# taz.de -- Bildband zu DDR-Fotografin: Den Kollektivgeist sparte sie sorgsam aus
> Im Auftrag des DDR-Regimes fotografierte Sibylle Bergemann das Werden des
> Marx-Engels-Denkmals. Wie freigeistig sie war, beweist ein Bildband der
> Serie.
(IMG) Bild: Auch ein Engels kann fliegen: Aufbau des Denkmals 1986
„Die Fotografie ist immer eine Bekundung einer Weltauffassung.“ Ein gerader
Satz, ein schöner Satz. Die Fotografin Sibylle Bergemann hat ihn
geschrieben, man findet ihn im wunderbaren Katalog zur
Bergemann-Retrospektive in der Berlinischen Galerie „Stadt, Land, Hund“.
Diesen Satz kann man mitnehmen und mit ihm auf die vielleicht bekannteste
Sibylle-Bergemann-Werkgruppe „Das Denkmal“ blicken. Die dokumentarische und
zugleich subtil kommentierende Bilderreihe erscheint nun als eigenständiger
Band.
Der Satz gewinnt an Gewicht, wenn man all die Aufnahmen von [1][Vorstudien
und Überlegungen zu ebenjenem Denkmal betrachtet, dem Marx-Engels-Forum in
Ostberlin]. Da finden sich Eindrücke aus dem Atelier des Bildhauers Ludwig
Engelhardt, von verschiedenen Fertigungsstufen aus der Kunstgießerei und
schließlich vom Aufstellen zweier großer Bronzeplastiken, 1986 wurden sie
eingeweiht.
## Frei von Arbeiterschweiß und Pathos
Das Denkmal mit Karl Marx (sitzend) und Friedrich Engels (stehend) war
Ergebnis einiger Wirren: Es blickt auf die mithin allertoteste Ecke der
Stadt. Die SED hatte den Ort 1950 für das wichtigste Denkmal des Landes
vorgesehen [2][und das zerbombte Stadtschloss abreißen lassen.]
Stadtplaner und [3][Architekt Hermann Henselmann wollte hier einen
Kulturpalast] nach Moskauer oder Warschauer Vorbild hochziehen.
Finanzprobleme verzögerten alles, entsorgten still auch die Idee mit den 25
Meter hohen Statuen. 1973 dann neuer Versuch, Ludwig Engelhardt kam ins
Spiel, zwei Jahre später fiel der heikle Auftrag, die Arbeiten zu den
Skulpturen fotografisch zu begleiten, in die Hände von Bergemann. Eine
vielleicht überraschende Wahl.
Sibylle Bergemann, geboren 1941, aufgewachsen bei Berlin, gehörte
stilistisch nicht zum fotografischen Humanismus, der in der DDR gefordert
und gefördert wurde. Ihre Aufnahmen für freigeistigere Publikationen wie
Das Magazin, die Kulturzeitung Sonntag und schließlich für Sibylle –
Zeitschrift für Mode und Kultur hatten wenig gemein mit dem
Aufbau-Jubilismus und Nach-vorne-schau-Pathos, auf den die Kontrollorgane
pochten.
Öfter wird ihr eine Art Lückenschluss zwischen der humanistischen Schule,
poetisch-verträumten Kompositionen und konzeptueller Fotografie
zugeschrieben. Vor allem diese, nicht von den Heldenfiguren des
selbsternannten Arbeiter-und-Bauern-Staates getragene Fotografie, bekam in
der DDR wenig Raum.
Wie [4][nah Bergemanns Serie] daran siedelte, lässt der Band erkennen,
obwohl er noch tiefer ins Archiv greift. Sibylle Bergemann hatte bis zu
ihrem Tod 2010 nämlich nur 22 Aufnahmen zur Publikation freigegeben. In der
ursprünglichen Reihe fällt die Abwesenheit von Menschen auf, ganz so, als
wolle Bergemann das überall klingelnde Pathos von Kollektivgeist und
Arbeiterschweiß sorgsam aussparen.
Gleichwohl sehen wir Arbeit und Mühen: Da wachsen grobe Figurenskizzen aus
Tonschichten, flüchtig übereinandergeworfen, Leiterchen und Treppchen
daneben. Trageseile halten Teile der Abgüsse. Bergemann destilliert die
Mühen aus nebeneinanderliegenden Texturen, Gips und grobes Leinen,
Holzstufen und Metallfassungen, raue Seile und feingeschliffener Stein.
Sie dokumentiert einen langsamen, keineswegs planvollen Prozess. Allenfalls
einmal sitzt Ludwig Engelhardt im Halbdunkel, von uns abgewandt vor den
Skulpturen, in einem Wäldchen aus Lichtstativen, wie ein Regisseur bei der
Probe. Aus der Körperhaltung lässt sich nichts Heroisches herauslesen,
vielleicht glückliche oder aber ratlose Erschöpfung.
## Allegorische Aufladung
In einer Einordnung schreibt Sonia Voss dazu über die exemplarische Rolle,
die Bergemanns Denkmal-Serie einnimmt, dass sich die Fotografin „mehr für
die Ästhetik der miteinander harmonisierenden Gegenstände als für den
menschlichen Aspekt ‚interessiert‘; sie befreit ihre Fotografien vom
sozialen Diskurs; sie zieht die Feier von Alltagsgegenständen der Feier
anerkannter Symbole vor.“
Die Ambivalenz tränkt auch die Aufnahmen der Figuren des Denkmals und lädt
sie allegorisch auf: In berühmten Bildern sitzen und stehen Marx- und
Engels-Torsi kopflos, gut vertäut, vor dräuenden Wolken. Ein tonnenschwerer
Engels schwebt, in prekärer Balance gehalten, über dem alten Schlossplatz.
Er scheint die Plattenbaumitte der Hauptstadt der DDR aus dem Lot zu heben.
Wie Aufnahmen von grob verhüllten Gestalten lässt sich alles wahlweise als
Aufbau oder Dekonstruktion lesen: Mit langer Verspätung wurde das Forum
1986 eingeweiht.
Sibylle Bergemann blickt nicht nur auf den langen Prozess, den es braucht,
um staatlich verordnete Pathosformeln zu unterlaufen. Sie dokumentiert auch
dessen Flüchtigkeit. Darin findet man einiges von ihrer Weltauffassung.
19 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://www.rowohlt.de/buch/robert-musil-prosa-und-stuecke-kleine-prosa-aphorismen-autobiographisches-essays-und-reden-kritik-9783498042561
(DIR) [2] /Palast-der-Republik-im-Berliner-Schloss/!6008694
(DIR) [3] /DDR-Architekturzeichnungen/!6093453
(DIR) [4] /Fotografie-in-Ostdeutschland/!5860892
## AUTOREN
(DIR) Lennart Laberenz
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