# taz.de -- Film über Berliner Technoszene: Der Sound der Selbstverklärung
       
       > Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski beleuchten die Berliner
       > Technoszene. Ihr Film „Rave On“ berauscht sich aber vor allem am Mythos
       > der Vergangenheit.
       
 (IMG) Bild: Troy Porter (Jamal Moss) in „Rave On“: Im echten Leben ist Moss der House-Produzent Hieroglyphic Being
       
       Die Berliner Technoszene ist vieles: ein Mythos von weltweiter Strahlkraft,
       fest im Selbstverständnis der Hauptstadt verwurzelt, zugleich ein
       bedeutender Wirtschaftsfaktor, der zahlreiche Branchen belebt – und doch
       angesichts des Clubsterbens akut in ihrer Existenz bedroht. Umso passender
       scheint der Moment für einen [1][Film wie „Rave On“], dessen Titel bereits
       eine entschlossene Weigerung erkennen lässt, sich von den durchtanzten
       Nächten, dem kollektiven Freiheitsgefühl und der besonderen Energie
       irgendwann – und schon gar nicht in absehbarer Zeit – zu verabschieden.
       
       Allerdings rufen Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski, die hier als Regie-
       und Drehbuchduo agieren, mit ihrer nostalgiesatten Club-Odyssee gerade
       nicht diese positiven Assoziationen an die Szene wach, sondern erinnern vor
       allem an ihre schrecklich ermüdenden Schattenseiten.
       
       Wohl kaum mit Absicht – aber diese unkritische Selbstsicherheit trifft
       paradoxerweise sehr gut den Kern dessen, was auch das Nachtleben der
       Hauptstadt bisweilen so anstrengend macht. Dort äußert es sich etwa im
       ungefragten Dozieren selbsterklärter Experten zu Musik und Subkultur, im
       ewigen Prahlen mit „legendären“ Raves und sowieso einer Vergangenheit, die
       oft mehr glorifiziert als gelebt wurde.
       
       Besonderes Distinktionsbedürfnis 
       
       Der Dunst von Dauerselbstdarstellung und einem besonderem
       Distinktionsbedürfnis – für manche der eigentliche Kraftakt der Nacht –
       durchweht auch die knapp achtzigminütige Spielzeit von „Rave On“. Nicht
       zuletzt, weil sie in Hauptfigur Kosmo (Aaron Altaras) ein personifiziertes
       Sinnbild finden.
       
       Kaum ist der Film eröffnet, verkündet der einst gefeierte Technoproduzent
       und DJ schon mit missionarischem Eifer, dass Vinyl das einzig Wahre sei –
       ausgerechnet dann, als ihn der Türsteher dabei ertappt hat, wie er sich
       durch den Nebeneingang in seinen Lieblingsclub schleichen will. Vorher
       hatte Kosmo an der Tür bereits eine Abfuhr kassiert, denn angeblich wartet
       alle Welt nur auf seinen neuen Track. Er soll also zurück ins Studio,
       anstatt zu feiern.
       
       Den Track aber hat der freilich schon dabei, sorgsam im Jutebeutel
       verstaut, um ihn drinnen der Rave-Legende Troy Porter (gespielt vom
       [2][House-Produzenten Jamal Moss alias Hieroglyphic Being]) zu überreichen.
       „Eine Platte ist eben etwas ganz anderes“, belehrt Kosmo mit verächtlichem
       Schnauben den unwissenden Türsteher, der irritiert nachfragt, warum er Troy
       den Track nicht einfach als Link schicken könne.
       
       Aber ohne solche Hürden und Glaubensbekenntnisse gäbe es nun mal weder Film
       noch Szene: Kosmo wird nach dieser frohen Botschaft doch eingelassen,
       hinein in die Nacht, die noch viel Zeit bereithält für Begegnungen und
       Geschichten aus alten Tagen.
       
       Techno in seiner Urform 
       
       Denn Troy Porter legt erst in den frühen Morgenstunden auf, und in den
       Backstage-Bereich kommt Kosmo auch dann nicht, als er sich auf seinen
       sakrosankten Auftrag beruft, die Kultur mit seiner Musik wiederzubeleben,
       mit einer Reminiszenz auf den Techno in seiner Urform, die natürlich nichts
       mit dem zu tun habe, was mittlerweile so gespielt wird.
       
       Und so findet er sich zunächst am Tresen wieder, wartend und nüchtern, denn
       der Fehler von damals, als Kosmo einen großen Auftritt verpatzte, der sein
       großer Durchbruch hätte werden können, soll sich nicht wiederholen. Dieser
       Vorsatz währt jedoch nicht lange, und auf einen ersten Shot folgen wenig
       später Ketamin, Kokain, Speed und schließlich der unvermeidliche Absturz.
       
       Dazwischen läuft „Rave On“ immerhin visuell zu großer Form auf: Jonas
       Raphael Schneiders Kamera gleitet schwankend durch klaustrophobische
       Toilettenkabinen, tastet sich weiter in versteckte Bereiche tief im
       Untergrund des Clubs, taumelt durch Nebenräume, wo Schattenfiguren mit
       leerem Blick auf den Weg zurück in die Realität warten, und streift immer
       wieder die flirrenden Tanzflächen.
       
       Unter pulsierenden Stroboskopeffekten und zu wummerndem Techno – unter
       anderem von Ed Davenport, John Gürtler und hiesigen Technokünstlern –
       entfaltet sich ein Sog, der hineinzieht in diesen schwindelerregenden
       Nachtkosmos, der in seinen intensivsten Momenten beinah an einen surrealen
       Irrgarten erinnert.
       
       Verkommenheit der heutigen Szene 
       
       Kosmo durchläuft dabei so etwas wie sein persönliches Purgatorium. Er
       trifft auf einen ehemaligen Dozenten (Benny Claessens), der sein
       vergeudetes Talent betrauert, streitet mit einer erfolgreichen DJane (Lucia
       Lu) über die Verkommenheit der heutigen Szene, in der es nur noch um Geld
       und „Likes“ gehe – vor allem aber muss er sich dem Argwohn von Klaus
       stellen, seinem einstigen künstlerischen Mitstreiter (Clemens Schick), der
       den Traum von der Karriere längst abgehakt zu haben scheint.
       
       Irgendwo in diesem Taumel verliert Kosmo seine Platte, klar – ein
       Einschnitt, den Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski für eine Katharsis
       nutzen, die ihren Helden schließlich wieder von der kollektiven Erfahrung
       des Techno überzeugen wird. Doch dieser Impuls überträgt sich nicht, der
       Film selbst konterkariert ihn sogar. Denn das, wovon „Rave On“ erzählt, ist
       weniger die Geschichte von Gemeinschaft oder gar geteilter Ekstase, sondern
       vor allem eine routinierte Wiederholung von prätentiösen Posen, die
       Überhöhung einzelner „Pioniere“ und vermeintlicher Genies.
       
       Was bleibt, ist das Gefühl eines Abgesangs, der Sound von Selbstverklärung,
       eines besseren Gestern – und damit letztlich ein rückwärtsgewandter Gestus,
       der schon vielen Subkulturen zuvor eine Bedeutung in der Gegenwart
       verunmöglicht hat.
       
       30 Jul 2025
       
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