# taz.de -- Debatte Neue Umweltministerin: Mit oder ohne Energie
       
       > Wenn Barbara Hendricks will, kann sie in ihrem neuen Ministerium endlich
       > wieder Umweltpolitik machen. Sonst kommt diese halt weiter aus Brüssel.
       
 (IMG) Bild: Die Frau aus der Margarinefabrik: Hendricks hat ihre Doktorarbeit über die Margarineindustrie in NRW geschrieben.
       
       Barbara Hendricks also. Eine SPD-Quotenfrau aus dem Kohlekraftland NRW an
       der Spitze eines Rumpfministeriums. Das „schwächste Umweltressort aller
       Zeiten“ führe die Finanzpolitikerin, ätzt einer ihrer Vorgänger, Jürgen
       Trittin. Vier Jahre, in denen wichtige Gesetze zu Abfallpolitik, Natur-
       oder Bodenschutz unter „ferner liefen“ behandelt werden?
       
       Nun, genauso wurden sie schon in den vergangenen vier Jahren behandelt, in
       denen die Energiewende alle Aufmerksamkeit auf sich zog und der Rest zum
       Gedöns verkam. Viel schlimmer kann es also nicht werden. Und wer nichts
       weiter vorhat, als lästige Angelegenheiten wie die Atommüllendlagersuche
       oder Castortransporte effizient wegzuverwalten, der holt sich keine starke
       Figur wie den UBA-Chef Jochen Flasbarth als Staatssekretär und das
       haushalterisch wichtige Bauressort ins Haus.
       
       Also, erst mal hundert Tage Zeit geben und schauen, was Hendricks aus dem
       mauen Koalitionsvertrag und der stillgelegten Agenda des Ministeriums
       macht. Auf der stand während der gesamten vergangenen Legislatur ein
       Wertstoffgesetz. Es hätte geregelt, wie viel Kunststoff recycelt werden
       muss, es hätte dafür sorgen können, dass weniger davon verbrannt wird.
       
       Auch das Elektro- und Elektronikgerätegesetz steckt noch im Papierstau. Das
       regelt, wie und wo Computer oder Smartphones entsorgt werden müssen. Das
       ist rohstoffpolitisch wichtig, passiert ist jedoch nichts. Im bisherigen
       Bauministerium hatte man Besseres zu tun, als Geld in die Wärmedämmung von
       Gebäuden zu investieren – ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz – oder den
       Verlust fruchtbarer Böden durch Zersiedlung zu bekämpfen.
       
       ## Umwelt ist Industrie ist Umwelt
       
       Die Energiewende ist zentral, keine Frage, aber auf Energie allein lässt
       sich Umweltpolitik auch nicht reduzieren. Wer das tut, verkennt das enorme
       Gestaltungspotenzial, das klassische Umweltthemen bieten, und übersieht,
       dass zeitgemäße Umweltpolitik Industriepolitik ist – und umgekehrt. Beide
       stehen vor der gleichen Aufgabe: der Industrie einen Rahmen zu setzen, in
       dem sie angesichts des Klimawandels, einer neuen globalen Machtverteilung
       und zunehmender Ressourcenkonflikte bestehen kann.
       
       Der Begriff der Ressource ist dabei weit gefasst: Längst geht es nicht mehr
       nur um die Verfügbarkeit bestimmter Metalle und Mineralien, um Wasser oder
       Land, sondern auch um die Fähigkeit der Erde, als Senke für bestimmte
       Stoffe zu dienen, für Kohlendioxid oder Stickstoff, aber auch für Gifte.
       Die Produktion schädlicher Chemikalien einzudämmen ist ebenso Thema der
       Ressourcenpolitik, wie knappe und schädliche Rohstoffe, etwa bestimmte
       Metalle oder Erdöl, durch erneuerbare und ungefährliche zu ersetzen.
       
       ## Brüssel statt Hannelore
       
       Wer sich für diese Themen, also für die ökologische Transformation der
       Industriegesellschaft interessiert, der sollte sich jetzt weniger mit der
       Stellung Hannelore Krafts befassen als mit der zukünftigen Gestalt von
       Parlament und Kommission in Brüssel. Die EU ist derzeit der wichtigere
       Akteur als die Bundesregierung, sowohl bei der Auswahl und Zielsetzung der
       Themen als auch bei der Umsetzung.
       
       Die verschlungenen Institutionen der Europäischen Union waren es, die in
       den vergangenen Jahren umweltpolitisch überhaupt etwas bewegt haben.
       Während Wirtschaftspolitiker in Deutschland im Sinne des Industriestandorts
       jede Regulierung geißelten, hat die „Generaldirektion Industrie“ in Brüssel
       wegweisende Rahmengesetzgebungen mitentwickelt (in bissiger Konkurrenz zu
       der Generaldirektion Umwelt): die Chemikaliengesetzgebung Reach zum
       Beispiel, die den einzigen ernst zu nehmenden Ansatz bildet, giftige
       Chemikalien aus Windjacken oder Plastikflaschen zu eliminieren; die
       Richtlinie RoHs, die gefährliche Stoffe aus Elektro(nik)geräten verbannt,
       oder die Ökodesign-Richtlinie, mit der die Industrie zu mehr Effizienz bei
       Energie- und Materialverbrauch gebracht wird.
       
       Gebracht, nicht gezwungen. Denn Brüssel setzt auf Transparenz und
       Beteiligung. Nichts beschreibt den Betrieb dort schlechter als die Wendung
       von den Brüsseler Bürokraten, die sich in ihrer Regulierungswut noch die
       kleinste Gurke vorknöpfen, mit der schlecht informierte Journalisten und
       (vor allem konservative) Politiker die politischen Prozesse in der EU gerne
       beschreiben.
       
       Sechs Jahre hat es gedauert, um in der jüngst inkriminierten
       Ökodesign-Richtlinie den Stromverbrauch von Staubsaugern zu regeln, weil an
       dieser Vorschrift so viele Akteure mitgearbeitet haben: Kommission,
       Parlament und Mitgliedsstaaten, Wissenschaftler, Industrie-, Umwelt- und
       Verbraucherverbände. Natürlich ist das bürokratisch. In den schwer
       übersehbaren Verfahren entstehen Unmengen an Papier. Aber hat jemand eine
       bessere Idee, wie die Teilhabe von vielen an politischen Entscheidungen
       organisiert werden könnte?
       
       ## Vorteile der Wohlhabenden
       
       Vor allem Staaten mit gut organisierter Verwaltung, starken Umwelt- und
       Verbraucherverbänden sowie leistungsfähigen Unternehmen profitieren davon.
       Das sind nun mal eher die wohlhabenden und großen Mitgliedsstaaten. Vielen
       ärmeren Ländern mit einer schwächeren industriellen Basis fehlen hier
       Kapazitäten. Die Rahmengesetzgebung der EU an ihre Bedürfnisse anzupassen
       wäre also eine Aufgabe – so wie wirksamere Kontrollmechanismen. Außerdem
       befinden sich die Richtlinien der EU in einem ständigen Prozess der
       Erneuerung, weil sie, anders als Gesetze etwa des Bundestages, routinemäßig
       überprüft werden.
       
       Politisch enttäuschte und geistig abgehängte alte Männer wie die der AfD
       oder Populisten wie Geert Wilders aus den Niederlanden sind mit diesen
       Prozessen naturgemäß überfordert. Im Frühjahr sind die Wahlen für das
       Europaparlament, im Herbst wird die Kommission neu besetzt. Umweltpolitisch
       geht es dabei um viel. So spannend der Politikzirkus in Berlin 2013 auch
       ist: Brüssel 2014 ist wichtiger.
       
       Natürlich kann die Umweltministerin des wichtigsten EU-Industrielandes
       Deutschland dort Debatten vorantreiben und über Brüssel nach Deutschland
       zurückspielen. Ob das BMU in die schwächste Phase seiner Geschichte tritt,
       hängt davon ab, was die Ministerin vorhat. Gestaltungsspielräume hat sie.
       
       17 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Holdinghausen
       
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