# taz.de -- UN-Klimakonferenz enttäuscht: Zu wenig, zu spät
> Der Klimagipfel hat ernsthafte Erfolge errungen. Aber sie werden
> überschattet vom Scheitern, Ausstiegspläne aus den Fossilen auf den Weg
> zu bringen.
(IMG) Bild: Aktivisten sind unzufrieden mit dem Ergebnis des Gipfels – Pläne für den fossilen Ausstieg wurden nicht auf den Weg gebracht
Kolumbien wagte den Aufstand: „Wie können wir über die Minderung des
Klimawandels sprechen, wenn wir nicht die Abkehr von den fossilen
Brennstoffen diskutieren können?“, fragte die kolumbianische Delegierte
Daniela Durán im Abschlussplenum und brachte so die Sitzung für etwa eine
Stunde zum Stillstand: Wenn es zum Abschlussplenum kommt, haben
üblicherweise alle Staaten Zustimmung zu den Beschlüssen signalisiert.
Duráns Intervention blieb letztlich folgenlos. Aber sie zeigte, wie
frustriert viele Staaten und Beobachter*innen nach den zweiwöchigen
Verhandlungen im brasilianischen Belém waren. „Dass diese
Weltklimakonferenz mit einer Einigung auseinander geht, die den Ausstieg
aus Kohle, Öl und Gas nicht mal erwähnt und keine ausreichende Finanzierung
sicherstellt, ist inakzeptabel und geht an der Realität der Klimakrise
vorbei“, sagte Carla Reemtsma von Fridays For Future. Diese Einigung
versage dabei, Menschen vor den immer schlimmeren Folgen der Klimakrise
ernsthaft zu schützen.
„Wir haben keinen Rückschritt, aber einen Seitschritt gemacht“, sagte
Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD). Er sei „ein bisschen
enttäuscht.“
Diese Enttäuschung hat mehr mit den vergangenen zwei Wochen zu tun als mit
dem Ergebnis: Wäre den Staaten vor Beginn des Gipfels diese Einigung
vorgelegt worden, hätten die meisten wohl ohne viel Murren unterschrieben.
## Eigentlich können sich die Ergebnisse sehen lassen
Denn die brasilianische Präsidentschaft hat genauso wie zum Beispiel der
deutsche Delegationsleiter Jochen Flasbarth (SPD) die Erwartungen bewusst
niedrig gehalten: Die Konferenz werde ein Erfolg, „wenn von ihr das Gefühl
ausgeht, dass der Rest der Welt außer den USA zusammenhält und sich zum
UN-Prozess bekennt“, sagte er [1][vor der Konferenz im taz-Interview].
Dafür reichte ein Beschluss, egal wie schwach. „Wir wollten, dass der
Gipfel ein Ergebnis produziert und zeigt, dass der Multilateralismus
funktioniert, auch wenn es schwierig ist“, sagte Schneider zum Abschluss
der Konferenz.
In vielen Bereichen kann sich der „Umsetzungsgipfel“, wie ihn die
Konferenzleitung angekündigt hatte, sogar sehen lassen: Erstmals soll im
Rahmen der UN-Klima-Architektur über die Folgen von Handelsmaßnahmen wie
Zöllen auf den Klimaschutz gesprochen werden – das war vielen Ländern des
Globalen Südens wichtig.
Außerdem wollte die Konferenzleitung die vielen internationalen
freiwilligen Klimaschutzinitiativen organisieren und hat tatsächlich 117
Pläne in den verschiedensten Bereichen vergleich- und messbar gemacht: wie
Landwirtschaft mit weniger Methan-Ausstoß gelingen oder die Betonproduktion
klimafreundlicher werden kann zum Beispiel, [2][jeweils mit konkreten
Maßnahmen und Zielen, an denen Erfolg und Scheitern abgelesen werden kann].
Südkorea schloss sich einer Allianz von Staaten an, die aus der
Kohleverstromung aussteigen wollen und Mexiko legte ein Klimaziel vor, das
die Entwicklungsorganisation Oxfam einen „ehrgeizigen Sprung nach vorn“
nannte.
## „Die progressivste Sprache, die wir je gesehen haben“
Der Gipfel beschloss zudem, einen Mechanismus für eine gerechte
Energiewende einzurichten – einer der wenigen Beschlüsse, dem die
Delegierten im Abschlussplenum applaudierten. „Das ist die erste
Klima-Institution, die mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der
Energiewende umgehen soll“, sagte Annabella Rosemberg vom Climate Action
Network.
Der Mechanismus muss noch konkret ausgestaltet werden. Aber geht es nach
Rosemberg, soll er eine Beratungsstelle werden, bei der verschiedene
Initiativen – Arbeiter*innen, Kommunen, Indigene – nach Unterstützung
fragen können. Sie erhalten Zugang zu Erfahrung und Wissen anderer
Initiativen und Länder, und Hilfe dabei, Gelder aus vorhandenen Fonds
abzurufen. „Alle anderen Beschlüsse dieses Jahr bringen Beschlüsse oder
Dialoge. Das hier ist etwas Echtes“, sagte Rosemberg.
Verhandlungsführer für die EU war zusammen mit seinem estnischen Kollegen
Andres Sutt der Deutsche Carsten Schneider. Rosemberg findet, er habe sich
bei seinem ersten Klimagipfel gut geschlagen. „Es ist ein positives Signal,
dass die EU den Deal akzeptiert hat“, sagte Rosemberg. Im Block gab es
Vorbehalte dagegen, noch eine Klima-Institution aufzubauen. „Sie haben
etwas geschaffen, das Nord und Süd zusammenbringt.“
Die Rechte von Arbeiter*innen werden im Abschlusstext zur gerechten
Energiewende betont, aber auch, dass indigene Völker, Migrant*innen,
Menschen mit afrikanischer Abstammung, Frauen, Ältere, Kinder und
behinderte Menschen miteinbezogen werden müssen. „Das ist die progressivste
Sprache, die wir je in einem Klimagipfel-Beschluss gesehen haben“, sagte
Rosemberg. „In einem Ozean schlechter Nachrichten gehen wir mit diesem
Mechanismus wirklich zufrieden nach Hause.“
## Präsident Lulas Forderung brachte alles durcheinander
Die Delegierten konnten sich auch – zähneknirschend – auf ein globales Ziel
für die Klima-Anpassung einigen. Die Industrieländer versprachen, die
Gelder dafür bis 2035 zu verdreifachen – was der Ausgangswert für diese
Verdreifachung ist, blieb allerdings ungeklärt. „Die Beschlüsse sind
enttäuschend schwach und bei Weitem nicht ausreichend, um die ärmsten und
verletzlichsten Bevölkerungsgruppen für die Klimakrise zu wappnen“, sagte
Sabine Minninger, Klima-Expertin der Entwicklungsorganisation Brot für die
Welt.
Überschattet wurden diese Erfolge und Diskussionen die ganzen zwei
Konferenzwochen über von der Forderung des brasilianischen Präsidenten Lula
da Silva, Pläne für den Ausstieg aus den Fossilen und den Entwaldungsstopp
auf den Weg zu bringen. Nachdem er die Idee überraschend in seiner
Eröffnungsrede erwähnt hatte, gewann sie im Laufe der ersten anderthalb
Wochen an Schwung: Am Dienstag der zweiten Woche [3][versammelten sich 83
Staaten hinter der Forderung nach einem Ausstiegsplan].
„Wir bringen viele verschiedene Interessen zusammen“, sagte die
Klimabotschafterin der vom Meeresspiegel-Anstieg bedrohten Marshallinseln
Tina Stege. Neben den EU-Staaten waren auch zahlreiche Staaten des globalen
Südens dabei, sogar die Öl-Produzenten Mexiko und Guyana. Umweltminister
Schneider sprach davon, die Welt müsse sich von fossilen Brennstoffen
„befreien“. Das wäre ein „sensationelles Ergebnis“ gewesen, sagte Christoph
Bals, politischer Geschäftsführer von der Umweltorganisation Germanwatch.
## Ohne Geld keine Unterstützung
Aber 83 Staaten sind weniger als die Hälfte der 194, die für eine
Konsensentscheidung nötig wären. Es fehlten die großen Öl- und Gas-Länder
genauso wie andere wichtige Schwellenländer. Die 83 Verbündeten stellten
weniger als zehn Prozent der globalen Produktion und des Verbrauchs von
Kohle, Öl und Gas.
Die Allianz der kleinen Inselstaaten habe nicht geschlossen sprechen
können, berichtete der gut vernetzte Bals – Singapur sei ausgeschert. Die
Allianz der ärmsten Staaten auch nicht, weil Senegal sich quergestellt
habe. „Über Nacht sind Russland, Saudi-Arabien, China und Nigeria zur
Konferenzleitung gegangen und haben gesagt, sie unterstützten das nicht“,
sagte Bals. „Dann wusste sie nicht mehr, wie sie einen Konsens herstellen
sollen.“
Europa habe seine Rolle auf der Konferenz nicht gefunden, sagte Martin
Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace: „Durch die lange
verzögerte Entscheidung zum EU-Klimaziel wurden viel zu spät
fortschrittliche Allianzen aufgebaut und es fehlen zusätzliche finanzielle
Mittel.“ So habe der „richtige“ Einsatz der EU für einen schnellen Ausstieg
aus den Fossilen am Ende zu wenig Dynamik und keine ausreichenden
Mehrheiten entwickelt.
Die Staaten des Globalen Südens haben es an den Finanzmärkten viel
schwerer, an Geld zu kommen. Ihr Katastrophenschutz ist oft unterfinanziert
und schlechter ausgestattet als in den Industriestaaten. Dürren und Stürme,
die durch die Erderhitzung heftiger und häufiger werden, setzen ihnen noch
mehr zu als den reichen Ländern des Nordens – Hurrikan Melissa richtete
[4][der Weltbank zufolge] wenige Wochen vor der Klimakonferenz in Jamaika
Schäden in Höhe von fast 9 Milliarden US-Dollar an, etwa die Hälfte des
Bruttoinlandsprodukts des Landes.
Aber die Industrieländer wollten sich nicht auf die Forderung der
verletzlichsten Staaten einlassen, bis 2030 120 Milliarden US-Dollar
Anpassungsgelder zur Verfügung zu stellen. Dann von den ärmeren Ländern
mehr Ambition – also auch mehr Ausgaben – beim Klimaschutz zu erwarten, ist
gewagt. „Die EU und Deutschland haben eine starke Rolle bei der
Klimaschutz-Ambition gespielt“, sagte Bals. „Aber die große Schwachstelle
war der Finanzierungsteil.“
## Schneider will „Allianzen für die neue Weltordnung“
Letztlich ist die Bewegung für den Ausstiegsplan am Geld gescheitert und
daran, dass sie so spontan entstanden ist – die brasilianische
Konferenzleitung hat den Gipfel anderthalb Jahre vorbereitet, aber
Ausstiegspläne standen überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Auch der Plan
für den Entwaldungsstopp steht nun in keinem Abschlusstext.
Konferenzpräsident André Corrêa do Lago kündigte an, dass sein Team
innerhalb des kommenden Jahres die Pläne entwickeln würde, aber bindend
sind sie dann für niemanden. Kolumbien präsentierte am Donnerstag stolz die
„Belém-Erklärung für den Ausstieg aus den Fossilen“, [5][der sich 23 andere
Staaten anschlossen]. Aber der „sensationelle Erfolg“ blieb aus.
Das zeigt auch die Stärke der Staaten mit fossilem Geschäftsmodell, die die
wackelige Position der EU zu ihrem Vorteil genutzt haben. „Wir waren
konfrontiert mit stark auftretenden Petro-Staaten, die jeden Fortschritt
verhindern“, sagte Umweltminister Schneider.
Er hätte erwartet, von den besonders betroffenen Staaten eine lautere
Stimme zu hören, sagte Schneider. „Wir müssen jetzt Allianzen organisieren
[6][für die neue Weltordnung].“
Hätten sie damit mal früher angefangen.
23 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Klima-Diplomat-ueber-Vorgehen-der-USA/!6128804
(DIR) [2] https://climateaction.unfccc.int/assets/documents/3_.pdf
(DIR) [3] /Ueberraschung-auf-Klimagipfel/!6130995
(DIR) [4] https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2025/11/19/world-bank-idb-estimate-hurricane-melissa-damage-to-jamaica-totals-all-time-high-of-us-8-8-billion
(DIR) [5] /Initiative-auf-der-Klimakonferenz/!6131747
(DIR) [6] /Kampf-gegen-die-Erderhitzung/!6123497
## AUTOREN
(DIR) Jonas Waack
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