so viel schockierendes Überwältigungskino muss sein, im KZ auf
       der Halbinsel Shark Island schließlich wiederfindet. Inhaftiert. Beim
       grauenhaften Abschaben und Auskochen der Schädel von Menschen, die bei
       Internierung und Zwangsarbeit starben. Die filmische Zurschaustellung der
       Entmenschlichung, sie trägt hier selbst ungebrochen monströse Züge.
       
       2004 sprach die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche
       Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), auf einer
       Gedenkveranstaltung im namibischen Okakarara. Sie würdigte den Widerstand
       von Herero und Nama, sprach von einem „Vernichtungskrieg“ der kaiserlichen
       „Schutztruppe“.
       
       Sie bat um Vergebung, betonte aber auch, dass es 1904 bereits deutsche
       Gegner dieses „Unterdrückungskrieges“ gab. „Einer dieser Kritiker war der
       damalige Vorsitzende der Partei, der ich angehöre, August Bebel“, sagte
       Wieczorek-Zeul. „Er hat die Unterdrückung der Herero im Deutschen Reichstag
       auf das Schärfste kritisiert und ihren Aufstand als gerechten
       Befreiungskampf gewürdigt.“
       
       Von 1990 bis 2020 flossen 1,4 Milliarden Euro Entwicklungshilfen von
       Deutschland nach Namibia. Seit 2021 liegt ein Entschädigungsabkommen vor.
       Zwischen den Regierungen ist es abschließend verhandelt, doch unter den
       namibischen Gruppen sind Punkte noch strittig. Nama und Herero gehören zu
       den nationalen Minderheiten des Landes und sehen sich nicht in jeder
       Hinsicht von der Zentralregierung in Windhuk repräsentiert.
       
       Eine drastische Szene in Kraumes Film zeigt den deutschen Wissenschaftler,
       wie er in der Omaheke-Wüste einen Schädel vom Rumpf eines Leichnahms
       abtrennt. Tatsächlich lagern immer noch tausende Schädel und Gebeine aus
       der Kolonialzeit in den Kellern deutscher Institute. Für sie [4][eine
       würdige Rückführung zu finden], zumindest dafür könnte Kraumes deutsches
       Naturalismusspektakel als Beschleuniger nun dienen.
       
       26 Mar 2023
       
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