# taz.de -- Berliner Bildhauer in Wismar: Keine Zeit für Helden
> Der Bildhauer Günter Anlauf war ein Poet der kleinen Form. In Wismar
> erinnert eine Ausstellung an den Künstler, dessen lässige Bären auch in
> Berlin stehen.
(IMG) Bild: Günter Anlauf, „Zipfelkratze“, Bronze, 1959
Die „Zipfelkratze“ grinst unternehmungslustig. Gleich unter dem runden
Punkt-Komma-Strich-Gesicht kommt ein kurzer Rock. Die Schuhe an dünnen
Beinen ähneln Tortenstücken mit dicken Kirschen. Sie schwingt die Arme, in
Vorfreude auf das Abenteuer.
Nein, keine Bilderbuchfigur ist hier beschrieben, sondern eine
Bronzeskulptur, „Zipfelkratze“, 1959 von Günter Anlauf geschaffen. Der
Berliner Bildhauer (1924–2000) scheint vielen unbekannt. Dabei stammt von
ihm einer der Berliner Bären, der seit 1983 an der Autobahn Berlin–Hamburg
an der Stadtgrenze grüßt und ein Bein vom Sockel baumeln lässt, ein
entspanntes Wappentier.
In Wismar, in den gotischen Gewölben der Galerie Hinter dem Rathaus, ist
ihm nun eine Ausstellung gewidmet, die viele seiner kleineren Skulpturen
zeigt. Günter Anlauf hatte, nachdem er 1945 aus sowjetischer
Kriegsgefangenschaft nach Berlin gekommen war, in Berlin-Weißensee an der
Hochschule für Angewandte Kunst studiert, später noch eine Steinmetzlehre
angeschlossen. Er war mit den [1][Dichtern Günter Bruno Fuchs und Robert
Wolfgang Schnell befreundet, mit denen er 1959 in Kreuzberg die
Hinterhofgalerie Zinke] gründete, legendär für die Treffen von Künstlern
und Literaten aus Ost- und Westberlin.
## Dreikopffüßler und Popocapitel
„Meine Freund Fuchs und Schnell“ heißt eine kleine Bronze von 1961. Von
zwei bauchigen Figuren steht eine kopf, eng aneinandergeschmiegt sind die
beiden. Aus dem gleichen Jahr stammt die Bronze „Dreikopffüßler“, ein
bisschen träumerisch, ein bisschen verschmitzt die drei miteinander
verschränkten Gesichter. In der gleichen Vitrine steht auch das „Noch zu
restaurierende Denkmal“: Da ist auf einen Sockel eine Figur gesetzt, die
noch etwas unbeholfen und unfertig winkt, der Körper steckt kaum konturiert
im Material. Ihre Botschaft könnte sein: Keine Zeit für Helden mehr.
Alles Pathetische lag Anlauf fern. Seine Figuren grüßen herüber zu der
Kunst von Max Ernst, dem Fantastischen im Surrealismus, berühren sich aber
auch mit dem Humor der Dichter Schnell und Fuchs, Ringelnatz und
Morgenstern.
Der Bildhauer arbeitete auch als Restaurator im Charlottenburger Schloss.
Aus den Elementen des barocken Architekturschmucks, wie Sockeln und
Voluten, entwickelte er eine eigene Formsprache. Aus der Volute konnte eine
Haarschnecke werden, die einen kurzfüßigen Popo krönt in der
Aluminiumskulptur „Popocapitel“.
Der Humor seiner Skulpturen besticht. Dass er sich in ihnen mit Reduktion
und Abstraktion auseinandersetzte, einen Bogen schlug zu den
Vorkriegsmodernen, lässt sich ob ihrer erzählerischen Elemente beinahe
übersehen.
## Kriegszerstörte Altbaufassaden
Die Ausstellung in Wismar geht auf die Anregung eines Sammlers seiner
Skultpturen zurück, von dem die meisten Ausstellungstücke kommen. Die
Kunsthistorikerin Karen E. Hammer vom Kunstverein Wismar hat die
Ausstellung realisiert und um informative Tafeln ergänzt. Die stellen etwa
seine Werke im öffentlichen Raum in Berlin vor und seine [2][Arbeit an
kriegszerstörten Altbaufassaden].
Für verlorene Stuckelemente entwickelte er in reduzierter Form neue
Elemente, mit denen die Fassaden eine Gliederung zurückerhielten – keine
Imitation des Vergangenen, sondern eine bewusste Erinnerung an Verlorenes.
8 Dec 2025
## LINKS
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## AUTOREN
(DIR) Katrin Bettina Müller
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