# taz.de -- Amir Gudarzi-Roman in Wien inszeniert: In einem Meer aus Styropor versinken
> Am Schauspielhaus Wien inszeniert Sara Ostertag den Roman „Das Ende ist
> nah“. Es geht um sexualisierte Gewalt in Iran, Flucht, Rassismus und
> Ankommen.
(IMG) Bild: Graues Meer aus Styropor: Szene aus der Inszenierung „Das Ende ist nah“
Der Autor Amir Gudarzi hat eine erstaunliche Karriere hingelegt, seit er
vor 16 Jahren aus Iran emigrierte. 1986 in Teheran geboren, besuchte er die
dortige Theaterschule und studierte szenisches Schreiben. Gudarzi
engagierte sich in der iranischen Demokratiebewegung von 2009. Nachdem auch
diese Massenproteste durch das seit 1979 herrschende Mullahregime gewaltsam
niedergeschlagen wurden, setzte er sich wie andere junge Aktivisten ins
Ausland ab. Er wollte nach Kanada und strandete in Wien.
Seinen [1][Debütroman „Das Ende ist nah“ von 2023] verfasste er auf
Deutsch. Gudarzi verschränkt darin die Erfahrungen eines jungen Iraners,
Aufstand und Gesellschaftskritik mit dem Ankommen in Österreich. Der
iranische Flüchtling A. erfährt Rassismus durch Österreicher, aber als
laizistischer Intellektueller auch durch Migranten mit
konservativ-islamischen und kleinkriminellen Hintergründen. A. ist ihnen
während des Asylverfahrens zeitweise ausgeliefert.
Zudem handelt der überraschende und vielschichtige Roman von anderen, in
linken Diskursen weitgehend tabuisierten Themen wie der verbreiteten
sexualisierten Gewalt in der iranischen Gesellschaft nicht nur Frauen,
sondern auch Männern und Kindern gegenüber.
Und um es noch ein wenig komplexer zu machen, erzählt Gudarzi in einer
weiteren Ebene seines Romans von der dramatischen Beziehung zwischen der in
Wien studierenden deutschen Aktivistin Sarah und dem iranischen
Intellektuellen und Flüchtling A. Sarah kommt aus der [2][antideutschen
Szene], opponiert digital mit großer Reichweite gegen das iranische Regime
und wird von dessen Agenten in Wien bedroht. Beide, Sarah wie A., stecken
zusätzlich in tiefen existenziellen Krisen.
## Die Bühne als wüstenhafte Landschaft
Ganz schön viel Stoff also, in der Romanfassung über 400 Seiten, den die
Regisseurin Sara Ostertag und der Dramaturg Tobias Herzberg für einen knapp
zweistündigen Theaterabend runterbrachen. Die am Donnerstag im
Schauspielhaus Wien uraufgeführte Inszenierung vertraut nun stark der
textlichen Spur und Vorlage Gudarzis. Die Bühne ist von Nanna Neudeck als
eine wüstenhaft erscheinende Landschaft nüchtern gestaltet und von einem
Meer aus grauem Styroporgranulat bedeckt.
In diesem Dämmstoff versinkt das Ensemble (Shabnam Chamani, Florentine
Krafft, Kaspar Locher, Johnny Mhanna, Maximilian Thienen) in den bunt
bemalten Kostümen von Romana Zöchling oder taucht plötzlich daraus wieder
auf. Krafft verkörpert dabei durchgehend in ihrer Sprechrolle die
antideutsche Aktivistin Sarah, während A. – sowie eingestreute
(Neben-)Figuren aus dem Kosmos des Erstaufnahmelagers Traiskirchen und des
urbanen Wiens – von den übrigen SchauspielerInnen im Wechsel übernommen
werden
Die mehrsprachige Inszenierung (Farsi, Arabisch, Österreichisch,
Hochdeutsch, Englisch) wird durch die Live-Bühnenmusik von Paul Plut mit
eigenen und gecoverten Popsongs dramaturgisch unterstützt. Die
Schauspielerin Shabnam Chamani singt zudem in der collagenhaft anmutenden
Inszenierung ein Lied des iranischen Sängers Fereydun Farrochsad. Agenten
des Mullah-Regimes hatten Farrochsad 1992 im Bonner Exil grausam ermordet.
Das Stück baut solche Bezüge mit ein, ohne sie weiter auszuformulieren.
Farrochsad wird jedoch im Programmzettel namentlich genannt.
## Am nächsten Morgen denkt er, dass er spinnt
Im Verlauf der Inszenierung rückt die Beziehung zwischen A. und Sarah immer
deutlicher in den Blickpunkt. A. hat die antifaschistische Aktivistin bei
einer Manifestation gegen das Islamistenregime in Wien zufällig
kennengelernt. Sie verlieben sich – und wieder auch nicht. A. fürchtet in
Abhängigkeit zu geraten, ist sehr mit sich selbst beschäftigt. Und Sarahs
Beschäftigung mit ihm, aber auch mit dem iranischen Islamistenregime trägt
obsessive und projektive Züge. Dauernd beobachtet und analysiert sie ihn.
Eine Textpassage in Ostertags Inszenierung streicht A.s damalige
Verunsicherung heraus: Eine WG-Party in Wien. Ein Mensch mit Davidstern.
Frauen küssen Frauen. Männer Männer. A., der Ankömmling, ist irritiert. Was
ist hier los, soll er über Sarah etwa dem israelischen Geheimdienst Mossad
als Agent zugeführt werden? Am nächsten Morgen wacht er verkatert auf. Und
denkt, dass er spinnt.
Die Schärfe des Stoffes und der Romanvorlage blitzen in Ostertags
Inszenierung immer wieder auf. Doch hätte man sich von der Regisseurin eine
stärkere eigene Setzung gewünscht. Das gilt auch für den Bühnenraum, dessen
Potenzial nicht ausgeschöpft wird. Auch die Musikperformance Pluts kippt
zuweilen ins Pathetische. Dennoch bleibt diese Wiener Inszenierung ein
mutiges Experiment, die mit „Das Ende ist nah“ einen komplexen und
brisanten Stoff auf die Bühne bringt.
17 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Andreas Fanizadeh
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