# taz.de -- Austritte bei den Grünen: Soll man eine neue Partei gründen?
       
       > Vielen erscheint im Moment die Gründung einer „richtig linken“ Partei die
       > Lösung zu sein. Unser Kolumnist findet: Dafür ist keine Zeit mehr.
       
 (IMG) Bild: Es braucht dringend eine starke linke Partei. Ob diese es wieder wird? Parteitag der Linken in Halle
       
       Der Austritt von Funktionären der [1][Grünen Jugend aus der Partei] hat
       einen wunderbaren Satz hervorgebracht: „Es ist uns wichtig zu betonen, dass
       wir euch nicht für schlechte Menschen halten.“ Schön. Vor allem hat er bei
       ähnlich Enttäuschten die gute alte Frage aufgeworfen, ob man nicht dringend
       eine neue Partei gründen solle, und zwar eine „richtig linke“ der richtig
       Guten. Weil man bei den existierenden Parteien gar nicht mehr wisse, wen
       man überhaupt noch wählen könne.
       
       Es ist erstmal verständlich, wenn Junge überlegen, eine eigene Partei zu
       gründen, weil sie ihre Zukunftsinteressen von Rentnerlobby-Parteien nicht
       repräsentiert sehen. Schwieriger wird es mit der Annahme, es brauche jetzt
       eine „richtig linke“ Partei. Da „richtig Linke“ als Identitätsmerkmal dazu
       neigen, möglichst vielen anderen das Richtig-links-sein abzusprechen und
       sie statt dessen nach rechtsaußen zu schieben, sehe ich für die
       Mehrheitsfähigkeit dieser Strategie keine Perspektiven.
       
       Der Erfolg der [2][antidemokratischen Wagenknecht-Clique], der AfD und das
       Ende der offenbar zu liberalen (sic!) Linkspartei zeigen zudem, dass in den
       angepeilten Milieus verschärft nationalsozialer Chauvinismus und
       anti-westlicher Putinismus nachgefragt wird. Was es definitiv braucht,
       keine Frage, ist Sozialpolitik, die den Wandel zur postfossilen und damit
       erfolgreichen Wirtschaft voranbringt und gleichzeitig breit
       zustimmungsfähig macht – und damit populismusresilient. Die Frage ist, wie
       man eine gesellschaftliche Mehrheit dafür gewinnen und in eine politische
       Mehrheit umwandeln kann.
       
       Selbstverständlich könnte man sagen, es gehe erstmal um einen radikalen
       Gegenentwurf. Da gebe ich allerdings den Lieblingssatz all jener zu
       bedenken, die zu Recht beklagen, dass klimapolitisch alles viel zu langsam
       vorangehe: „Wir haben keine Zeit mehr.“ Das [3][Erwachsenwerden der Grünen]
       hat 40 Jahre gedauert und ist eindeutig vorangeschritten, aber immer noch
       nicht abgeschlossen. Viele Jahre hat man sich eingeredet, man könne aus der
       gemütlichen Sicherheit der Opposition heraus, mit moralischer
       Exzellenz-Rhetorik die Dinge vorantreiben. Was für einige Bereiche auch
       stimmt, aber eben nicht für die zukunftsentscheidenden Probleme. Gerade
       wenn „wir keine Zeit mehr haben“, muss man überlegen, wie man Zeit gewinnt
       und wie man sie effektiv und real nutzt.
       
       Die neue Richtig-links-Partei müsste also vor ihrer Gründung die Frage
       klären, was „richtig links“ für eine konkrete Politik meint zur Lösung der
       multiplen Probleme, also nicht nur im Hinblick auf Umverteilung, sondern
       auf Erderhitzung, Energiesicherheit, Innovationen, europäische Zukunft,
       [4][militärische Verteidigungsfähigkeit], Künstliche Intelligenz. Sie
       müsste dabei auch schon die Frage klären, wie sie mit anderen Parteien,
       Milieus, Unternehmen, Staaten, Märkten und der EU konstruktiv
       zusammenarbeiten kann, die ja alle nicht „richtig links“ sind.
       
       Nun ist die Neugründung BSW steil durchgestartet. Aber das ist keine Partei
       für einen teilgesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess, sondern ein
       elitärer Club. Das Autoritäre und Ausschließende ist in der Vereinssatzung
       angelegt.
       
       Aber ja: Wer mit Populismus gegen den liberal-emanzipatorischen Fortschritt
       antritt, kann im Moment durchaus schnelle Wahlerfolge erzielen. Aber eben
       als GEGEN-Projekt. Also in der Position, in der wir früher waren. Wer aber
       den liberal-emanzipatorischen Fortschritt ausbauen oder zumindest bewahren
       will, der kann nicht mehr einfach mal ein paar Jahre „radikal“ kritisieren
       und „dagegen“ sein; der muss im Mediengewitter der populistischen Kritik
       [5][in verantwortliche Position kommen] und dort reparieren. Jetzt.
       
       28 Oct 2024
       
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