# taz.de -- Migration neu denken: So könnte eine humane Fluchtpolitik aussehen
       
       > Seit Jahren dominieren Rechte und Konservative das Thema Einwanderung.
       > Dabei ginge es auch anders.
       
 (IMG) Bild: Protest beim Migrationsgipfel der EU-Innenminister*innen auf der Zugspitze im Juli
       
       Progressive Fluchtpolitik ist in Deutschland gelebte Realität. Zumindest
       von unten: Ehrenamtliche bringen geflüchteten Kindern Deutsch bei,
       Geflüchtete kämpfen dafür, Teil dieser Gesellschaft zu bleiben und nicht
       abgeschoben zu werden, Gemeinden gewähren ihnen Kirchenasyl. Menschen
       unterstützen sich gegenseitig, um Leistungskürzungen oder Arbeitsverbote zu
       überbrücken.
       
       2015 sah es kurz so aus, als ob auch die Politik und die Mitte der
       Gesellschaft eine Wende hin zu mehr Menschlichkeit in der
       Migrationspolitik vollführen könnte. Die Neuankömmlinge wurden an den
       Bahnhöfen beklatscht und sogar CDU-Politiker*innen inszenierten sich damals
       als Flüchtlingshelfer*innen.
       
       Plötzlich schien es gar nicht mehr so utopisch, über sichere Fluchtrouten
       zu sprechen, oder dauerhaften Familiennachzug, über ein Ende der
       Massenunterkünfte, freien Zugang zum Arbeitsmarkt und die Abkehr von
       Abschiebungen. Sie schien greifbar: eine Fluchtpolitik, in der Grenzen ihre
       Macht über Menschen verlieren – sowohl die Zäune und Mauern auf dem Weg,
       als auch die versperrten Zugänge zu einem selbstbestimmten Leben mit
       Teilhabe.
       
       Von dieser Hoffnung ist nicht viel übrig. Im Mai dieses Jahres ordnete
       CSU-Bundesinnenminister Alexander Dobrindt die Zurückweisung von
       Asylsuchenden an deutschen Grenzen an. [1][Laut Deutschlandtrend sprachen
       sich zuvor knapp 60 Prozent der Befragten grundsätzlich dafür aus]. Zwei
       Drittel sind zudem der Meinung, dass Deutschland weniger Geflüchtete
       aufnehmen sollte. Die Mehrheit unterstützt den Kurs von Dobrindt und
       CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz.
       
       Bis weit in die politische Mitte hinein wird über Fluchtmigration in
       Deutschland heute vor allem als Problem gesprochen. Es geht dabei meist um
       die Begrenzung der Migration oder gar die Abschaffung des Asylrechts. Als
       Argumente dienen die Überforderung von Behörden und Kommunen, Kosten für
       den Staat, Abwehrreflexe in der Bevölkerung und medial befeuerte Sorgen vor
       Terroranschlägen. Vieles davon spielt mit Ressentiments oder dient einer
       rechten Agenda. Der Diskurs hat sich von realen Herausforderungen wie etwa
       der Vermittlung von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt weit entfernt.
       
       „Auf dem Feld der Migrationspolitik wird der Unmut über das politische
       System artikuliert“, sagt Politikwissenschaftler Hannes Schammann.
       Ähnliches beobachtet Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations-
       und Migrationsforschung. „Unsere Gesellschaft befindet sich in multiplen
       Krisen und Menschen fürchten eine Verschlechterung ihrer
       Lebensbedingungen“, sagt Engler. „Das ist das eigentliche Problem.“ Aber
       von einer ehrlichen Diskussion über eine gerechtere Gesellschaft für alle
       hat sich die Politik seit Beginn der Regierung Merz noch weiter entfernt.
       Muss man sich also damit abfinden, dass das Asylrecht von
       Politiker*innen immer weiter demontiert wird, die sich davon Stimmen
       frustrierter Wähler*innen erhoffen?
       
       Im Gegenteil. Statt einfach zuzusehen, braucht es [2][konkrete Ideen für
       eine progressive Fluchtpolitik], die sowohl Wohlergehen und Würde der
       Geflüchteten schützt, als auch neuen Rückhalt in der Bevölkerung findet.
       Die taz hat Ideen zusammengetragen, wie das gelingen könnte.
       
       Arbeit
       
       Ein großer Teil der Fluchtmigration nach Europa ist sogenannte gemischte
       Migration. Die Menschen haben unterschiedliche, sich oft überschneidende
       Gründe, ihre Heimat zu verlassen: Kriege, Naturkatastrophen oder Verfolgung
       im Herkunftsland einerseits, die Hoffnung auf ein besseres Leben, einen Job
       oder eine Zukunftsperspektive andererseits. Wer aber nicht unmittelbar
       durch Krieg oder politische Verfolgung bedroht ist, hat nach den Kriterien
       des Asylsystems selten Anspruch auf Schutz.
       
       Ein Beispiel aus dem November 2024 veranschaulicht dies. Damals berichteten
       viele Medien über zehn Kolumbianer*innen, die in einem Pflegeheim im
       niedersächsischen Wilstedt arbeiteten. Sie waren als Geflüchtete gekommen,
       doch ihre Asylanträge wurden abgelehnt. Deshalb sollten sie
       [3][abgeschoben] werden. Nicht nur die Heimbewohner*innen, sondern auch die
       Betreiberfirma protestierte. Der öffentliche Druck wurde schließlich so
       groß, dass sich der damalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
       (SPD) einschaltete und erreichte, dass die zehn bleiben durften.
       
       Für die Kolumbianer*innen war das Asylsystem offensichtlich der
       falsche Weg. Es wäre besser gewesen, wenn sie als reguläre
       Arbeitsmigrant*innen hätten kommen können. Dann hätten sie sich die
       quälende Wartezeit im Asylverfahren sparen können. Der Betreiber des
       Pflegeheims hätte die dringend gesuchten Arbeitskräfte gewonnen, ohne dass
       ihnen ständig die Abschiebung drohte. Die Behörden wären entlastet worden.
       Und: Wer arbeitet, muss keine Sozialleistungen beziehen. Das schont die
       Sozialsysteme und nimmt Konservativen und Rechten zugleich eines ihrer
       liebsten Argumente gegen Zuwanderung.
       
       Nur: Es gibt bisher kaum legale Einreisewege für Arbeitsmigrant*innen.
       Auch wenn die Ampelregierung mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz versucht
       hat, die Anerkennung von Berufsabschlüssen zu vereinfachen und Hürden
       abzubauen, ist es nach wie vor schwierig, mit einem Arbeitsvisum nach
       Deutschland zu kommen. Menschen, die nie die Möglichkeit hatten, eine
       reguläre Ausbildung zu machen, haben fast gar keine Chance.
       
       Die „Westbalkanregelung“ zeigt in Ansätzen, dass es auch anders geht. Pro
       Jahr können bislang 50.000 Personen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina,
       Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien zum Arbeiten nach
       Deutschland kommen. Das gilt unabhängig von ihrer Qualifikation, allerdings
       müssen sie ein konkretes Jobangebot vorweisen können. Der Haken an der
       Sache: Parallel zur Einführung dieser Regelung erklärte Deutschland alle
       Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern. Dadurch werden die Chancen auf
       einen Schutzstatus im Asylverfahren reduziert, juristische Gegenwehr
       erschwert und Abschiebungen beschleunigt.
       
       Möglichkeiten für Arbeitsmigration sollten nicht als Vorwand dienen, um das
       Recht auf Asyl weiter auszuhöhlen. Der erste Teil des Pakets, der legale
       Routen für gelernte wie ungelernte Migrant*innen schaffen soll, ist
       jedoch der richtige Weg zu einer realistischen Migrationspolitik. Denn:
       Menschen werden weiter migrieren, auch wenn sie dafür immer gefährlichere
       Routen nehmen müssen.
       
       Damit Geflüchtete es in einen legalen Aufenthalt schaffen, würde auch der
       sogenannte Spurwechsel helfen. Wer während des Asylverfahrens eine
       [4][Anstellung als Fachkraft] findet, kann bislang nur unter komplizierten
       Bedingungen in einen anderen Aufenthaltstitel wechseln. Geflüchteten, deren
       Asylantrag abgelehnt wurde oder die aus anderen Gründen eine Duldung haben,
       sind zum Teil noch immer Arbeitsverbote auferlegt. In der Folge sind
       Menschen häufig in einer Situation gefangen, in der sie staatliche
       Leistungen in Anspruch nehmen müssen, obwohl sie eigentlich arbeiten oder
       eine Berufsausbildung beginnen wollen. Davon hat niemand etwas. Viel
       besser ist es, wenn Menschen sich durch Job, Ausbildung oder Studium eine
       selbstbestimmte Existenz aufbauen können – auch wenn ihr Asylantrag
       abgelehnt wird.
       
       Ordnung
       
       Was das Schlagwort Migration im politischen Diskurs so vergiftet hat, hängt
       maßgeblich mit dem behaupteten „Kontrollverlust“ zusammen, als die Behörden
       im Jahr 2015 mit der Registrierung der Neuankommenden nicht mehr nachkamen.
       Bis heute ist es die vermeintlich „unkontrollierte“ Zuwanderung, vor der
       konservative und rechte Politiker*innen stets warnen. Egal wie
       restriktiv die Grenzpolitik ist, die Angst vor dem Kontrollverlust bleibt
       wirkmächtig.
       
       Auch wenn große Fluchtbewegungen oft unübersichtlich sind, gibt es Wege,
       für mehr tatsächliche und gefühlte Ordnung zu sorgen. Davon profitieren
       auch die Geflüchteten. Resettlementprogramme etwa können hierbei eine
       wichtige Rolle spielen. Dabei wählen UN-Mitarbeitende in den Nachbarländern
       von Krisenregionen schutzbedürftige Geflüchtete aus. Anschließend werden
       die Menschen eingeflogen, ohne dass sie hier noch einmal ein Asylverfahren
       durchlaufen müssen.
       
       Bislang sind Resettlementprogramme weltweit eher klein, aber es gibt sie:
       Im Jahr 2024 wurden rund 120.000 Menschen damit in Sicherheit gebracht,
       Deutschland bot rund 3.000 Aufnahmeplätze. [5][Um die Kapazitäten deutlich
       zu steigern, wären große Investitionen nicht nur bei der UN, sondern auch
       hierzulande nötig]. Leider tut die aktuelle Bundesregierung das Gegenteil
       und hat Resettlementaufnahmen ausgesetzt.
       
       Das zeigt, dass Resettlement alleine anfällig für staatliche Willkür ist.
       Aber als alternativer Zugangsweg neben dem individuellen Asylrecht kann es
       verbliebene Migrationsrouten entlasten und für mehr Ordnung sorgen. Niemand
       sollte bei der Fahrt über das Mittelmeer sein Leben riskieren müssen. Eine
       belastbare Resettlementinfrastruktur bei der UN ist auch Bedingung dafür,
       dass mehr Länder Geflüchtete aufnehmen. Bislang bleibt die Aufnahme
       überwiegend an Ländern mit kleiner oder mittlerer Wirtschaftsleistung
       hängen. Staaten, die weniger als 1,3 Prozent des weltweiten
       Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften, nehmen 20 Prozent aller
       Schutzsuchenden auf. Industrienationen und Schwellenländer wie China,
       Japan, Polen oder Australien hingegen nehmen fast niemanden auf.
       
       Deutschland gehört bislang noch zu den größten Aufnahmeländern und sollte
       mehr auf Resettlement setzten. Es sollte auch darauf drängen, dass mehr
       Staaten sich beteiligen. Denn Resettlements demonstrieren, dass es möglich
       ist, Geflüchteten in großem Maßstab Schutz zu bieten – auf sicheren und
       legalen Migrationsrouten.
       
       Bildung
       
       Wer will, dass sich Geflüchtete gut in die deutsche Gesellschaft einfinden,
       muss dafür sorgen, dass sie schnell Deutsch lernen können. Das
       Bildungssystem ist aber auch deshalb wichtig, weil mehr als ein Drittel
       der Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, jünger sind als 16 Jahre.
       
       Im Jahr 2016 [6][untersuchten] Forscher*innen, wie geflüchtete Kinder in
       Berliner Grundschulen aufgenommen wurden. Die meisten zugewanderten Kinder
       besuchten sogenannte Willkommensklassen, in denen sie möglichst intensiv
       Deutsch lernen sollten. Einige der Grundschulkinder aus der Studie
       besuchten aber auch Schulen, in denen sie sofort am Unterricht der
       Regelklassen teilnahmen und meist zusätzlich Deutschunterricht erhielten.
       
       Das Ergebnis: Kinder in Willkommensklassen waren an vielen Schulen vom
       regulären Schulalltag separiert. Aufgrund der ständigen Fluktuation in den
       Klassen – verursacht durch Verlegungen, Abschiebungen und neu hinzukommende
       Kinder – war kontinuierliches Lernen schwierig. Spätere [7][Studien]
       zeigen, dass Kinder in den Willkommensklassen weniger Deutsch lernen und
       auch in anderen Fächern schlechter abschneiden. Zudem schaffen sie seltener
       den Sprung aufs Gymnasium.
       
       Kinder, die im Schulalter nach Deutschland kommen und keinen geschützten
       Raum in Form von Willkommensklassen benötigen, sollten also direkt in
       Regelklassen eingeschult werden und dort zusätzlichen Deutschunterricht
       erhalten. Insbesondere bei Grundschülern gibt es kaum Gründe, sie separiert
       zu beschulen. Geflüchtete Kinder sollten außerdem nicht erst nach der
       Zuweisung an eine Kommune, sondern auch während der Zeit in der
       Erstaufnahmeeinrichtung in die Schule gehen, wie es in einigen
       Bundesländern üblich ist. Je kürzer die Bildungsverläufe unterbrochen sind,
       desto einfacher ist es, gut in den Schulalltag zurückzufinden.
       
       Nicht vergessen werden dürfen Bildungsangebote für erwachsene Geflüchtete.
       Derzeit besuchen sie sogenannte Integrationskurse, in denen ihnen
       grundlegende Kenntnisse über die deutsche Gesellschaft und vor allem die
       deutsche Sprache vermittelt werden. Allerdings ist das System in schlechtem
       Zustand. Die meist sehr engagierten Sprachlehrer*innen werden schlecht
       bezahlt und sind bei den meisten Trägerorganisationen nicht einmal fest
       angestellt. Die Unterrichtsräume sind teils marode, außerdem gibt es
       schlicht zu wenige Plätze. Zuletzt betrug die Zeit zwischen der
       Berechtigung zur Teilnahme an einem Kurs und Unterrichtsbeginn mehr als
       vier Monate.
       
       Hintergrund sind die Wirrungen um deren Finanzierung aufgrund des
       Sparkurses der Ampel, der lange unklaren Haushaltslage für das laufende
       Jahr und widersprüchlichen Informationen aus den Ministerien. Die offenen
       Fragen sind inzwischen ausgeräumt und die Finanzierung zumindest für 2025
       gesichert. Doch es bräuchte noch einmal deutlich größere Investitionen, um
       das gesamte System so zu gestalten, dass alle Geflüchteten schnell die
       erforderlichen Kenntnisse vermittelt bekommen, um wirklich ankommen zu
       können.
       
       Wohnen
       
       Bislang werden Geflüchtete nach dem Königsteiner Schlüssel zunächst auf die
       Bundesländer und später auf die Kommunen verteilt. Zunächst dürfen sie die
       Kommune nicht verlassen, auch später bleibt ihr Wohnort vorgegeben. Das
       erzeugt Frust. Weder haben die Geflüchteten Einfluss darauf, wo sie
       unterkommen, noch haben die Kommunen Einfluss darauf, wen sie zugeteilt
       bekommen.
       
       Im schlimmsten Fall strandet ein geflüchteter Metallbauer in einem Dorf, in
       dem es keine Arbeitsplätze gibt, dafür aber viele AfD-Wähler*innen.
       Wegziehen darf er nicht. Dass andernorts Firmen verzweifelt Arbeitskräfte
       suchen, es Wohnraum gibt und vielleicht sogar schon Verwandte vor Ort
       leben, wird ignoriert.
       
       Zwei Pilotprojekte zeigen, wie es anders gehen könnte. Re:Match und
       Match’In. In beiden [8][Projekten] geben Geflüchtete an, was ihnen wichtig
       ist, und die Kommunen sagen, wen sie besonders gut unterbringen können. Ein
       Algorithmus ordnet die Personen und Kommunen dann so zueinander, dass sie
       möglichst gut zusammenpassen. Im besten Fall kann der Metallbauer dann bei
       seinen Verwandten einziehen, während der Wärmepumpenhersteller eine neue
       Fachkraft gewinnt. Freizügigkeit sollte sich aber nicht nur auf die
       beschränken, die bestimmte Qualifikationen vorweisen können, sondern für
       alle gelten.
       
       Ein Problem ist aber auch die Art der Unterkünfte selbst. Vielerorts
       dominieren große Sammelunterkünfte mit wenig Privatsphäre. In den oft
       abgelegenen Einrichtungen sind die Menschen vom Rest der Gesellschaft
       abgeschnitten. Das macht es schwer, sich einzufinden, Deutsch zu lernen
       oder einen Job zu finden. Anwohner*innen versuchen oft, den Bau neuer
       Sammelunterkünfte zu verhindern – teils aus rassistischen Ressentiments,
       aber auch, weil anliegende Flüchtlingsunterkünfte in einer rassistischen
       Gesellschaft einen Wertverlust der eigenen Immobilien bedeuten können.
       
       Neben diesen sozialen Spannungen bedeuten die Sammelunterkünfte für die
       Kommunen auch hohe Kosten. Zwielichtige Betreiberfirmen sparen oft an
       Instandhaltung oder dem Essen, erhalten von den Kommunen aber Summen, die
       weit über den üblichen Mieten auf dem privaten Markt liegen.
       
       Eine Alternative ist die Unterbringung von Geflüchteten in regulären
       Mietwohnungen. Diese sind oft billiger, bieten bessere Lebensbedingungen
       und fördern den Kontakt zu Alteingesessenen. Beim Gespräch im Treppenhaus
       merkt vielleicht auch der eine oder andere Aufnahme-Skeptiker, dass die
       neuen Nachbarn eigentlich ganz nett sind.
       
       Das offensichtliche Problem ist der vielerorts sehr angespannte Mietmarkt,
       auf dem Geflüchtete mit ihren anfänglich schlechten Sprachkenntnissen und
       wenigen Kontakten kaum eine Chance haben. Es würde zumindest etwas
       leichter, wenn die Wohnsitzauflage gestrichen würde, die
       Asylbewerber*innen an eine bestimmte Kommune fesselt. Ein größerer
       Suchradius bedeutet schließlich auch mehr potenzielle Treffer. Dass dies
       die Chancen zumindest etwas verbessert, hat sich 2022 bei den aus der
       Ukraine geflüchteten Menschen gezeigt, für die diese Auflage nicht galt.
       
       Außerdem könnten die Kommunen verstärkt darauf setzen, selbst
       Privatwohnungen anzumieten, um dort Geflüchtete unterzubringen.
       Letztendlich bräuchte es aber wohl das, was allen anderen Mieter*innen
       auch hilft: Mietpreisdeckel und Neubau in großem Stil.
       
       Sicherheit
       
       Gewalttaten, die von Geflüchteten begangen werden, bekommen deutlich mehr
       öffentliche Aufmerksamkeit und werden anders diskutiert als Taten von
       Nichtzugewanderten. Während bei deutschen Täter*innen das Motiv im
       Vordergrund steht, geht es bei tatverdächtigen Asylsuchenden sofort um
       Aufenthaltsstatus und Herkunft. [9][Diese Doppelstandards sind nachgewiesen
       und verzerren das Bild von Geflüchteten].
       
       Gleichzeitig gilt: Jede Gewalttat ist eine zu viel. Die Taten einzelner
       Geflüchteter treffen nicht nur die Opfer und Angehörigen, sondern auch
       Geflüchtete. Denn für ihre gesellschaftliche Akzeptanz sind diese Fälle
       Gift. Auf die islamistische Messerattacke von Solingen im Herbst 2024 durch
       einen Geflüchteten reagierte die Ampelkoalition mit einer massiven
       Verschärfung des Asylrechts. Als ein psychisch kranker Geflüchteter in
       Aschaffenburg ein Kleinkind und einen Erwachsenen erstach, stimmten Union
       und AfD erstmals gemeinsam für die Zurückweisung von Asylsuchenden an den
       Grenzen.
       
       Geflüchtete werden außerdem selbst oft Opfer von Gewalttaten. Im Jahr 2024
       registrierten die Behörden insgesamt 1.905 rechte Straftaten gegen
       Geflüchtete außerhalb von Unterkünften, darunter 237 Gewalttaten. Hinzu
       kamen rund 200 politische Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, bei denen
       teilweise Menschen körperlich verletzt wurden. Die Dunkelziffern liegen
       wohl noch viel höher. Auch in der Statistik aller politischen Gewalttaten
       dominieren rechte Täter*innen.
       
       Die Sicherheitslage verbessern könnte eine bessere Zusammenarbeit der
       Landes- und Bundesbehörden, die bis heute unterschiedliche Datenplattformen
       und Schnittstellen nutzen. Erkenntnisse über gefährliche Personen kommen so
       teils nicht bei den zuständigen Stellen an.
       
       Helfen könnte aber auch ein Ansatz aus den USA. Bei der
       [10][Leaking-Analyse] werden Tatankündigungen durch Hinweise aus der
       Bevölkerung in speziellen Anlaufstellen gesammelt. Denn es gibt typische
       Verhaltensmuster, die fast ausschließlich von Personen gezeigt werden, die
       später tatsächlich Verbrechen begehen. Wer etwa plant, viele Menschen zu
       töten, befindet sich in einer psychischen Ausnahmesituation und hinterlässt
       zwangsläufig Hinweise, macht Andeutungen und sucht im Internet nach ganz
       bestimmten Begriffen.
       
       Bislang versuchen die Behörden, gefährliche Personen hauptsächlich anhand
       von Risikofaktoren zu identifizieren, beispielsweise persönliche
       Verbindungen zu bekannten Islamist*innen oder Rechtsextremist*innen.
       Das trifft jedoch auch auf sehr viele Menschen zu, die niemals gewalttätig
       werden.
       
       Hilfreich wären auch mehr Mittel für Präventionsprojekte und
       Deradikalisierungsprogramme, die sich sowohl gegen Islamismus als auch
       gegen Rechtsextremismus richten. Ein verbesserter Zugang zu psychologischer
       Betreuung für Geflüchtete könnte möglicherweise einzelne Gewalttaten
       verhindern. Bisher gibt es solche Angebote nur von den unterfinanzierten
       psychosozialen Zentren.
       
       Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich nicht alle Taten verhindern
       lassen werden. Zumal die politische Stimmung die Lage derzeit eher anheizt.
       Dass Geflüchtete stigmatisiert und diskriminiert werden, in
       Massenunterkünften untergebracht und ohne Arbeits- oder
       Ausbildungsperspektive in der Schwebe gehalten werden, kann schwere
       psychische Krankheiten oder auch Radikalisierung begünstigen. Eine ehrliche
       Sicherheitspolitik müsste sich diesen Herausforderungen stellen.
       
       16 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3456.html
 (DIR) [2] /Forscher-ueber-Einwanderungspolitik/!6068188
 (DIR) [3] /Abschiebung-von-Pflegekraeften/!6045722
 (DIR) [4] /Fluechtlingsheim-in-Schmerwitz/!6086794
 (DIR) [5] /Bericht-des-UNHCR-zu-Resettlement/!5662068
 (DIR) [6] https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Expertise_Willkommensklassen.pdf
 (DIR) [7] https://pressemitteilungen.pr.uni-halle.de/index.php?modus=pmanzeige&pm_id=5943
 (DIR) [8] /Ein-Algorithmus-fuer-bessere-Integration/!6034867/
 (DIR) [9] /Todesfahrt-in-Mannheim/!6070428
 (DIR) [10] /War-der-Messerangriff-von-Bielefeld-zu-verhindern-Eine-Psychologin-teilt-Erkenntnisse/!6086070
       
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       In der Podcastreihe „geschafft?“ berichten geflüchtete Journalist*innen,
       die 2015 nach Deutschland kamen, über ihren Alltag. Selma Kral ist hier zu
       Gast.
       
 (DIR) Geflohene gewinnen vor Gericht: Gericht stoppt „Bild“-Pranger
       
       Nach einem Urteil des Landgerichts Frankfurt darf „Bild“ drei
       Somalier:innen nicht mehr erkennbar zeigen – wegen unzulässiger
       Stigmatisierung.
       
 (DIR) Psychologin über Gewalttaten: „In der Realität wird die Gefahr oft nicht erkannt“
       
       Sind Fälle wie der Messerangriff von Bielefeld zu verhindern? Psychologin
       Rebecca Bondü erforscht, wie sich potenzielle Täter durch ihr Verhalten
       verraten.
       
 (DIR) Flüchtlingsheim in Schmerwitz: Kunstraum statt Wohncontainer
       
       Eine linke Gemeinde in Brandenburg will Geflüchteten einen guten Ort zum
       Leben bieten und sie schnell in Arbeit bringen. Ginge das auch anderswo?
       
 (DIR) Integration von Geflüchteten: Gut angekommen
       
       Die Kinder nennen sie Miss Tara. Vor zwei Jahren floh Masoume Taravatipak
       aus dem Iran. Heute arbeitet sie als Lehrerin in Brandenburg.