# taz.de -- Diplomatin über gelungenes Verhandeln: Die Temperatur spüren
       
       > Lohnt sich Diplomatie in Zeiten von Trump und Putin noch? Ein Gespräch
       > mit der ehemaligen Schweizer Botschafterin Heidi Tagliavini.
       
 (IMG) Bild: „You're hot, then you're cold, you're yes, then you're no“: Ob Katy Perry diesen Song für Putin und Trump geschrieben hat?
       
       taz: Russland, Belarus, Nordkorea – das sind alles abgeschottete Staaten.
       Lohnt es sich auch mit diesen Ländern „im Gespräch zu bleiben“? 
       
       Heidi Tagliavini: Es lohnt sich immer, über kurz oder lang. Länder, die wir
       anerkannt haben, darunter auch Iran, Belarus, Nordkorea, Russland – mit
       denen unterhalten wir diplomatische Beziehungen. Diese kann man intensiver
       führen oder sie eben ein bisschen runterfahren. Das ist diplomatische
       Gepflogenheit. Die Kanäle sollten unbedingt offen bleiben. Die Situation in
       der Welt kann sich ja, wie wir es gerade erleben, phänomenal rasch ändern
       und auch in eine Richtung, die nicht vorhersehbar war. Die politische
       Ordnung, die wir seit der Nachkriegszeit hatten, also auch in der Zeit nach
       dem Zerfall der Sowjetunion, ist nicht für ewig. Und so sind solche
       Entscheidungen, die Kanäle abzubrechen, eigentlich voreilig.
       
       taz: Nennen Sie ein Beispiel? 
       
       Tagliavini: Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Schweiz beispielsweise die
       Beziehungen zum Ostblock, also auch zur Tschechoslowakei als nicht mehr
       wirklich bedeutend angesehen. Damit haben wir auch unsere damalige
       Botschaft in der Prager Burg einfach aufgegeben und sind in ein
       Außenviertel umgezogen. Nach dem Zerfall der UdSSR haben sich die
       Beziehungen dann wieder normalisiert, aber die Residenz in der Burg war
       weg. Ähnliches ist uns passiert nach dem Vietnamkrieg. Da haben wir das
       Botschaftsgebäude ebenfalls aufgegeben, und dann, als sich die Situation
       normalisierte, mussten wir noch mal von vorne beginnen. Meiner Meinung nach
       sollte man den Kontakt aufrechterhalten. Auch um die Temperatur spüren zu
       können, um zu verstehen, was im betroffenen Land vor sich geht.
       
       taz: Gilt das auch für Putin? Also muss man auch mit einem Diktator wie dem
       russischen Präsidenten weiter sprechen? 
       
       Tagliavini: Ja, wenn immer möglich. Es ist ja erstaunlich, wie Präsident
       Trump intuitiv dieses uralte Bedürfnis von Wladimir Putin begriffen hat und
       es geschickt einzusetzen verstand, nämlich dass man mit ihm auf Augenhöhe
       spricht. 2014 bis 2015, in den sogenannten Minsker Verhandlungen um den
       Krieg in der Ostukraine, habe ich diese Forderung sehr oft gehört.
       Augenhöhe? Das hat er jetzt. Wladimir Putin ist zurück auf der Weltbühne.
       Präsident Trump hat [1][ihn nach Alaska eingeladen] – niemand sonst stand
       auf dem Flugplatz –, hat ihm den roten Teppich ausgerollt und die große
       Bühne geboten, sichtbar für die ganze Welt. Das ist Symbolpolitik der
       großen Klasse.
       
       taz: Und das bedeutet dann, dass die USA in den Vorverhandlungen Putins
       Forderungen eins zu eins übernehmen? 
       
       Tagliavini: Was wissen wir schon darüber, was die beiden wirklich
       miteinander aushandeln? Die Stellungnahmen beider Präsidenten zeichnen sich
       oft durch wenig konkrete Angaben aus. Allerdings übernimmt Donald Trump
       nicht selten russische Forderungen, so wie kürzlich beispielsweise die
       Forderung, in der Ukraine mitten im Krieg eine Präsidentschaftswahl
       durchzuführen, oder der Friedensplan in 28 Punkten, dessen Urheberschaft
       man eher im Kreml als im Weißen Haus verortet. Zwischendurch kommt aus
       Washington dann mal eine „Verärgerung“ über den Kremlchef und Drohungen mit
       Sanktionen, was für die Weltöffentlichkeit eher zur Verwirrung als zur
       Klärung führt. Im Grunde genommen wissen wir wenig Konkretes über die
       Inhalte der russisch-amerikanischen Friedensgespräche, außer dass sie in
       den Worten von Donald Trump meistens „sehr gut“ verlaufen sind.
       
       taz: Sie haben Minsk I und [2][Minsk II] mit verhandelt. Auch heute liegen
       Gebietsabtretungen wieder auf dem Tisch auf dem Weg zu einem Frieden in der
       Ukraine. Haben wir aus der Vergangenheit nichts gelernt? 
       
       Tagliavini: Entgegen der verbreiteten Meinung waren für mich Minsk I und
       Minsk II eigentlich relativ gute Vereinbarungen, das Beste, was wir damals
       herausholen konnten. Es waren ja völkerrechtlich nicht bindende Verträge,
       weil die Separatisten keine völkerrechtlich anerkannte Partei war, wie
       Moskau das forderte. Die Minsker Vereinbarungen brachten vor allem einen
       verbindlichen Waffenstillstand. Wie man jetzt sieht, ist das gar nicht so
       wenig, denn Washington hat das bisher noch nicht zustande gebracht.
       Außerdem folgen in den Minsker Vereinbarungen Gespräche über politische
       Fragen, über humanitäre Fragen und Menschenrechte, über den Wiederaufbau,
       soziale Fragen und alles, was es halt zu regeln gibt.
       
       taz: Aber die Waffen schwiegen doch nie wirklich. 
       
       Tagliavini: Immerhin gab es nach Minsk 2015 doch acht Jahre relative Ruhe,
       und das ist im betroffenen Kriegsgebiet wichtig für die Zivilbevölkerung.
       Man kann sich nicht bombardieren und gleichzeitig über Frieden verhandeln.
       Die Ukraine befand sich natürlich in der Defensive. Gewisse Punkte wie zum
       Beispiel die Frage über den Status des Donbass oder Lokalwahlen, aus denen
       Vertreter des Donbass eine Präsidentschaftswahl machten, waren
       problematisch. Gemäß internationalen Standards kann es nur einen
       Präsidenten im Land geben. Die Ukraine beharrte außerdem darauf, dass die
       politischen Gespräche erst dann beginnen, wenn der Waffenstillstand auch
       wirklich eingehalten wird, so wie es in den Minsker Vereinbarungen steht.
       Das ist jedoch nie passiert und damit hatte Russland ein Leichtes, der
       Ukraine den Schwarzen Peter zuzuschieben.
       
       taz: Damit Verhandlungen glücken – was ist wichtig? 
       
       Tagliavini: Dass beide Parteien wirklich die Absicht und den Willen zeigen,
       Frieden zu schaffen oder dem Frieden einen Schritt näher zu kommen. Diesen
       Willen haben wir damals vermisst. Das Ziel Moskaus war es, in erster Linie
       die Separatisten völkerrechtlich aufzuwerten. In der russischen Logik wäre
       dies dann ein innerukrainischer Konflikt. Das wäre jedoch völkerrechtlich
       zumindest eine fragwürdige Infragestellung der Souveränität der Ukraine.
       Über jenem [3][Konflikt im Donbass] hing von Anfang an dieses
       Damoklesschwert, dass es eines Tages zu einem größeren Krieg kommen könnte.
       
       taz: Sie wussten das alles. Und haben sich dennoch auf Verhandlungen
       eingelassen. 
       
       Tagliavini: Ich würde das eine Vermutung nennen – und nicht Wissen. Aber
       sowohl Bundeskanzlerin Merkel wie auch François Hollande, der französische
       Präsident, haben ihr Möglichstes getan, um zu einer friedlichen Lösung zu
       kommen. Damals, 2014 und 2015, war dies die einzige Möglichkeit, sich
       überhaupt Zugang zu verschaffen. Wladimir Putin war damals praktisch
       ausgeschlossen von internationalen Foren und wurde kaum mehr ins Ausland
       eingeladen. Wie kann man sich als internationale Gemeinschaft von außen her
       dann überhaupt noch einbringen, wenn nicht mit der damaligen Initiative von
       Angela Merkel, der Schaffung des sogenannten Normandie-Formats, die
       tatsächlich Wladimir Putin und Kyjiw an den Tisch gebracht haben.
       
       taz: Was sind die Grundzutaten für eine funktionierende Diplomatie? 
       
       Tagliavini: Bona fide (Anmerkung der Redaktion: Lateinisch für im guten
       Glauben handeln) – das ist das Wichtigste. Jeder Gesprächsteilnehmer will
       anerkannt werden, als ebenbürtiger Gesprächspartner. Man muss miteinander
       verhandeln, bis es einen Lösungsansatz gibt, und dabei auch aussprechen,
       was nicht geht.
       
       taz: In einer Welt mit Trump und Putin – gelten diese diplomatische Regeln
       noch? 
       
       Tagliavini: Bei allen Einwänden, die man gegen Präsident Trump haben kann,
       er hat es fertig gebracht, mit Wladimir Putin zu sprechen. Aber für Donald
       Trump gibt es keine Friedensverhandlungen im üblichen Sinn, sondern es gibt
       einen Deal. Jemand wie ich, die 20 Jahre in Konflikten gearbeitet hat,
       weiß, dass ein Deal, wenn es nicht ein fairer Deal ist, nicht hält. Das
       heißt, der Deal muss für beide Seiten akzeptabel und nicht erzwungen sein.
       Erstaunlich ist, dass Präsident Trump von Diplomaten nicht unbedingt
       Gebrauch macht, sondern [4][dass er seine Immobilien- und
       Unternehmerfreunde] einsetzt, die, wie man sieht, nicht unbedingt für alle
       Parteien von Vorteil sind. In Verhandlungen muss man außerdem sehr diskret
       sein. Leaks sind eigentlich nicht erlaubt, und darauf achtet Donald Trump
       ja auch. Aber die Weltöffentlichkeit derart im Ungewissen zu lassen, was
       denn eigentlich Sache ist, das hat System und ist nicht sehr förderlich für
       das Vertrauen in solche Verhandlungen.
       
       taz: Das ist bei Putin anders. Also bei ihm weiß man doch, was ist. 
       
       Tagliavini: Gewisse Dinge weiß man, gewisse Dinge ahnt man nur. Bei
       Verhandlungen über Frieden müssen alle Parteien am Tisch sein und das ist
       in diesem Fall überhaupt nicht gegeben. Überhaupt hat der Verhandlungstisch
       eine riesige Bedeutung, das habe ich meinen vielen Jahren immer wieder
       erlebt. Es ist bereits eine große Leistung, wenn man die Parteien an einen
       Tisch bringt. Das signalisiert meistens, dass eine Bereitschaft zum
       Verhandeln vorhanden ist. Sie erinnern sich an den Tisch [5][im Kreml]
       2022? Das war eine sehr deutliche Symbolsprache. Seither haben die Europäer
       nicht mehr viel zu sagen in Verhandlungen zwischen Russland und
       irgendjemandem. Ich kenne das auch aus der Vergangenheit im Konflikt
       zwischen Abchasien und Georgien 1998 bis 1999 und 2002 bis 2006. Ich war
       damals Chefin und Unterhändlerin der UN-Mission in Georgien in einer
       verfahrenen Situation: Die abchasische Seite wollte sich auf keinen Fall
       mehr an einen Tisch mit den Georgiern setzen. [6][UN-Generalsekretär Kofi
       Annan] musste mobilisiert werden, indem er einen Brief an den nicht
       anerkannten Führer der abtrünnigen Provinz Abchasien unterschrieb und eine
       Delegation einlud zu Gesprächen mit den Georgiern an einem Tisch. Nicht in
       Georgien, sondern außerhalb Georgiens, damals war das im Genfer UN-Gebäude.
       Die Autorität von Kofi Annan und die Bedeutung der Vereinten Nationen haben
       damals gewirkt. Die Abchasen kamen. Man muss dann manchmal zu unorthodoxen
       Maßnahmen greifen.
       
       taz: Sie sprechen acht Sprachen. Wie wichtig ist es, sich auch wörtlich zu
       verstehen? 
       
       Tagliavini: Es ist ein großer Vorteil, die gängige Verhandlungssprache zu
       sprechen. Man muss die Bedeutung des Vermittlers allerdings ein bisschen
       runterschrauben. Der ist zwar wichtig, sollte aber eigentlich eher im
       Hintergrund stehen. Jeder Sieg oder Zwischensieg sollte immer als Sieg der
       Parteien und nie des Vermittlers erscheinen. Aber die Beherrschung der
       Verhandlungssprache ist zentral; es bedeutet auch wieder so etwas, wie auf
       Augenhöhe zu kommunizieren.
       
       taz: Was meinen Sie damit? 
       
       Tagliavini: Man ist als Vermittler höchstens Hilfspersonal.
       Konfliktparteien finden es oft unter ihrer Würde, dass man ihnen einen
       Vermittler auferlegt. Aber neben konkreten Friedensvorschlägen, neben
       Vorstellungen zur Überbrückung von Hindernissen, neben der Strukturierung
       der Gespräche, neben Einlenken und bisweilen Beruhigen kann der Vermittler
       auch eine Generallinie vorgeben, die die Verhandlungen nicht schon von
       Anfang an platzen lassen. Bei den Gesprächen 2014 um die Ostukraine hat ein
       Vertreter der Separatisten jedes Mal gefordert, dass ein bestimmter
       Teilnehmer seine Vollmacht vorzeigen solle. Eine Art Sabotageversuch. Nun
       handelte es sich aber um einen ehemaligen Präsidenten, und es war eine
       Zumutung, so etwas zu fordern. Eines Tages hatte ich genug und fragte ihn:
       Schämst du dich eigentlich nicht, einen ehemaligen Präsidenten so zu
       behandeln? Daraufhin hat er etwas zerknirscht eingelenkt und gesagt, das
       hätte man von ihm verlangt. So viel zur Rolle eines Vermittlers.
       
       taz: Es gibt bis heute wenig Diplomatinnen, die in Ihrer Liga spielen. Hat
       es eine Rolle gespielt, dass Sie eine Frau sind? 
       
       Tagliavini: Ich war oft in Ländern, in denen Frauen einfach immer noch eher
       als Tischdekoration empfunden werden und es daher eher eine Anmaßung ist,
       sich als Frau in so eine Rolle zu begeben. Aber ich wurde ja für diesen
       Posten ausgewählt. Was ich mir verboten habe, ist, heftig zu reagieren, die
       Stimme zu erheben oder mich zu empören über gewisse Dinge. Das hätte mich
       disqualifiziert. Ich wusste ja, dass ich am längeren Hebel saß. Ich hatte
       ein Mandat der Vereinten Nationen, und wenn die mich nicht wollen, sagte
       ich mir, dann wollen sie mich nicht, dann gehe ich halt wieder. Es dauerte
       immer einige Monate, bis man mich akzeptierte. Nicht nur als Frau, aber als
       Frau besonders. Es dauerte so lange, bis sie merkten, dass man mir
       vertrauen kann und ich nicht verrate, was mir anvertraut worden ist.
       Wichtig war auch, dass ich mich in dieser ehemaligen Sowjetunion auskannte
       und auch eine Sympathie zu den Menschen, zu ihrer Kultur und ihren
       Traditionen habe. Wenn man offen auf die Leute zugeht, dann wird man
       eigentlich sehr schnell akzeptiert. Ohne Vertrauen und Überzeugung auf die
       Integrität der Person funktioniert so eine Arbeit nicht.
       
       taz: Gab es Situationen, in denen Sie sich mit den unterschiedlichen
       Akteuren nicht mehr an einen Tisch gesetzt haben? 
       
       Tagliavini: Nein, ich habe keine solche Situation erlebt. Aber natürlich
       gibt es in jedem Krieg Opfer, Gräueltaten, Zerstörung und Tote. Die einzige
       Frage, die zählt, ist diese: Wollen wirklich alle Seiten, dass wir einen
       Schritt Richtung Frieden gehen? Wenn diese Frage ambivalent bleibt oder die
       Leidtragenden einer Aggression nicht am Tisch sitzen, dann ist das nicht
       akzeptabel und dann führt jede Verhandlung ins Nichts.
       
       taz: Sie haben in einem Interview einmal gesagt, dass all Ihre
       Verhandlungen keinen nachhaltigen und lange dauernden Frieden gebracht
       haben. Wie muss man beschaffen sein, diese Sisyphosarbeit zu machen? 
       
       Tagliavini: Erst im jetzigen Krieg gegen die Ukraine, wo jedermann sieht,
       wie schwierig es ist, einen Waffenstillstand zu erreichen, habe ich
       festgestellt, dass ein Waffenstillstand, wenn er mehr oder weniger
       eingehalten wird, bereits eine unbezahlbare Errungenschaft ist. Viel besser
       als nichts! Ein Waffenstillstand ist eine Art Zwischenzeit, wie eine Insel
       der Freiheit und Sicherheit für die Zivilbevölkerung, die ja die erste
       Leidtragende eines Krieges ist. Jede solche Insel der Sicherheit ist ein
       positives Ergebnis. Ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem
       Dach. Diplomatie ist keine Eintagsfliege, deshalb stirbt sie auch nicht
       aus. Man muss einfach dranbleiben. Ich habe in den Konflikt- und
       Kriegsgebieten meist sehr nahe an der Bevölkerung gelebt und gearbeitet.
       Ich sah die Leute, ich sprach mit ihnen und hörte auch ihre Klagen. Man
       muss immer weiter daran arbeiten und auch für die Vertriebenen Bedingungen
       schaffen, dass sie sich woanders eine Zukunft aufbauen können.
       
       taz: Warum sind Sie Diplomatin geworden? 
       
       Tagliavini: Das ist vielleicht auch eine Charakterfrage. Ich lebe nicht
       gern in konfliktreichen Situationen, wenn ständig Spannung herrscht. Die
       Diplomatie versucht, das Unmögliche zu tun oder das Unmögliche zu
       erreichen, indem sie am Machbaren arbeitet. Was ist machbar? Wenn etwas
       zuerst nicht machbar war, wie muss man vorgehen, dass es dann eben doch zu
       einer machbaren Lösung kommt? Die Leute, mit denen man verhandelt, sind
       alles Menschen, sie haben eine Familie zu Hause, sie haben etwas, das sie
       schützen und verteidigen möchten. Wenn man diesen Personen mit Offenheit
       begegnet, dann hat man auch die nötige Basis, um Vorschläge zu erarbeiten.
       Das Gegenüber muss überzeugt sein, dass man sein Bestes gibt.
       
       taz: In Genf finden häufig Verhandlungen statt. Wie entscheidet sich, an
       welchem Ort gesprochen wird? 
       
       Tagliavini: Das ist von Situation zu Situation verschieden. Es gibt
       politische Erwägungen (ein möglichst neutraler Ort), aber auch praktische
       Überlegungen. Auch die geografische Nähe zu allen Verhandlungspartnern
       spielt bisweilen eine Rolle. 2014 haben wir uns anfänglich mit den
       Separatisten direkt in deren Hauptstadt Donezk getroffen. Später war das
       aus Sicherheitsgründen dann nicht mehr möglich – als die ukrainische Armee
       im Donbass vorrückte, versammelten sich alle Separatisten dort, und Donezk
       war kein sicherer Ort mehr für Gespräche. Aber die Symbolik ist natürlich
       wichtig. Im Fall der Ukraine hat man sich für Minsk, einen in diesem
       Konflikt relativ neutralen und für alle akzeptablen Ort, entschieden. Bei
       Georgien war es so, dass das Zugpferd bisweilen eine Einladung nach Genf
       war. Genf als internationaler Ort, der a priori auch Separatisten nicht
       ausschloss.
       
       taz: Europa galt lange auch als potenzieller Vermittler. Aktuell spielen
       die Europäer eher in der zweiten Reihe. Haben Sie einen Rat? 
       
       Tagliavini: Europa ist als Unterstützer der Ukraine zum Gegner von Moskau
       erklärt worden. Und das Unglück will, dass Donald Trump nicht wirklich als
       ein verlässlicher Partner Europas gilt. Aber [7][man darf die Europäische
       Union nicht unterschätzen.] Als Anwalt der Ukraine, wie Kanzler Merz gesagt
       hat, muss und wird sich die EU konstruktiv einbringen, wie sie es auch
       bisher schon getan hat. Die Europäer müssen sich vor allem einig sein und
       das auch bleiben in ihrer Haltung gegenüber sowohl Präsident Trump wie auch
       Präsident Putin.
       
       taz: Es gibt immer mehr kleine Bündnisse. Ist das die Zukunft? 
       
       Tagliavini: A priori ist das kein Hindernis, solange diese Kleinbündnisse
       der gesamten EU nicht schaden. Es hat vermutlich auch damit zu tun, dass
       die Sicherheit, in der Europa sich gewiegt hat mit den USA und der Nato, am
       Verblassen ist. Man ist sich nicht sicher, wie stark die Nato ist und wie
       effektiv sie vor allem unter Donald Trump Europa noch verteidigen würde.
       Europa hat 27 Mitglieder, die alle eine starke Eigenständigkeit haben, und
       das ist in friedlichen Zeiten auch völlig in Ordnung; das sind die Regeln
       der Demokratie. Jetzt aber ist Einigkeit gefragt, denn es geht bei der
       Ukraine um eine existenzielle Frage.
       
       26 Dec 2025
       
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