# taz.de -- Aktivistinnen zu US-Terrorvorwurf: „Die Antifa Ost gibt es gar nicht“
> Die USA haben die Antifa-Ost als Terrorgruppe eingestuft. In Deutschland
> gehe die Entwicklung in die gleiche Richtung, klagen zwei
> Unterstützerinnen.
(IMG) Bild: Die Antifa-Bewegung unter Druck wie lange nicht: Bilder einer Demonstration in Leipzig 2024
taz: Frau Becker, Frau Weißdorn, Sie sind beide in Soligruppen für
Antifaschist:innen aus dem Ermittlungskomplex Antifa Ost aktiv. Mitte
November hat das US-Außenministerium [1][die Antifa Ost zu einer
ausländischen Terrororganisation erklärt.] Wie haben Sie sich gefühlt, als
Sie davon erfahren haben?
Miriam Becker: Im ersten Moment musste ich total lachen. Das ist natürlich
furchtbar, aber es ist auch so absurd. Maja und die anderen, die aus Jena
angeklagt sind, sind ja noch sehr jung. Das muss man erst mal geschafft
haben, in den ersten vier Jahren nach der Schule auf die internationale
Terrorliste gesetzt zu werden – neben Gruppen wie Hamas, Hisbollah oder
al-Qaida. Um den Vergleich zu ziehen, muss man sich schon wirklich sehr
viel reingeworfen haben.
taz: Die USA begründen ihre Einstufung mit der Reihe von teils ziemlich
brutalen Übergriffen auf Neonazis, die die Polizei der Antifa Ost
zurechnet. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?
Becker: Ich bin im Solidaritätskomitee für Maja T. aktiv. Wir sind Eltern,
Geschwister, Verwandte, Freund:innen. Wir positionieren uns als Komitee
dazu gar nicht. [2][Es gibt gerade einen Prozess], wo es darum gehen soll,
herauszufinden, was passiert ist. Bis das geklärt ist, gilt die
Unschuldsvermutung. [3][Besonders viele Beweise wurden gegen Maja bisher
jedenfalls nicht vorgelegt].
Thea Weißdorn: In Dresden [4][wird ja aktuell wieder über zwei Angriffe in
Eisenach verhandelt], die dem Neonazi Leon Ringl und seiner
Kampfsportgruppe Knockout 51 galten. Die haben [5][Waffen gehortet, die
wollten Linke töten und einen Nazi-Kiez mit Gewalt aufrechterhalten]. Ich
finde es schon richtig, das zu unterbinden, gerade weil es der deutsche
Staat und die Polizei nicht getan haben. Ob die Form, in der das geschehen
ist, richtig war, kann jede:r selbst beurteilen. Es ist auch okay, dass
der Staat Körperverletzungs- oder Diebstahldelikte verfolgt. Aber es ist
immer die Frage: Wird hier eine Straftat verfolgt oder ist es ein
politisches Verfahren, um Antifaschismus insgesamt zu kriminalisieren? Die
Einstufung aus den USA ist da nur der nächste Schritt einer absurden
Entwicklung, die es auch in Deutschland gibt.
taz: Was denn für eine Entwicklung?
Weißdorn: Bei den Prozessen geht es um Diebstahl oder Körperverletzung,
auch mal gefährliche Körperverletzung. Das sind keine Taten, die
normalerweise vom Staatsschutzsenat vor einem Oberlandesgericht verhandelt
werden. Auch die Anklagen sind absurd: Jeder weiß, dass linke Bewegungen
seit Jahrzehnten nicht mehr Mord und Totschlag als Mittel wählen, aber
trotzdem wurde und wird in den deutschen Prozessen auch wegen versuchten
Mordes verhandelt. Das funktioniert nur, wenn man daraus eine angeblich so
gefährliche kriminelle Vereinigung spinnt.
taz: Von den vier militanten linken Gruppen, die jüngst von den USA zu
Terrororganisationen erklärt wurden, ist Antifa Ost die einzige, deren
Bezeichnung eine Fremdzuschreibung ist. Sie identifizieren sich damit
nicht?
Becker: Die Antifa Ost ist ein völliges Hirngespinst. Ursprünglich
entstanden ist der Begriff in den Ermittlungen rund um Lina E. Auch der
Begriff „Hammerbande“, auf den sich die USA ebenfalls beziehen, ist keine
Selbstbezeichnung, sondern stammt aus der Springerpresse.
Weißdorn: Unter Antifa Ost werden Leute aus Bayern verfolgt, selbst aus
Italien. Es macht alles längst keinen Sinn mehr. Dem deutschen Staat geht
es offenbar darum, die Ermittlungen auf Leute auszuweiten, denen keine
konkreten Taten vorgeworfen werden, sondern Unterstützung oder Ähnliches.
Die wollen eine Rechtfertigung, [6][die antifaschistische Szene
auszuspähen].
Becker: Und es geht darum, das persönliche Umfeld einzuschüchtern.
taz: Im Kern werden unter dem Begriff zwei Tatkomplexe verhandelt: Die
Ermittlungen um Lina E., [7][die gerade mit dem Prozess gegen Johann G. in
die nächste Runde gehen] und sich um Taten in Deutschland zwischen 2018 und
2020 drehen – [8][und die Überfälle am neonazistischen Tag der Ehre 2023
in Budapest.] Verneinen Sie, dass es da einen Zusammenhang gibt?
Weißdorn: Ich kann das weder verneinen noch bestätigen, weil ich es nicht
weiß. Aber Jena zum Beispiel ist de facto ein Dorf, da kennt sich jeder aus
der Schule oder von woanders. Vielleicht kennen sich da ja Leute, aber das
heißt doch nicht, dass sie gemeinsam eine kriminelle Vereinigung gegründet
haben. Ich finde es schon aus der Luft gegriffen, zu sagen, dass die Leute,
die sich vor sechs Jahren Eisenach überlegt haben sollen, dieselben sind,
die nach Budapest gefahren sind. Viele der Budapest-Angeklagten waren zu
dem Zeitpunkt noch Teenager.
taz: Was sind die konkreten Auswirkungen der Einstufung der US-Behörden?
Becker: Wenn konkrete Einzelpersonen auf der Terrorliste auftauchen, dürfen
sie nicht mehr in die USA einreisen und können auch US-Dienste wie Paypal
nicht mehr nutzen. Auch internationales Vermögen kann eingefroren werden.
Aber ganz vieles ist total unklar. Vor allem, für wen das gilt. Muss man
rechtskräftig verurteilt werden, um auf diese Liste zu kommen, oder reicht
es, in der Presse mit der Antifa Ost in Verbindung gebracht zu werden? Aber
natürlich betrifft so etwas auch alle, die sich einfach nur mit
Antifaschismus solidarisieren wollen.
taz: Wie denn?
Weißdorn: Auch die Unterstützung von angeblichen Terrorist:innen ist ja
für US-Bürger:innen illegal. Die Auswirkungen für Familien und
Freund:innen kennen wir noch nicht. Auch Ungarn hat die Antifa Ost zur
Terrororganisation erklärt. Da muss man gar nicht für militanten
Antifaschismus sein, um ins Visier der Behörden zu geraten. Da reicht es,
in Budapest vor Gericht dagegen zu protestieren, dass Maja seit 500 Tagen
in Isolationshaft sitzt und illegal ausgeliefert wurde.
taz: Worin sehen Sie die politische Bedeutung der Einstufung?
Becker: Die extreme Rechte wird überall stärker, nicht nur in den USA.
Regierungen fangen deshalb überall an, Antifaschismus als etwas Schlechtes
darzustellen. Also nicht nur diejenigen, die wegen konkreter Tatvorwürfe
angeklagt oder verurteilt werden, sondern die Bewegung insgesamt. Der Blick
auf die Realität verschiebt sich. In Thüringen diskutieren wir plötzlich
darüber, ob Antifaschismus von der Verfassung abgedeckt ist, während die
Nazis Waffen horten und Todeslisten anlegen. Das verdreht doch total den
Blick darauf, wie real die Bedrohung von rechts aktuell ist.
taz: Viele, die der Antifa Ost zugerechnet werden, sitzen inzwischen in
U-Haft oder regulärer Haft. Was ist denn noch übrig von der Antifa Ost?
Weißdorn: Das ist ja das Spannende: Niemand weiß, wann das alles ein Ende
nimmt. Im aktuell laufenden Prozess in Dresden sind auch Leute angeklagt,
die nur ein Auto ausgeliehen haben sollen. Für diese Menschen ist schon der
Prozess eine Strafe, weil sie nun anderthalb Jahre zweimal die Woche nach
Dresden fahren müssen, während sie parallel Studium, Familie und Arbeit
unter einen Hut bekommen müssen. Ob es danach noch eine Prozessrunde zwei,
drei, vier, fünf und sechs geben wird, ist einfach unklar, weil alles so
ausgeufert ist.
taz: In Deutschland wird nicht wegen einer terroristischen Vereinigung
ermittelt. Fordern Sie von der Bundesregierung, dass sie die eigenen
Staatsbürger:innen vor den USA schützt?
Becker: Wir als Solikomitee für Maja fordern von der Bundesregierung, Maja
aus Ungarn zurückzuholen, und zwar sofort. Die rechtswidrige Auslieferung
dorthin muss rückgängig gemacht werden. Aber wir wollen uns nicht so sehr
auf die Staatsbürgerschaft beziehen, weil wir natürlich auch [9][die
Auslieferung von Zaid A. nach Ungarn verhindern wollen], der keine
Staatsbürgerschaft besitzt. Es kann nicht sein, dass da ein Unterschied
gemacht wird. Es sollte niemand nach Ungarn ausgeliefert werden. Selbst die
faschistische Meloni-Regierung in Italien setzt sich für ihre Leute ein. Es
ist eine Schande, dass die Bundesregierung so untätig bleibt
13 Dec 2025
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