# taz.de -- Vorratsdatenspeicherung: Zugriff des Staates
> Die Bundesregierung will IP-Adressen künftig drei Monate speichern
> lassen. Ist das eine gute Idee? Ein Pro & Contra.
(IMG) Bild: Drei Monate die IP-Adresse speichern können, das ist der Wunsch der Polizei und der Justiz
Ja!
Zeitlich klug gesetzt war die Präsentation des Gesetzentwurfs zur
Vorratsdatenspeicherung sicher nicht. Mit ihrer Idee, IP-Adressen künftig
drei Monate lang zu speichern, dürfte sich Justizministerin Stefanie Hubig
über die Weihnachtstage jede Menge Arbeit aufgebürdet haben.
Datenschützer:innen, die Internetwirtschaft, Grüne und Linkspartei haben
dem Papier, das im Frühjahr im Bundestag beschlossen werden soll, sogleich
ritualisiert widersprochen.
Dabei kann – so, wie das Kritiker:innen seit Jahren mantramäßig
behaupten – von einer Massenüberwachung, mit der jede und jeder künftig
komplett gläsern und für jeden Zugriff durch Ermittlungsbehörden
freigegeben ist, nicht die Rede sein. Denn Hubig sichert ausdrücklich zu,
keine Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellen zu lassen, eine
weitreichende Vertraulichkeit der Kommunikation ist also weiterhin
gesichert.
Viel entscheidender ist doch, was mit der längeren Speicherfrist
tatsächlich erreicht werden soll: einer massiven Kriminalität im Netz
beizukommen, vor allem der Drogenmafia, Kinderpornografie-Ringen,
Onlinebetrüger:innen. Die [1][organisieren sich immer geschickter im Netz,
sodass Kinder und Jugendliche in die Fänge von Missbrauchstäter:innen
geraten,] Onlinediebe kommen an Geld und Waren, ohne dafür in eine Bank,
Geschäfte und Wohnungen einbrechen zu müssen. Wie will man diese
Kriminalität erfolgreich bekämpfen, ohne die Überwachungsmöglichkeiten im
Netz so zu strukturieren, dass Ermittlungen tatsächlich erfolgreich sind?
Datenschützer:innen argumentieren stets mit dem
[2][Quick-Freeze-Verfahren], also mit der Möglichkeit, Daten bei
Verdachtsmomenten einzufrieren. Eine ernsthafte Alternative ist das bei den
immer professioneller agierenden Netzkriminellen leider nicht. Denn wo
keine Daten eingefroren werden können, weil sie – nach jetziger Rechtslage
– schon nach wenigen Tagen gelöscht werden mussten, kann auch nichts mehr
ermittelt werden.
Hier [3][schützt der überstrenge Datenschutz die Täter und nicht die
Opfer]. Gerade in Fällen von Kinderpornografie, Missbrauch,
Zwangsprostitution kann ein schneller Zugriff der Behörden für die Opfer
lebens- und schicksalentscheidend sein. Datenschutz ist wichtig, aber der
Schutz von unschuldigen Opfern, insbesondere Kindern, sollte höher
eingestuft werden.
Simone Schmollack
Nein!
Das Argument wird älter, aber nicht besser: Nach jahrelangem [4][Ringen um
die Vorratsdatenspeicherung] startet die Bundesregierung einen neuen Anlauf
– und begründet ihn mit dem Kampf gegen Kinderpornografie. Täter kämen
„viel zu oft davon“, sagte [5][Justizministerin Stefanie Hubig (SPD)], als
sie am Wochenende ihren neuen Gesetzesentwurf präsentierte. Künftig sollen
Internetanbieter die IP-Adressen aller Kunden verpflichtend für drei Monate
speichern und auf Anfrage den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellen.
Theoretisch soll sich kein Nutzer mehr auf seine Anonymität verlassen
können.
Das Kinderpornografie-Argument ist praktisch: Bei kaum einer anderen
Straftat ist die Empathie für die Opfer ausgeprägter. Gegenrede gerät
schnell in den Verdacht des Täterschutzes. Redlich ist das Argument
gleichwohl nicht. Vorgesehen ist die neue Speicherpflicht schließlich nicht
nur für den Kampf gegen Kinderpornografie, den ebenfalls oft genannten
Onlinebetrug oder vergleichbare Delikte. Sie wird für alle Straftatbestände
gelten. Sobald irgendein Anfangsverdacht vorliegt, sollen Polizei und
Geheimdienste Daten abrufen können.
Im Prinzip kann es damit fast jeden treffen. Wer mit hoher krimineller
Energie offensichtliches Unrecht begeht, wird häufig auf Tools
zurückgreifen, die seine IP-Adresse verschleiern. Gerade in Feldern wie der
Kinderpornografie ist daher fraglich, ob durch die Speicherpflicht
wesentlich mehr Fälle aufgeklärt werden. Ihrer Anonymität beraubt werden
viel eher Dilettanten, die sich der Strafbarkeit ihres Handelns vielleicht
nicht einmal bewusst sind.
Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Fälle, in denen die Behörden
[6][politisch fragwürdige Äußerungen im Internet] mit nicht weniger
fragwürdigem Eifer verfolgt haben. Ermittelt wird wegen zugespitzter Kritik
an Regierungsmitgliedern oder missverständlicher Parolen beispielsweise
gegen Israel. Je mehr die Anonymität im Netz abgebaut wird, desto mehr
solcher Verfahren könnte es in Zukunft geben – und desto mehr
Internetnutzer könnten sich mit steilen Meinungsäußerungen präventiv
zurückhalten. Die Vorratsdatenspeicherung schützt dann nicht Kinder. Sie
gefährdet den freien Diskurs.
Tobias Schulze
23 Dec 2025
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