# taz.de -- Bundestagspräsidentin Julia Klöckner: Wen sie zur Ordnung ruft
       
       > Sie will zum CSD keine Regenbogenflagge hissen und vergleicht die taz mit
       > Nius – aber warnt vor Polarisierung. Ist das Widerspruch oder Strategie?
       
       Es ist Anfang Oktober, als ausgerechnet Julia Klöckner mehr Sachlichkeit in
       der Politik anmahnt. Sie soll an diesem regnerischen Mittwochabend bei der
       Konrad-Adenauer-Stiftung eine Keynote halten, der Titel: „Herausforderungen
       der Demokratie von innen und außen.“
       
       Also steht Klöckner um kurz nach sechs mit dem Tablet in der Hand am
       Redepult, der Saal ist brechend voll, hinter ihr purzelt in grellen Farben
       der Schriftzug „Welt in Unordnung?!“ durcheinander, das Thema der Tagung.
       „Wenn in Debatten nur zählt, wer die Aufregungsdebatte am schnellsten
       hochtreibt, dann hat es die Demokratie schwer“, sagt Klöckner. „Wenn
       emotionale Bekenntnisse das sachliche Argument ersetzen, dann hat es die
       Meinungsfreiheit schwer.“ Wer wollte da widersprechen?
       
       Die Frage ist nur: Treibt Julia Klöckner die Aufregungsdebatte nicht selbst
       hoch? Heizen ihre strenge Art im Bundestag und ihre Einlassungen anderswo
       die Polarisierung innerhalb und außerhalb des Plenums nicht weiter an?
       Verstärkt Klöckner also nicht, was sie angibt, bekämpfen zu wollen? Und:
       Macht Klöckner das bewusst, hat sie also, wie manche meinen, eine rechte
       Agenda?
       
       ## Sie setzt auf Regeln, Strenge und das, was sie Neutralität nennt
       
       [1][Julia Klöckner], 52, ehemalige Landwirtschaftsministerin und
       Ex-Vizechefin der CDU, ist seit einem guten halben Jahr Präsidentin des
       Deutschen Bundestags. Es ist das zweithöchste Amt im Land, formal steht sie
       über dem Kanzler. Klöckner hat das Amt in einer herausfordernden Zeit
       übernommen. Weltweit steht die Demokratie unter Druck, in vielen Ländern
       greifen radikal rechte Parteien die Parlamente an, auch von innen heraus.
       Im Bundestag sitzen 151 [2][AfD-Politiker*innen], das ist fast ein Viertel
       der Abgeordneten. Es sind mehr als von der SPD und auch mehr als von Grünen
       und Linken zusammen. So groß wie jetzt war der blaue Block noch nie, so
       selbstbewusst und laut auch nicht.
       
       „Ich habe den festen Willen, die mir übertragene Aufgabe stets
       unparteiisch, unaufgeregt und auch unverzagt zu erfüllen – klar in der
       Sache, aber zugleich verbindend im Miteinander“, sagte Klöckner [3][in
       ihrer Antrittsrede Ende März]. Seitdem setzt sie auf Regeln und Strenge und
       das, was sie Neutralität nennt. „Neutralität heißt, dass jeder Abgeordnete
       als frei gewählter Abgeordnete die gleichen Rechte und Pflichten hat“, sagt
       sie bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Da müsse man den Wählerwillen schon
       akzeptieren. Aber kann man einen Abgeordneten der Partei, die vom
       Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden ist, mit den anderen
       gleichsetzen, nur weil auch er demokratisch gewählt worden ist?
       
       Klöckner greift durch, vor allem gegen die AfD, aber auch gegen die Linken.
       23 Ordnungsrufe hat das Präsidium in der Legislaturperiode bisher verhängt,
       das sind deutlich mehr als zuvor. 20 davon gingen an die AfD, drei an die
       Linkspartei. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit bekam die AfD einen
       Ordnungsruf für den Begriff „Kartellparteien“. Eine Linken-Abgeordnete
       schmiss Klöckner aus dem Saal, weil sie ein T-Shirt mit der Aufschrift
       „Palastine“ trug. Gerügt hat Klöckner bereits Abgeordnete aus allen
       Fraktionen, heißt es im Bundestag. Nur aus der eigenen nicht.
       
       Sobald Abgeordnete ihre Redezeiten überziehen, fällt Klöckner ihnen ins
       Wort, meist zunächst mit einem entschiedenen „Danke“. Anstecker mit
       politischen Botschaften dürfen im Plenum grundsätzlich nicht getragen,
       Laptops mit politischen Aufklebern nicht genutzt werden. Auch ist
       untersagt, in öffentlich zugänglichen Gebäudeteilen des Bundestags
       politische Plakate oder Aufkleber zu platzieren, und wenn sie von außen
       durch die Fenster sichtbar sind, gilt das auch für die Büros der
       Abgeordneten. Das hat dazu geführt, dass die Bundestagspolizei zuletzt
       dafür sorgte, dass Regenbogenfahnen aus Abgeordnetenbüros verschwanden. In
       der AfD-Fraktion sollen sich manche damit brüsten, diese Einsätze durch
       Meldungen ausgelöst zu haben, eine offizielle Bestätigung gibt es dafür
       aber nicht.
       
       ## Klöckner polarisiert
       
       Für Aufregung sorgte Klöckner zudem [4][mit ihrer Entscheidung, am
       Christopher-Street-Day die Regenbogenfahne] auf dem Reichstag nicht zu
       hissen, und mit ihrem [5][Vergleich der taz mit dem rechten
       Propagandaportal Nius.] „Alle müssen neutral sein, nur Klöckner darf rechts
       sein“, schimpfte der ehemalige Wirtschaftsminister [6][Robert Habeck
       später]. Die linke Fraktionschefin Heidi Reichinnek legte Klöckner den
       Rückzug nahe. Beide sind der Ansicht, dass diese für ihren Posten nicht
       geeignet ist.
       
       Glaubt man Stimmen aus dem Bundestagspräsidium, aber läuft es dort trotz
       einiger Meinungsverschiedenheiten nicht schlecht. „Wir sind ein kollegiales
       Gremium, das über Parteienpolitik steht. Das ist eine schöne
       Zusammenarbeit“, sagt Andrea Lindholz, die Vizepräsidentin von der CSU.
       Gemeinsames Ziel sei es, Ordnung zu halten, aber nicht zu streng zu sein.
       Das sei manchmal gar nicht so leicht. Dass die CSU-Frau Klöckner nicht
       öffentlich kritisiert, ist wenig überraschend. Aber auch Bodo Ramelow, der
       Vizepräsident von den Linken, spricht über Klöckner nicht schlecht. „Julia
       ist eine gute und konstruktive Kollegin, die das Team zusammenhält“, sagt
       Ramelow, der Klöckner schon lange kennt. Er habe ein anders Bild von ihr,
       als das, was in der Öffentlichkeit von ihr gezeichnet werde. „Aber das hat
       sie natürlich mitgeprägt.“
       
       In der Opposition hat Klöckner als wirtschaftspolitische Sprecherin den
       damaligen grünen Minister Robert Habeck fast pausenlos attackiert. Mal
       bezeichnete sie ihn als „Bundes-Schamanen“, mal warf sie ihm vor, deutsche
       Firmen gingen seinetwegen pleite oder ins Ausland. Sie kann scharf und
       populistisch sein, im Wahlkampf postete sie: „Für das, was ihr wollt, müsst
       ihr nicht die AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die
       CDU.“ Das hat sie später gelöscht. Auf Instagram hat Klöckner inzwischen
       zwei Kanäle, einen als Abgeordnete, einen als Präsidentin, beide werden
       munter bespielt. Auf dem ersten teilte sie auch einen Post, der einen
       Auftritt von Friedrich Merz im ZDF feierte. „Merz macht Dunja Hayali
       fertig“, hieß es da freudig zustimmend mit Blick auf einen Dialog zwischen
       Kanzler und Moderatorin. Nicht gerade das sachliche Argument, das Klöckner
       an anderer Stelle einfordert.
       
       ## Zu sehr „Vollblutpolitikerin“ für ihren Posten?
       
       Klöckner mag die Bühne, in bunten Outfits, gut frisiert und auf Highheels
       setzt sie sich gerne in Szene. Dass die Rheinland-Pfälzerin Volksnähe kann,
       das bescheinigen ihr selbst ihre Gegner*innen. Eins ist klar: So sichtbar
       wie jetzt war das zweithöchste Amt im Staat noch nie.
       
       Manche befürchten, Klöckner beschädige dieses so. In Zeiten, in denen die
       Demokratie unter Druck stehe, seien Klöckners Inszenierungen eine Gefahr.
       Andere argumentieren, dass man moderne Methoden brauche, um die
       Bürger*innen heute für Parlament und Politik zu gewinnen. Viele sind
       hin- und hergerissen.
       
       „Julia ist eine Vollblutpolitikerin“, sagt eine Christdemokratin, die
       Klöckner schon lange kennt. Das klingt nach Anerkennung. Aber eben auch
       nach der Frage, ob sie die richtige für den Posten der
       Bundestagspräsidentin ist. Sollte nicht das Amt im Vordergrund stehen? Bei
       Julia Klöcker geht es aber immer auch um sie selbst.
       
       ## Anstecker-Verbot im Plenum: Beim Gedenken an den Völkermord von
       Srebrenica ging es gründlich schief
       
       Die Regeln, die sie im Bundestag nun so konsequent durchsetzen lässt, sind
       nicht neu. Das Plakatverbot etwa brachte Wolfgang Schäuble, Christdemokrat
       wie sie, auf den Weg, nachdem die AfD in den Bundestag eingezogen war.
       Schäuble und die anderen Vorgänger*innen setzten dies ruhig und mit
       Augenmaß durch. Sticker wie die rote Schleife als Zeichen für die
       Solidarität mit HIV-Infizierten und Aidskranken ließ man ebenso durchgehen
       wie die gelbe nach dem Massaker der Hamas. Manchmal schickte man einen
       Saaldiener los, um einen Abgeordneten zu bitten, etwas zu entfernen.
       Manchmal winkte man deshalb einen der Parlamentarischen Geschäftsführer zu
       sich, damit dieser an die eigenen Abgeordneten appelliert. Die offene
       Ansage, das war die Ausnahme. Bis Klöckner kam.
       
       „Gut gemeint, aber nicht durchhaltbar“, sei ihr Versuch gewesen, alle
       Anstecker im Plenum zu verbieten, sagt Bodo Ramelow. Gründlich schief ging
       das bei der Aussprache zum Jahrestag des Völkermords von Srebrenica. Den
       Antrag, an diesem Tag das Tragen der weißen Blume zu erlauben, lehnte
       Klöckner ab. Die Blume ist das internationale Zeichen des Gedenkens an den
       Genozid. Selma Jahić, die als Kind dem Völkermord entkommen war und auf der
       Ehrentribüne der Debatte folgte, wurde von einem Mitarbeiter des Bundestags
       erst aufgefordert, die Blume abzunehmen, später durfte sie sie dann doch
       tragen. Ein Angriff auf ihre Gedenkkultur sei das gewesen, kritisierte
       Jahić später auf Bluesky. Auch zahlreiche Abgeordnete, darunter der
       SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetović, trugen die Blume und widersetzten sich
       damit Klöckners Anordnung. Währenddessen verharmloste der AfD-Abgeordnete
       Martin Sichert in seiner Rede den Genozid.
       
       Irene Mihalic ist Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im
       Bundestag, sie kennt sich mit den Regeln im Bundestag aus. Nach der Debatte
       um Srebrenica schrieb sie Klöckner einen Brief. „Wir haben Ihnen schon in
       einigen Zusammenhängen unsere Einschätzung mitgeteilt, dass kleinteilige
       Ansagen und Direktiven wie diese eher einen Kulturkampf triggern, als zu
       einer Konzentration auf die Debatte mit Rede und Gegenrede führen“, hieß es
       darin. Doch die Präsidentin lenkte nicht ein.
       
       ## Kritik an Merkels Migrationspolitik, Unterstützung für Merz von Anfang
       an
       
       Bevor Julia Klöckner Anfang Oktober in der Konrad-Adenauer-Stiftung auf die
       Bühne steigt, wird sie von Norbert Lammert eingeführt, dem
       Stiftungspräsidenten. Lammert war von 2005 bis 2017 Bundestagspräsident.
       Hört man sich im Parlament zu diesem Amt um, wird oft auf ihn verwiesen –
       als positives Gegenbeispiel zu Klöckner. Lammert habe gezeigt, wie man mit
       präzisen Worten und etwas Ironie den Bundestag souverän leiten könne.
       
       Regeln durchzusetzen sei „nicht immer gemütlich“, sagt Lammert und spricht
       Klöckner direkt an: „Dass deine erkennbare Entschlossenheit genau das zu
       tun, nicht nur von stürmischer Begeisterung begleitet wird, wird dich
       hoffentlich nicht entmutigen, sondern eher in dem Verdacht bestätigen, dass
       dies ein besonders sensibler Punkt sei, der deswegen besondere
       Aufmerksamkeit erfordert.“ Wie so oft bei Lammert, der Kritik an den
       eigenen Leuten nie scheute, könnte dies eine doppelbödige Aussage sein:
       eine Ermunterung für Klöckner am Ball zu bleiben, aber auch, sensibel damit
       umzugehen.
       
       Julia Klöckner ist als ehemalige Weinkönigin belächelt worden, dabei ist
       sie ein politischer Vollprofi. Auf einem Weingut in Rheinland-Pfalz
       aufgewachsen, studierte sie Politikwissenschaft, katholische Theologie und
       Pädagogik, arbeitete als Lehrerin und Journalistin. 2002 zog sie in den
       Bundestag ein, gemeinsam mit dem heutigen Fraktionschef Jens Spahn und
       CSU-Politiker Alexander Dobrindt, der nun Innenminister ist. Alle drei
       tickten wirtschaftsliberal und gesellschaftspolitisch konservativ.
       
       Zweimal hat Klöckner versucht, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz zu
       werden, und scheiterte. Beim zweiten Mal gab sie der Flüchtlingspolitik von
       [7][Angela Merkel] die Schuld, von der sie sich distanziert hatte. Sie
       schlug damals in Abgrenzung zu Merkel einen „Plan A2“ vor, ein Plan B
       schien ihr wohl zu gewagt. Trotzdem landete sie, gemeinsam mit Spahn, in
       Merkels letztem Kabinett, als Landwirtschaftsministerin. Aus dieser Zeit
       stammt das legendäre [8][Video mit Nestlés Deutschlandchef], in dem sie das
       umstrittene Unternehmen anpreist.
       
       Klöckner hat Friedrich Merz von Anfang an unterstützt, möglicherweise hat
       sie dieser Loyalität ihren Posten zu verdanken. Vielleicht auch dem
       Gedanken, dass man eine Ministerin aus dem altem Merkel-Kabinett im neuen
       nicht will.
       
       ## Die Sache mit der Regenbogenflagge
       
       Noch mehr als im Plenarsaal polarisiert Klöckner außerhalb. Kaum im Amt hat
       sie die Kirchen in einem Interview aufgefordert, sich mit
       [9][tagespolitischen Äußerungen zurückzuhalten]. Sie hat verhindert, dass
       es in der Maskenaffäre um den ehemaligen Gesundheitsminister Spahn schnelle
       Sondersitzungen der zuständigen Bundestagsausschüsse gab, wie es die Grünen
       beantragt hatten. Dann hat sie nicht nur untersagt, auf dem Bundestag am
       Christopher Street Day die Regenbohne zu hissen. Auch durfte das
       [10][queere Regenbogennetzwerk des Bundestags nicht an der Parade
       teilnehmen], dabei war es nach eigenen Angaben dessen Gründungsidee, den
       Bundestag als vielfältigen Arbeitgeber zu präsentieren. Weil dieser die
       Charta der Vielfalt unterschrieben hat, wollte das Netzwerk am
       Diversity-Tag Ende Mai einen Infostand in der Halle des Paul-Löbe-Hauses
       aufstellen. Auf den Antrag dafür, berichten Mitglieder, habe man von der
       Präsidentin keine Antwort bekommen. In der Häufung der Ereignisse fragt man
       sich schon, was genau dahinter steckt.
       
       Die radikale Rechte greift weltweit queere Politik und Frauenrechte an, sie
       nutzt dies ganz bewusst als Schanier in konservative, christdemokratische
       Parteien und deren Klientel hinein. Klöckner hätte die Flagge einfach
       hissen und das Thema vorbeiziehen lassen können, sagt eine
       Christdemokratin. Aber Klöckner hat es auf die Tagesordnung gesetzt. Und
       damit den Kulturkampf weiter befördert.
       
       Öffentlich betont sie gern, dass der Bundestag ja am internationalen Tag
       gegen Homophobie die Regenbogenfahne gehisst habe und argumentiert mit dem
       Flaggenerlass, der noch von SPD-Innenministerin Nancy Faeser stamme: „Nur
       einmal im Jahr wird die Regenbogenfahne gehisst.“ Eine konkrete Zahl aber
       steht nicht in diesem Erlass. Dort heißt es lediglich, dass sich das Hissen
       der Regenbogenflagge auf einen konkreten Termin beziehen müsse. Sonst hätte
       Bärbel Bas, Klöckners Vorgängerin, auch gegen Faesers Erlass verstoßen. Bas
       hisste zweimal im Jahr.
       
       ## Ein Besuch beim Nius-Financier, die Hufeisentheorie und der Vorwurf, die
       Polarisierung selbst voranzutreiben
       
       [11][Nachdem sie die taz mit Nius verglich], ließ Klöckner ihr
       Wahlkreisbüro dementieren, dass sie bei jenem CDU-Sommerfest in Koblenz
       einen „direkten Vergleich“ gezogen habe. So hat es der Branchendienst Kress
       recherchiert. Das Fest fand auf dem Firmengelände des Unternehmers Frank
       Gotthardt statt, der Nius mit finanziert und den Klöckner lange kennt. Sie
       hatte in ihrer Rede gesagt, das ist in einem Beitrag des SWR auch zu sehen,
       taz und Nius seien in den Methodik „nicht so sehr unähnlich“ – was man
       einen direkten Vergleich nennen kann. Klöckner ist früher schon damit
       aufgefallen, es nicht immer [12][so genau mit der Wahrheit zu nehmen.]
       Manche sagen, sie sei eben impulsiv, andere meinen, das habe Methode. Die
       taz hätte Julia Klöckner zu all dem gerne selber befragt, aber diese ließ
       eine Absage ausrichten. Keine Zeit, wochenlang.
       
       Klöckners Vergleich hat der taz viel Solidarität eingebracht, Omid
       Nouripour, ihr grüner Vize, kam sogar [13][extra zu einem
       Redaktionsbesuch]. Bodo Ramelow sagt, öffentlich kritisiere man sich nicht,
       aber intern tausche man sich schon aus. Über den taz-Nius-Vergleich etwa
       habe es eine Debatte untereinander gegeben.
       
       Klöckner spricht selten von Rechtsextremisten allein, obwohl diese laut
       Verfassungsschutz die größte Gefahr darstellen. Meist führt sie Extreme von
       rechts und links gleichermaßen an. „Die Extreme ernähren einander“, sagte
       sie jüngst der Zeit, häufig spricht sie von „den Rändern“.
       
       Anruf bei Thomas Biebricher, der Politikprofessor von der Uni Frankfurt
       forscht seit Langem zum Konservatismus und wie dieser in die Krise kam.
       „Julia Klöckner verkörpert die Hufeisentheorie, sie hat sie zu ihrem
       Markenzeichen gemacht“, sagt Biebricher. „Dadurch, dass sie gegen AfD und
       Linke gleichermaßen austeilt, wird die Union wie von selbst in der Mitte
       verortet, ohne dass diese sagt, wofür sie eigentlich steht. Das ist wichtig
       für die CDU, weil es die eigene Daseinsberechtigung erklärt.“ Problematisch
       sei das auch deshalb, weil die Union über kurz oder lang mit einer der
       beiden Parteien werde zusammenarbeiten müssen. Vielleicht schon im
       kommenden Jahr nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt.
       
       Eine der schärfsten Kritiker*innen von Klöckner ist Ricarda Lang, die
       ehemalige Grünen-Chefin. Sie hat Klöckner in einem Podcast als
       „Polarisierungsunternehmerin“ bezeichnet. Klöckner führe „Empörungs- und
       Symboldebatten“, um die realen Probleme vieler Menschen kümmere sie sich
       nicht. „Diese Symboldebatten spalten uns nicht nur innerhalb des
       demokratischen Systems, sondern durchaus auch als Gesellschaft.“
       
       ## Feminismus-Kritik aber Frauenquote in der Union und Kinder im Plenarsaal
       
       Klöckner sieht nicht nur bei Linken rot, sondern auch, wenn sie über
       Feminismus spricht. An jenem Abend bei der Konrad-Adenauer-Stiftung sagt
       sie, die „großen Feministinnen und Menschenrechtler“ würden „kippen“ und
       „sofort anfangen zu relativieren“, wenn es um die Vergewaltigungen der
       Hamas vom 7. Oktober gehe. Pauschal, ohne Beispiel, das ihre Unterstellung
       belegt. Ähnliche Einlassungen gibt es von Klöckner zuhauf.
       
       Auf die ihr eigene Art setzt sich Klöckner aber für Frauen durchaus ein.
       Beim CDU-Parteitag vor drei Jahren in Hannover hat Klöckner die Debatte
       über die Einführung einer parteiinternen Frauenquote gedreht. Eine junge
       Frau nach der anderen war ans Redepult getreten und hatte argumentiert,
       dass es eine Quote nicht braucht. Die Stimmung im Saal war eher gegen die
       Einführung. Bis Klöckner ans Mikrofon schritt. „Merkt Ihr nicht, was hier
       läuft?“ rief sie in den Saal. Das „Schenkelklopfen“ der Männer über die
       jungen Frauen, die keine Quotenfrauen sein wollten, habe sie satt – und das
       Gegeneinanderausspielen von Frauen auch. Klöckner nahm den Saal mit und hat
       damit Merz, der sich zähneknirschend für die Einführung ausgesprochen
       hatte, vielleicht vor der ersten Niederlage als Parteichef bewahrt.
       
       Auch die grüne Hanna Steinmüller kann Klöckner einiges abgewinnen.
       Steinmüller ist die junge Bundestagsabgeordnete, die damit Furore machte,
       dass sie vor Kurzem im [14][Bundestag sprach, während ihr Baby vor ihrem
       Bauch schlief.] „Früher musste man einen guten Grund anführen, warum man
       kleine Kinder mit in den Plenarsaal nehmen will. Bei Klöckner geht das
       einfach. Das erleichtert den Alltag“, sagt Steinmüller. Auch habe Klöckner
       junge Eltern zu einem Austausch darüber eingeladen, was helfen könnte, um
       Elternschaft und Abgeordnetentätigkeit besser zu vereinbaren. „Das habe ich
       vorher nicht erlebt.“ Politisch, sagt Steinmüller, stehe sie völlig
       woanders als Klöckner und kritisiert, wenn diese linke und rechte
       politische Positionen gleichsetze. Wie Klöckner die Sitzungen leite und die
       AfD in ihre Schranken weise, aber findet Steinmüller gut. „Der Bundestag
       soll schließlich stilbildend für den Rest der Gesellschaft sein.“
       
       Julia Klöckner ist als Bundestagspräsidentin seit Ende März im Amt. Sie
       wurde mit 62 Prozent der Stimmen gewählt, ein sehr schlechtes Ergebnis.
       Viele Abgeordnete waren skeptisch, ob die Parteipolitikerin, die scharf und
       polemisch gegen die Ampel vorging, die spaltete und polarisierte und
       Kulturkampf nicht scheute, den Sprung zur Parlamentspräsidentin überhaupt
       schaffen kann. Überparteilichkeit und Ausgleich, das waren bisher nicht
       Klöckners Stärken. Bislang ist ihr dieser Rollenwechsel nicht gelungen,
       zumindest nicht ausreichend. Ob das so bleibt? In ein Amt kann man
       hineinwachsen, einen Kurs kann man korrigieren. Allerdings muss man es
       dafür auch wollen.
       
       [Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes hieß es, Julia Klöckner
       habe bei ihrer Wahl zur Bundestagspräsidentin mit 62 Prozent das
       schlechteste Ergebnis erhalten, das es in diesem Amt bislang gab. Das
       trifft nicht zu. Wolfgang Thierse von der SPD hat mit 59,9 Prozent 2002 ein
       schlechteres Ergebnis erzielt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.]
       
       31 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Julia-Kloeckner/!t5027035
 (DIR) [2] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296
 (DIR) [3] /Umgang-mit-der-AfD/!6083176
 (DIR) [4] /CSD-Absage-des-Bundestags/!6091532
 (DIR) [5] /Journalistenverband-kritisiert-Julia-Kloeckner-Es-gibt-erste-Ruecktrittsforderungen/!6105060
 (DIR) [6] /Robert-Habeck-tritt-zurueck/!6106347
 (DIR) [7] /Schwerpunkt-Angela-Merkel/!t5007702
 (DIR) [8] /Kommentar-Julia-Kloeckner-und-Nestle/!5598538
 (DIR) [9] /Katholik-ueber-Kirche-und-Politik/!6100265
 (DIR) [10] /Queere-Sichtbarkeit/!6091515
 (DIR) [11] /Kloeckner-setzt-taz-mit-Nius-gleich/!6107374
 (DIR) [12] /Julia-Kloeckner-und-die-Medien/!6110564
 (DIR) [13] /Bundestagsvizepraesident-in-Redaktion/!6108386
 (DIR) [14] /Gruene-mit-Saeugling-im-Bundestag/!6111703
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine am Orde
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Julia Klöckner
 (DIR) Bundestag
 (DIR) CDU/CSU
 (DIR) Kulturkampf
 (DIR) Schwerpunkt LGBTQIA
 (DIR) Reden wir darüber
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) CDU/CSU
 (DIR) Schwerpunkt AfD
 (DIR) Rechtsruck
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neue CDU-Gruppe „Compass Mitte“: „Wir versuchen, eine Bewegung zu werden“
       
       Die Gewerkschafterin Monica Wüllner (CDU) ist eine der Gründerinnen von
       „Compass Mitte“. Die Gruppe fürchtet eine Annäherung ihrer Partei an die
       AfD.
       
 (DIR) Julia Klöckner und die Medien: Postfaktische Presseschau
       
       Julia Klöckner bestreitet, taz mit Nius verglichen zu haben – dabei gibt es
       sogar Aufnahmen von der Rede. Von der Politikerin ist man leider nichts
       anderes gewohnt.
       
 (DIR) Rechtsruck bei aktuellen Debatten: Gesellschaftspolitisch rückwärtsgewandt und hilflos
       
       Was die Nach-Merkel-Mitte aufbietet, ist derzeit dürftig bis verlogen. Was
       sie nicht klarmacht: Auf welcher Seite sie im Zweifel steht.