# taz.de -- Seenotretterin über Meloni: „Italiens Regierung führt einen Krieg gegen Migration“
       
       > Marie Banck wurde mit ihrem Schiff „Nadir“ von Italien festgesetzt. Auch
       > an der Bundesregierung übt sie Kritik.
       
 (IMG) Bild: „Jeder Tag, an dem ein Schiff nicht im Einsatz ist, kann Menschenleben kosten“: die Nadir bei einer Mission im Jahr 2021
       
       taz: Frau Banck, vor knapp zwei Wochen wurde das zivile
       Seenotrettungsschiff „Nadir“, auf dem Sie sich befinden, von der
       italienischen Küstenwache festgesetzt. Insgesamt 20 Tage darf die „Nadir“
       nicht weiterfahren, außerdem droht ein Bußgeld in Höhe von bis zu 10.000
       Euro. Wie kam es zu der Festsetzung? 
       
       Marie Banck: Wir hatten gerade 112 Menschen von einem seeuntüchtigen
       Holzboot gerettet. Viele von ihnen waren dehydriert, seekrank und brauchten
       medizinische Versorgung. Die italienische Küstenwache hat uns dann den
       schriftlichen Befehl erteilt, den Hafen von Lampedusa anzusteuern. Nachdem
       wir mehrere Stunden in Richtung Lampedusa gefahren waren, hat uns die
       Behörde per Funk aufgefordert, besonders schutzbedürftige Menschen an ein
       Schiff der Küstenwache zu übergeben. Die übrigen Menschen sollten wir nun
       doch in einen anderen Hafen, ins 22 Stunden entfernte Sizilien, bringen.
       Wir hatten erhebliche Sicherheitsbedenken.
       
       taz: Welche? 
       
       Banck: Bei dem damaligen Seegang und dem vollen Deck wäre es nicht
       ungefährlich gewesen, von einem Schiff aufs andere überzusteigen. Besonders
       für ohnehin physisch geschwächte Menschen. Im schlimmsten Fall kann man
       dabei ins Wasser fallen oder sich Gliedmaßen zwischen den beiden Booten
       einklemmen. Außerdem wären durch die Übergabe Familien getrennt worden.
       Diese Bedenken haben wir der Küstenwache mitgeteilt.
       
       taz: Wie hat die reagiert? 
       
       Banck: Sie hat uns angewiesen, Lampedusa weiter anzusteuern. Zu einer
       Übergabe kam es also nicht. Dort angekommen, haben wir den Hafenmeister,
       der zur Küstenwache gehört, angefunkt und erneut um Erlaubnis gebeten, in
       den Hafen einzulaufen. Diese hat er uns per Funk erteilt. Nachdem die
       geretteten Menschen von Bord gegangen sind, haben wir am nächsten Morgen
       erfahren, dass wir den Hafen nicht mehr verlassen dürfen.
       
       taz: Die italienische Küstenwache wirft Ihnen vor, deren Anweisungen
       missachtet zu haben, und argumentiert, dass Sie die libysche und tunesische
       Küstenwache nicht kontaktiert hätten, obwohl Sie dazu verpflichtet gewesen
       wären. Haben Sie maritimes Recht verletzt? 
       
       Banck: Nein. Wir haben versucht, sowohl die libysche als auch die
       tunesische Küstenwache zu kontaktieren. Das Problem ist: die
       Telefonnummern, die dort hinterlegt sind, funktionieren oft gar nicht, die
       Behörden sind zudem nicht kooperationsbereit. Die sogenannte Küstenwache in
       Libyen verfolgt nicht das Ziel, Menschen zu retten. Vielmehr werden
       Schutzsuchende abgefangen und verschleppt. In Libyen droht ihnen häufig
       Haft und Folter. Weder Tunesien noch Libyen können als sicherere Häfen für
       Schutzsuchende gelten.
       
       taz: [1][Anfang 2023 hat die von der rechtsextremen Fratelli d’Italia
       geführte Regierung das sogenannte Piantedosi-Dekret verabschiedet], auf
       dessen Grundlage auch die „Nadir“ festgesetzt wurde. Was bedeutet das
       Gesetz für Rettungsmissionen?
       
       Banck: Das Dekret behindert die zivile Seenotrettung erheblich. Seit
       Einführung müssen Schiffe nach einer Rettung sofort den von der Küstenwache
       zugewiesenen Hafen ansteuern. Selbst wenn ein Schiff Platz für weitere
       hundert Menschen hätte, muss es seine Patrouille abbrechen, sogar wenn nur
       eine einzelne Person gerettet wurde. Außerdem weisen die italienischen
       Behörden den Rettungsschiffen häufig nicht den nächstgelegenen Hafen zu,
       sondern einen, der mehrere Tage Fahrt entfernt ist. Dadurch verlieren
       Rettungsschiffe viel Sprit, Zeit und Geld. Für die geretteten Menschen ist
       die unnötig lange Reise auf See extrem belastend.
       
       taz: Die italienische Regierung argumentiert, dass es auch für NGOs klare
       Regeln brauche, das Gesetz solle Ordnung schaffen. Ist das nicht
       grundsätzlich ein berechtigtes Vorhaben? 
       
       Banck: Der Vorwurf, Schiffe der zivilen Seenotrettung würden sich nicht an
       Regeln halten, ist völlig aus der Luft gegriffen. Wir halten uns strikt an
       maritimes und internationales Recht. Das Piantedosi-Dekret ist ein in
       Gesetzesform gegossenes Repressionsinstrument und ordnet sich in die
       europäische Abschottungspolitik ein. Die italienische Regierung will nicht
       für Ordnung sorgen, sie führt einen Krieg gegen Migration.
       
       taz: In welchem Ausmaß wurden Rettungsaktionen durch das Piantedosi-Dekret
       bisher behindert? 
       
       Banck: [2][Die NGO SOS Humanity hat ausgerechnet, dass Schiffe der zivilen
       Seenotrettung innerhalb eines Jahres 374 Tage am Einsatz gehindert wurden],
       weil sie weit entfernte Häfen ansteuern mussten oder festgesetzt wurden.
       Jeder Tag, an dem ein Schiff nicht im Einsatz ist, kann Menschenleben
       kosten.
       
       taz: Die „Nadir“ ist schon seit 2021 auf Rettungsmissionen unterwegs. Es
       ist das erste Mal, dass das Schiff festgesetzt wurde. Warum gerade jetzt?
       
       Banck: Für uns kam das überraschend. Bisher wurden Segel- und Kleinschiffe
       wie die Nadir meist verschont. Außerdem wurden seit einigen Monaten keine
       Rettungsschiffe mehr festgesetzt. Anderseits war uns klar, dass die
       italienische Regierung sich darauf vorbereitet, zivile Seenotrettung noch
       schärfer zu kriminalisieren als bisher.
       
       taz: Inwiefern? 
       
       Banck: Im Oktober und Dezember wurden Gesetzesänderungen beschlossen, die
       die Regeln weiter verschärfen. Dazu gehört etwa das sogenannte
       Flussi-Dekret, durch das Schiffe häufiger und länger festgesetzt werden
       können. Meine Einschätzung ist: Unsere Festsetzung war nur der Auftakt im
       nächsten Kapitel staatlicher Repression gegen zivile Seenotrettung. So
       wurde kurz nach uns auch die „Sea Eye 5“ im Hafen festgesetzt. Die Aktion
       folgt einem ähnlichen Muster: Die italienischen Behörden haben dem Schiff,
       das gerade 65 Menschen von einem Schlauchboot gerettet hatte, einen weit
       entfernten Hafen zugewiesen. Die Crew hatte Sicherheitsbedenken und bat um
       die Zuweisung eines näher gelegenen Hafens. An Bord befanden sich mehrere
       Schwerverletzte, für die die lange Seereise eine große Gefahr bedeutet
       hätte. Nach langem Warten stimmten die Behörden zwar zu, setzten das Schiff
       dann aber im Hafen fest. Diese Festsetzungen sind eindeutig politisch
       motiviert.
       
       taz: Die „Nadir“ liegt nun schon seit fast zwei Wochen im Hafen, die ersten
       Tage in Lampedusa, jetzt im Hafen von Empedocle, Sizilien, in dem Sie den
       Rest der 20 Tage festgesetzt sind. Wie sehen die Tage an Bord aus? 
       
       Banck: Wir sind sehr frustriert. Über Funk bekommen wir mit, dass es gerade
       jetzt viele Notfälle gibt. Aktuell machen sich viele Menschen auf den Weg
       übers Mittelmeer, weil die Wetterbedingungen nach längerer Zeit wieder
       stabil sind. Vor ein paar Tagen wurde uns ein Fall gemeldet, bei dem
       Menschen für mehrere Tage auf einer verlassenen Ölplattform verbringen
       mussten. Eine Frau hat dort ihr Kind zur Welt gebracht. Wir wissen, dass
       wir im Einsatz gebraucht werden, müssen aber im Hafen ausharren. Wir
       versuchen Arbeiten am Schiff zu erledigen und verständigen uns intern über
       mögliche rechtliche Schritte.
       
       taz: Wie könnten staatliche Akteure die zivile Seenotrettung unterstützen? 
       
       Banck: Wir fordern, dass Seenotrettung nicht mehr hauptsächlich zivilen
       Akteuren überlassen wird. 2015 waren Schiffe mehrerer EU-Staaten im
       Mittelmeer präsent und haben Menschen in Not gerettet. Inzwischen klafft
       dort eine politisch gewollte Lücke, die die zivile Seenotrettung mit ihren
       begrenzten Kapazitäten nicht füllen kann. Außerdem braucht es Geld.
       [3][2022 hatte die Ampelregierung beschlossen, private Seenotrettung für
       vier Jahre mit insgesamt 8 Millionen Euro zu unterstützen.] Das ist zwar
       keine große Summe, war aber ein starkes Zeichen. Unter Schwarz-Rot wird es
       so was wohl nicht mehr geben. Zudem hat die Spendenbereitschaft seit 2015
       deutlich abgenommen. Der Staat muss sich endlich selbst für eine
       funktionierende Seenotrettung einsetzen.
       
       taz: Auch staatliche Akteure könnten wohl nicht jedes Seeunglück
       verhindern.
       
       Banck: Wovon wir wirklich träumen sollten, sind sichere Fluchtrouten. Ohne
       die rassistische Grenzpolitik der EU gäbe es die Probleme, mit denen die
       zivile Seenotrettung konfrontiert ist, nicht.
       
       20 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Vorwuerfe-gegen-Italien-bei-EU-Kommission/!5944839
 (DIR) [2] https://sos-humanity.org/wp-content/uploads/2024/06/2024_Report_Menschlichkeit-ueber-Bord_online.pdf
 (DIR) [3] /Fluechtlingspolitik-im-Haushaltsausschuss/!5894549
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joscha Frahm
       
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