# taz.de -- Weihnachtsessen in Polen: Festschmaus mit zwölf Gängen
> Heu unter der Tischdecke und Oblaten zur Versöhnung: Das Festmahl am
> Abend des 24. Dezember folgt in unserem Nachbarland klaren Regeln.
(IMG) Bild: Mit der Suppe geht es los
Kurz vor Weihnachten duftet es in Polens Zeitungskiosken nach frischem Heu,
würzig und doch ganz zart. Viele Polen fragen schon Tage vorher nach dem
Termin der „Heu-Ausgabe“ der Tageszeitungen, denn das in Zellophan
verpackte getrocknete Gras riecht viel intensiver als das aus dem
Supermarkt oder der Kirche. Und eine Handvoll Heu ist dieser Tage
unabdingbar. An wigilia, dem Weihnachtsabend, wird es unter der Tischdecke
platziert. Es symbolisiert den Stall in Bethlehem, in dem Jesus zur Welt
kam. Es gibt sogar Tischdecken speziell für diesen Anlass, mit einer
ausgeschnittenen und mit Ziernaht eingefassten Raute in der Mitte.
Anders als in vielen Ländern Westeuropas wird in Polen aber keine knusprige
Pute oder gar eine „polnische Gans“ aufgetischt. Vielmehr ist die ganze
Familie tagelang damit beschäftigt, mindestens zwölf Speisen vorzubereiten,
darunter als Hauptgericht einen großen gebratenen Karpfen. Die zwölf
Speisen stehen für die zwölf Jünger Jesu, doch nehmen es viele mit der Zahl
nicht so genau. Wichtig ist nur, dass alle am Tisch die Tradition kennen
und vielleicht auch darüber plaudern. Die Gerichte sind fleischfrei, weil
sich viele polnische Familien bis heute an die – vom Papst längst
aufgehobene – Fastenzeit halten, die einst vom St.-Martinstag bis zum
Dreikönigstag dauerte.
Richtig los geht es abends am 24. Dezember, wenn der erste Stern am Himmel
zu sehen ist. Er soll an den Stern von [1][Bethlehem] erinnern, der die
drei Könige zum Geburtsort von Jesus leitete. Wenn dann die Kerzen am
Tannenbaum brennen und das Glöckchen läutet, darf man ins festlich
geschmückte Wohnzimmer.
Dann beginnt das „Oblaten-Brechen“. Die Weihnachtsoblate ist rechteckig
oder auch rund, sie hat einen Durchmesser von knapp acht Zentimeter und
wurde von einem Priester geweiht. Man bricht von der Oblate der jeweils
anderen Person ein kleines Stück ab und isst es, wünscht dann alles Gute
für das kommende Jahr, umarmt sich und wendet sich der nächsten Person zu.
Das Oblatenbrechen ist auch eine Gelegenheit, um sich gegenseitig zu
vergeben oder einen Streit aus dem vergangenen Jahr beizulegen. Es soll an
das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern erinnern. Anschließend wird
ein erstes Weihnachtslied gesungen.
Erst danach setzen sich alle an die gedeckte Festtafel. Der polnische
Weihnachtsschmaus beginnt klassisch mit einer [2][Rote-Bete-Suppe], in der
uszka schwimmen – kleine zu „Öhrchen“ gebogene Piroggen mit einer
Steinpilzfüllung. Von da an gibt es keine feste Reihenfolge mehr, jeder
nimmt sich von den Gerichten, worauf er gerade Lust hat. Es gilt nur eine
Regel: Alle müssen von jedem Gericht zumindest gekostet haben. Auf dem
Tisch muss es zudem ein Gedeck für einen unerwarteten Gast geben oder auch
für einen lieben und bereits verstorbenen Verwandten, den man an diesem
besonderen Abend fröhlich miteinbeziehen will.
[3][Der Karpfen] wird je nach Tradition des Hauses knusprig gebraten oder
auch paniert und ausgebacken serviert. Meist wird er auch zu weiteren
Gerichten verarbeitet, etwa als Karpfensalat in einer Pilz-Sauerkraut-Sauce
oder als Karpfenhäppchen gefüllt mit einer Petersilienpaste.
Als Beilage kommen meist dampfende Kartoffeln oder Schlesische Klößchen auf
den Tisch. Beliebt sind auch gebratene Piroggen mit einer
Frischkäse-Zwiebel-, einer Spinat-Sauerrahm- oder einer klassischen
Pilz-Kraut-Füllung. Fingergerecht zugeschnittene Sticks aus Möhren,
Stangensellerie und sauren Gurken gehören zu den frischen Snacks,
frittierte Champignons im Teigmantel und goldbrauner Backfisch aus Kabeljau
zu den heißen. Dazu gibt es scharfe Meerrettich-Dips, gerne auch verfeinert
mit Roter Bete, Kurkuma oder Petersilie, die die Dips rot, gelb oder grün
einfärben.
Natürlich muss noch Platz für einen Nachtisch bleiben. Das ist oft ein
Mohnkuchen oder die Süßspeise kutia, die aus gerösteten Getreidekörnern,
viel Mohn, kleingehackten Feigen und Datteln, Rosinen, Honig und
verschiedenen Nüssen besteht. Der Mohn soll dafür sorgen, dass das
Portemonnaie im kommenden Jahr immer gut gefüllt ist.
Dazu trinkt man kompot, für den an Weihnachten traditionell Trockenfrüchte
heiß aufgegossen werden. Der Weihnachts-kompot hat einen leicht
rauchig-würzigen Geschmack und kann sowohl heiß als auch kalt genossen
werden. Alkohol darf auf der polnischen Weihnachtstafel ebenfalls nicht
fehlen. Oft ist dies ein klarer Wodka, sehr beliebt sind aber auch
selbstgemachte nalewki – Liköre, die durch das Aufgießen von Wodka auf
Früchte wie Sauerkirschen, Quitten oder Waldbeeren entstehen. Gerne
verwendet werden auch Kräuter, Gewürze oder Honig. Der Geschmack ist sehr
intensiv. Die besten nalewki sind um die fünf Jahre alt.
Zwischendurch werden die Geschenke ausgepackt. Und gegen Ende des langen
Abends besuchen die Erwachsenen die Mitternachtsmesse. Sind die Kinder zu
aufgedreht, um ins Bett zu gehen, kommen sie einfach mit. An Weihnachten
kann man da schon mal eine Ausnahme machen.
24 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Adventszeit-in-Palaestina/!6137478
(DIR) [2] /Kueche-in-der-Ukraine/!5865158
(DIR) [3] /Karpfen/!t5034460
## AUTOREN
(DIR) Gabriele Lesser
## TAGS
(DIR) wochentaz
(DIR) Weihnachten
(DIR) Essen
(DIR) Lebensmittel
(DIR) Polen
(DIR) Karpfen
(DIR) Social-Auswahl
(DIR) Ernährung
(DIR) Breslau
(DIR) Kantinenessen
(DIR) Kolumne Stadtgespräch
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Expertin rät zu intuitivem Essen: „Weihnachten ist das Fest des diet talks“
Zu viel über das eigene Essverhalten nachzudenken, schadet nur, sagt Nora
Stankewitz. Ein Gespräch über Hüttenkäse, Doppelmoral und das schlechte
Gewissen an den Festtagen.
(DIR) Kulturzug zwischen Berlin-Wrocław: Letzte Fahrt der Versöhnung
In einem besonderen Waggon finden Lesungen, Konzerte und Ausstellungen
statt, die dem deutsch-polnischen Austausch dienen. Jetzt droht dem Projekt
das Aus.
(DIR) Milchbars in Polen: Die unverwüstliche Kantine
Sie bietet deftige Suppen und Piroggen, ist konkurrenzlos günstig und
gerade bei jungen Leuten beliebt. Über die Milchbar in polnischen
Innenstädten.
(DIR) Kulturpalast in Warschau: Vom Symbol der Sowjetmacht zur kulturellen Heimat
Den Kulturpalast, einst ein Geschenk Stalins, möchten viele Polen nicht
mehr missen. Nun feiert das gigantische Bauwerk seinen 70. Geburtstag.