# taz.de -- Wahlverhalten junger Menschen: Früher wählte die Jugend links
       
       > Heute wählen junge Menschen zunehmend rechtsextrem. Die Gründe dafür
       > liegen in einer gefühlten Unsicherheit durch zu viele Krisen.
       
       Das politische Establishment war im April dieses Jahres regelrecht
       schockiert, als wir die Ergebnisse unserer [1][Trendstudie „Jugend in
       Deutschland 2024“] präsentierten. Die populärste Partei für die 14- bis
       29-Jährigen sind nicht mehr die Grünen, es ist die AfD. Dieses Ergebnis war
       so überraschend, dass zahlreiche Medien darüber diskutierten, manche die
       Ergebnisse anzweifelten und methodische Zweifel erhoben. In den bald darauf
       folgenden Wahlergebnissen der EU- und Landtagswahlen in Ostdeutschland
       zeigte sich dann klar, was sich in unserer Studie abzeichnete: Junge
       Wählerinnen und Wähler, die lange als woke, politisch progressiv und eher
       links galten, [2][geben ihre Stimme zunehmend einer Partei, die
       rechtspopulistische und nationalistische Positionen] vertritt.
       
       Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Junge Menschen in Deutschland
       stehen vor großen Herausforderungen, die ihre Zufriedenheit und ihre
       politischen Präferenzen stark beeinflussen. Jugendliche und junge
       Erwachsene wachsen in einem Land auf, das gefühlt den Wohlstandszenit
       überschritten hat. Das Leben fühlt sich für viele an wie das Navigieren auf
       Sicht durch den Dauerkrisenmodus. Sie fühlen sich nicht beteiligt an den
       politischen Entscheidungen für die Zukunft, das führt zu einem
       Ohnmachtsgefühl im Gegensatz zu einer gestaltbaren und wünschenswerten
       Zukunft.
       
       Aber man darf nicht alle jungen Menschen in einen Topf werfen. Es gibt
       viele, die wirtschaftlich so gut dastehen, dass ihnen die finanziellen
       Herausforderungen der Inflation und Wirtschaftskrise nichts anhaben. Es
       gibt andere, die gut darin sind, sich auf das in ihrem Umfeld Gestaltbare
       zu konzentrieren und so keinen Kontrollverlust erleben. Doch die allgemeine
       Lebenszufriedenheit dieser jungen Generation ist – entgegen dem Bild, das
       oft von der glücklichen, digital vernetzten Jugend gezeichnet wird –
       aktuell auf einem Tiefstand. Der Trend wurde nach den Pandemiejahren nicht
       positiver, sondern deutlich negativer. Ein entscheidender Faktor ist die
       wirtschaftliche Situation, die sich für viele junge Menschen tagtäglich
       bemerkbar macht: Wenn sie verzichten müssen und trotz guter Chancen auf dem
       Arbeitsmarkt voll Ungewissheit in die Zukunft blicken.
       
       Hier setzt die AfD an: [3][Sie spricht gezielt Menschen an, die das Gefühl
       haben, vom politischen System vergessen worden zu sein.] Eines der
       zentralen Motive für junge Menschen, die AfD zu wählen, ist die Angst vor
       der Zukunft. Eine Angst, mit der sie sich von der Regierung allein gelassen
       fühlen. Viele junge Menschen erleben täglich, dass ihnen das Geld für
       vieles fehlt. Sie müssen sich in Verzicht üben und von manch lieb
       gewonnener Gewohnheit verabschieden. Sie befürchten, dass sie sich weder
       Eigentum noch eine stabile Zukunft leisten können, obwohl ihre Chancen und
       Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt gut sind. Durch die AfD fühlen
       sich manche junge Menschen ernst genommen. Zudem verspricht die Partei
       einfache und verständliche Lösungen, egal ob diese im Realitätscheck
       bestehen würden oder nicht. Was zählt, ist oft nicht die faktische
       Sicherheit, sondern ein Gefühl von Sicherheit.
       
       ## Simple Botschaften verfangen
       
       Die AfD schafft es auch, auf tief verwurzelte Ängste vor Überfremdung und
       den Verlust nationaler Identität einzugehen. Der Anteil junger Menschen,
       die Angst vor Zuwanderung haben, ist im letzten Jahr von rund 20 auf über
       40 Prozent gestiegen. Und mehr als die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen haben
       den Eindruck, dass der Staat sich stärker und besser um Flüchtlinge kümmert
       als um hilfsbedürftige Deutsche. So verfängt die Botschaft der AfD, dass
       sie sich konsequent gegen Zuwanderung und für Abschiebungen stark macht.
       Und sie hat es geschafft, dass ihre auch junge Anhängerschaft vollkommen
       ausblendet, wie notwendig Zuwanderung für die alternde deutsche
       Gesellschaft ist.
       
       Angst macht jungen Menschen aber auch der Krieg in der Ukraine. Ältere
       argumentieren gern, dass es für sie nicht anders war zu Zeiten des kalten
       Krieges. Dabei vernachlässigen sie, in welcher Weise Smartphones heute als
       Verstärker der Krisen und Kriegsbilder wirken. Die neuen digitalen Zugänge
       führen im Vergleich zu früher zu einer Art Krisendauerbeschallung, mit
       denen viele junge Menschen nicht klarkommen. Dass die Vorstellung eines von
       der AfD thematisierten Friedens erstrebenswert klingt, ist zumindest
       nachvollziehbar. Noch dazu, wenn viele junge Menschen dank russischer
       Propaganda in den sozialen Medien den Eindruck bekommen, dass der Krieg
       nicht die Schuld Russlands sei.
       
       Die digitale Transformation hat den Zugang zu Informationen grundlegend
       verändert. Junge Menschen informieren sich zunehmend über soziale Medien
       wie [4][Instagram, Tiktok, Youtube,] und weniger über klassische
       Nachrichtenquellen wie Zeitungen oder Fernsehen. Diese Plattformen fördern
       kurze, zugespitzte Inhalte und begünstigen die Verbreitung von
       Desinformation. Die AfD hat sich geschickt auf diesen noch jungen Kanälen
       positioniert und erreicht mittlerweile ein großes Publikum. Mit
       provokativen und emotionalisierenden Inhalten gewinnen
       Parteipersönlichkeiten geschickt die Aufmerksamkeit von jungen Wählenden.
       
       Dabei spielen die Algorithmen eine wichtige Rolle: Junge Menschen, die
       einmal mit rechtspopulistischen Inhalten in Kontakt kommen (und sei es aus
       Neugier), werden oft durch ähnliche Beiträge in eine Informationsblase
       gezogen, die ein zunehmend verzerrtes Bild der Realität zeigt. Dies fördert
       ein Gefühl der Bestätigung eigener Vorurteile und Ängste, was wiederum die
       Wahlentscheidung beeinflussen kann.
       
       Die AfD bietet vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme. Eine
       nationale Wirtschaftspolitik, eine strikte Kontrolle der Migration, eine
       Ablehnung internationaler Kooperationen wie der EU – das alles verspricht
       eine Rückkehr zu einer vermeintlich einfacheren und sichereren Welt. Das
       ist für viele junge Menschen, die sich von der Komplexität der heutigen
       Gesellschaft überwältigt fühlen, attraktiv.
       
       AfD profitiert von der Politikverdrossenheit 
       
       Das Vertrauen junger Menschen in etablierte Parteien ist in den vergangenen
       Jahren spürbar gesunken. Viele junge Wähler:innen haben das Gefühl, dass
       ihre Sorgen von den traditionellen Parteien nicht ernst genommen werden.
       Sie fühlen sich von den Versprechen der Politikerinnen und Politiker
       enttäuscht, insbesondere im Hinblick auf Themen wie Bildung, Wohlstand,
       soziale Gerechtigkeit, Umgang mit Krisen. Die AfD profitiert von dieser
       Politikverdrossenheit, da sie sich als „Anti-Establishment“-Partei
       inszeniert, die mit den „Altparteien“ abrechnet. Zudem haben viele junge
       Menschen das Gefühl, dass es kaum noch Unterschiede zwischen den großen
       Parteien gibt. In einer solchen Lage ist es für einige verlockend, eine
       Partei zu wählen, die sich klar von den anderen abgrenzt – auch wenn das
       bedeutet, extremere Positionen zu unterstützen.
       
       Doch wie jüngst Forschungen der [5][Shell-Studie und des Instituts für
       Generationenforschung] zeigten, hat sich noch etwas anderes grundlegend
       verschoben: [6][Junge Menschen sehen sich nicht als politisch rechts,
       selbst wenn sie die AfD wählen.] Die Positionen der AfD werden eher als
       konservativ wahrgenommen. Die Aufregung über die Einstufung der
       AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als „gesichert
       rechtsradikal“ geht an ihnen vorbei. Im Gegenteil, es bestärkt sie sogar
       darin, für die AfD zu stimmen, weil sie eine Verschwörung des „Systems“
       vermuten. Oft geht es nicht darum, was wahr ist, sondern um das, was sich
       in ihrer jeweiligen Informationsbubble als Wahrheit anfühlt.
       
       Was können Politik, Wirtschaft, Medien und Bildung tun, um jungen Menschen
       Zuversicht zu geben? So banal und einfach es klingt: Die politischen
       Parteien müssen besser auf die Ängste und Sorgen der jungen Generation
       eingehen und sie bei der Bewältigung von Krisen beteiligen. Das betrifft
       ebenso die Wirtschaft, die jungen Menschen helfen sollte, sicherer mit
       Unsicherheit umzugehen. Ja, junge Menschen benötigen häufiger Feedback und
       treten fordernd auf. Wenn Führungskräfte verstehen, warum das so ist, kann
       man das GenZ-Bashing fallenlassen.
       
       ## Bad News haben bessere Quoten
       
       Medien und Journalist:innen sollten darauf achten, dass sie auch
       positive Nachrichten verbreiten. Migration konnte nur mit einem so
       schlechten Ruf besetzt werden, weil einerseits politisch vieles falsch
       läuft und über das, was gut läuft, zu wenig berichtet wird: die vielen
       engagierten und gut integrierten Menschen, die in Deutschland ihre neue
       Heimat gefunden haben und zu einer lebenswerten Zukunft im Land beitragen.
       Das Problem ist: Bad News haben bessere Quoten. Bräuchte es vielleicht eine
       Quote für Good News?
       
       Last but not least: Junge Menschen sollten künftig die Schule verlassen und
       das Gefühl haben, dass ihre schulische Bildung sie ausreichend auf das
       Leben vorbereitet. Dafür benötigen sie mehr Kompetenzen im Umgang mit
       Finanzen und Stress sowie deutlich mehr Medienkompetenz, um Desinformation
       entgegenzuwirken. Die Ergebnisse der sogenannten Ostwahlen sind
       alarmierend, aber nicht hoffnungslos.
       
       28 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://simon-schnetzer.com/trendstudie-jugend-in-deutschland-2024/
 (DIR) [2] /Junge-Waehlerinnen-im-Osten/!6035989
 (DIR) [3] /Soziologe-Heitmeyer-ueber-Autoritarismus/!6039342
 (DIR) [4] /Hausdurchsuchungen-bei-jungen-Neonazis/!6041476
 (DIR) [5] https://www.shell.de/ueber-uns/initiativen/shell-jugendstudie-2024.html
 (DIR) [6] /Shell-Jugendstudie-2024/!6039878
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simon Schnetzer
       
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