# taz.de -- Von der Leyen als EU-Kommissionschefin: Personalie mit Sprengkraft
       
       > Die SPD ist dagegen, Ursula von der Leyen zur Präsidentin der
       > EU-Kommission zu machen. Bringt die Empörung der GenossInnen die Groko zu
       > Fall?
       
 (IMG) Bild: Ursula von der Leyen am 3. Juli im Europäischen Parlament
       
       Berlin taz | Die Überraschungskandidatin begann sofort mit der Diplomatie
       in eigener Sache. [1][Ursula von der Leyen], plötzlich nicht mehr mäßig
       erfolgreiche Verteidigungsministerin, sondern auch Kandidatin für den
       wichtigsten Job in der EU, reiste am Mittwoch stante pede nach Straßburg.
       Die Lage im Europäischen Parlament sondieren, Gespräche führen, Skeptiker
       überzeugen.
       
       Die Widerstände gegen die 60-jährige Christdemokratin sind groß. Seit die
       EU-Staats- und Regierungschefs von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin
       aus dem Hut zauberten, geistern Fragen durch die Berliner Koalition: Kann
       die das? Warum ausgerechnet sie? [2][Und darf Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
       vom Spitzenkandidatenprinzip abweichen], das man für die
       Kommissionspräsidentschaft verabredet hatte?
       
       Nein, darf sie nicht, findet die SPD – und stemmt sich entschieden gegen
       den Vorschlag, den EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstagabend bekannt
       gegeben hatte. Die kommissarischen SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer, Thorsten
       Schäfer-Gümbel und Manuela Schwesig gaben die Linie vor.
       
       Sie verwiesen darauf, dass sich die SPD dem Prinzip verpflichtet fühle, nur
       SpitzenkandidatInnen der Parteienfamilien für das Amt zu berücksichtigen.
       Mit dem niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans, dem CSUler
       Manfred Weber und der Liberalen Margrethe Vestager seien drei veritable
       Kandidaten bei der Europawahl angetreten, argumentierten die SPD-ChefInnen.
       
       ## Koalitionskrise mit Sprengkraft
       
       Dass nun keiner der drei zum Zuge kommen solle, sondern jemand, der nicht
       zu Wahl gestanden habe, könne nicht überzeugen. „Damit würde der Versuch,
       die Europäische Union zu demokratisieren, ad absurdum geführt.“ Deshalb
       lehne die SPD Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ab.
       
       Damit führt die Personalie zu einer Koalitionskrise mit Sprengkraft. Könnte
       es zum endgültigen Ermüdungsbruch kommen? Der ehemalige SPD-Vorsitzende
       Sigmar Gabriel sprach dieses Szenario offen an.
       
       Von der Leyens Benennung gegen den Willen der SPD sei ein „beispielloser
       Akt der politischen Trickserei“, sagte er dem Tagesspiegel. Die SPD müsse
       das Vorhaben im Kabinett aufhalten. Ein einseitiges Vorgehen der Union wäre
       „ein Grund, die Regierung zu verlassen“.
       
       Gabriel will auch einen Hebel entdeckt haben: Von der Leyen müsse erst von
       Deutschland als Kommissarin benannt werden, bevor sie von anderen
       Staatschefs als Kommissionspräsidentin nominiert werden könne. Dafür sei
       das Bundeskabinett zuständig, also auch die SPD-MinisterInnen. Aber diese
       Deutung ist faktisch falsch.
       
       Artikel 17 des EU-Vertrags sieht ein solches nationales Kabinettsvotum
       nicht vor. Dort heißt es lediglich, dass der Europäische Rat dem
       EU-Parlament „nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter
       Mehrheit“ einen Kandidaten vorschlage. Hinzu kommt: Gabriel, der schon
       früher mit einem Koalitionsbruch liebäugelte, hat in der SPD nichts mehr zu
       sagen.
       
       ## Mehrere Motive hinter SPD-Protest
       
       Aber wahr ist: Der Unmut unter den SozialdemokratInnen ist groß. Von der
       Leyen werde im Europäischen Parlament [3][keine Mehrheit bekommen],
       twitterte [4][Seeheimer-Chef Johannes Kahrs]. Der SPD-Linke Karl Lauterbach
       schimpfte: „Die EU ist keine Versorgungsstruktur für schwächelnde
       Minister.“ Der Vorgang gefährde die Entwicklung des EU-Parlaments und sei
       nicht demokratisch.
       
       Auch Stephan Weil, der mächtige Ministerpräsident Niedersachsens,
       kritisierte die Nominierung als schweren Fehler. „Man kann nicht bei
       Wählerinnen und Wählern wochenlang mit bestimmten Personen für europäische
       Parteifamilien um Stimmen werben, ihre Bilder an die Straßen hängen, um
       nach der Wahl zu erklären, dass diese Personen jetzt keine Rolle mehr
       spielen.“ Das EU-Parlament würde, würde es dies absegnen, „auf Dauer seine
       eigene Herabstufung mitbeschließen.“
       
       Hinter dem Protest der SPD stecken mehrere Motive. Viele
       SozialdemokratInnen hatten gehofft, den eigenen Mann Frans Timmermans
       durchbringen zu können. Merkel und Macron hatten sich zwischendurch für ihn
       starkgemacht, waren aber am Widerstand der Konservativen der
       Visegrád-Gruppe gescheitert.
       
       Dann ist da das Lebenswerk von Martin Schulz. Schulz, ehemals
       EU-Parlamentspräsident, hat das Prinzip der SpitzenkandidatInnen einst mit
       erfunden, um BürgerInnen für die EU-Wahlen zu begeistern. Bis heute ist die
       SPD stolz auf das engagierte Europakapitel im Koalitionsvertrag.
       
       ## Von der Leyens wäre ein progressives Signal
       
       Die Koalition, heißt es darin, wolle Europa „bürgernäher und transparenter
       machen“, sie wolle „ein Europa der Demokratie mit einem gestärkten
       Europäischen Parlament“. Im Grunde liest sich das wie ein Bekenntnis zum
       Spitzenkandidatenprinzip.
       
       Gerade passiere das Gegenteil dessen, was verabredet worden sei – so
       empfinden es viele SPDler. Katarina Barley, die SPD-Spitzenkandidatin im
       Europawahlkampf, erklärte bereits im „ZDF-Morgenmagazin“, dass sie im
       EU-Parlament nicht für von der Leyen stimmen werde.
       
       Die Frage ist allerdings, ob die SPD wegen der Personalie am Ende wirklich
       die Eskalation sucht. Merkel hat ja immerhin versucht, Timmermans nach
       vorne zu schieben. Und eine Kommissionspräsidentin von der Leyen
       vorzuschlagen ist nicht ungeschickt: Die Christdemokratin, die in Brüssel
       aufwuchs, ist ein Vollprofi mit 14 Jahren Erfahrung im Bundeskabinett.
       
       Sie ist klar proeuropäisch positioniert und sprach schon 2011 von ihrer
       Vision der „Vereinigten Staaten von Europa“. Außerdem wäre sie die erste
       Frau an der Spitze der EU-Kommission überhaupt.
       
       Kann die SPD ignorieren, dass von der Leyen angesichts der verfahrenen Lage
       ein progressives Signal wäre? Eine Ironie ist es ja, dass die
       Rechtspopulisten der Visegrád-Staaten, etwa der Ungar Viktor Orbán, eine
       erklärte Proeuropäerin unterstützen. Die Wege der EU sind eben manchmal
       unergründlich.
       
       In der Kabinettssitzung am Mittwoch spielte die Empörung der
       Sozialdemokraten jedenfalls keine Rolle. Drei SPD-Minister fehlten, Olaf
       Scholz, Heiko Maas und Hubertus Heil sind schon im Urlaub. Merkel habe über
       den EU-Sondergipfel vom Vortag berichtet, hieß es aus Teilnehmerkreisen.
       [5][Eine Diskussion habe es nicht gegeben. Business as usual also.]
       
       3 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Kommentar-von-der-Leyen-und-Bruessel/!5609282
 (DIR) [3] https://twitter.com/kahrs/status/1146164707520372736
 (DIR) [4] /Die-Politik-von-Johannes-Kahrs/!5567142
 (DIR) [5] /Reaktionen-auf-Wahl-von-der-Leyens/!5609283
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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