# taz.de -- Tag gegen Gewalt gegen Frauen: Solidarität ist männlich
       
       > Patriarchale Gewalt findet nur selten gesamtgesellschaftliche Beachtung.
       > Dabei betrifft sie uns alle. Wie können Männer feministisch handeln?
       
 (IMG) Bild: Feminismus müssen alle durchsetzen
       
       Wütende Flinta* ziehen am Montagabend unter dem Motto „Frauen in die
       Offensive“ bei der Revolutionären Vorabenddemo des 25. Novembers, dem
       internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, durch Friedrichshain. Am
       Dienstagnachmittag folgen zahlreiche Aktionen: eine Kundgebung vor dem
       Brandenburger Tor für die Umsetzung der [1][Istanbul Konvention] sowie die
       Demo [2]["Keine mehr"], die 18 Uhr am Justizministerium startet. Sie alle
       demonstrieren für die unzähligen Frauen, die patriarchale Gewalt erleben
       oder an deren Folgen starben.
       
       In Berlin hat die Zahl der von Gewalt betroffenen Frauen im vergangenen
       Jahr einen neuen Rekordwert erreicht. Laut Senatsinnenverwaltung wurden
       2024 insgesamt 42.751 Frauen Opfer von Gewalt. 2020 waren es noch 31.833.
       Das Dunkelfeld dürfte um ein Vielfaches höher sein.
       
       Dieser alarmierende Missstand wird an 363 Tagen im Jahr nahezu
       ausschließlich von feministischen Gruppen und Frauenrechtsorganisationen
       thematisiert. Gesellschaftliche Beachtung findet er nur an zwei Tagen – dem
       8. März, dem feministischen Kampftag, und dem 25. November. Und selbst dann
       sind es vor allem Flinta*, die sich dazu äußern, mobilisieren und auf die
       Straße gehen.
       
       Viele aufgeklärte cis-Männer meinen, man wäre nur Teil des patriarchalen
       Problems, wenn man eine Frau vergewaltigt hat. Aber sexualisierte Gewalt
       ist nur eine Form patriarchaler Gewalt. Ihr Fundament liegt in den
       Mikroaggressionen im Alltag ebenso wie im strukturellen Desinteresse an den
       gewaltvollen Lebensrealitäten von Flinta*. Um das zu ändern, braucht es
       strukturelle Reformen – aber auch persönliches Umdenken. Was können Männer
       tun?
       
       ## Solidarität gefordert
       
       Wenn wir Feminismus so definieren, dass alle Menschen unabhängig von
       Geschlecht oder Sexualität die gleichen Rechte haben sollen, dann steht
       fest: Alle können sich dafür einsetzen. Viele cis-Männer halten
       feministische Demos jedoch nicht für „ihr Terrain“ und verweisen darauf,
       dass manche Veranstaltungen nur Flinta* vorbehalten sind. Das trifft jedoch
       nur auf einzelne Formate zu. In den meisten Fällen sind cis-männliche
       Verbündete ausdrücklich willkommen – auch bei vielen Demos in diesem Jahr.
       Sich zu zeigen, wäre ein wichtiges Zeichen der Solidarität und hätte
       politische Wirkkraft.
       
       Das gilt auch für den Auftritt in den Sozialen Medien. Unabhängig davon,
       wie man zu Online-Aktivismus steht: Wenn cis-Männer digitale Räume nutzen,
       um sich sichtbar zu äußern, dann müssen sie sie auch nutzen, um
       feministische Inhalte zu teilen, die Männern lehren, wie man sich mit
       anderen verbindet, kommuniziert und solidarisch handelt.
       
       Seit Wochen dominiert die Empörung über Friedrich Merz „Stadtbild“-Aussage
       die Feeds; schließlich geht es um Menschenrechte. Und wenn Frauenrechte
       verletzt werden? Als Rammstein-Frontsänger Till Lindemann kürzlich eine
       Autogrammstunde in Berlin gab? Oder im April, als drei Frauen in Berlin von
       ihren Ex-Partnern getötet wurden? Stille. Als wären Frauenrechte keine
       Menschenrechte.
       
       Ein häufiger Einwand lautet, dass cis-Männern schnell „Performativität“
       unterstellt werde, also, dass sie sich nur zu Selbstvermarktungszwecken
       feministisch inszenieren. Viele schildern, dass sie sich kaum trauen, sich
       zu feministischen Themen zu äußern, weil sie befürchten, missverstanden zu
       werden. Diese Sorge ist nachvollziehbar: In feministischen Kreisen gibt es
       durchaus vorschnelle Kritik an cis-Männern, die sich solidarisch zeigen.
       [3][Der pauschale Vorwurf in der „performative male“-Debatte schadet der
       feministischen Bewegung] mehr, als er nützt.
       
       ## Flinta*-Perspektive im Kopf haben
       
       Solidarität bedeutet, sich für die Realitäten anderer zu interessieren und
       sich auf dieser Grundlage politisch für sie einzusetzen. Cis-Männer müssen
       mit Flinta*-Perspektive im Kopf durch die Welt gehen: nachts auf der
       Straße, in Gesprächen, in Beziehungen, in der Arbeitswelt oder im digitalen
       Raum. Als ein Bekannter beim Scharadespiel neulich „PMS“ mit „PTSD“
       verwechselte, waren die Flinta* am Tisch wenig überrascht und trotzdem
       irritiert. Cis-Männer müssen sich informieren: über Menstruation, PMS,
       Schwangerschaft, postnatale Depression, Verhütung oder das Toxische
       Schocksyndrom.
       
       Wenn cis-Männer mehr Fragen stellen würden, könnten daraus bereichernde
       Gespräche entstehen. Gleichzeitig muss klar sein: sie haben keinen Anspruch
       darauf, in Sachen Feminismus unterrichtet zu werden. Es gibt jedoch
       genügend Bücher, Artikel, Musik, Filme und Veranstaltungen, die sich damit
       befassen. Trotzdem besteht das Publikum meist nahezu ausschließlich aus
       Flinta*. Auch Bahar Haghanipour, die frauenpolitische Sprecherin der
       Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, stellte vor einigen Wochen fest: Fast
       nur weibliche Journalistinnen greifen ihre Themen auf – ohne sie bliebe
       vieles unbesprochen.
       
       Dabei sollten vor allem cis-Männer untereinander über das Patriarchat,
       ihren Anteil daran sowie über Bro- und Rape Culture sprechen. Sie müssen
       ihre eigene Verwicklung erkennen und sich kritisch mit ihrer Männlichkeit
       auseinandersetzen. Einen ersten Schritt in diese Richtung machte der
       [4][Profeministische Kongress, der im September in den Mehringhöfen
       stattfand].
       
       All das ist kein Gefallen an Flinta*-Personen. Das Patriarchat verlangt von
       cis-Männern, emotional verstümmelt zu sein. Es hindert sie daran, Macht
       abzugeben, mit ihren Gefühlen in Berührung zu kommen und offen über
       Emotionen zu sprechen. Die Folge sind fragile Egos. Und da wird ihr Problem
       zum Problem der Flinta*: Besitzdenken, Trennung oder Eifersucht innerhalb
       von (Ex-)Partnerschaften sind mit Abstand der häufigste Auslöser von
       Femiziden. Das ergab eine aktuelle Studie des Instituts für Kriminologie
       der Universität Tübingen und dem Kriminologischen Forschungsinstitut
       Niedersachsen. Bei zwei Dritteln fanden sich Hinweise auf eine sexistische
       Einstellung des Täters.
       
       Cis-Männer könnten durch feministische Perspektiven einen gesünderen Umgang
       mit Emotionen entwickeln und damit auch erfülltere Beziehungen führen. Die
       Folge wäre mehr Verbundenheit und weniger Gewalt. Davon würden nicht nur
       Flinta* profitieren, sondern alle.
       
       25 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Istanbul-Konvention/!t5574951
 (DIR) [2] https://keinemehr.de/
 (DIR) [3] /Tiktok-Trends/!6107969
 (DIR) [4] /Bekaempfung-patriarchaler-Strukturen/!6114468
       
       ## AUTOREN
       
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