# taz.de -- Protestcamp gegen Abschiebungen am BER: „Gegen Haft für Geflüchtete“
       
       > Mit dem "Ein- und Ausreisezentrum" wird der Berliner Flughafen zum
       > Abschiebedrehkreuz, sagen Kritiker*innen. Sie haben ein Protestcamp
       > organisiert.
       
 (IMG) Bild: Demo gegen das geplante „Ein- und Ausreisezentrum“ am BER im September 2022
       
       taz: Frau Brenner*, die Initiative „Abschiebezentrum BER verhindern“
       veranstaltet Anfang Juni ein Protestcamp direkt neben dem Flughafen. Warum? 
       
       Lola Brenner: Schönefeld wird das neue Abschiebedrehkreuz für ganz
       Deutschland, dort soll ein riesiges Abschiebezentrum gebaut werden. Wir
       möchten zu diesem Anlass viele Gruppen und Menschen, die bereits großartige
       Arbeit gegen Abschiebungen und strukturellen Rassismus machen,
       zusammenbringen, damit sie sich weiter vernetzen und Widerstand leisten.
       
       Es gibt ja schon Abschiebungen am BER. Warum sollte das durch das geplante
       Ein- und Ausreisezentrum mehr werden? 
       
       Offiziell heißt es zwar Ein- und Ausreisezentrum oder auch Behördenzentrum,
       aber das ist nur ein Euphemismus. Das ist für uns ganz klar ein
       Abschiebeknast, das spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Es gibt jetzt
       schon einen Knast am Flughafen, der soll deutlich erweitert werden. Knapp
       110 Menschen sollen dort in Ausreisegewahrsam und Flughafenasylverfahren
       inhaftiert werden. Aber es stimmt, es gibt am BER jetzt schon regelmäßig
       Sammelabschiebungen vom Terminal 5. Deshalb kämpft dieses Protestcamp nicht
       nur [1][gegen den geplanten Abschiebeknast], sondern auch gegen
       Abschiebungen generell – und gegen die aktuelle Stimmungsmache der
       Bundesregierung, die immer mehr auf Abschottung und Abschiebung setzt,
       sowohl in Deutschland als auch in der EU.
       
       Sie sagen, das Abschiebezentrum soll ein Zentrum für ganz Deutschland
       werden: Ist das erklärtes Ziel der Politik oder Ihre Interpretation? 
       
       Das kann man daran sehen, wie es historisch gewachsen ist. Die
       ursprüngliche Idee geht auf Pläne des früheren Bundesinnenministers Thomas
       de Maizière zurück, der sogenannte Bundes-Ausreisezentren, also
       Hafteinrichtungen an großen Flughäfen, installieren wollte. Das Land
       Brandenburg hat sich begeistert bereit erklärt, dabei mitzumachen. Der
       Fokus des jetzt am BER geplanten Abschiebezentrums liegt auf der
       Ausweitung von Gewahrsamsplätzen – und zwar nicht nur für Abschiebungen,
       sondern auch für das Flughafenasylverfahren, das aus menschenrechtlicher
       Sicht ebenfalls abgeschafft gehört. Daran sind das Land Brandenburg sowie
       Bundesakteure wie Bundespolizei und Bamf beteiligt. Und schon jetzt werden
       zu den Sammelabschiebungen vom BER auch Menschen aus anderen Bundesländern,
       sogar anderen EU-Staaten, gebracht. Es war also nie nur ein reines
       Landesprojekt.
       
       Aber kommen wir kurz auf die Landesebene. In Berlin gab es früher mehr
       Abschiebehaft, es gab sogar einen Abschiebeknast in Grünau, den gibt es
       nicht mehr. Ist das nicht ein Fortschritt? 
       
       Es stimmt, dass es in Berlin früher mehr Abschiebehaft gab, heute wird
       meist direkt abgeschoben. Das Abschiebezentrum am Flughafen BER wird aber
       vom Land Brandenburg geplant. Hier ist ein Ausreisegewahrsam vorgesehen, wo
       Menschen bis zu zehn Tage vor ihrer Abschiebung inhaftiert werden. Zwischen
       Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft wird offiziell ein Unterschied gemacht,
       aber für uns ist der Ausreisegewahrsam ganz klar eine Form von
       Abschiebehaft, das sehen auch viele Jurist*innen so. Denn wenn man
       Menschen vor ihrer Abschiebung inhaftiert, was ist das anderes als
       Abschiebehaft? Und es gibt Pläne der Bundesregierung, den sogenannten
       Ausreisegewahrsam auf bis zu 28 Tage auszuweiten! Auch das
       Flughafenasylverfahren ist für uns eine Form von Haft. Menschen werden
       während des gesamten Verfahrens und bei Ablehnung bis zu ihrer Abschiebung
       im Flughafentransitbereich festgehalten, sogar Kinder! Wir stellen uns
       gegen jede Form von Internierung und Haft von Geflüchteten – und natürlich
       gegen die Abschiebungen selbst, deren Konsequenzen für die Betroffenen noch
       viel schlimmer als die Haft sind.
       
       Sind Sie gegen jegliche Abschiebungen? Auch von Straftätern? 
       
       Ja, als Initiative sind wir gegen jede Form von Abschiebung und fordern ein
       Bleiberecht für alle Menschen. Es darf keine Doppelbestrafung geben, wenn
       Menschen in Deutschland verurteilt und danach abgeschoben werden, weil
       durch die Verurteilung ihr Aufenthaltstitel entfällt.
       
       Sie sagen also, dass jeder Mensch nach Deutschland kommen und hier leben
       kann? 
       
       Ja, wir glauben daran, dass es ein Recht auf Migration geben sollte und es
       anders in einer globalen Welt nicht möglich ist. Schließlich hat unter
       anderem Deutschland von Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung
       profitiert. Abschottung heißt, globale Ungleichheit aufrechtzuerhalten.
       
       Viele Menschen, Deutsche und Migrant*innen, wollen das nicht, haben Angst
       vor so einer Forderung. Wenn man sagt, Grenzen auf für alle, spielt man
       damit nicht den Rechten in die Hände? 
       
       Natürlich stößt das auf Widerstand, aber dem versuchen wir durch unsere
       Arbeit zu begegnen und die Menschen mit Argumenten zu überzeugen. Denn wir
       sehen keine Alternative zu dieser Forderung – wie sollte die aussehen? Die
       Bundesregierung beschreibt den Zugang von Menschen auf der Flucht als
       „irreguläre Migration“. Das ist letztlich die Konsequenz, wenn man zwischen
       legaler und nicht legaler Migration differenziert: Dann bleibt für viele
       Menschen auf der Flucht gar kein Weg mehr übrig.
       
       Es ist also eine Frage der Gerechtigkeit, dass jede*r hingehen darf, wo
       er*sie möchte? 
       
       Ja, besonders aus einer postkolonialen Perspektive. Migration ist
       historisch ja keine Anomalie, Menschen sind immer migriert, Jahrhunderte
       lang vor allem Europäer*innen. Zu Zeiten des Kolonialismus sind
       Europäer*innen hingegangen, wo sie wollten, und haben die Menschen
       brutal ausgebeutet. Diese Strukturen wirken bis heute fort.
       
       Und unsere Ressourcen hier, Arbeit, Wohnung und so weiter, die müssen wir
       dann teilen mit allen Menschen, die kommen? 
       
       Ja, wir sind immer noch eines der reichsten Ländern der Welt. Es gibt
       genügend Ressourcen. Wir sagen, es gibt genügend Platz für alle. Es ist
       eine Frage der Verteilung.
       
       Sie haben gesagt, dass das Camp auch der Vernetzung von Gruppen dient, die
       zu Abschiebungen und Rassismus arbeiten. Wie hängt das zusammen? 
       
       Wir sehen Abschiebungen als menschenverachtendes und rassistisches
       Instrument der Politik. Wir sehen, dass Menschen abgeschoben werden, die
       wir hier aus rassistischen Gründen nicht haben wollen. Das Asylsystem
       bedeutet eine Hierarchisierung, was wir im Migrations- und Fluchtkontext
       ständig sehen. Manche sind „gute“ Flüchtlinge, manche „schlechte“, die wir
       nicht hier haben wollen, weshalb wir uns das Recht nehmen, sie
       auszuschließen.
       
       Meinen Sie zum Beispiel, dass wir hier Ukrainer*innen als
       Kriegsflüchtlinge besser behandeln, weil sie weiße Europäer*innen sind? 
       
       Wir sind sehr froh, dass es große Solidarität gegenüber der Ukraine gibt
       und sie als Kriegsflüchtlinge Schutz erhalten. Aber genau das fordern wir
       auch für alle anderen. Natürlich ist das Rassismus, wenn wir zwei Gruppen
       in vergleichbaren Situationen haben, und die einen werden wärmend
       willkommen geheißen und bekommen alle Hilfe, und die anderen ertrinken im
       Mittelmeer.
       
       Kommen wir zu Ihrem Camp. Wo genau soll es stattfinden und was wird dort
       passieren? 
       
       Wir campieren in Sichtweite des Flughafengeländes in Schönefeld. Es dient
       wie gesagt der Vernetzung und dem gegenseitigen Lernen. Es wird kein Ort
       zivilen Ungehorsams, das ist uns wichtig, weil es ein Ort werden soll
       gerade auch für Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus. Wir wollen so
       wenig Kontakt mit der Polizei wie möglich, um uns angstfrei austauschen zu
       können. Es wird Workshops geben, Panels, Konzerte, Theater, und am Montag,
       5. Juni, auch eine Demonstration zu dem Grundstück, wo das Abschiebezentrum
       gebaut werden soll, sowie an den Ort, wo jetzt bereits Menschen inhaftiert
       werden.
       
       Was ist, wenn jemand kommen will, der*die kein Geld hat? 
       
       Es gibt viele solidarische Strukturen. Es wurden Zelte gesammelt, damit
       alle Menschen einen Schlafplatz haben können. Es wird Küfa, also Küche für
       alle, geben, und wenn jemand kein Geld für die Anreise hat, kann er*sie
       sich an uns wenden, wir kümmern uns.
       
       Warum möchten Sie nur mit einem Pseudonym dieses Interview führen? 
       
       So wie geflüchtete Menschen in Deutschland kriminalisiert werden, wird oft
       auch die Solidarität mit geflüchteten Menschen kriminalisiert. Aus diesem
       Grund muss ich meine Identität schützen.
       
       31 May 2023
       
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