# taz.de -- Weg von Google, Microsoft und Whatsapp: „Wer jetzt wechselt, macht das selbstbestimmt“
       
       > Die digitale Abhängigkeit von US-Konzernen fällt uns bereits auf die
       > Füße, sagt die Wissenschaftlerin Julia Pohle. Doch sie sieht Lösungen.
       
 (IMG) Bild: Könnte mit Open-Source-Programmen genauso glücklich werden wie mit Word: Behördenmitarbeiter an seinem Computerarbeitsplatz
       
       taz: Frau Pohle, von Whatsapp auf dem Handy bis zu Microsoft in der Behörde
       – Europa ist abhängig von US-Diensten und US-Software. Was macht Ihnen da
       am meisten Sorgen? 
       
       Julia Pohle: Wir sind auf ganz vielen Ebenen abhängig. Erstens
       technologisch: Wir nutzen unheimlich viele Dienste und Programme, die aus
       den USA kommen. Wir sind aber, zweitens, mit den Digitalunternehmen auch
       wirtschaftlich verflochten. Zum Beispiel, wenn diese in Europa investieren.
       Und drittens sind wir politisch von den USA abhängig. Das haben wir in den
       vergangenen Monaten sehr deutlich gesehen: [1][Da will die EU die
       Digitalkonzerne endlich ernsthaft regulieren – und prompt macht die
       Trump-Regierung Druck.]
       
       taz: Was davon kann uns am ehesten auf die Füße fallen? 
       
       Pohle: Es fällt uns ja jetzt schon auf die Füße – zum Beispiel bei der
       Zollpolitik. Dort droht Trump latent mit höheren Zöllen für Länder, die
       IT-Konzerne konsequent regulieren. Wir müssen uns also ganz unbedingt aus
       der digitalen Abhängigkeit insbesondere von den USA lösen. Aktuell arbeitet
       mindestens die Hälfte der Verwaltungen in Europa mit Microsoft, etwa mit
       dessen Cloud-Dienst, Textverarbeitung und Videokonferenz-Tool, – und ist
       dementsprechend abhängig. Diese Abhängigkeit lässt sich nicht von heute auf
       morgen lösen.
       
       taz: Klingt nach einem Dilemma ohne Ausweg. 
       
       Pohle: Ganz so ist es zum Glück nicht. Denn die Abhängigkeit in der
       Digitalwirtschaft gibt es auch umgekehrt, obgleich in geringerem Maße: Die
       USA sind ebenfalls auf Europa angewiesen. Die Big-Tech-Konzerne würden
       einen ihrer wichtigsten Absatzmärkte verlieren, wenn 500 Millionen
       Europäer:innen samt ihrer Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst als
       Kundenstamm wegbrechen würden. Europa kann es sich also leisten, auch
       Ansprüche zu stellen.
       
       taz: Haben Sie denn den Eindruck, Deutschland und die EU reagieren in
       angemessener Weise? 
       
       Pohle: Leider ist vieles, was derzeit aus der Politik zum Thema digitale
       Souveränität kommt, ein [2][reines Lippenbekenntnis]. Ja, die EU reguliert
       Tech-Konzerne, wenn auch nicht so mutig wie möglich. Ja, die
       Bundesregierung spricht gerade viel über digitale Souveränität. Aber bisher
       wird nicht genug dafür getan, dass sich technologische Abhängigkeiten in
       Verwaltung, Wirtschaft und Alltag wirklich reduzieren.
       
       taz: Für die öffentliche Verwaltung gäbe es Alternativen zu Microsoft. Wie
       könnten die schneller in der Breite ankommen? 
       
       Pohle: Ich sehe gerade noch nicht, dass es einen breiten politischen Willen
       dafür gibt, diese Alternativen einzusetzen. Schleswig-Holstein geht als
       Bundesland voran und stellt auf Open Source um. Das zeigt, dass die
       Alternativen da sind und dass sie funktionieren. Klar, so eine Umstellung
       ist ein Kraftakt. Es wird Holprigkeiten geben und manches wird ungewohnt
       sein. Aber das ist immer so bei Transitionen zu neuen Systemen und
       Anwendungen.
       
       taz: Was ließe sich konkret tun? 
       
       Pohle: Eine große Stellschraube sind öffentliche Ausschreibungen. Wenn dort
       als Kriterium immer drin stünde, dass Open-Source-Software bevorzugt werden
       muss …
       
       taz: … also, dass der Programmiercode unter anderem einseh- und anpassbar
       ist … 
       
       Pohle: … dann würde das den Markt mittelfristig drehen.
       Open-Source-Software kann aufgrund des transparenten Codes weiterentwickelt
       und auf spezifische Bedürfnisse angepasst werden. Sie wird zudem umso
       besser, je mehr Menschen und Institutionen sie nutzen. Denn durch die
       größere Nachfrage wird sie mehr und schneller weiterentwickelt. Neben der
       Verwaltung haben natürlich auch europäische Unternehmen ein Interesse an
       europäischen beziehungsweise Open-Source-Produkten, um sich aus den
       Abhängigkeiten von den marktbeherrschenden US-Anbietern zu lösen.
       
       taz: Allerdings versuchen die Tech-Konzerne, das zu verhindern. 
       
       Pohle: Das stimmt. Und sie reagieren clever. Die kommen nach Europa und
       sagen: Wir liefern euch eure digitale Souveränität als Dienstleistung. Ihr
       bekommt von uns eine eigene Cloud-Infrastruktur und eigene Rechenzentren in
       Europa. Alles sicher, alles souverän, ihr habt die Kontrolle.
       
       taz: Und? 
       
       Pohle: Das ist natürlich eine Schimäre. Die aber gerne genommen wird, weil
       hiesige Firmen und Verwaltungen dann mit den bekannten Diensten
       weiterarbeiten können. Aber das löst nicht das Problem der Abhängigkeit und
       verstärkt nur die Macht der Konzerne, die gerade im Cloud-Markt immens ist.
       Die US-Anbieter haben hier rund 70 Prozent Marktanteil.
       
       taz: Und wenn Trump den Stecker zieht, wären Unternehmen oder Behörden
       schnell arbeitsunfähig. 
       
       Pohle: Dazu muss niemand den Stecker ziehen, es würde ja reichen, dass die
       Tech-Konzerne ihre Preise massiv erhöhen. [3][Wer sich jetzt für einen
       Wechsel entscheidet, macht das selbstbestimmt und im eigenen Tempo.] Wie
       problematisch es sein kann, wenn eine Abhängigkeit abrupt gelöst werden
       muss, haben wir gesehen, als nach dem Angriff auf die Ukraine von jetzt auf
       gleich Alternativen zum russischen Gas hermussten.
       
       taz: Welche Verantwortung haben neben Politik und Unternehmen die
       Nutzer:innen? 
       
       Pohle: Die Politik sollte das Problem nicht auf die Bürger abwälzen. Aber
       es kann bestärkend sein, im Alltag bewusste Entscheidungen zu treffen: Muss
       ich meine Fotos in die Google-Cloud legen? Kann ich nicht auch einen
       kleineren, womöglich europäischen Anbieter wählen, der zu geringen Kosten
       richtig guten Datenschutz bietet und auf Nachhaltigkeit achtet? Schon
       kleine Schritte können etwas bewirken, weil sie die Nachfrage verändern und
       [4][Alternativen stärken].
       
       taz: Was ist mit künstlicher Intelligenz? Wie stark sind wir da schon drin
       in der Abhängigkeit? 
       
       Pohle: Da sind wir auch längst voll drin. KI-Dienste wie Gemini oder
       ChatGPT sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Dahinter stehen Konzerne in
       China und den USA, die riesige Datenmengen gesammelt haben und das
       weiterhin tun. Und andere Konzerne, die die leistungsfähigsten Chips für
       die Rechenzentren bauen. Aber der Vorsprung ist nicht uneinholbar. Und es
       sieht so aus, als hätte Europa hier tatsächlich Ambitionen.
       
       taz: Woran machen Sie das fest? 
       
       Pohle: Zum einen sehe ich politische Initiativen, wie den Bau von
       Rechenzentren in Europa, die für kleine und mittlere Unternehmen und die
       Industrie KI-Rechenleistung zur Verfügung stellen. Zum anderen ist da klare
       Regulierung, wie die EU-Verordnung zu KI.
       
       taz: Von der die Wirtschaft jammert, dass sie Innovation bremsen werde. 
       
       Pohle: Das ist zu einseitig gedacht: Die EU-Verordnungen zur
       Tech-Regulierung machen klar, wie Technologie, die in Europa entwickelt und
       genutzt wird, aussehen soll. Unser Alleinstellungsmerkmal wird nicht sein,
       dass wir die besseren, schnelleren und noch effizienteren Anwendungen
       haben. Sondern dass wir die Technologien und Dienste entwickeln, die die
       Rechte und Interessen der Nutzer:innen schützen. Anwendungen, die
       ethischen und rechtlichen Standards entsprechen, die offen und mit
       demokratischen Grundwerten vereinbar sind. Die Nachhaltigkeitskriterien
       erfüllen, ökologisch und sozial. Wenn wir Technologien mit diesen Werten
       entwickeln, dann heben wir uns von den anderen, von den USA und auch von
       China, ab. Das wäre nicht nur ein Schritt in Richtung digitale
       Souveränität. Damit würden wir europäische Produkte auch über den eigenen
       Markt hinaus attraktiv machen.
       
       22 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Abhaengigkeit-von-US-Techfirmen/!6123685
 (DIR) [2] /Digital-Gipfel-in-Berlin/!6126297
 (DIR) [3] /Mozilla-Chef-ueber-Allianzen-gegen-Big-Tech-KI-und-die-Zukunft-von-Firefox/!6130381
 (DIR) [4] /Social-Media/!6072255
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) 
 (DIR) Svenja Bergt
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Digitale Souveränität
 (DIR) Zukunft
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Big Tech
 (DIR) Verbraucherschutz
 (DIR) Big Tech
 (DIR) Big Tech
 (DIR) Digitale Souveränität
 (DIR) Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
 (DIR) wochentaz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Probleme mit neuer Empfängerüberprüfung: Verwirrung beim Banking
       
       Geldinstitute überprüfen seit zwei Monaten vor einer Überweisung den Namen
       des Empfängers. Was Sicherheit schaffen sollte, sorgt auch für Probleme.
       
 (DIR) Abhängigkeit von Tech-Konzernen: „Am Tropf einer politisch instrumentalisierten Industrie“
       
       Zwischen Google und Microsoft: Europa hat es verpasst, sich von den USA und
       China digital unabhängig zu machen, meint der Soziologe Philipp Staab.
       
 (DIR) Millionenstrafe gegen X: Musk fordert Abschaffung der EU
       
       Die EU geht trotz Warnungen der US-Regierung gegen die amerikanische
       Plattform X vor. Elon Musk fordert wegen einer Millionenstrafe die
       Abschaffung der EU.
       
 (DIR) Deutsch-französischer Digitalgipfel: Kohle für die Cloud
       
       Deutschland und Frankreich wollen gemeinsam unabhängiger werden. Aber bei
       einem Gipfel über digitale Souveränität zeigen sich ihre Differenzen.
       
 (DIR) Mozilla-Chef Mark Surman: „Wir brauchen eine Rebellenallianz gegen Big Tech“
       
       Geht Künstliche Intelligenz unabhängig von Großkonzernen? Ja, sagt Mark
       Surman, Chef der Mozilla Foundation, vor dem Digitalgipfel am Dienstag in
       Berlin.
       
 (DIR) Abhängigkeit von US-Techfirmen: Europa braucht dringend ein Back-up
       
       Meta, Microsoft, Google. Im Digitalen sind die EU-Staaten abhängig von
       US-Unternehmen. Nun wollen sie mit einer Offensive gegensteuern.