# taz.de -- Humanitärer Helfer über Krise in Sudan: „Das Leben hat keine Bedeutung mehr“
       
       > Sudan erlebt derzeit die schlimmste humanitäre Krise der Welt, sagt der
       > Helfer Samy Guessabi. Die Politisierung von humanitärer Hilfe sei
       > gefährlich.
       
 (IMG) Bild: Eine aus El Fasher vertriebene sudanesische Frau im neu errichteten Lager El Afadh in Al Dabbah, Sudan, am 16. 11. 2025
       
       taz: Herr Guessabi, die Milizgruppe RSF unter Mohamed Hamdan Daglo hat eine
       einseitige Waffenruhe ausgerufen. Sudans Militärschef Abdelfattah al-Burhan
       hat bisherige Angebote zum Waffenstillstand abgelehnt. Gibt es Hoffnung auf
       eine Atempause für die sudanesische Bevölkerung? 
       
       Samy Guessabi: Sudan erlebt die schlimmste humanitäre Krise weltweit. In
       der Vergangenheit gingen die Kämpfe trotz der Gespräche über einen
       Waffenstillstand weiter. In El Fasher und Kadugli herrscht Hungersnot.
       Angesichts von über 30 Millionen Menschen, die Hilfe benötigen, hängt die
       Hoffnung davon ab, dass sich alle Parteien wirklich dazu verpflichten, die
       Gewalt zu beenden und humanitären Zugang zu gewähren.
       
       taz: Wie ist die Lage derzeit in [1][El Fasher, das kürzlich von der RSF
       eingenommen] wurde? Können Sie dort helfen? 
       
       Guessabi: Nein, El Fasher können wir derzeit nicht betreten. Viele Menschen
       versuchen, in benachbarte Gebiete wie Tawila zu fliehen, obwohl sie dabei
       Gefahr laufen, angegriffen und getötet zu werden. Sie kommen völlig
       traumatisiert und unterernährt in Tawila an. Dort leisten wir Hilfe.
       [2][Die Gräueltaten in El Fasher] sind wirklich schrecklich und
       gleichzeitig symbolisch für das, was in Sudan geschieht. Als humanitäre
       Organisation versuchen wir, das Leid der Menschen zu lindern und humanitäre
       Hilfe zu leisten. Aber um diesen Krieg zu beenden, sind politische Lösungen
       erforderlich.
       
       taz: Die RSF werden von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Äthiopien
       unterstützt, die sudanesische Armee (SAF) von der Türkei, Iran,
       Saudi-Arabien, Russland und Ägypten? 
       
       Guessabi: In diesem Konflikt stehen sicherlich viele Interessen auf dem
       Spiel, und viele Akteure beeinflussen das Geschehen in Sudan. Unser Auftrag
       ist es, humanitäre Hilfe zu leisten. Wir arbeiten mit allen Akteuren
       zusammen, um Menschen in Not zu helfen. Aber um den Konflikt zu beenden,
       sind politische Lösungen erforderlich. Wir fordern daher die internationale
       Gemeinschaft auf, diesen Konflikt nicht länger zu ignorieren und Maßnahmen
       zu ergreifen.
       
       taz: Auch die EU liefert Waffen an die großen Akteure wie die Emirate und
       Saudi-Arabien, hat Handelsbeziehungen zu den beteiligten Ländern. Sie
       äußert sich zu dem Konflikt in Sudan sehr zurückhaltend. 
       
       Guessabi: Nicht nur die EU, sondern die gesamte internationale Gemeinschaft
       hat sich äußerst zurückhaltend gezeigt. Im Jahr 2023 sind wir in eine Ära
       eingetreten, in der internationale humanitäre Rechte keinen Stellenwert
       mehr haben. Verschiedene Mächte politisieren die humanitäre Hilfe und
       gefährden damit unsere Neutralität.
       
       taz: Was bedeutet die Politisierung der humanitären Hilfe? 
       
       Guessabi: Als humanitäre Helfer betonen wir immer wieder, dass wir nicht
       als Verhandlungsmasse benutzt werden und die Folgen des fehlenden
       politischen Willens tragen dürfen. Unsere Arbeit basiert auf den
       humanitären Grundsätzen der Menschlichkeit, Unparteilichkeit,
       Unabhängigkeit und Neutralität. Das ist eine notwendige Grundlage, um
       überhaupt humanitäre Hilfe leisten zu können. Wir arbeiten mit
       nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen oder mit staatlichen oder
       De-facto-Behörden zusammen, um Menschen in Not zu erreichen.
       
       taz: Welche Unterstützung benötigen Sie für Ihre Arbeit? 
       
       Guessabi: Die UN-Mitgliedstaaten tragen eine Verantwortung gegenüber Sudan.
       Sie sollten ihren Einfluss auf die Konfliktparteien und auch auf die
       anderen Staaten, die die Konfliktparteien unterstützen, geltend machen,
       damit humanitäre Organisationen den Menschen in Not helfen können. Das ist
       jedoch nicht der Fall, wir sind ständig mit Einmischungen, Verzögerungen,
       Behinderungen und Ablehnungen konfrontiert. All das kostet viel Zeit. Und
       Zeit kostet Menschenleben. Das Leben hat keine Bedeutung mehr. Das ist für
       uns extrem frustrierend.
       
       taz: Wie arbeiten Sie angesichts dieser Hindernisse? 
       
       Guessabi: Wir arbeiten vor allem dort, wo wir Zugang zu den Menschen haben
       oder wo die Menschen die Möglichkeit haben, relativ sichere Orte zu
       erreichen. Wir koordinieren uns gemeinsam mit den UN-Organisationen, NGOs
       und nationalen Organisationen. Aber in einem großen Teil des Landes sind
       die Organisationen nicht in dem Maße präsent, wie es der Bedarf erfordern
       würde.
       
       taz: Es mangelt an politischer Unterstützung, humanitären Zugang zu
       gewähren. Verfügen Sie angesichts [3][der weltweiten Kürzungen] über
       genügend Geld? 
       
       Guessabi: Wir sind stark unterfinanziert. Wir erhalten nur 25 Prozent der
       Mittel, die zur Unterstützung der Menschen in Not erforderlich sind.
       Infolgedessen werden lebensrettende Programme eingestellt, lokale
       Suppenküchen geschlossen und Millionen von Menschen verlieren ihre letzte
       Nahrungsquelle. Dabei wird der Bedarf im Jahr 2026 steigen, weil wir zuvor
       nicht alle Menschen erreichen konnten, die wir erreichen wollten.
       Humanitäre Hilfe hat für die europäischen Länder keine Priorität mehr. Die
       Staaten kürzen ihre Budgets, darunter auch Deutschland. Die langfristigen
       Ergebnisse humanitärer Hilfe entsprechen nicht den kurzfristigen
       Bedürfnissen der Politik in Europa.
       
       taz: Meinen Sie mit „wir“ Aktion gegen den Hunger oder die gesamte
       humanitäre Hilfe für Sudan? 
       
       Guessabi: Die gesamte humanitäre Hilfe. Der ursprüngliche Plan sah vor, 24
       Millionen Menschen von insgesamt 31,4 Millionen Bedürftigen zu versorgen.
       Dafür wurden 4,2 Milliarden US-Dollar benötigt. Angesichts der
       Finanzierungskrise, als die US-Finanzierung wegfiel, haben wir die Zahlen
       revidiert und stattdessen 18 Millionen Menschen als Zielgruppe festgelegt.
       Aber wir haben nur 25 Prozent davon erhalten, sodass wir nur 3,2 Millionen
       Menschen versorgen konnten.
       
       taz: Welche Bedürfnisse sehen Sie? 
       
       Guessabi: Rund 14 Millionen sind auf der Flucht, sie sind
       Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, sie brauchen Schutz. 21 Millionen
       Menschen leiden Hunger. Viele haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Es
       gibt Krankheiten wie Cholera und Dengue-Fieber. Außerdem kommt es
       regelmäßig zu Überschwemmungen. All diese Dinge konzentrieren sich
       gleichzeitig an einem Ort – das habe ich ehrlich gesagt noch nie gesehen.
       Und ich habe in vielen Krisenregionen gearbeitet, in Zentralafrika, im
       Jemen, in Syrien, Libyen, Afghanistan, Kongo.
       
       taz: Warum erfährt Sudan so wenig Aufmerksamkeit? 
       
       Guessabi: Ich denke, es gibt immer ein mangelndes Interesse an humanitären
       Krisen. Ausnahmen sind vielleicht die Ukraine und Gaza, die in den Medien
       und in der Öffentlichkeit viel präsenter sind als viele andere humanitäre
       Krisen. Insgesamt bleiben jedoch alle humanitären Maßnahmen
       unterfinanziert. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Investitionen in die
       Entwicklungskomponente ebenfalls sehr wichtig sind.
       
       taz: Sie meinen den langfristigen nachhaltigen Aufbau von Strukturen, etwa
       von Bildung oder Ernährungsversorgung? 
       
       Guessabi: Wenn man nur ein Pflaster auf das Problem klebt, ohne zu
       versuchen, die Ursachen zu beseitigen und eine nachhaltige Lösung zu
       finden, werden die gleichen Probleme wieder auftauchen und man wird
       höchstwahrscheinlich zurückkommen und wieder das gleiche Pflaster kleben.
       Deshalb sind Investitionen in die langfristige Entwicklung von
       entscheidender Bedeutung.
       
       25 Nov 2025
       
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