# taz.de -- Kampf um Fachkräfte: Waffen oder Windräder?
       
       > Wer Panzer baut, kann kein Windrad bauen. Zwischen der Rüstungsindustrie
       > und Solar- und Windkraftunternehmen droht ein großes Gezerre um
       > Fachkräfte.
       
 (IMG) Bild: Granaten oder Generatoren, das ist aufgrund des Fachkräftemangels die Frage
       
       Friedrich Merz nutzte für seine Dramaturgie die drei wuchtigen Worte des
       ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi:
       „Angesichts der Bedrohung unserer Freiheit und des Friedens auf unserem
       Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: Whatever it
       takes.“ Das war im März. Disziplin beim Schuldenmachen gilt seither nicht
       mehr für die Aufrüstung. Die Schuldenbremse ist weg.
       
       Hätte Merz in ein kleines orangefarbenes Buch aus dem Februar mit dem Titel
       [1][„Nationale Interdisziplinäre Klimarisiko-Einschätzung“], kurz „Nike“,
       geschaut, wäre ihm vielleicht [2][im Vorwort ein Satz aufgefallen]: „Der
       BND sieht die Folgen des Klimawandels […] neben einem aggressiv-expansiven
       Russland, weltpolitischen Ambitionen Chinas, zunehmenden Cyber-Gefahren
       sowie dem weiterhin virulenten internationalen Terrorismus als eine der
       fünf großen externen Bedrohungen für unser Land.“ Geschrieben hat diesen
       Satz Bruno Kahl, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes.
       
       Der Auslandsgeheimdienstchef und inzwischen designierte Vatikanbotschafter
       zählt den Klimawandel zu den größten externen Bedrohungen für unser Land.
       Warum will die Bundesregierung dann gegen Russland aufrüsten, „whatever it
       takes“, aber die Erde weiter erhitzen, weil die Energiewende zu teuer ist?
       Zumindest der Einschätzung des BND-Chefs zufolge ist das eine nicht
       gefährlicher als das andere. Je länger Klimaschutz aufgeschoben werde,
       steht in der „Nike“, „desto kleiner wird der Gestaltungsspielraum, weil die
       Klimakrise sich verschärfen und immer mehr politisches Kapital und
       Ressourcen absorbieren wird“.
       
       Bloß: Selbst wenn der Klimaschutz ebenfalls mit gigantischen Summen
       gepäppelt würde, stünde die Aufrüstung im Weg. Weil sie Emissionen
       verursacht, aber auch, weil Menschen, die Kampfdrohnen verdrahten, nicht
       gleichzeitig Solaranlagen anschließen können. Und im Unterschied zum Geld
       kann der Bundestag Fachkräfte nicht per Grundgesetzänderung in die Welt
       setzen.
       
       ## Wo setzt man Prioritäten?
       
       Das sieht auch der Volkswirtschaftler Enzo Weber so, der den
       Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am
       Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung leitet, das zur
       Bundesagentur für Arbeit gehört. „Grundsätzlich haben wir nur ein
       Arbeitskräftepotenzial, das kann man nur einmal einsetzen“, sagt er. „Da
       muss man sich als Staat überlegen, wie man Prioritäten setzt.“
       
       Wie viele neue Arbeitskräfte die Rüstungsindustrie braucht, lässt sich noch
       nicht gut einschätzen. Eva Brückner, Headhunterin für Jobs in der
       Rüstungsindustrie, spricht [3][im Interview mit dem Handelsblatt] von
       „Hunderttausenden zusätzlichen Stellen“, [4][die Unternehmensberatung
       Kearney] kommt auf eine ähnliche Größenordnung. Wie viele Personen die
       Rüstungskonzerne einstellen, hängt vor allem davon ab, wie viel die
       Bundeswehr in den USA einkauft und wie viel in Deutschland – und wie gut
       die EU ihre Waffenbestellungen koordiniert.
       
       Schließlich gibt es derzeit zig unterschiedliche Panzer-, Artillerie- und
       Gewehrmodelle, je nach nationalem Hersteller. Könnten sich die Armeen der
       EU-Länder hier einigen, müssten die Regierungen deutlich weniger ausgeben:
       Größere Aufträge gehen meist mit geringeren Stückkosten einher. Das
       bedeutet aber auch weniger Aufträge für Rheinmetall und Co, wenn sie etwas
       an ihre französischen oder italienischen Konkurrenten abtreten müssen. Der
       Branchenverband der Rüstungsindustrie jedenfalls will noch keine Prognosen
       abgeben. Ein Sprecher sagte der taz, den kursierenden Zahlen gegenüber sei
       er „sehr skeptisch“.
       
       Klar ist aber: Die Rüstungsindustrie will Leute mit Abschlüssen einstellen,
       die auch für den Klimaschutz gebraucht werden. Die Zahl dieser Fachkräfte
       ist begrenzt, oftmals knapp. Die zuständigen Branchenverbände wollen sich
       noch nicht zu dieser Konkurrenz äußern, aber es gibt eine Ausnahme: den
       Bundesverband Windenergie Offshore (BWO), der für Windenergie in Nord- und
       Ostsee lobbyiert. Und was dieser Verband auszusprechen bereit ist, treibt
       die anderen Klimaschutzindustrien ebenfalls um.
       
       „Die Branche steht im Wettbewerb um qualifiziertes Personal mit anderen
       Industriezweigen“, sagt BWO-Geschäftsführer [5][Stefan Thimm]. Um bis 2030
       die für die Klimaziele von der Bundesregierung anvisierten 30 Gigawatt
       installierter Leistung zu erreichen, braucht sie 120.000 Arbeitskräfte,
       fast fünfmal so viele wie derzeit. Das hat [6][die Gesellschaft für
       Wirtschaftliche Strukturforschung errechnet]. „Der Ausbau der
       Offshore-Windenergie als zentraler Baustein der Energiewende darf nicht
       durch Engpässe bei Personal, Komponenten oder Rohstoffen ausgebremst
       werden“, sagt Thimm. Ein Beispiel für einen solchen Engpass:
       Schweißer*innen.
       
       Laut einer Erhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlten
       2021/22 3.500 Fachkräfte für Schweißtechnik. 40,5 Prozent der Stellen
       blieben unbesetzt, weil Unternehmen nicht genügend Fachkräfte fanden. Das
       gleiche Problem gibt es auch in Großbritannien. Khem Rogaly untersucht dort
       für die Denkfabrik Common Wealth die Militärindustrie. „Im Schiffbau gibt
       es schlicht zu wenige Schweißer*innen“, sagt er, „aber die werden auch in
       vielen anderen Bereichen gebraucht, besonders beim Offshore-Wind.“
       
       Als die Aufträge für Kriegsschiffe nach Ende des Kalten Krieges einbrachen,
       stürzten in den 1990ern Werften und die von ihnen abhängigen Regionen in
       tiefe Krisen. Eine davon war Bremen. Doch was in anderen Gegenden Europas
       zu Deindustrialisierung und hoher Arbeitslosigkeit führte, konnte in Bremen
       teilweise aufgefangen werden – unter anderem, weil Schweißer*innen,
       Elektriker*innen und Mechaniker*innen die nötigen Fähigkeiten
       hatten, um mit einer kurzen Weiterbildung Offshore-Windräder bauen und
       aufstellen zu können.
       
       Das hat eine [7][Studie des Geografen Alexander Jaax] gezeigt. „Die
       verfallenden Werften versorgten die neu aufkommende Industrie mit dringend
       benötigter Erfahrung und Können“, schreibt er. Das heißt aber auch:
       Andersrum könnte es ähnlich schnell gehen.
       
       [8][Recherchen der Zeit zufolge] will die Bundeswehr zwei neue U-Boote und
       sechs Fregatten anschaffen. Das Rüstungsunternehmen ThyssenKrupp Marine
       Systems (TKMS), das die nächste Generation Fregatten bauen will, erklärte
       [9][dem Handelsblatt], dieses Jahr 500 Stellen auszuschreiben, im kommenden
       Jahr 900 weitere. Der „Wettbewerb um qualifiziertes Personal mit anderen
       Industriezweigen“, den die Branche fürchtet – er findet genau hier statt.
       
       Nun entscheiden sich Fachkräfte nicht automatisch für einen Job beim
       Waffenbauer. „Arbeitskräften ist egal, was der Staat priorisiert, ihnen
       geht es um Löhne und Jobsicherheit“, sagt Arbeitsmarktforscher Weber. Nur
       fühle sich ein Arbeitsplatz bei den Erneuerbaren derzeit nicht besonders
       sicher an: „Wenn Windräder als hässlich bezeichnet werden, es Streit um die
       Heizungsart gibt oder die Förderung von E-Autos über Nacht gestrichen wird,
       ist das ein schlechtes Signal, unabhängig von den realen Umständen.“
       
       Die Stimmung in der Rüstungsindustrie ist deutlich besser: „Wer jetzt zu
       einem Waffenhersteller wechselt, kann dort die nächsten 20 Jahre bleiben“,
       sagte Eva Brückner dem Handelsblatt. Verteidigungsminister Boris Pistorius
       forderte in [10][der Financial Times]: „Die Industrie muss ihre Kapazitäten
       hochfahren. Da geht es um Munition, Drohnen, Panzer – wirklich fast jeden
       Bereich.“ So klingt es, wenn Politiker*innen Planungssicherheit
       vermitteln wollen.
       
       Und dann ist da noch die Bundeswehr selbst: Bis 2035 soll es 260.000 aktive
       Soldat*innen geben, fast 80.000 mehr als aktuell. Auch die können dann
       nicht in den Klimaschutzbranchen arbeiten. „Soldaten kommen meist aus
       typischen Männerberufen“, sagt Weber. 2021 war laut einer Erhebung seines
       Instituts ein Viertel der Bundeswehrsoldat*innen ohne erlernten
       Beruf.
       
       Etwa jede*r Zwölfte kam aus der Maschinen- und Fahrzeugtechnik – wichtig
       etwa für Windkraft und Bahn –, genauso viele aus Mechatronik, Energie- und
       Elektroberufen – Schlüsselberufe für alle Formen des Erneuerbaren-Ausbaus.
       Und etwa 8 Prozent kamen aus Berufen in Unternehmensführung und
       -organisation, die jede Branche braucht.
       
       Kommen die neuen Rekrut*innen aus solchen Berufen, werden mindestens
       20.000 Menschen Soldat*innen, die auch beim Klimaschutz gebraucht werden.
       „Es wird in jedem Fall knapp“, sagt Arbeitsmarktexperte Weber. Aber: „Ob es
       ein Problem wird, kommt auf die Sichtweise an.“
       
       Bekommen Betriebe den Fachkräftemangel zu spüren, verdienen sie weniger
       Geld, produzieren weniger, geben womöglich auf. „Oder sie kommen stärker in
       Gang, nehmen Frauen in der Teilzeitfalle in den Blick oder Zugewanderte,
       die unter ihrem Niveau arbeiten und eine Weiterbildung oder Sprachförderung
       brauchen.“ Unternehmen könnten Älteren bessere Angebote machen, und
       Technologien einsetzen, die die Produktivität steigern. „Es muss unser Ziel
       sein, dass der Arbeitskräftemangel positiv genutzt wird“, meint Weber.
       
       Aber die Knappheit kommt so oder so: „Der demografische Wandel geht
       weiter“, sagt Weber, „über 15 Jahre werden wir rein aus Altersgründen
       sieben Millionen Arbeitskräfte verlieren.“ Um dem Arbeitskräftemangel
       Chancen zu entlocken, braucht es die Aufrüstung nicht. Sie vergrößert
       vielmehr die Not der Klimaschutzbranche, ausreichend Fachkräfte für das
       Erreichen der Klimaziele zu finden. Ein einziges Arbeitskräftepotenzial
       kann man nur ein einziges Mal nutzen – auch darauf hat Enzo Weber
       hingewiesen. Wer U-Boote zusammenschweißt, kann kein Windrad aufstellen.
       
       30 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://metis.unibw.de/de/nike/
 (DIR) [2] /Bericht-ueber-globale-Erwaermung-/!6065414
 (DIR) [3] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/ruestung-die-unternehmen-sollten-das-thema-nachfolgeplanung-ernst-nehmen-01/100111923.html
 (DIR) [4] https://www.de.kearney.com/documents/d/germany/hr-in-defence_results
 (DIR) [5] /Verbandschef-ueber-Offshore-Windparks/!6105077
 (DIR) [6] https://papers.gws-os.com/gws-researchreport24-4.pdf
 (DIR) [7] https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/21681376.2015.1116958
 (DIR) [8] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-05/bundeswehr-sondervermoegen-militaer-investitionen
 (DIR) [9] https://www.handelsblatt.com/karriere/rheinmetall-tkms-mbda-diese-jobchancen-bietet-die-ruestungsindustrie/100116720.html
 (DIR) [10] https://www.ft.com/content/a9c8d754-bea4-4f5a-887c-b2898b5d0dd3
       
       ## AUTOREN
       
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