# taz.de -- Tanz und Rausch: Was außerhalb des Aquariums geschieht
       
       > Drinnen im Aquarium ist Rausch und Tanzextase. Draußen bleiben:
       > Hummuspfützen, die Bachelorarbeit und ein paar große Fragen.
       
 (IMG) Bild: Drinne, draußen, Straßenszene in Berlin
       
       Drei grinsende Gesichter haben uns Fremde an der Scheibe des Ubers
       zurückgelassen. Mein Freund schaut sie an. „Was lässt du heute draußen?“,
       frage ich. „Meinen Anstand“.
       
       Shik – Shak – Shok – ShikShakShok. 
       
       Es ist sieben Uhr morgens, vielleicht halb acht, irgendwo in Berlin. Der
       Raum ist klein, hoch und voller heißer Luft, die schon zu oft geatmet
       wurde. Licht bricht durch die Decke, fällt durch die orange eingefärbten
       Fensterscheiben und verteilt sich in bunten Kegeln über die Körper. Wie im
       Wasser, wenn man nach oben blickt, und einem die Sonne entgegenflimmert.
       Man kann es nicht mehr ignorieren. Und trotzdem: [1][Wir tanzen weiter].
       Shik, shak, shok. Oberkörper schütteln, Arme hoch, alles raus, was noch
       drin ist.
       
       In meinem Kopf passiert das, was man im Film mit einem gedämpften Bass,
       einer Detailaufnahme von mir, dann Zeitlupenaufnahmen der Menschen um mich
       markieren würde. Ich dissoziiere. Die Hängepflanzen über uns zittern leicht
       mit. Wie eine Trauerweide, die im Wasser hängt. Oder Seegras, das nach
       unten wächst? Körper ranken sich über die Metallgerüste. Sie wirken wie
       Korallen, die Beine statisch im Boden verwachsen, die Arme fuchteln umher,
       unbewegt in der Bewegung. Eine Unterwasserwelt aus wabernden Körpern. Es
       öffnet sich ein Kreis, dann fließt alles wieder ineinander zurück. Shik,
       shak, shok.
       
       Ih, was für pathetische Phrasen. Meine rechte Schläfe zwickt, ich bin
       dehydriert, wache gerade von einem dreistündigen Mittagsschlaf auf. Meine
       Stimme? Ich teste ein „Hallo“. Mist. Ich bin ein vertrockneter, graubrauner
       Schwamm, herausgerissen aus seinem Habitat. Aber mit wiedergewonnener,
       selbst entlarvender Nüchternheit. „Unterwasserwelt“, habe ich auf den
       Zettel mit meiner Garderobennummer gekritzelt.
       
       Über Rausch schreiben, ohne in Klischees abzurutschen, geht das überhaupt?
       Irgendwie will ich ja auch, dass die Erfahrung filmreif ist. Zwischen
       kollektiver Ekstase einerseits und Kotze, Drogen, vollgepissten Toiletten
       andererseits gibt es auch eine große Leerstelle: Was die tanzenden Leute in
       ihrem Leben außerhalb des Aquariums machen, ist im Club egal. Mehr noch, es
       soll kein Thema sein. Nur so bleibt es ein geschützter Raum, in dem alle
       sein können, wie sie wollen. Ich kann also nur in schmierigen Worten
       [2][über diese Sphäre schreiben], oder darüber, was außerhalb bleiben soll.
       
       Aber was lasse ich draußen? Meine Abschlussarbeit und einen ziemlichen
       Scheißtag. Das herausgerissene Reißverschlussteil meiner Jacke lasse ich
       draußen. Den Unglückskeks, der mir eine „turbulente Zeit“ prophezeit. Die
       vegetarische Falafelplatte für vier Personen, die wir uns zu zweit
       bestellen. „Können wir einen Moment einfach schweigen und das genießen?“,
       fragt mein Freund beim Anblick der Aufgabe zwischen uns. Nein, können wir
       nicht, finde ich. Er kann schweigen und genießen, während ich uns Teller
       hole.
       
       „Können wir bitte nicht über meine Bachelorarbeit reden?“ Doch, das
       interessiere ihn schon sehr. Also reden wir die nächste Stunde über die
       Sackgasse, in der ich mich gerade befinde. Währenddessen entstehen von
       einer Hummuspfütze vor dem Tresen Fußspuren in alle Richtungen. Was für
       eine „Alltagsinstallation“. Was für ein von Instagram frittiertes Gehirn,
       das alles sofort mit Captions versehen muss. Das bleibt auch draußen.
       
       ## Die ganz großen Fragen
       
       Ich weiß nicht, wie viel Uhr es ist. Alles ist herausgestanzt. Und die
       anderen, was haben sie draußen gelassen? „Die Lohnarbeit, den Tausch von
       Lebenszeit gegen Geld“, sagt einer. Hier sei es andersherum. Eine andere
       lacht. „Nein, die kommt mit rein.“ Sie hat gerade drei Stunden aufgelegt.
       „Die Vergangenheit, die Zukunft? Aber was ist überhaupt Gegenwart?“ Die
       späten Vögel, die [3][gar nicht erst ins Bett] gegangen sind, gehen jetzt
       den ganz großen Fragen nach. Und liefern große Antworten: „Ich nehme alles
       mit, nichts bleibt draußen. Wär auch blöd, geht auch gar nicht“.
       
       Dabei belassen wir es und gehen zurück nach draußen, wo Bachelor- und
       Lohnarbeiten, der Anstand oder eben nichts auf uns warten.
       
       12 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ein-Film-ueber-die-Technoszene-in-Berlin-berauscht-sich-am-Mythos-der-Vergangenheit/!6099647
 (DIR) [2] /Queerer-Club-SchwuZ-in-Berlin-Neukoelln-Ein-letzter-Tanz/!6126056
 (DIR) [3] /Clubkultur-in-Berlin/!6057929
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Luca Klander
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ausgehen und Rumstehen
 (DIR) Kultur in Berlin
 (DIR) Clubkultur
 (DIR) Rausch
 (DIR) Hedonismus
 (DIR) Kulturkolumnen
 (DIR) Queer
 (DIR) Berlin im Film
 (DIR) Clubszene
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Partykultur: Die Verworkshoppung des Feierns
       
       Neuerdings werden vor Partys mitunter Exceltabellen mit dem minutiös
       geplanten Programm herumgeschickt. Pünktlich sein ist Pflicht.
       
 (DIR) Abschied vom SchwuZ: Immer ungeprobt oder overthinked
       
       Der Queer-Club SchwuZ in Berlin-Neukölln ist insolvent und schließt. Doch
       bei aller Melancholie: Eine Clubnacht ist keine Trauerfeier.
       
 (DIR) Film über Berliner Technoszene: Der Sound der Selbstverklärung
       
       Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski beleuchten die Berliner Technoszene.
       Ihr Film „Rave On“ berauscht sich aber vor allem am Mythos der
       Vergangenheit.
       
 (DIR) Clubkultur in Berlin: „Euphorie, Müdigkeit, Melancholie“
       
       Ronja Falkenbach fotografiert Raver:innen in Berlin. Das ist auch eine
       Liebeserklärung an die Clubkultur, erklärt sie im Interview.