# taz.de -- Kommentar von der Leyen und Brüssel: Merkels Macht ist zurück
       
       > Die EU-Einigung steht in der Kritik, mit ihr die Kanzlerin. Doch die
       > Nominierung von der Leyens bietet für Angela Merkel gleich sieben
       > Chancen.
       
 (IMG) Bild: Alles läuft wieder wie am Schnürchen für Angea Merkel
       
       Die Macht ist weg, nur Angela Merkel ist noch da: Diesen Satz habe ich
       selbst einmal hier aufgeschrieben. Aber diesen Satz hat jetzt eine
       widerlegt, und das ist: Angela Merkel. Denn die Macht ist plötzlich zu ihr
       zurückgekommen, [1][diese Woche in Brüssel], sie hat sie sich geschnappt,
       im letzten Moment.
       
       Kaum ist das passiert, werden wieder überall Niederlagen gesehen: Die
       deutsche Kanzlerin habe die Idee der Spitzenkandidaten zerstört, die
       europäische Demokratisierung ins Hinterzimmer verfrachtet, sich dem Ungarn
       Viktor Orbán unterworfen, [2][ihren Spitzenmann Manfred Weber verraten] und
       die SPD überrollt. Doch die Merkel-Mäkler liegen falsch.
       
       Die Kanzlerin hat nicht nur einmal gewonnen. Sie hat sogar gleich sieben
       Erfolge (oder zumindest Chancen) aufgetan: Sieben auf einen Streich.
       
       ## Zwei Frauen, zwei mächtige Aufgaben
       
       Erstens: Frauen nach vorn gebracht. In ihrer Schlussphase hat die erste
       deutsche Kanzlerin dazu beigetragen, dass zwei Frauen die zwei mächtigsten
       Aufgaben der EU übernehmen könnten. Wenn das Europaparlament zustimmt, wäre
       Ursula von der Leyen die erste Präsidentin der Europäischen Kommission. Und
       in Christine Lagarde würde erstmals eine Frau die Europäische Zentralbank
       leiten. Dass Margrete Vestager eine der Vizepräsidentinnen der Kommission
       werden soll, verstärkt den Eindruck: Was Geschlechtergerechtigkeit
       anbelangt, wacht Brüssel gerade im Jahr 2019 auf.
       
       Zweitens: Europas Regierungen versammelt. Sie handeln nun eben doch
       gemeinsam. Und das in einer verfahrenen Situation, in der kein
       Spitzenkandidat der Europawahl eine Mehrheit bekommen hat. Die Plakathelden
       Manfred Weber und Frans Timmermans waren nicht nur im Rat der
       Regierungschefs auf verlorenen Posten. Auch im Europaparlament hat keiner
       der beiden eine Mehrheit in Stellung gebracht, auch Vestager nicht. Daraus
       folgte eine Lösung, die fast anmutig logisch ist: Wenn aus diesem Kreis
       niemand gewinnen kann, muss jemand anderes gewinnen. So einfach. Und das
       ist Ursula von der Leyen. Merkels langjährigste Ministerin. Sie ist der
       wichtigste Name in einem Paket, das neue Spielräume in Brüssel geschaffen
       hat.
       
       Drittens: Deutsch-französische Achse repariert. Merkel hat die Operation
       nicht alleine geschafft, sondern mit Hilfe von Präsident Emmanuel Macron.
       Aber am Ende wird die Reparatur des deutsch-französischen Verhältnisses
       eben auch ihr zu Gute gehalten werden. Das Verhältnis von Berlin und Paris
       war schlecht, weil die Deutsche auf die europapolitischen Ideen des
       Franzosen mit dem stoischen Gestus einer Grundbuchratsschreiberin
       geantwortet hatte. Dann watschte Macron Merkels Kandidaten Weber brutal ab,
       aber am Schluss hat er eben eine Hand ausgestreckt. Merkel schlug ein.
       Läuft wieder. Die Franzosen dürfen Christine Lagarde in die europäischen
       Institutionen schicken, die Deutschen von der Leyen, die fließend
       französisch spricht.
       
       Viertens: Kommissionspräsidentschaft anständig besetzt. Ja, von der Leyen
       ist als Verteidigungsministerin am Beschaffungs- und Gorch-Fock-Wahnsinn
       der Bundeswehr gescheitert. Aber das heißt nicht, dass sie als Chefin der
       Kommission keine ordentliche Lösung wäre. Sie hat Erfahrung und Ansehen auf
       der europäischen Bühne, sie steht für eine moderate Merkel-CDU, sie dürfte
       sich von keinem Regierungschef einschüchtern lassen.
       
       ## In Berlin neue Kraft schöpfen
       
       Und sie wird die Kommission interessanter machen nach den grauen
       Juncker-Jahren. In vielen Medien Europas wird jetzt die in Deutschland
       schon [3][fast vergessene Show von der Ärztin und siebenfachen Mutter], die
       in die Politik ging, nochmal aufgeführt werden: In Brüssel geboren, in
       Brüssel Geschichte geschrieben und so weiter. Um ihre Bestätigung im
       Parlament wird von der Leyen werben müssen, denn auch in der CDU können sie
       manche nicht ausstehen. Andererseits macht Merkel geltend, dass sie es mit
       Weber ja versucht hat und trotz dessen schlechten Wahlergebnisses ein
       Angebot vorlegt, wie die konservativ-christdemokratische Parteienfamilie
       sich an der Spitze der Kommission halten kann.
       
       Fünftens: In der Bundespolitik Optionen eröffnet. Merkel kann in Berlin
       neue Kraft schöpfen. Wechselt von der Leyen nach Brüssel, bekommt das
       Verteidigungsministerium einen personellen Neuanfang. Das wäre aber nur die
       kleinste Lösung. Sie könnte viel mehr machen. Die Unionsministerien
       umbesetzen. Kramp-Karrenbauer, [4][die bisher machtlos in ihrer
       Parteizentrale rumhocken muss], ins Kabinett holen. Seehofer loswerden. Und
       könnte die SPD zu einem Klimaschutzministerium eigentlich Nein sagen?
       
       Sechstens: Der CSU einen verpasst. Die ganze Sache ist – genau ein Jahr
       nach der CSU-Rebellion gegen Merkel – ein netter Nasenstüber für die
       bayerische Schwesterpartei. Erst erweckt CSU-Mann Manfred Weber im
       Wahlkampf den Eindruck, er kandidiere hier als Kanzler von Europa. Dann
       bekommt er nichts gebacken. Merkel setzt sich für ihn ein, aber, tja, keine
       Mehrheit. Weber samt CSU sind geschrumpft, was man daran sieht, dass sich
       deren Chef Markus Söder laut und künstlich über Hinterzimmer-Politik
       aufregt.
       
       Siebtens: Der SPD ihre Machtlosigkeit vorgeführt. Die Pointe von Brüssel
       war, dass sich Merkel bei der Nominierung von der Leyens enthielt, weil die
       SPD nicht mitmachen wollte und der Koalitionsvertrag im Streitfall
       Enthaltung vorschreibt. Aber die Mehrheit stand. Irgendwo im Off schimpften
       kommissarische SPD-Vorsitzende. Die Partei beklagt, dass kein
       Spitzenkandidat das Spitzenamt abbekommen soll. Dass sie sich in die Kritik
       noch hinein steigert und das Brüsseler Paket zum Platzen bringt – eher
       unwahrscheinlich, aber möglich. Vorerst ist die Macht wieder da. Und Merkel
       auch.
       
       3 Jul 2019
       
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