# taz.de -- Klage der Hamburger AfD: Innensenator muss nicht neutral sein
       
       > Andy Grote (SPD) durfte in einer Parlamentsdebatte politische Kritik an
       > der AfD üben. Das Neutralitätsgebot gelte dort nicht, entscheidet das
       > Gericht.
       
 (IMG) Bild: Alexander Wolf (vorn), stellvertretender AfD-Vorsitzender in Hamburg, steht kurz vor der Urteilsverkündung im Gerichtssaal
       
       Hamburg taz | Hamburgs [1][Innensenator Andy Grote (SPD)] darf in
       Parlamentsdebatten politische Kritik an der AfD üben. Das Hamburgische
       Verfassungsgericht hat am Freitag eine Organklage der AfD gegen Grote
       abgewiesen.
       
       Die Klage, eingereicht von der AfD Hamburg, ihrer Bürgerschaftsfraktion und
       sieben teils ehemaligen Abgeordneten, befand das Verfassungsgericht [2][als
       teilweise unzulässig und in der Sache unbegründet], wie Gerichtspräsidentin
       Birgit Voßkühler erklärte.
       
       Mit einer Organklage können staatliche Organe wie Parteien oder Fraktionen
       eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte durch andere staatliche
       Stellen geltend machen, etwa wenn eine Partei meint, durch Äußerungen oder
       Handlungen eines Amtsträgers in ihren Rechten beeinträchtigt worden zu
       sein.
       
       Im Zentrum des Streits stand ein Debattenbeitrag von Grote [3][in einer
       Bürgerschaftssitzung am 8. November 2023] zum Thema „Solidarität mit Israel
       und Verurteilung der Hamas-Terrorangriffe“. Darin hatte Grote der AfD
       vorgeworfen, sich immer weiter zu radikalisieren, und die „Relativierung
       des Nationalsozialismus und des Holocaust“ als „Grunderzählung“ der Partei
       bezeichnet.
       
       Dies werteten die AfD-Abgeordneten als Verstoß gegen das Neutralitätsgebot
       und als unzulässige Einmischung in den politischen Wettbewerb. Sie wollten
       vom Gericht feststellen lassen, dass ihre verfassungsmäßigen Rechte
       verletzt worden seien, weil Grotes Äußerungen sie in ihrer
       Chancengleichheit und der Ausübung des freien Mandats beeinträchtigen
       würden.
       
       ## Keine Neutralität in Parlamentsdebatten
       
       Das Gericht stellte nun klar: „Das Neutralitätsgebot gilt nicht im Rahmen
       einer Parlamentsdebatte – auch wenn der Beitrag von einem Senatsmitglied
       stammt“, so Voßkühler. Grote habe auf AfD-Redebeiträge reagiert, ohne sein
       Amt oder staatliche Mittel zu missbrauchen.
       
       Seine Aussagen seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt und stützten sich
       auf nachvollziehbare Beobachtungen, etwa Verfassungsschutzberichte, die
       schon damals zwei AfD-Landesverbände als rechtsextremistisch einstuften.
       Die AfD-Fraktion habe keine Verletzung ihres Rechts auf Gleichbehandlung
       bei innerparlamentarischen Entscheidungen nachweisen können, weshalb ihre
       Anträge unzulässig seien.
       
       Ebenso fehlte drei Antragstellern, die inzwischen aus der Bürgerschaft
       ausgeschieden waren, laut Gericht das Rechtsschutzinteresse. Die
       verbleibenden vier Abgeordneten seien nur hinsichtlich ihres freien Mandats
       antragsbefugt. Aber auch hier sah das Gericht keine Verletzung, weil Grotes
       Äußerungen sich nicht konkret auf einzelne Abgeordnete, sondern auf die
       Partei insgesamt bezogen.
       
       Die Behauptung, die AfD relativiere den Holocaust, sei sachlich durch
       Äußerungen von AfD-Vertreter:innen zur Erinnerungskultur untermauert und
       kein Vorwurf der Volksverhetzung. Somit habe Grote weder die
       Chancengleichheit der AfD noch das Sachlichkeitsgebot verletzt.
       
       Das Urteil unterstreicht damit die Freiheit politischer Äußerungen in
       parlamentarischen Debatten, selbst wenn sie von Regierungsmitgliedern
       stammen. Für die AfD ist die Niederlage ein Rückschlag, weil sie ihre
       Vorwürfe nicht durchsetzen konnte.
       
       ## AfD will Opfer sein
       
       Die Strategie der AfD, [4][Neutralitätsklagen einzureichen], dient der
       Selbstdarstellung als Opfer staatlicher Willkür und Ungleichbehandlung. Sie
       soll politische Gegner belasten und diskreditieren und so gesellschaftliche
       Debatten polarisieren. Die Taktik ist dabei, prominente Gegner anzugreifen,
       um ihre eigenen Narrative zu verstärken, auch wenn die Erfolgsaussichten
       gering sind. Im Norden gab es in der vergangenen Zeit eine Reihe von
       Fällen, in denen die AfD zum Teil auch erfolgreich war.
       
       So hatte die Partei im Februar 2024 in Hamburg eine Klage gegen den grünen
       Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz geführt und [5][bekam vor dem
       Verwaltungsgericht recht]. Werner-Boelz hatte die AfD in der
       Bezirksversammlung als „Feinde der Demokratie“ bezeichnet. Das war laut
       Gericht ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, weil Werner-Boelz als
       Amtsträger agierte und keine parlamentarische Debatte führte – im
       Unterschied zum aktuellen Grote-Fall.
       
       2023 reichte die AfD Niedersachsen Klage gegen den damaligen Innenminister
       Boris Pistorius (SPD) ein, weil dieser in einem Interview die Partei mit
       der NSDAP verglichen hatte und deren Verbrechen verharmlost sah. [6][Die
       Klage wurde abgewiesen, weil die Äußerungen als Teil der politischen
       Meinungsbildung gewertet wurden und kein Neutralitätsverstoß vorlag].
       
       ## Ein Rückschlag für die AfD
       
       In Hannover klagte die AfD-Fraktion gegen den Oberbürgermeister Belit Onay
       (Grüne) und seine Dezernent:innen. Anlass der ersten Klage waren
       [7][Äußerungen des Ersten Stadtrats Axel von der Ohe in einer Ratssitzung]
       2022, der eine AfD-Anfrage zu „Abschiebungen ausreisepflichtiger Migranten“
       zurückwies und das Menschenbild der Partei kritisierte.
       
       Weil von der Ohe als Stellvertreter des Oberbürgermeisters agierte, wurde
       die Klage formell auch gegen die Stadtspitze unter Onays Verantwortung
       geführt. Der Oberbürgermeister muss sich Äußerungen seiner
       Dezernent:innen zurechnen lassen. [8][Das Verwaltungsgericht Hannover
       wies die Klage jedoch am 22. Januar 2025 ab], da die Äußerungen im Rahmen
       einer politischen Debatte fielen und kein Neutralitätsverstoß vorlag.
       
       Im zweiten Verfahren ging es in Hannover um einen Vorfall am 22. Dezember
       2022: Damals hatten Oberbürgermeister Onay, einige Dezernent:innen und
       Ratsmitglieder den Ratssaal verlassen, als in [9][einer AfD-Rede der
       Begriff „Sozialtouristen“ fiel]. Die AfD sah hierin einen Verstoß gegen das
       Sachlichkeitsgebot. Das Gericht erkannte zwar einen Verstoß gegen die
       Organtreue an, wies die Klage aber ab, weil die AfD sofort hätte reagieren
       müssen, etwa durch einen Antrag zur Geschäftsordnung.
       
       5 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Andy-Grote/!t5336700
 (DIR) [2] https://www.hamburgisches-verfassungsgericht.de/presse/organstreitverfahren-alternative-fuer-deutschland-gegen-senator-grote-und-den-senat-erfolglos
 (DIR) [3] https://mediathek.buergerschaft-hh.de/sitzung/22/76/
 (DIR) [4] /Streit-um-Neutralitaetsgebot/!6026988
 (DIR) [5] /AfD-verklagt-gruenen-Bezirksamtsleiter/!5991485
 (DIR) [6] https://staatsgerichtshof.niedersachsen.de/startseite/presse_und_service/pressemitteilungen/organstreitverfahren-der-afd-gegen-die-nds-landesregierung-den-nds-minister-fur-inneres-und-sport-a-d-pistorius-die-nds-ministerin-fur-inneres-und-sport-behrens-wegen-verletzung-des-rechts-auf-chancengleiche-teilhabe-am-polit-wettbewerb-verworfen-226010.html
 (DIR) [7] https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/0863-2022F1
 (DIR) [8] /AfD-Klage-gegen-Stadtobere-in-Hannover/!6059706
 (DIR) [9] https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/TO/20221222_Rat_P
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Matthies
       
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