# taz.de -- Neue Deportationsfotos entdeckt: Ein neuer Beweis – es geschah vor aller Augen
> Forschende haben erstmals Fotos einer Deportation der NS-Zeit aus Hamburg
> identifiziert. Sie beweisen einmal mehr, dass dies vor aller Augen
> geschah.
(IMG) Bild: Die Ankunft der Deportierten am 24. Oktober 1941 am Hamburger Logenhaus , bewacht von Polizisten mit Mannschaftswagen
Hamburg Er war bekannt, aber bislang nicht im Bild bewiesen: Der Beginn der
Deportationen jüdischer Menschen auch in Hamburg ging ganz alltäglich, aber
keineswegs unauffällig vor sich. Zwar gab es [1][Zeichnungen] und
Augenzeugenberichte, aber keinen öffentlich bekannten Fotobeweis.
Diese Lücke wurde jetzt geschlossen: Drei Fotos der Deportation Hamburger
Jüdinnen und Juden am 25.10.1941 ins Ghetto [2][Lódż/Litzmannstadt] wurden
identifiziert, von Forschenden der [3][Stiftung Hamburger Gedenkstätten]
und Lernorte sowie des Projekts #LastSeen am Selma-Stern-Zentrum für
Jüdische Studien Berlin-Brandenburg der Freien Universität Berlin.
Das ist ein so exklusiver wie bedeutender Fund, sind es doch die ersten
bekannten Fotos der 17 Deportationen aus Hamburg überhaupt. Die Situation
auf den Bildern wirkt auf den ersten Blick alltäglich: In Hut und Mantel
gekleidete Männer, Frauen, auch Kinder mit Ranzen stehen mit ordentlich
verschnürtem Gepäck vor Hamburgs „Logenhaus“ in der Innenstadt.
Dort mussten sich JüdInnen einfinden, um auf den Transport zum
[4][Hannoverschen Bahnhof] zu warten, wo die Deportationszüge starteten.
Die Menschen begrüßen sich, verabschieden sich voneinander, als gingen sie
auf eine normale Reise. Die einzige Brechung der geschäftig wirkenden Szene
sind die Wachpolizisten, die im Hintergrund vor ihren Mannschaftswagen
stehen.
Doch die Reisenden schauen nicht verschreckt, und man sieht keine gelben
Sterne. „Deshalb habe auch ich lange gezögert, diese Bilder als
Deportationsfotos zu identifizieren“, sagt Oliver von Wrochem, Vorstand der
Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. Allerdings wurden gelbe
Sterne für JüdInnen zwar ab September 1941 Pflicht, wurden aber erst nach
und nach getragen. Auch die gelassene Geschäftigkeit der Menschen
überrasche im Nachhinein nicht, sagt von Wrochem. „Es war ja die erste
Deportation jüdischer Menschen aus Hamburg. Und viele wussten vermutlich
nicht so genau, was ihnen drohte.“
Diese Unklarheiten haben wohl dazu geführt, dass die im Bilderalbum von
Bernhardt Colberg, Mitglied des Hamburger „[5][Polizeibataillons 101]“,
gefundenen Fotos bis dato als Evakuierungsfotos nach alliierten
Luftangriffen galten. So hatte es das Hamburger Staatsarchiv dem US
Holocaust Memorial Museum in Washington mitgeteilt, wo die Bilder verwahrt
werden.
„Angesichts der Datierung ‚Oktober 1941‘ – denn da gab es keine
nennenswerten Luftangriffe auf Hamburg – wurde ein Museumsmitarbeiter
misstrauisch und gab mir Bescheid“, sagt Alina Bothe. Bothe leitet das 2021
zunächst von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, heute von
der Alfred-Landecker-Stiftung geförderte Projekt #lastseen, das
Deportationsbilder aus dem ehemaligen Reichsgebiet sucht, erforscht,
digitalisiert und 2026 in einem Bildatlas veröffentlichen will.
„In der Tat wäre das Setting bei einem Evakuierungsfoto anders“, sagt
Bothe. „Das Gepäck bestünde aus ungeordnetem Hausrat, und es wären keine
Männer im wehrfähigen Alter zu sehen. Die waren ja an der Front. Auch
hätten die Polizisten den Leuten geholfen, statt sie zu bewachen.“
Die Polizisten stehen übrigens nur scheinbar harmlos da: Denn die
Polizeibataillons – rekrutiert aus der Ordnungspolizei – bewachten
Transporte, Ghettos und nahmen an Massenerschießungen teil, wie das
Hamburger Bataillon 101 im November 1941 in der ukrainischen Schlucht
[6][Babyn Jar.]
Zudem wurden die Fotos am helllichten Tag gemacht und bezeugen einmal mehr,
dass die Deportationen vor aller Augen geschahen. „Allerdings sieht man
keine Bystander – anders als auf Fotos aus Eisenach oder Lörrach, wo die
Nachbarn auf den Balkons standen und zuschauten“, sagt Bothe.
„Aber auch in Hamburg muss es aufgefallen sein, wenn sich 1.300 Menschen
zur Sammelstelle begaben und später in einer Kolonne von Polizeiwagen
weggefahren wurden“, sagt sie. Es war einer der frühen Transporte ins
Ghetto Litzmannstadt, das anfangs als Produktionslager unter anderem für
Wehrmachtsuniformen diente. Später wurden viele der darin festgehaltenen
Menschen ermordet und das Lager in mehreren Wellen aufgelöst.
Die Hamburger Bilder seien auch insofern bemerkenswert, „als die Gestapo zu
einem späteren Zeitpunkt solche vermutlich privaten Fotoaufnahmen sicher
unterbunden hätte“, sagt Oliver von Wrochem von der Stiftung Hamburger
Gedenkstätten und Lernorte. Auch unterscheiden sie sich deutlich von
späteren NS-Propagandafotos, die Verfolgte in unwürdigen und rassistisch
konnotierten Situationen zeigen.
Es werde wohl nicht der letzte Fund sein, sagt Alina Bothe: „Vieles liegt
vermutlich noch in privaten Bilderalben. Aus Berlin zum Beispiel, wo es 180
Transporte gab, haben wir bisher kein einziges Foto gefunden. Dabei hatten
zehn Prozent der Bevölkerung in den 1930ern Kameras. Es muss diese Bilder
geben.“
Aber selbst wenn man die Fotos hat, kennt man noch nicht die Namen der
Personen. „Anhand der Deportationslisten haben wir bislang niemanden auf
den Hamburger Fotos identifizieren können“, sagt Bothe. Ab 4. November
werden die Fotos daher im Geschichtsort Stadthaus, der einstigen Hamburger
[7][Gestapo-Zentrale,] gezeigt – in der Hoffnung auf Hinweise aus der
Bevölkerung auf die Identität von Opfern und TäterInnen.
Überhaupt sei diese Phase europäischer Geschichte fotografisch kaum
öffentlich dokumentiert, sagt sie. Aus Norwegen und Dänemark, wo es jeweils
einen Transport gab, habe man die Fotos. Aber Frankreich, Polen, Ungarn,
Griechenland zum Beispiel seien noch blinde Flecken. Fernes Ziel sei daher
eine gesamteuropäische Datenbank, um diese Lücke im gemeinsamen
historischen Gedächtnis zu schließen.
Hinweis: In der ersten Version des Textes stand irrtümlich, dass das
Massaker in Babyn Jar im Jahr 1943 stattgefunden habe. Wir haben den Fehler
korrigiert.
26 Oct 2025
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## AUTOREN
(DIR) Petra Schellen
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