# taz.de -- Expertin rät zu intuitivem Essen: „Weihnachten ist das Fest des diet talks“
> Zu viel über das eigene Essverhalten nachzudenken, schadet nur, sagt Nora
> Stankewitz. Ein Gespräch über Hüttenkäse, Doppelmoral und das schlechte
> Gewissen an den Festtagen.
(IMG) Bild: Isst Intuitiv: Die Autorin Nora Stankewitz
taz: Ich hatte heute zum Frühstück Obst und zwei Scheiben Vollkornbrot mit
Hüttenkäse und Honig. Zu Mittag gab’s mit Käse überbackenen Brokkoli und
Kartoffeln, hinterher [1][einen Schokoriegel]. Wie intuitiv war das?
Nora Stankewitz: Das kommt darauf an, wie viele Gedanken Sie sich vor,
während und nach dem Essen gemacht haben und wie Sie sich währenddessen
gefühlt haben. Es gibt Menschen, die sagen sich, sie müssen super gesund
essen, also [2][keinen Zucker], nichts Verarbeitetes, nur Vollkorn, keine
Nudeln am Abend und so weiter. Und wenn sie das mal nicht getan haben,
erleben sie danach wahnsinnige Schuldgefühle. Oder sie essen mehr vom
Abendessen, als sie sich vorgenommen hatten, und danach herrscht
Weltuntergangsstimmung. Es geht beim [3][intuitiven Essen] also vor allem
darum, was das Thema Essen in uns auslöst.
taz: Im Internet ist oft von intuitivem Essen die Rede als der Methode, um
nachhaltig abzunehmen. Sie sprechen auf Ihrer Website kein einziges Mal vom
Abnehmen.
Nora Stankewitz: Darum sollte es auch nicht gehen, sondern darum, den
Wunsch abzulegen, einem bestimmten Körperideal entsprechen zu wollen, und
stattdessen eine Akzeptanz dem eigenen Essen und dem eigenen Körper
gegenüber zu entwickeln, auch wenn man damit vielleicht nicht oder nicht
immer zufrieden ist. Aber natürlich bringen viele Frauen den Wunsch,
abzunehmen, mit in die Beratung. Deshalb kann ich das Thema auch nicht
ausklammern. Mir geht es darum, auch zu hinterfragen, welche Bedürfnisse
hinter dem Wunsch nach Gewichtsverlust oder -kontrolle stecken.
taz: Wann verabschiede ich mich vom intuitiven Essen?
Nora Stankewitz: Wenn Gefühle von Druck, Zwang oder Schuld das Essverhalten
bestimmen. Das bemerke ich zurzeit häufig bei Müttern. Viele nehmen während
der Schwangerschaft zu und sagen danach, sie schaffen es einfach nicht,
ihre Kilos wieder loszuwerden. Aber müssen sie das überhaupt? Unsere
Gesellschaft propagiert bis heute die Idee, dass eine Frau nach der Geburt
ihres Babys genauso aussehen soll wie vorher. Aber das geht nicht. Körper
verändern sich.
taz: Wie lässt sich die eigene Intuition schärfen, wenn es ums Essen geht?
Nora Stankewitz: Es geht darum, auf die eigenen Körpersignale zu hören oder
diese überhaupt erst einmal wiederzuentdecken, also Hunger, Lust,
Sättigung. Viele essen erst etwas, wenn ihr Magen knurrt und ihr
Energielevel ganz unten ist. Dabei zeigt sich Hunger schon deutlich früher,
durch Unkonzentriertheit, Ungeduld oder Kopfschmerzen. Es geht darum,
(wieder) ein Gefühl dafür zu bekommen, was und wie viel der Körper braucht,
und ihm das auch zu geben. Ich höre immer wieder Frauen sagen, sie müssten
ihren Heißhunger am Abend in den Griff kriegen. Aber dann stellt sich oft
heraus, dass sie über den Tag viel zu wenig essen. Das langfristig zu
ändern, ist für viele wiederum mit der Angst vorm Zunehmen verbunden.
taz: Wie sind Sie zu dem Thema intuitives Essen gekommen und welche Rolle
spielte dabei Ihr Aufwachsen in den 1990ern und 2000ern?
Nora Stankewitz: Ich litt in meiner Jugend an einer Essstörung, die ich
dank Therapie relativ gut überwunden habe. Deshalb hat mich vor allem meine
eigene Betroffenheit zu dem Thema geführt. Sicher hätte ich die Essstörung
auch ohne die Trends meiner Jugend entwickelt. Aber rückblickend finde ich
es erschreckend, was uns damals in Fernsehen und Werbung präsentiert,
welche Körperbilder propagiert wurden. Das war ja die Zeit von Kate Moss,
Size Zero und den ersten Staffeln von Germany’s Next Topmodel. Es gibt
immer Leute, die sagen, allein durch solche Formate und Trends entwickelt
man keine Essstörung. Das stimmt. Aber wenn die Resilienz sowieso schon
angeknackst ist, wenn man gerade eine Veränderung im Leben durchmacht,
deren Bewältigung einem schwerfällt, dann können solche Trends am Ende
ausschlaggebend sein. Weil Körper leider einfach wunderbare Orte sind, an
denen wir unseren Wunsch nach Kontrolle ausleben können. Auch weil wir in
einer Gesellschaft leben, die diese Kontrolle mit Komplimenten und Status
belohnt.
taz: Warum sprechen Sie in Ihren Angeboten explizit Frauen an?
Nora Stankewitz: Weil wir bis heute in patriarchalen Strukturen leben, in
denen Frauen vermittelt bekommen, dass sie möglichst attraktiv zu sein und
möglichst wenig Raum einzunehmen haben, sowohl mit ihrem Körper als auch
mit ihren Bedürfnissen. Dabei geht es darum, männlichen Ansprüchen zu
genügen und die männliche Dominanz aufrechtzuerhalten. Diese permanente
Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper kostet Frauen so viel Zeit und
Energie, die ihnen dann für andere, vielleicht wichtigere Kämpfe fehlt.
Deshalb geht es beim intuitiven Essen für mich auch um Emanzipation.
taz: Inwiefern?
Nora Stankewitz: Wenn es eine Frau schafft, endlich Frieden zu schließen
mit ihrem Essverhalten, zu sagen, ich schere mich jetzt nicht mehr darum,
ob mir die Hose von 1990 noch passt, dann entsteht ein neues
Selbstbewusstsein, das auch in andere Lebensbereiche ausstrahlen kann.
Nicht wenige fangen dann an zu hinterfragen: Welches Leben führe ich
eigentlich? Bin ich überhaupt zufrieden mit der Partnerschaft, die ich
aktuell führe?
taz: Weihnachten ist die Zeit von Stollen, Plätzchen und Punsch. Das
Internet ist voll mit Tipps, meist adressiert an Frauen, wie die
Feiertagskilos danach möglichst schnell wieder verschwinden. Was macht
Weihnachten mit unserem Essverhalten?
Nora Stankewitz: Zu keinem anderen Zeitpunkt im Jahr werden wir so viel mit
Essen konfrontiert. Das kann für viele Stress bedeuten. Weil sie essen
sollen, was ihnen eigentlich nicht schmeckt. Oder weil sie weiter essen
sollen, obwohl sie satt sind. Weihnachten ist auch das Fest des Diet Talks,
also der Gespräche übers Abnehmen. Es wird kommentiert, was man isst, wie
viel man isst, wie der Körper im Vergleich zum letzten Weihnachten aussieht
und ob man nicht lieber ein bisschen aufpassen solle. Viele Frauen plagt
die Angst über Weihnachten zuzunehmen, manche machen deshalb sogar eine Art
Vordiät. Das zeigt, wie gestört unser Verhältnis zu Essen ist. Weil da auch
eine Doppelmoral mitschwingt: Während der Feiertage ist es völlig normal,
dass wir uns den Bauch vollschlagen. Wer davon aber zunimmt und die Kilos
nicht sofort wieder loswird, wird mit Schuld und Scham überschüttet.
taz: Wie können wir uns, wenigstens über die Feiertage, davon befreien?
Nora Stankewitz: Wer wirklich Angst vorm Zunehmen hat, sollte darüber
nachdenken, sich professionelle Hilfe zu suchen. Ansonsten würde ich raten,
ganz klar Grenzen zu ziehen. Heißt: Nicht schlecht über den eigenen Körper
oder den der anderen reden und kontern, wenn andere das tun. Ein Verbot für
Diet Talk über die Feiertage, das wäre ein guter Start. Auch um mal zu
schauen, worüber man sich in der Familie noch so unterhalten kann.
26 Dec 2025
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## AUTOREN
(DIR) Laura Catoni
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