# taz.de -- NS-Pläne zur Umgestaltung Berlins: Die ungebaute Stadt
       
       > Krieg und Kapitulation verhinderten den Bau von Albert Speers
       > Reichshauptstadt Germania, doch die Wunden im Stadtbild blieben. Eine
       > Spurensuche.
       
 (IMG) Bild: Nur ein Gebäude im Alsenviertel übersteht Abriss und Fliegerbomben: die Schweizerische Botschaft 1945
       
       Soll man diese Geschichte des Größenwahns und was von ihm blieb vom Ende
       her erzählen? Von der Befreiung durch die Rote Armee am 23. April 1945?
       
       Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter des Lagers 75/76 in
       Berlin-Schöneweide haben den Tag herbeigesehnt, erzählt Susanne Müller.
       „Sie saßen im Luftschutzkeller und hofften, dass sie nicht getroffen
       werden. Gleichzeitig wussten sie, dass jede Bombe das Ende des Krieges
       näher bringt.“
       
       Als es dann so weit war, war das Leid der Männer und Frauen aus der
       Ukraine, aus Polen, Russland oder Italien nicht zu Ende. Müller erzählt von
       Ugo Brilli, einem italienischen Zwangsarbeiter aus der Toskana. Der
       berichtete, wie er auf der Suche nach Essbarem in den Kellern der
       umgebenden Mietskasernen von einem Bewohner bedroht wurde. „Wenn wir die
       Sachen nicht dagelassen hätten“, schrieb Brilli in seinen Erinnerungen,
       „ich denke, er hätte uns kaltgemacht“.
       
       Susanne Müller führt an diesem kalten Novembermorgen eine Seminargruppe des
       Vereins [1][Berliner Unterwelten] über das Gelände des ehemaligen Lagers,
       in dem sich heute das [2][Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit] befindet.
       „Die Insassen durften sich nach der Befreiung frei bewegen“, sagt Müller.
       „Doch der Weg nach Warschau oder Italien war weit.“
       
       Weniger weit war der Weg für [3][Hans Freese]. Der in Oldenburg geborene
       Architekt hatte das Lager am Britzer Weg/Ecke Köllnische Straße Anfang 1943
       bauen lassen. In den 13 Baracken sollten 2.160 Zwangsarbeiter untergebracht
       werden, um in den nahe gelegenen Fabriken an der Spree in der
       Rüstungsproduktion zu arbeiten. Auftraggeber war der Generalbauinspektor
       (GBI) für die Reichshauptstadt Berlin, die Behörde von Albert Speer.
       
       Statt die „Große Halle“ zu bauen, den größten Kuppelbau der Welt für
       180.000 Hitlergrüße, hatte der Architekt des „Führers“ vier Jahre nach
       Kriegsbeginn ein Zwangsarbeiterlager in Auftrag gegeben. Es war nicht das
       erste. Im „Konzentrationslager der Reichshauptstadt“ wurde in Sachsenhausen
       bei Oranienburg schon 1939 eine Großziegelei eröffnet.
       
       Doch der Zweck der Lager hatte sich geändert. In Schöneweide mussten die
       Zwangsarbeiter wegen der Lage an der Front die Rüstungsproduktion
       hochfahren. Im „Klinkerwerk Oranienburg“ sollten sie das erforderliche
       Baumaterial für die Umgestaltung Berlins bereitstellen.
       
       Denn Speer hatte vor dem Krieg keinen geringeren Auftrag als den, in Berlin
       das alte Rom und Babylon zu übertrumpfen – als „Reichshauptstadt Germania“.
       „Die Vollendung“, hatte Adolf Hitler nach dem Sieg über Frankreich 1940 in
       einem Führerbefehl verkündet, „erwarte ich bis zum Jahre 1950.“
       
       Wer diese Geschichte des Größenwahns vom Ende her denkt, von der Befreiung
       der Zwangsarbeiter in Schöneweide und der deutschen Kapitulation am 8. Mai
       1945, atmet womöglich tief durch und spürt Erleichterung. Berlin wurde im
       Krieg zwar in weiten Teilen zerstört, doch „Germania“ war ihm erspart
       geblieben.
       
       Der Zeithorizont von Hitler und Speer aber war ein anderer. Ihr Ende ging
       über den Krieg hinaus. Zwar wurden die Planungen für die Umgestaltung
       Berlins nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad gestoppt. Doch
       Speers Behörde war 1943 nicht aufgelöst worden. Sie gaben nun Bunker und
       Zwangsarbeiterlager in Auftrag. Darüber hinaus wurde 1944 beim
       Generalbauinspektor der „Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter
       Städte“ eingerichtet.
       
       Auch Hans Freese, der Architekt des Lagers 75/76 in Schöneweide, gehörte
       diesem Arbeitsstab an. Wie 50 andere Architekten des GBI hatte Albert Speer
       Freese auf die „Gottbegnadeten“-Liste gesetzt und somit dem Zugriff der
       Wehrmacht entzogen.
       
       „Germania“ war trotz des Krieges nicht aufgehoben, sondern nur
       aufgeschoben. Für die Zeit nach dem Endsieg.
       
       ## Planungen für die Reichshauptstadt
       
       Vielleicht sollte man diese Geschichte mit einer Adresse beginnen.
       [4][Pariser Platz 4] lautet sie, heute befindet sich dort der Neubau der
       Akademie der Künste. Das 1857 von Eduard Knoblauch erbaute „Palais Arnim“
       war im Krieg zerbombt worden.
       
       1937 hatte der Pariser Platz 4 einen neuen Mieter bekommen. Mit seinen
       Planern zog Albert Speer, als Generalbauinspektor Person und Behörde in
       einem, ins klassizistische Palais und machte sich an die Arbeit. Der
       Berliner Oberbürgermeister war bald schon von seinen Zuständigkeiten
       entbunden worden. Albert Speer hatte freie Hand.
       
       Der in Mannheim geborene Speer war damals erst 31 Jahre alt. Nach dem Tod
       des bisherigen NS-Chefarchitekten Paul Ludwig Troost im Januar 1934 war
       Hitler auf ihn aufmerksam geworden. Im selben Jahr bekam Speer den Auftrag
       für den Bau der Neuen Reichskanzlei. Seinen Durchbruch feierte er dann mit
       den monumentalen Bauten, die er 1934/35 für die Reichsparteitage der NSDAP
       in Nürnberg errichtete. Die Belohnung: Am 30. Januar 1937, vier Jahre nach
       der Machtübernahme, ernannte Hitler seinen Lieblingsarchitekten zum
       Generalbauinspektor, fortan nur dem „Führer“ unterstellt.
       
       Um zu verstehen, was Speers Aufgabe war, besucht die Seminargruppe der
       Berliner Unterwelten [5][die Ausstellung Mythos Germania], die sich hinter
       einer Stahltür in einem Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Gesundbrunnen
       befindet. Im Zentrum der Ausstellung steht ein Modell der Nord-Süd-Achse,
       das für [6][Oliver Hirschbiegels Film] „Der Untergang“ 2004 gebaut wurde.
       Erweitert wurde es dann für [7][Heinrich Breloers Dokudrama] „Speer und Er“
       aus dem Jahr 2005. „Inzwischen gehört das Modell den Unterwelten“, sagt der
       Architekt Michael Richter, der das Seminar mit dem Titel „Reichshauptstadt
       Germania. Der geplante Umbau Berlins im Nationalsozialismus“ leitet.
       
       Richter geht um das Modell herum und zeigt auf die markanten Bauten, die
       Speer für den 7 Kilometer langen Hauptteil der Nord-Süd-Achse geplant
       hatte: Den 400 Meter breiten Südbahnhof als größten Bahnhof der Welt. Den
       117 Meter hohen Triumphbogen, viermal so groß wie sein Vorbild, der Arc de
       Triomphe in Paris. Den Führerpalast mit einem Empfangssaal, der achtmal so
       groß wie der im Weißen Haus gewesen wäre. Und natürlich die Große Halle mit
       einer Höhe von über 300 Metern, in die der Petersdom in Rom 17-mal
       hineingepasst hätte.
       
       „Nach dem Krieg wurde lange darüber diskutiert, ob die Große Halle in
       diesen Dimensionen überhaupt hätte gebaut werden können“, sagt Michael
       Richter. „Das war so eine Scheindiskussion, die von der Ungeheuerlichkeit
       der Planung wegführte. Im Sinne von: Wäre schon alles nicht so gekommen.“
       
       Doch Speer war es ernst. Die technischen Planungen hatte ein Konsortium
       übernommen, in dem sich das Who’s Who der Bauindustrie ein Stelldichein
       gab. Weite Teile des Alsenviertels, Berlins nobles Botschafterviertel im
       Spreebogen, wurden für den Bau der Halle abgerissen, zeitgleich wurde damit
       begonnen, die Spree umzuleiten. Noch in tausend Jahren, prophezeite Hitler,
       werde die Große Halle stehen.
       
       Stattdessen steht dort heute das Bundeskanzleramt. Es ist der Versuch, die
       Lücke, die mit dem Abbruch des Alsenviertels für die Welthauptstadt
       Germania gerissen wurde, mit einem demokratischen „Band des Bundes“ neu zu
       besetzen. Manche haben dem Architekten Axel Schultes deshalb vorgeworfen,
       in die Fußstapfen Speers zu treten. Michael Richter hält das für Unsinn.
       
       Wie viele der nicht gebauten Entwürfe ist die Große Halle ein Bauwerk, das
       auch ohne Realisierung fortlebt als Bild einer Diktatur, die selbst vor der
       Zerstörung der eigenen Hauptstadt nicht zurückschreckt. Wie die Halle
       wurden auch der Triumphbogen, der Führerpalast und der Südbahnhof nicht
       realisiert. So wie auch ein Verwaltungsgebäude, das Hans Freese, der
       Architekt des Schöneweider Zwangsarbeiterlagers, für die Nord-Süd-Achse
       entworfen hatte. Der Entwurf liegt heute im Architekturmuseum der TU
       Berlin. Denn Freese, Mitglied im Stab für den Wiederaufbau der Städte, war
       nach dem Krieg erster Rektor der TU geworden.
       
       Überhaupt gibt es nur wenige Zeugnisse von den Planungen des
       Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt: Die Kandelaber an der
       Ost-West-Achse gehören dazu oder das heutige [8][Ernst-Reuter-Haus]. Andere
       Bauten wie der Rohbau des Hauses des Fremdenverkehrs am geplanten „Runden
       Platz“ wurden nach dem Krieg abgerissen. Heute steht dort die
       Staatsbibliothek. Das Berliner Olympiastadion von Werner March, der
       Flughafen Tempelhof und das [9][Reichsluftfahrtministerium von Ernst
       Sagebiel], in dem heute das Finanzministerium untergebracht ist, wurden
       bereits vor den Planungen des Generalbauinspektors fertiggestellt.
       
       Germania scheiterte also, bevor es gebaut wurde. Ist das eine gute
       Nachricht? Oder verbirgt sich hinter dem bis heute anhaltenden Aufatmen
       auch der Wunsch nach Entlastung von diesem so schweren Erbe?
       
       Denn ganz so stimmt das natürlich nicht mit dem Nicht-gebaut-worden-Sein.
       Zwar blieb Germania tatsächlich ein ebenso erschreckendes wie
       beeindruckendes Bild. Das Fundament war aber vielerorts bereits gelegt. Und
       die Wunden, die damals geschlagen wurden, sind bis heute zu sehen. Nicht
       nur im ehemaligen Alsenviertel, sondern auch im großbürgerlichen
       Tiergartenviertel, das für die Planungen am „Runden Platz“ abgeräumt wurde.
       
       Am besten erzählt man die Geschichte von Germania also am Beispiel der
       Zerstörungen und Leerstellen, die es – noch vor seiner Realisierung –
       hinterließ. Als Suche nach den Spuren in einer Archäologie des Größenwahns.
       
       „Die Spuren und Zeugnisse von Germania existieren weniger im Vorhandensein
       als vielmehr in dem, was fehlt“, sagt dazu Architekt und Seminarleiter
       Michael Richter und nennt zerstörte Stadtviertel, aber auch die
       systematische Vertreibung und Deportation von Jüdinnen und Juden.
       
       „Noch vor den Novemberpogromen“, sagt Susanne Willems, „verknüpft Albert
       Speer seine Neugestaltungspläne mit eigenen Maßnahmen gegen die Berliner
       Juden“.
       
       ## Juden müssen Abrissmietern Platz machen
       
       Die Geschichte, die die Historikerin Willems im Seminarraum der Berliner
       Unterwelten nahe der einstigen Mauer in der Bernauer Straße erzählt, ist
       eine Parabel dafür, wie der Rassenwahn der Nazis Hand in Hand geht mit der
       bürokratisch-kriminellen Energie in den Schreibstuben der Täter am Pariser
       Platz 4. Albert Speer braucht nämlich Wohnraum – viel Wohnraum. Für die
       Bewohner der Abrisshäuser im Tiergartenviertel und im Alsenviertel. Und für
       all die anderen Betroffenen seiner Germania-Planung. Alleine 18.236
       Wohnungen sollen für die 7 Kilometer lange Nord-Süd-Achse abgetragen
       werden, insgesamt sind es 53.624 Wohnungen.
       
       Bis 1938 setzte Albert Speer auf Neubau – und auf Umsetzung der von Abriss
       betroffenen Mieter. Alleine in der sogenannten Südstadt südlich des
       geplanten Südbahnhofs sollte Wohnraum für 210.000 Menschen entstehen. In
       der Oststadt am östlichen Ende der Ost-West-Achse waren sogar Wohnungen für
       445.000 Menschen geplant. Doch die Vorbereitungen auf den Krieg machten die
       Neubaupläne zunichte, da nutzte Speer auch das „Klinkerwerk Oranienburg“
       nichts.
       
       „Um den Einstieg in den Umbau zu erzwingen“, sagt Susanne Willems, „strebte
       Speer an, sich Ersatzwohnungen aus dem Bestand an bewohnten Wohnungen zu
       verschaffen“. Gemeint ist, was in den Registern des Generalbauinspektors
       fortan unter „Judenwohnungen“ firmierte.
       
       Der Plan: Jüdische Berliner sollen aus ihren „Großwohnungen“ ausziehen und
       in „Kleinwohnungen“ gepfercht werden. Doch der Plan läuft schleppend an und
       nimmt erst Fahrt auf, als in Folge des Novemberpogroms 1938 Tausende Juden
       aus Berlin fliehen. Doch Speer ist ungeduldig, macht Tempo. „Das Gesetz
       über Mietverhältnisse mit Juden von April 1939 gestattet es der Behörde
       Speers, in Berlin den gesamten von Juden gemieteten oder vermieteten
       Wohnraum zu erfassen“, berichtet Susanne Willems. Begehrte Wohnanlagen
       weist der GBI ab Mai 1939 als „judenreine Gebiete“ aus.
       
       Dennoch leben bei Kriegsbeginn von den einst 160.000 Berliner Jüdinnen und
       Juden noch 74.000 in der Stadt. [10][In ihrem Buch] „Der entsiedelte Jude“
       hat Susanne Willems nachgewiesen, wie Albert Speer und seine Behörde von
       nun an mit der Gestapo Hand in Hand arbeiteten – und damit die Deportation
       von 50.500 Juden ermöglichten, die ab Oktober 1941 zunächst in die
       osteuropäischen Ghettos und später dann in die Vernichtungslager führte.
       Denn Speer hat die Listen und stellt sie der Gestapo zur Verfügung. „Er
       profitiert vom Abtransport der jüdischen Berliner in Lager und Ghettos, da
       weiterer Wohnraum frei wird“, betont Willems.
       
       ## Tote müssen der Welthauptstadt weichen
       
       „Das Berlin, das sich bis in die frühen 30er Jahre entwickelt hat, sollte
       zerstört werden“, sagt der Historiker Wolfgang Schäche, der einer der
       ersten war, der zu Speers Germania forschte und 1998 mit dem Landesarchiv
       Berlin die Ausstellung „Von Berlin nach Germania“ zusammentrug. „Das war
       das liberale Berlin, das war das demokratische Berlin, das war das jüdische
       Berlin. Auf den Trümmern dieses Berlins solle die Welthauptstadt Germania
       entstehen.“
       
       Germania ist zwar nicht entstanden, aber die Trümmer waren da. Nur sind sie
       inzwischen nicht mehr so leicht zu sehen. Wie markiert man die erzwungene
       Umsiedlung von Juden in sogenannte Schachtelwohnungen, in denen sich
       mehrere Familien wie Schachteln nebeneinander stapeln? Wer denkt am
       Berliner Kurfürstendamm daran, dass hier ein „judenreines Gebiet“ entstehen
       sollte? Ist das [11][Mahnmal Gleis 17], das am Bahnhof Grunewald an die
       Deportationen der Berliner Juden ab Oktober 1941 erinnert, auch ein
       Erinnerungsort für die von Speer „entsiedelten Juden“?
       
       Einfacher ist die Spurensuche dort, wo die Leerstellen bis heute sichtbar
       sind. Zum Beispiel auf dem St.-Matthäus-Kirchhof an der Schöneberger
       Großgörschenstraße.
       
       Der Matthäus-Kirchhof ist heute eine ganz besondere Grabstätte, das sehen
       auch diejenigen im Seminar der Unterwelten sofort, die nicht aus Berlin
       kommen. Das Grab von Rio Reiser kann es als Kultstätte längst mit dem von
       Jim Morrison auf dem Pariser Père Lachaise aufnehmen. Gleich hinter dem
       Eingang hat ein Verein das erste Friedhofscafé in Deutschland eröffnet.
       
       Was die meisten Besucher nicht wissen: 120 Erbgräber mussten 1938 und 1939
       den Planungen für die Nord-Süd-Achse weichen, darunter das Mausoleum der
       Familie Langenscheidt. Dieses befand sich im nördlichen Drittel des
       Friedhofs, der vom GBI entwidmet wurde. „25. Räumungsbereich“ hieß das
       Areal im bürokratischen Sprech der Speer-Behörde. Er umfasste neben dem
       Friedhofsareal auch Mietshäuser in der Großgörschenstraße, der
       Hochkirchstraße und der Katzlerstraße. Hier sollte das
       Reichsversicherungsamt gebaut werden.
       
       Um die Gräber umbetten zu können, musste der Waldfriedhof in Stahnsdorf
       Platz zur Verfügung stellen. Zur Alten Potsdamer Landstraße hin entstand
       dort die sogenannte Alte Umbettung, zu der auch das Mausoleum der
       Langenscheidts gehörte, das auseinandergebaut, mit der Bahn abtransportiert
       und in Stahnsdorf wieder zusammengesetzt wurde. Zur „Neuen Umbettung“ auf
       dem Südteil des Stahnsdorfer Friedhofs gehörten die Wahlgrabstätten und
       Reihengräber. So hat Germania also Spuren auch in Brandenburg hinterlassen.
       
       Nicht nur lebende Menschen mussten den Umbauplänen für die Reichshauptstadt
       also Platz machen, sondern auch Tote. Weil die sich nicht wehren konnten,
       kamen die Pläne zur Umbettung von Gräbern schneller voran als die Umsetzung
       von Mieterinnen und Mietern. Insgesamt wurden 18.000 Särge und Urnen
       umgebettet, berichtet der Historiker Dirk Reimann, der im Rahmen eines
       Forschungsprojektes der Stiftung Historische Friedhöfe 2001 auch die
       Geschichte des alten Matthäus-Kirchhofs in Berlin-Schöneberg untersuchte.
       
       Von Protesten gegen die Umbettungen ist nichts bekannt. Das hatte womöglich
       auch damit zu tun, dass die öffentliche Hand alle anfallenden Kosten
       übernahm. Für Michael Richter war die Umbettung einerseits heikel, weil
       sich die Nazis scheuten, auf völligen Konfrontationskurs zur Kirche zu
       gehen. Allerdings gehörte zur Ideologie des Nationalsozialismus auch ein
       ausgeprägter Totenkult.
       
       Diesen symbolisierte in der Nord-Süd-Achse vor allem der monumentale
       Triumphbogen, den Speer nach einer Skizze von Hitler aus dem Jahre 1925
       entwarf. Er sollte den deutschen Toten des Ersten Weltkriegs gewidmet
       werden und die Namen aller Gefallenen als Inschrift tragen. So wäre ein
       Bogen geschlagen worden, von der „Schande von Versailles“, die es ohne den
       „Dolchstoß der Vaterlandsverräter“ nicht gegeben hätte, bis zur
       Auferstehung Deutschlands als „Tausendjähriges Reich“ – in Gestalt seiner
       Welthauptstadt Germania.
       
       Wer auf dem Aussichtsturm in der General-Pape-Straße steht, kann in seiner
       Fantasie den Verlauf der geplanten Nord-Süd-Achse mit dem heutigen
       Stadtbild abgleichen. Ganz einfach ist das nicht, denn der Südbahnhof
       sollte nicht unmittelbar dort entstehen, wo sich heute der Bahnhof Südkreuz
       befindet, sondern ein Stück weiter östlich.
       
       Auch deshalb ist der Aussichtspunkt eine gute Orientierung im Raum. Denn
       unmittelbar daneben sollte nach dem „Endsieg“ der Triumphbogen stehen. Um
       zu untersuchen, ob der Baugrund der Last der vier Pfeiler standgehalten
       hätte, ließ der GBI ein Bauwerk errichten, das bis heute als einzige
       Hinterlassenschaft der Planungen für die Nord-Süd-Achse gilt.
       
       „[12][Schwerbelastungskörper]“ nennt Michael Richter den 14 Meter hohen und
       kreisrunden Baukörper aus Beton, der mehr als 12.000 Tonnen wiegt. Mit dem
       Bezirk Tempelhof-Schöneberg haben ihn die Unterwelten zu einem
       Informationsort gemacht, der an authentischer Stelle daran erinnert, was
       die Nord-Süd-Achse für das Stadtbild Berlins bedeutet hätte.
       
       Denn Speers Planung hätte die vorhandene Stadt nicht nur dort zerstört, wo
       sie ihr im Wege war. Sie hätte sich dort, wo sie bleiben durfte, auch über
       sie erhoben. An einem Modellfoto ist im Ausstellungsgelände des
       Schwerbelastungskörpers nämlich zu sehen, wie die Nord-Südachse nördlich
       des Südbahnhofs aus dem umliegenden Quartieren emporgewachsen ist. „Sie
       wäre so hoch gewesen wie der Schwerbelastungskörper“, sagt Richter den
       erstaunten Seminarteilnehmern. „Der Blick vom Ausgang aus dem Südbahnhof
       sollte durch den Triumphbogen die Große Halle zeigen, ohne dass diese durch
       den Bogen abgeschnitten worden wäre“, sagt Richter. „Dafür das Anheben des
       Bauplatzes um den Bogen.“
       
       Der Schwerbelastungskörper hat den Krieg überstanden und auch die
       Nachkriegszeit, in der vieles, was an Hitlers und Speers Germania erinnert
       hätte, abgeräumt wurde. Geschleift wurde nicht nur der Rohbau des Hauses
       des Fremdenverkehrs am Großen Platz, sondern auch die Neue Reichskanzlei,
       mit der Speers Karriere als Hitlers Architekt begonnen hatte.
       
       War das was?
       
       ## Der lange Weg zur Aufarbeitung
       
       Germania war lange Zeit versunken wie ein Atlantis einer untergegangenen
       Epoche. Erst als im Landesarchiv Akten aus der Plankammer des
       Generalbauinspektors gefunden wurden, begann – mit der Ausstellung 1998 –
       die Aufarbeitung.
       
       Albert Speer, in Nürnberg zu 20 Jahren Haft verurteilt, war da längst ein
       freier Mann, seine Memoiren waren Bestseller geworden. Wenn schon Speer
       nichts von Auschwitz gewusst haben will, wie er behauptete, durften es
       Millionen Deutsche dann nicht auch?
       
       Und seine Architekten? Machten in der Bundesrepublik oder in der DDR
       Karriere. Hans Freese, der Architekt des Zwangsarbeiterlagers in
       Schöneweide, wurde nicht nur Rektor der TU Berlin. Er beteiligte sich auch
       an Wettbewerben für den Wiederaufbau von Städten wie Potsdam, Oranienburg,
       Cottbus und Eichwalde. 1955 gewann er den Wettbewerb für den Neubau des
       Auswärtigen Amtes in Bonn.
       
       25 Dec 2025
       
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       Leben.
       
 (DIR) Erinnerungskultur in Berlin: Von Ossietzky bis Heß
       
       Um kein Pilgerort zu sein, wurde das Kriegsverbrechergefängnis in Berlin
       abgerissen. „Spandau Prison“ erinnert an den Ort, wo einst auch NS-Gegner
       saßen.
       
 (DIR) Architektur nach der Nazi-Zeit: Lieblose Städte, kalte Städte
       
       Was von den Bombern der Alliierten verschont blieb, fiel den Architekten
       der jungen BRD zum Opfer. Bis heute sind deutsche Städte davon geprägt.
       
 (DIR) Ausstellung zu Bauhaus und NS-Zeit: Auch Hitler saß im Freischwinger
       
       Eine Ausstellung in Weimar zeigt, wie das Bauhaus im NS fortlebte. Ihr
       Fazit: Es gab keinen Bruch zwischen Bauhaus-Moderne und Nazi-Ästhetik.