# taz.de -- Debatte Vergewaltigungsparagraf: „Nein“ heißt endlich „Nein“
       
       > Vergewaltigung ist in Deutschland bisher zwar verboten. Doch wo sie
       > beginnt, ist Auslegungssache. Der Europarat stärkt nun die Rechte der
       > Frauen.
       
 (IMG) Bild: Bisher reichte es nicht aus, wenn eine Frau den Geschlechtsverkehr ausdrücklich ablehnte.
       
       Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, doch in Deutschland wurde
       sie erst einmal mit ungläubigem Staunen quittiert: Wer sexuell in eine Frau
       eindringt, obwohl sie das abgelehnt hat, soll sich künftig strafbar machen.
       
       Dies fordert die Istanbul-Konvention des Europarats, die am 1. August in
       Kraft getreten ist. Die Konvention schreibt vor, dass die Staaten jede
       „nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlung“ unter Strafe stellen.
       Deutschland hat die Konvention unterzeichnet, ist also zur Anpassung seines
       Strafrechts verpflichtet. Damit würde die alte Losung der Frauenbewegung
       „no means no – Nein heißt Nein“ endlich umgesetzt.
       
       Ein Selbstläufer ist das aber nicht, wie das Verhalten von Justizminister
       Heiko Maas (SPD) zeigt. Erst behauptete er, dass die deutsche Rechtslage
       schon den Anforderungen der Konvention genüge. Wer das nicht erkenne, sehe
       das Thema [1][Vergewaltigung wohl „zu weiblich“], soll er laut Spiegel
       gesagt haben. Aus Parteiräson und auf Druck einiger Ministerinnen plant er
       nun zwar doch eine Reform, startete aber erst einmal eine Umfrage bei den
       Ländern, ob wirklich Bedarf bestehe.
       
       Auch manch liberale Juristen, wie der BGH-Richter Thomas Fischer, reagieren
       allergisch, wenn „Strafbarkeitslücken“ geschlossen werden sollen. Es geht
       hier aber nicht um die – tatsächlich problematische – Bestrafung von
       Meinungen, Vorbereitungshandlungen oder abstrakt gefährlichem Verhalten.
       Nein, hier geht es um den konkreten Schutz der körperlichen Integrität und
       der sexuellen Selbstbestimmung, also um zentrale Werte eines
       rechtsstaatlichen Strafrechts.
       
       ## Ein „Nein“ ist nicht genug
       
       Laut deutschem Strafgesetzbuch (Paragraf 177) gilt derzeit ein
       Geschlechtsverkehr nur dann als Vergewaltigung, wenn er mit Gewalt oder
       bestimmten Drohungen erzwungen wurde oder wenn der Täter eine schutzlose
       Lage ausnutzte. Es genügt also nicht, dass eine Frau eindeutig Nein gesagt
       hat und der Mann dann trotzdem in sie eindringt.
       
       So wird zum Beispiel nicht als Vergewaltigung bestraft, wenn die Frau den
       abgelehnten Sex über sich ergehen lässt, weil die Kinder im Nachbarzimmer
       schlafen und diese von dem Konflikt nichts mitbekommen sollen. Zwar müsste
       der Fall nach der neuen Konvention bestraft werden. Mit dem deutschen Recht
       ist das aber nicht möglich, denn es wurde weder Gewalt angewandt noch
       angedroht, noch wurde eine schutzlose Lage ausgenutzt.
       
       Aber auch bei allen drei gesetzlichen Merkmalen der Vergewaltigung gibt es
       große Strafbarkeitslücken, vor allem weil sie von den Gerichten sehr eng
       ausgelegt werden.
       
       So gilt es nicht als nötigende Gewalt, wenn sich der Mann gegen Proteste
       der Frau einfach auf sie legt. Denn dies sei bereits Teil der sexuellen
       Handlung und keine Gewalt zur Erzwingung des Sex. Auch das plötzliche
       Packen an der weiblichen Brust könne keine sexuelle Nötigung sein, weil die
       überraschte Frau noch gar keine Ablehnung geäußert hatte.
       
       Außerdem muss die Gewalt in der konkreten Situation ausgeübt werden, es
       genügt nicht, dass in einer Beziehung ein allgemeines Klima der Gewalt
       herrscht. So gilt es nicht als nötigende Gewalt, wenn der Mann früher
       gewalttätig war und die Frau Angst vor erneuten Prügeln hat, falls sie sich
       ihm verweigert.
       
       ## Einwilligung in Todesangst
       
       Auch bei der Nötigung per Drohung gibt es große Strafbarkeitslücken. So
       muss sich die Drohung hier ebenfalls auf die konkrete Situation beziehen.
       Was das heißt, zeigt folgender Fall, den der Bundesgerichtshof (BGH) 2012
       entscheiden musste: Ein Mann suchte seine Exfrau auf, um eine Aussprache zu
       erzwingen.
       
       Dort erschießt er einen Besucher und droht der Frau, sie sei „die nächste“,
       wenn sie nicht mitkomme. Sie begleitet ihn in ein Hotel, wo er plötzlich
       Sex fordert; in Todesangst willigt sie ein. Der BGH kann darin keine
       Vergewaltigung erkennen – denn die Drohung des Mannes habe sich auf eine
       Aussprache bezogen, nicht auf Sex.
       
       Außerdem erfasst der Vergewaltigungsparagraf nur Drohungen mit einer Gefahr
       für Leib und Leben. Es greift zum Beispiel nicht, wenn ein Mann seiner
       ausländischen Frau droht, er werde ihre Abschiebung einleiten, falls sie
       sich ihm sexuell verweigert.
       
       ## Meist bleibt der Täter straffrei
       
       Selbst das erst 1997 eingeführte Merkmal „Ausnutzen einer schutzlosen Lage“
       wird von der Rechtsprechung so eng ausgelegt, dass es kaum zusätzlichen
       Schutz bringt. So verlangt der BGH, dass die Lage für die Frau „objektiv“
       schutzlos sein muss, es genüge nicht, dass sie das nur annimmt. Wenn zum
       Beispiel Menschen in der Nähe waren, die die Frau durch Schreien hätte
       alarmieren können, verneint der BGH eine schutzlose Lage, auch wenn die
       Frau von diesen Menschen gar nichts wusste.
       
       Nur in wenigen dieser Konstellationen kann die Tat aufgrund einer anderen
       Norm bestraft werden, etwa als Nötigung. Meist aber bleibt der Täter
       derzeit straffrei qua Gesetz – was schlichtweg nicht akzeptabel ist.
       
       Hauptargument vieler Reformskeptiker ist die schwierige Beweisbarkeit von
       Sexualdelikten ohne Gewaltanwendung. Doch schon heute setzt eine
       Vergewaltigung nicht zwingend Gewalt voraus. So hinterlässt eine Drohung
       keine ärztlich attestierbaren Spuren, ebenso wenig das Ausnutzen einer
       schutzlosen Lage.
       
       Es ist deshalb abwegig, strafwürdiges Verhalten nur wegen möglicher
       Beweisprobleme straffrei zu lassen. Eine vergewaltigte Frau sollte selbst
       entscheiden können, ob sie Anzeige erstattet oder nicht.
       
       ## Es ist ein Männerstrafrecht
       
       Es braucht auch niemand Angst vor einer Bürokratisierung der Sexualität
       haben. Auch künftig müssen vor dem Sex keine Einverständniserklärungen
       unterschrieben werden. Für die Strafbarkeit wird vielmehr entscheidend
       sein, dass der Mann den erkennbaren Willen der Frau missachtet und trotzdem
       in sie eindringt.
       
       Dass dies nicht schon längst der Maßstab der Strafbarkeit ist, kann
       historisch wohl nur damit erklärt werden, dass typischerweise Männer die
       Täter und Frauen die Opfer sind.
       
       Wäre es umgekehrt, sähe das Strafrecht schon seit Jahrhunderten so aus, wie
       es erst jetzt zum europäischen Standard wurde.
       
       6 Jan 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-130223270.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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