# taz.de -- Psychologie des aggressiven Flirtens: „Alles blöde Schlampen“
       
       > Wer so denkt, hat weniger Angst vor einer Abfuhr, sagt Psychologe Andreas
       > Baranowski. Sexuelle Übergriffe seien bei Pickup Artists trotzdem selten.
       
 (IMG) Bild: Komm, Baby, du willst es doch auch! Ein Nein in ein Ja zu verwandeln, ist das erklärte Ziel.
       
       taz: Herr Baranowski, weltweit rufen Kritiker der sogenannten Pickup
       Artists, die mit ihren Verführungskünsten angeben, zu Boykott und
       Strafverfolgung auf. Können Sie das nachvollziehen? 
       
       Andreas Baranowski: Das ist ziemlich hysterisch. Von dem Feld geht wenig
       Gefahr aus. Aufrufe zu Straftaten müssen natürlich verfolgt werden. Aber
       das sind absolute Ausnahmen. Wir haben immerhin Meinungsfreiheit, da sollte
       man flirten unterrichten dürfen.
       
       Nun hat Pickup Artist Julien Blanc propagiert, sich Frauen einfach „zu
       greifen“. Ein anderer Trainer hat mit einer Vergewaltigung angegeben. 
       
       Es gibt sicher ein Problem mit Grenzen in dieser Szene. Das äußert sich
       schon in der Sprache der Pickup Artists. Da werden Frauen systematisch zu
       Objekten degradiert. Und das erklärte Ziel ist, ein Nein in ein Ja zu
       verwandeln. Da läuten natürlich bei allen, die sich mit Übergriffen
       beschäftigen, die Alarmglocken. Aber wirklich übergriffig handeln: das ist
       die Ausnahme.
       
       Den Kopf von Frauen einfach in seinen Schritt zu ziehen, das ist also nicht
       übergriffig? 
       
       Das war eine absurde Szene, mit der Blanc Aufmerksamkeit erregen wollte. Es
       gibt eine harte Konkurrenz unter diesen Trainern. So etwas gehört nicht zum
       normalen Repertoire eines Pickup Artist. Und es war natürlich auch
       spielerisch gemeint. Spielerisch mal Grenzen dehnen, das gehört durchaus
       dazu.
       
       Das instrumentelle Verhältnis zu Frauen begünstigt Gewalt, oder? 
       
       Ja. Wenn Menschen nicht mehr als vollwertige Menschen wahrgenommen werden,
       dann macht man sie zum Objekt, und gegen ein Objekt lässt sich leichter
       Gewalt ausüben.
       
       Es ist schwer vorstellbar, dass man mit solchen Methoden Frauen rumkriegen
       kann. Ist das überhaupt erfolgreich? 
       
       Es gibt Frauen, die auf so ein archaisches Geschlechterbild stehen. Oft
       wird so eine Art populärwissenschaftliche Evolutionspsychologie gepredigt:
       Es gibt einen biologischen und psychologischen Unterschied zwischen den
       Geschlechtern, und wenn man sich auf eine bestimmte Art verhält, erreicht
       man bei Frauen immer dieses und jenes. Tief drinnen wollen Frauen dominiert
       werden, ist so ein Glaubenssatz. Und es gibt Frauen, die das genauso sehen.
       Bei denen kann so etwas auch funktionieren.
       
       Woher kommt denn diese Aggression und diese Abwertung von Frauen? 
       
       Die Psychoanalytiker, die diese Coaches analysiert haben, haben ihnen
       häufig eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert. Das geht oft
       mit frühkindlichen Kränkungen einher. Und wenn Sie die Lebensläufe dieser
       Leute lesen: Das waren früher Nerds, die keine Frau abkriegten, sondern
       immer wieder in der friend zone gelandet sind – so beschreiben sie es
       jedenfalls. Und die funktionieren nun über Selbstaufwertung, indem sie
       andere abwerten.
       
       Die Pickup-Szene saugt diese Typen auf und heilt sie, so die These von
       Pickup-Guru Neil Strauss, und bewahrt uns so vor einer Menge Amokläufern
       und anderen Gewalttätern. 
       
       So hat die Szene mal angefangen. Es waren frustrierte Männer, die mit
       dieser Form der Selbsterfahrung auch die gesellschaftlichen Normen des
       Flirtens aufbrechen wollten. Das war ja einmal revolutionär. Es hat sich
       dann aber leider stark in eine konservative Richtung entwickelt, indem
       Normen nun einfach funktionalisiert werden, weil damit Geld gemacht werden
       soll.
       
       Was war da revolutionär? 
       
       Wer wen wann ansprechen darf, das war stark normiert. Daraus sind sie
       ausgebrochen: Du darfst jede Frau überall und jederzeit ansprechen und mit
       ihr Sex haben wollen. Generell ist es ja gut, die Angst vor dem Ansprechen
       überwinden zu lernen, dafür sind die Kurse durchaus sinnvoll.
       
       Aber nun predigen die Pickup Artists die Dominanz des Mannes. Warum? 
       
       Das geht einher mit dieser narzisstischen Aufwertung. Da sitzt dann ein
       Haufen pubertierender 18-Jähriger mit glasigen Augen und die denken, ihre
       feuchten Träume werden jetzt wahr. Und denen erzählt man erst mal, sie
       sollten sich so verhalten, als seien sie die Größten. „Fake it till you
       make it.“ Und dann muss man sich natürlich gegen eine Abfuhr immunisieren.
       Und wenn Frauen sowieso alles blöde Schlampen sind, dann ist eine Abfuhr
       nicht schlimm. Sie werden aus Angst vor Verletzungen abgewertet.
       
       Und wird man denn nun erfolgreicher bei Frauen, wenn man diese Techniken
       anwendet? 
       
       Es gibt dazu keine konkreten Studien. Aber im Fernsehen wurde mal ein Test
       veranstaltet: Da hat ein Pickup Artist bei 15 Anbandelungsversuchen in der
       Fußgängerzone zweimal eine Telefonnummer ergattert, eine normale
       Erfolgsquote in der Szene. Als wir ungeschulte Männer auf die Straße
       schickten, hatten etwa 20 Prozent hinterher eine Telefonnummer. Also: Es
       ist egal, ob man geschult ist oder nicht. Den Unterschied macht, dass man
       gezielt auf Frauen zugeht und sie nett anspricht, dafür braucht man kein
       2.000-Dollar-Seminar. Wenn sich aber Männer nach einem Seminar mehr trauen,
       dann finden sie natürlich, dass es erfolgreich war.
       
       Also 2.000 Dollar sparen und stattdessen – was tun? 
       
       Einfach mal Frauen fragen, welche Gesprächsthemen sie angenehm finden.
       Freundinnen zum Beispiel. Die Pickup-Szene hat ja immer noch so ein
       altertümliches Verständnis, dass ein Mann eine Frau rumkriegen muss wie zu
       Casanovas Zeiten. Heute ist flirten ein Spiel, das beide spielen, er wirbt,
       sie wirbt, er neckt sie, sie neckt ihn. Das normale Flirten läuft viel
       fluider und egalitärer ab, als die Pickup-Leute sich das vorstellen.
       
       Warum gibt es diese Kurse nur für Männer und nicht für Frauen? 
       
       Das liegt unter anderem an dieser instrumentellen Vorstellung: Mach dies
       und das, und dann funktioniert es. So denken viele Frauen nicht. Es gibt
       zwar auch Pickup Cats, die sich einen Sport daraus machen, Männer zu
       verführen, aber Frauen haben dieses Wissen, das man dafür braucht, in der
       Regel schon längst. Die Frauenzeitschriften sind voll davon. Und dann kommt
       hinzu, dass sexuelle Erfolge bei Männern natürlich ausgesprochen positiv
       wahrgenommen werden, sexuell aktive Frauen dagegen werden immer noch stark
       abgewertet.
       
       Wo ist denn eigentlich die Grenze zwischen geschickter sozialer Interaktion
       und Manipulation? 
       
       Da sind die Grenzen fließend. Etwa wenn es Tipps gibt, die last
       minute-resistance zu überwinden. Zum Beispiel, indem man den freeze out
       anwendet: Wenn sie nach dem Kuscheln doch nicht mehr will, wendet man sich
       abrupt ab, setzt sich an den Laptop und zeigt emotionale Kälte. Manche
       Frauen wollen dann diese merkwürdige Situation beenden und locken doch noch
       mit Sex. Aber ist nun der Wunsch, Sex zu haben, etwas Verwerfliches?
       Eigentlich nicht. Ich würde eher sagen, problematisch wird es, wenn man
       Grenzen überschreitet und Frauen unter Druck setzt.
       
       Viele dieser Coaches behaupten, sie könnten Hypnose- oder
       NLP(Neuro-Linguistisches Programmieren)-Techniken vermitteln, mit denen man
       Frauen beeinflussen kann. Ist das Artistengarn? 
       
       Da ist viel Hokuspokus dabei. NLP ist auch so eine Pseudowissenschaft. Aber
       die Behauptung, man könne mit bestimmten Worten oder Gesten „Anker“ bei der
       Person setzen, und die würde beim nächsten Mal, wenn man den Anker erwähnt
       oder berührt, bestimmte Emotionen empfinden – das können Sie ja gern mal
       ausprobieren.
       
       Haben diese Seminare problematische Auswirkungen auf die Teilnehmer? 
       
       Sie bekommen ein stark simplifiziertes und starres Männer- und Frauenbild.
       Die Gefahr, dass sie damit ihrer frisch kennengelernten Partnerin nicht
       gerecht werden, ist ziemlich groß. Denn viele merken irgendwann, dass Sex
       und noch mehr Sex als Lebensinhalt sie nicht erfüllt. Dann suchen sie etwas
       Längerfristiges, und dafür braucht man definitiv mehr als ein paar
       Anmachtricks.
       
       26 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heide Oestreich
       
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