# taz.de -- Queerer Sonntags-Clubs in Berlin: „So etwas gibt es sonst nirgends in Berlin“
       
       > Helene Morgenstern Lu arbeitet hinter dem Tresen des queeren
       > Sonntags-Clubs in Berlin. Nun will die Stadt dem Club das Geld streichen.
       
 (IMG) Bild: Den Sonntags-Club gibt es seit den 80ern. Helene Morgenstern Lu ist seit 2018 dabei
       
       taz: Frau Lu, im Vorgespräch haben wir festgestellt, dass wir beide aus
       Mecklenburg stammen. Ich komme aus der Nähe von Schwerin. Wo kommen Sie
       her? 
       
       Helene Morgenstern Lu: Ich bin in Rostock geboren, wohne aber schon lange
       in Berlin und berufsbedingt auch in Finsterwalde. Ich wurde in Berlin
       eingeschult und bin dort zur Grundschule gegangen, zwischendurch haben wir
       mal auf dem Land gelebt, in der Uckermark und der Altmark. 2004 sind wir
       wieder zurück nach Berlin gezogen, und das ist mein Lebensmittelpunkt, weil
       hier Freunde und Familie leben.
       
       taz: Und was ist mit Finsterwalde? 
       
       Lu: Seit 2017 arbeite ich als Tierärztin im Süden von Brandenburg. Täglich
       pendeln geht nicht, und so habe ich meinen Zweitwohnsitz in Finsterwalde.
       
       taz: Dann müssen Sie Zweitwohnsitzsteuer zahlen? 
       
       Lu: (lacht) Nein, Finsterwalde erhebt keine Zweitwohnsitzsteuer. In Berlin
       gibt es so eine Steuer, ich weiß aber nicht, wie hoch die wäre.
       
       taz: Sie arbeiten als Ehrenamtlerin im Berliner Sonntags-Club. Wie lange
       machen Sie das schon? 
       
       Lu: Ich bin seit Anfang 2018 dabei und arbeite am Tresen und bin unter
       anderem für die Getränke zuständig.
       
       taz: Ich stell mir das anstrengend vor, ständig Milch zu schäumen. Wie viel
       Cappuccini machen Sie in so einer Schicht? 
       
       Lu: (lacht) Tatsächlich macht das Schäumen die Maschine automatisch und
       damit nicht viel Arbeit, wir haben einen Vollautomaten. Ich habe aber schon
       in der Gastronomie mit Siebträgermaschinen gearbeitet, das ist etwas
       anderes. Hier beschäftige ich mich eher mit Bierschaum.
       
       taz: Was ist da die Herausforderung? 
       
       Lu: Den gut hinzukriegen. Manchmal schäumt das Bier zu viel, wenn es aus
       dem Fass kommt, und manchmal zu wenig.
       
       taz: Den Sonntags-Club im Osten Berlins gibt es seit den 1980er-Jahren.
       Wann kamen Sie zum ersten Mal her? 
       
       Lu: Den Sonntags-Club habe ich 2017 kennengelernt. Eine Freundin ist in
       eine der Selbsthilfegruppen gegangen, von denen es hier viele gibt. Es war
       eine Gruppe für Handwerkerinnen, die am Frauen*Freitag stattfindet. Ich
       bin da mit ihr hin, obwohl das nicht meiner Profession entspricht. Doch
       zeitgleich fand eine Gruppe für Frauen in Gesundheitsberufen statt – das
       war passend für mich.
       
       taz: Für alle, die den Sonntags-Club nicht kennen: Wie sieht so ein
       FrauenLesben*Freitag aus? 
       
       Lu: Man trifft sich und tauscht sich aus, es ist ein offener Abend für
       Frauen und nichtbinäre Lesben oder je nach Programm für Flinta. Da können
       dann alle kommen, bis auf Cis-Männer, die sind aber an allen anderen Tagen
       willkommen.
       
       taz: Und wie kamen Sie als Ehrenamtlerin an den Tresen? 
       
       Lu: Irgendwann wurde mal in die Runde geworfen, dass Tresenkräfte gesucht
       werden. Ich habe mich gemeldet. Schon während meines Studiums habe ich
       wahnsinnig gerne gekellnert. Mir hat das schon immer viel Freude bereitet,
       für Leute da zu sein und einen schönen Raum für Begegnungen zu schaffen.
       
       taz: Wie oft übernehmen Sie eine Schicht? 
       
       Lu: Weil ich unter der Woche in Brandenburg arbeite und dort wohne, bin ich
       natürlich zeitlich eingeschränkt. Ich versuche, mindestens einmal im Monat
       am Freitag hier zu sein. Der Frauen*Freitag ist mein fester Tag. Und
       wenn es passt, feiertags oder im Urlaub, übernehme ich vielleicht auch
       einen zusätzlichen Tag. Wenn ich Tresendienst habe, versuche ich, an dem
       Freitag ein bisschen früher Schluss oder vielleicht sogar Homeoffice in
       Berlin zu machen, um rechtzeitig da zu sein.
       
       taz: Es geht hier am frühen Abend los, habe ich am Eingang den
       Öffnungszeiten entnommen … 
       
       Lu: So um 17.15 oder 17.30 Uhr starten wir mit Vorbereitungen und um 18 Uhr
       öffnet sich das Café. Normalerweise ist es bis 23 Uhr offen – sieben Tage
       die Woche. Und dann hängt es ein bisschen davon ab, wie lange die
       Tresenkräfte Zeit und Lust haben. Am Frauen*Freitag geht das auch schon
       mal bis nach Mitternacht. Wenn alle gemütlich zusammensitzen, habe ich
       nichts dagegen, noch ein bisschen länger aufzulassen.
       
       taz: Sind Sie dann Teil der gemütlichen Runde oder nur die eine, die eben
       arbeiten muss? 
       
       Lu: Das ist ja das Schöne, dass sich hier mit der Zeit ein Freundeskreis
       aufgebaut hat. Viele der Gästinnen, die am Freitag kommen, sind
       Stammpublikum.
       
       taz: Sie kennen sich also alle gut. 
       
       Lu: Genau, wir kennen uns und dann kommen natürlich Gespräche zustande.
       Oder ich setze mich mit dazu, habe dabei aber immer noch den Tresen im
       Blick. Ich bin auch Teil der Runde und das ist dann meine Abendgestaltung.
       
       taz: Warum arbeiten Sie im Sonntags-Club und nicht woanders? Es gibt ja
       viele ehrenamtliche Betätigungsfelder. 
       
       Lu: Ich bin Teil der LGBTQ*-Community und mir ist wichtig, mit meiner
       Tätigkeit und gezielt diesen Ort zu unterstützen. Ohne Ehrenamt geht es
       nicht, das Café wird allein durch freiwillige Arbeit getragen. Deswegen ist
       es wichtig, dass sich Menschen hier engagieren.
       
       taz: Können Sie sich ins Jahr 2017 zurückversetzen, als Sie den
       Sonntags-Club kennengelernt haben? Wie war es, den Raum – diesen Safe Place
       – zu entdecken? 
       
       Lu: Ich war vornehmlich am Freitag da, aber auch mal an anderen Tagen in
       der Woche. Es war leicht, hier Kontakte zu knüpfen, weil die Lust,
       miteinander ins Gespräch zu kommen, einfach da ist, so grundsätzlich. Und
       mittlerweile ist der Sonntags-Club für mich zu einer Art erweitertem
       Wohnzimmer geworden und der Frauen*Freitag etwas sehr Vertrautes. Ein
       schöner Abend, den ich mir gestalte, und keine Arbeit.
       
       taz: Unter Gleichgesinnten zu sein, erleichtert das Miteinander doch
       ungemein. 
       
       Lu: Ja, Gleichgesinnte, die auch Teil der LGBTQ*-Community sind oder
       Verbündete.
       
       taz: Nun drohen ab nächstem Jahr erhebliche Kürzungen, die vor allem den
       Fortbestand des FrauenLesben*Freitags gefährden Was würde verloren
       gehen? 
       
       Lu: Das mit der Kürzung ist dramatisch. Wenn der Frauen*Freitag
       wegfallen müsste, würde etwas Essenzielles fehlen. Der Sonntags-Club ist
       mit seinen Angeboten und als Anlaufstelle für Ratsuchende unglaublich
       bereichernd für alle, die herkommen. Auch, weil verschiedene Altersgruppen
       erreicht werden, das ist besonders, so etwas gibt es in dieser Form sonst
       nirgends in Berlin.
       
       taz: Wie ist aktuell die Stimmung am Frauen*Freitag? Alle wissen von den
       drohenden Kürzungen. 
       
       Lu: Das hat alle wirklich tief getroffen und schockiert. Es herrscht eine
       bedrückte Stimmung, einerseits in diesem konkreten Fall, aber andererseits
       auch wegen der politischen Stimmung, die sich gedreht hat, nicht nur lokal,
       mit einer weniger progressiven Regierung hier im Land Berlin, sondern auch
       auf Bundesebene.
       
       taz: Zumal der Sonntags-Club eine ganz besondere Geschichte hat. 
       
       Lu: Der Sonntags-Club ist DIE queere Ostberliner Institution. Auch wenn ich
       mit meinen 38 Jahren nicht mehr viel von der DDR mitbekommen habe, bin ich
       schon ostdeutsch sozialisiert worden. Meine Mutter ist gebürtige
       Dresdnerin, mein Vater kommt aus Rostock. Ich gehöre zu einer Generation,
       wo das noch eine Rolle spielt. Vielleicht ist es auch deshalb ein
       besonderes Anliegen von mir, diesen besonderen Ort zu unterstützen.
       
       taz: Die fehlende Finanzierung könnte das Team der Ehrenamtler:innen
       nicht kompensieren? 
       
       Lu: Das ist unmöglich. Viele kommen mehrmals in der Woche oder im Monat und
       stecken viel Herzblut rein. Mehr geht da neben der Arbeit und dem Alltag
       gar nicht. Und die Arbeit, die Serena Raucci, die den Frauen*Freitag
       hauptamtlich organisiert, macht, wäre ehrenamtlich nicht aufzufangen.
       Sicherlich könnte man in Teilen versuchen, das zu ergänzen, aber füllen
       können wir diese Lücke nicht.
       
       taz: Mit Ihren beiden Wohnorten in einer Brandenburger Kleinstadt und der
       Hauptstadt: Können Sie als offen queere Person Unterschiede ausmachen? Gibt
       es Differenzen darin, wie die Menschen mit Ihnen umgehen? 
       
       Lu: Im Arbeitsalltag ist das eigentlich recht wenig Thema. Ich laufe ja
       nicht mit einer Regenbogenfahne herum (lacht). Ich habe zwar so ein
       Regenbogen-Armbändchen, aber das fällt niemandem auf, es ist nicht
       unbedingt das, worauf die Leute jetzt achten oder mich darauf ansprechen
       würden. Es ist auch noch nicht vorgekommen, dass ich dafür angefeindet
       worden bin, wenn ich mit meiner Partnerin Arm in Arm laufe.
       
       taz: In Finsterwalde findet wahrscheinlich kein CSD statt. 
       
       Lu: Da gibt es keinen. Der nahegelegenste ist der in Cottbus, der am 25.
       Oktober zum 17. Mal stattfand. Ich war dabei, zusammen mit meiner Freundin.
       Das hatte ich mir dieses Jahr vorgenommen, die CSDs im ländlichen Bereich
       zu unterstützen. Ich halte es für wichtig, dass die große LGBTQ*-Community
       aus Berlin die lokalen CSDs im ländlichen Bereich unterstützt. Auch
       deshalb, weil wir hier in der Großstadt unter einer Käseglocke leben.
       
       taz: Ja, wir leben in Berlin in einer queeren Bubble. 
       
       Lu: Deshalb ist es gut, über den Tellerrand zu schauen und die Community
       vor Ort zu stärken, die Leute nicht allein zu lassen, und zu zeigen, dass
       wir an ihrer Seite sind.
       
       taz: Wie sehen Sie generell die Entwicklung in Berlin, „der Stadt der
       Vielfalt“, wie der Regierender Bürgermeister Kai Wegner immer wieder in
       Sonntagsreden betont, der gleichzeitig bei queeren Projekten Kürzungen
       vornimmt. Enttäuscht Sie so eine Politik? 
       
       Lu: Ich finde wirklich schlimm, dass einfach vom Schreibtisch aus die Seele
       dieser Stadt weggekürzt wird, ohne sich wirklich mit den einzelnen
       Projekten zu beschäftigen. Und ohne zu hinterfragen, was es für die Leute
       bedeutet, die ihre Energie in diese Projekte stecken. Das ist eine
       schlechte Entwicklung. Auch wenn ich verstehe, dass der Haushalt
       konsolidiert werden muss, denke ich, dass man da mit Augenmaß rangehen
       muss.
       
       taz: Noch mal zurück zu Ihrem Tresendienst am Frauen*Freitag. Ihre Schicht
       beginnt ja gleich … Was verkaufen Sie in so einer Schicht am meisten? 
       
       Lu: Das schwankt immer mal, auch nach Jahreszeit …
       
       taz: Aperol-Spritz oder …? 
       
       Lu: … den haben wir leider nicht. Vielleicht sollten wir den mit auf die
       Karte nehmen? Es gibt Abende, da wird mehr Bier getrunken, und es gibt
       manche Abende, da habe ich das Gefühl, dass ich nonstop Gin Tonic
       zubereiten muss. Manchmal gibt es auch Weinabende. Ich weiß nicht,
       vielleicht ist das ansteckend, wenn da schon so ein Glas steht, dann
       bestellt sich die Nächste auch so einen Drink.
       
       taz: Wie groß ist das Team der Ehrenamtler:innen? Es müssen viele sein, Ihr
       habt doch jeden Abend offen von 18 bis 23 Uhr. 
       
       Lu: Das weiß ich auswendig gar nicht. Da muss ich im Schichtplan nachzählen
       … (steht auf, geht hinter den Tresen und schnappt sich eine Liste und zählt
       leise vor sich hin) … aktuell rund 30 Leute. Das schwankt manchmal. Manche
       Personen müssen sich mal eine Zeit lang rausnehmen oder übernehmen dann
       auch mal wieder mehr Schichten. Wir versuchen, eine Schicht immer mit zwei
       Personen zu besetzen. Manchmal ist sogar eine dritte Person mit am Tresen,
       wenn es große Veranstaltungen sind, etwa zum Eurovision Songcontest. Der
       ist hier eine große Sache und wird live geguckt. Oder beim Frauen*Freitag,
       da ist einmal im Monat Disco und eine DJane legt auf. Es geht für Berliner
       Verhältnisse früh los, ab 19 Uhr, und dann nur bis 22 Uhr.
       
       taz: Wahrscheinlich wegen der Lärmproblematik? 
       
       Lu: Ja, es wohnen halt überall Nachbarn um uns herum. Aber das ist ja auch
       in Ordnung. Das ist dann halt der frühe Abend und danach kann, wer will, in
       die Clubs wechseln.
       
       taz: Was muss mensch für die Arbeit am Tresen mitbringen? 
       
       Lu: Auf jeden Fall Begeisterung für die Arbeit hier, das sind eher
       praktische Aspekte rund um Getränke. Und es geht auch darum, alles in
       Ordnung und sauber zu halten. Noch viel wichtiger ist, dass man eine
       Affinität für Menschen mitbringt. Die Personen am Tresen prägen die
       Atmosphäre im Club, kümmern sich um Leute, die vielleicht noch nie hier
       waren, vermitteln womöglich zwischen den Menschen, die an dem Abend da
       sind.
       
       taz. Es braucht ein Gefühl für Menschen, Fingerspitzengefühl, und
       freundlich muss man eh sein. 
       
       Lu: Ja, das wäre gut (lacht). Du gibst viel rein, kriegst aber auch viel
       zurück, auf jeden Fall Wertschätzung für die Arbeit, die wir machen. Das
       ist schön zu merken, dass die Leute dankbar dafür sind, dass wir den Laden
       am Laufen halten, einfach da sind und dafür sorgen, dass hier Menschen
       zusammenkommen können. Das macht Spaß.
       
       taz: Das heißt, Sie werden das noch ein paar Jahre weitermachen? 
       
       Lu: Ja, bestimmt. Ich mache das mit Herzblut und sehr gerne. Und ich hoffe,
       dass es für den Sonntags-Club und die finanzielle Notsituation, die wir
       jetzt haben, irgendwie eine Lösung und Perspektive gibt.
       
       taz: Das hoffe ich für Sie und den Sonntags-Club ebenfalls. Vielleicht
       geschieht noch ein Wunder. 
       
       Lu: Für mich ist der Sonntags-Club ein Ort der Beständigkeit. Ich bin in
       meinem Leben oft umgezogen. Deshalb ist es für mich so wichtig, dass ich
       einen Ort habe, der stabil ist. Wie so ein Anker.
       
       7 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Hergeth
       
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