# taz.de -- Kunstbiennale an der Nordsee: Sich gegen den Rhododendron behaupten
       
       > In diesem Sommer findet die zweite Ausgabe der Ostfriesland Biennale
       > statt. Was kann die bildende Kunst auf dem platten Land?
       
 (IMG) Bild: Ob Stefan Marx für diese Bauzaun-Installation in den Himmel kommt? Zu sehen im Schloßpark Evenburg
       
       In der verhutzelten Fußgängerzone von Norden hat sich eine Menschentraube
       vor dem ehrwürdigen Café Remmers eingefunden, einem der wenigen Läden,
       dessen Gemütlichkeit der bürgerlichen Architektur entspricht, die sich mit
       verzierten Backsteingiebeln über die Ladenzeilen streckt.
       
       Es ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit und ostfriesische Verhältnisse,
       viele der Anwesenden haben ihre leichten Windjacken in gedeckten Farben
       schon um die Hüften geknotet. Durchbrochen wird die Menge von jungen
       Erwachsenen in gelben Regenmänteln. [1][Die „Friesennerze“] kennzeichnen
       ihre Träger als Studierende der Klasse Hummer & Wild der Hochschule für
       bildende Künste Hamburg.
       
       Plötzlich wird es laut, jemand pfeift, eine Kiste wird geöffnet, zwei
       Personen in campy Plastikkleidern, grellem Make-up und knalligen Perücken
       treten auf den Plan, ein junger Mann holt drei Plastikbecher aus einer
       Schatzkiste. Irgendwie wird es hektisch, Leute rennen und verschwinden im
       Café. Betrachtende folgen zögerlich, im Publikum wird gelacht, zuweilen die
       Stirn gerunzelt, mit den Schultern gezuckt, getuschelt. So ganz erschließt
       sich die Performance nicht. Das hier ist Kunst, das ist klar – und die ist
       in der hiesigen Fußgängerzone nicht immer selbstverständlich, auch das
       scheint klar. Dabei liegt der Kunstverein nur einen Block die Seitenstraße
       hinunter.
       
       ## Die Performance ist Teil der Ostfriesland Biennale
       
       Das Spektakel in der Fußgängerzone ist Teil der Ostfriesland Biennale, die
       diesen Sommer zum zweiten Mal stattfindet und Kulturinstitutionen des
       Landstrichs verbindet: von Wilhelmshaven bis Uithuizen in den Niederlanden.
       Dass sie überhaupt stattfindet, kam überraschend, war die erste Ausgabe der
       eigentlich auf einen zweijährigen Rhythmus angelegten Ausstellung doch
       schon drei Jahre her. Dies hatte organisatorische Gründe, wie die
       Kuratorinnen Ina Grätz und Silke Oldenburg betonen, die gemeinsam mit
       Willem J. Müller den Vorstand des gemeinnützigen Vereins Ostfriesland
       Biennale e. V. bilden, der hinter der Initiative steht.
       
       In Norden geht es um junge Positionen, die Künstler:innenliste im
       Wasserschloss Lütetsburg ist hingegen ganz anders: Im weitläufigen und
       fraglos umwerfenden Schlosspark des Häuptlingsgeschlechts Inn- und
       Knyphausen (heute im Besitz des CDU-Mitglieds Tido Graf zu Inn- und
       Knyphausen) lassen sich versteckt Skulpturen der international renommierten
       Künstler:innen Olaf Breuning, Stefan Marx und [2][Shannon Finnegan]
       finden.
       
       Leider können sich ihre Werke kaum gegen die Schönheit der meterhohen
       Rhododendren behaupten. Insbesondere das von Marx, ein an einem Bauzaun
       montiertes Banner mit den Worten „The air is pink and blue and dotted with
       white“ in einer für ihn typischen, gemalten Typografie steht verloren auf
       der Wiese. Zu improvisiert wirkt die Installation, zu redundant die Worte
       in einem Park, in dem einem schwindelig werden kann ob der Farben, Klänge
       und Düfte der teils hochmanikürten, teils wuchernden Natur.
       
       ## Etablierte, junge und ostfriesische Positionen sollen sich mischen
       
       Etablierte oder aufsteigende ostfriesische Künstler:innen zu zeigen, ist
       das erklärte Ziel der Ostfriesland Biennale. Das Programm dieser Ausgabe
       fällt jedoch etwas willkürlich aus, man hatte wohl nur eine kurze
       Vorlaufzeit. So wurden langfristig geplante Ausstellungen wie die der
       Kunsthalle Wilhelmshaven oder der Kunsthalle Emden kurzerhand ins
       Biennale-Programm mit aufgenommen und um eigene Teile ergänzt.
       
       Im vom Henry Nannen gestifteten Emdener Museum wandelt man nun einerseits
       durch die klassische, luftig-blau bespielte Ausstellung „Dem Himmel so nah.
       Wolken in der Kunst“ und trifft andererseits im Atrium auf die vollkommen
       im Kontrast dazu stehende Malerei der Berliner Off-Ikone Bettina Semmer,
       des Leipziger Jungstars Titus Schade sowie Werke der All-Stars Karin
       Sander, [3][Daniel Richter] und Thomas Scheibitz.
       
       Die gesamte Kuration der Biennale scheint stark beeinflusst von dem, was in
       kurzer Zeit möglich war: erstaunlich viele der Biennale-Künstler:innen
       leben in Berlin. Wie der aus Ostfriesland kommende Menno Aden, dessen
       sterile, wie Muster wirkende Raumfotografien derzeit im Landesmuseum
       Oldenburg hängen.
       
       Vielleicht liegt dies an den Beziehungen der Kuratorinnen, leitete Ina
       Grätz doch sieben Jahre lang Mathias Döpfners Privatmuseum Villa
       Schöningen in Potsdam, während Silke Oldenburg 14 Jahre am Hamburger Museum
       für Kunst und Gewerbe beschäftigt war. Nun kehren beide in ihre
       ostfriesische Heimat zurück: ab dem Herbst übernehmen sie als Duo die
       Direktion der Kunsthalle Emden.
       
       ## Die Kunst ist gemeinschaftsstiftend
       
       Auch wenn manches auf dieser Biennale entweder improvisiert oder vom Wind
       reicher Sammlerkontakte umweht erscheint, ist es doch erfrischend, wenn die
       Kunst in den Sommer des Landstriches tröpfelt, wie man in Aurich sehen
       kann.
       
       Im Pavillon am Ellernfeld, wo der örtliche Kunstverein residiert, einem der
       schönsten Bauten der Umgebung, versammeln sich am Eröffnungsabend trotz
       pladderndem Regen so viele Menschen, dass sie draußen stehen müssen. Reden
       werden gehalten, gerötete Gesichter strahlen, die dort gezeigten Arbeiten
       von etwa Wanda Stolle[4][, Antje Majewski] oder Kati von Schwerin treten
       tatsächlich in einen Dialog – und darüber auch das Publikum. Die Kunst ist
       ungemein gemeinschaftsstiftend.
       
       Sichtlich stolz ist man hier auf die Veranstaltung. Und als der Vorstand
       erzählt, wie er mit Jonathan Meese bei der letzten Biennale Bratwurst um
       die Wette aß, kann auch die letzte Beobachterin ihre Zweifel verlieren.
       
       11 Aug 2025
       
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