# taz.de -- Bundestagspräsidentin über AfD-Verbot: „Dann muss man dieses scharfe Schwert ziehen“
       
       > Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Gespräch über rechtsextreme
       > Mitarbeiter im Bundestag und Verfassungsschutzerkenntnisse.
       
 (IMG) Bild: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Reichstagsgebäude
       
       taz: Frau Bas, ist die Demokratie in Deutschland in ernsthafter Gefahr? 
       
       Bärbel Bas: Sie ist zumindest herausgefordert. Ob sie in Gefahr ist, das
       hängt von uns allen ab. Davon, was wir tun.
       
       taz: Die AfD ist im Thüringer Landtag stärkste Kraft und hat eine
       Sperrminorität; bei der konstituierenden Sitzung hat sie gezeigt, wie sie
       die Demokratie [1][ins Chaos stürzt], wenn man sie lässt. Was dachten Sie
       als Bundestagspräsidentin, als Sie davon erfuhren? 
       
       Bas: Ich war entsetzt. Aber die anderen Parteien haben gut reagiert. Der
       Vorgang zeigt aber auch, dass man sich im Vorfeld schützen muss. Man hätte
       das verhindern können. Vorschläge dafür lagen auf dem Tisch. Im Bundestag
       haben wir bereits in der vergangenen Legislatur die Geschäftsordnung
       geändert, eine umfassende Reform befindet sich aktuell in der Beratung.
       
       taz: Eine Gruppe Bundestagsabgeordneter meint, das Bundesverfassungsgericht
       solle ein [2][Verbot der AfD] prüfen. Sie hat einen entsprechenden Antrag
       vorgelegt und will ihn in den Bundestag einbringen. Unterstützen Sie diesen
       Antrag? 
       
       Bas: Dazu brauchen wir zunächst gesicherte [3][Beweise unserer
       Verfassungsschutzbehörden]. In der aktuellen Diskussion gebe ich zu
       bedenken: Der Antrag muss eine Mehrheit im Bundestag finden. Und die
       [4][Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens] müssen gesichert erscheinen.
       Ist beides nicht gewährleistet, tut man sich keinen Gefallen. Auch würde
       ich mir wünschen, dass der Bundestag ein solches Verfahren nicht allein,
       sondern möglichst gemeinsam mit Bundesregierung und Bundesrat anstrengt. So
       wie es bei der NPD der Fall war.
       
       taz: Verfassungsschutzpräsident Haldenwang hat angekündigt, dass seine
       Behörde bis Ende des Jahres entscheidet, ob die AfD rechtsextremer
       Verdachtsfall bleibt oder als „erwiesen rechtsextrem“ hochgestuft wird.
       Nehmen wir an, letzteres ist der Fall. Steht dann die Abgeordnete Bärbel
       Bas hinter dem Antrag? 
       
       Bas: Wenn die Verfassungsschutzbehörden belastbare Beweise dafür vorlegen,
       dass eine Partei aktiv kämpferisch gegen die freiheitlich-demokratische
       Grundordnung vorgeht, gehe ich davon aus, dass der Bundestag einen solchen
       Verbotsantrag beschließen wird. Dann muss man dieses scharfe Schwert
       ziehen. Momentan würde ich eine Abstimmung nicht empfehlen, sondern
       zunächst die laufenden Prüfungen bis Ende des Jahres abwarten. Unabhängig
       davon müssen wir extremistischen Parteien egal welcher Couleur politisch
       das Wasser abgraben.
       
       taz: Seit die AfD im Bundestag sitzt, sind die Debatten härter geworden,
       die Angriffe persönlicher. Es gibt Abgeordnete, häufig Frauen, die
       berichten von persönlichen Beschimpfungen. Fühlen Sie sich als Chefin
       dieses Hauses manchmal machtlos? 
       
       Bas: Es stimmt – insbesondere, wenn junge Frauen am Pult stehen, wird es
       oft lauter und es gibt Zwischenrufe. Wenn wir als Sitzungsleitung
       persönliche Angriffe und Diskriminierungen hören, sind wir aber nicht
       machtlos. Wir nutzen unsere Möglichkeiten, indem wir zur Ordnung rufen oder
       andere Maßnahmen ergreifen. Die Polarisierung wächst, [5][die Ordnungsrufe
       steigen], übrigens auf allen Seiten.
       
       taz: Wie entscheiden Sie, ob Sie eingreifen? 
       
       Bas: Ich bin keine Sprachpolizei. Es geht darum rauszuhören, ob jemand als
       Person angegriffen wird. Dann wird eingeschritten, sofort! Wenn jemand
       sagt, Sie haben hier ein Lügenmärchen aufgetischt, würde ich das nicht
       rügen. Aber wenn er mit dem Finger auf den Kollegen zeigt und sagt: Sie
       sind ein Lügner, dann schon. Bei bestimmten Wortschöpfungen braucht man
       Fingerspitzengefühl, das muss man im Zweifel zulassen. Manche Begriffe
       dürfen aber gar nicht benutzt werden.
       
       taz: Welche? 
       
       Bas: Nazi ist ein Begriff, der in diesem Hause nichts zu suchen hat. Ganz
       allgemein werden Vergleiche zum Nationalsozialismus gerügt.
       
       taz: Sie planen eine Änderung der Geschäftsordnung, auch um mehr
       Sanktionsmöglichkeiten zu haben. Aber nutzen höhere Ordnungsgelder etwas,
       wenn AfD-Abgeordnete solche Sanktionen wie Trophäen vor sich hertragen, wie
       Sie selbst einmal gesagt haben? 
       
       Bas: Ordnungsmaßnahmen machen nur Sinn, wenn es auch zu einer
       Verhaltensänderung kommt. Die hält oft aber nur 14 Tage. Deshalb schlagen
       wir vor, die Strafen erheblich zu verschärfen. Das Ordnungsgeld liegt
       derzeit bei 1.000 Euro, wir wollen hoch auf 2.000, im Wiederholungsfall auf
       4.000 Euro. Und wenn jemand künftig innerhalb von drei Sitzungswochen
       dreimal einen Ordnungsruf bekommt, gibt es automatisch ein Ordnungsgeld.
       
       taz: Ist das die maximale Sanktion? 
       
       Bas: Ich kann auch jemanden von der Sitzung ausschließen, aber das habe ich
       noch nie gemacht. Das ist die letzte Eskalationsstufe. Damit greife ich
       tief in das freie Mandat ein, weil dann auch eine Stimmabgabe grundsätzlich
       nicht möglich ist. Unsere Geschäftsordnung bedarf einer grundlegenden
       Reform, weil sie im Kern aus den 80er-Jahren ist und vieles nicht mehr der
       Praxis entspricht. Es geht aber auch um die Besetzung der Ausschussvorsitze
       oder die Wahl der Präsidiumsmitglieder. Ich halte es für dringend nötig,
       bis zum Ende des Jahres eine neue Geschäftsordnung zu verabschieden. Und
       dies mit möglichst breiter Mehrheit.
       
       taz: Sie sind als Präsidentin des Bundestags auch oberste Dienstherrin von
       200 Bundestags-Polizisten und für die Sicherheit im Haus verantwortlich. Es
       gibt [6][rechtsextreme AfD-Mitarbeiter], eine ehemalige Abgeordnete, die
       wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht steht, es
       gab den Aufruhr auf der Reichstagstreppe. Sie wollen deshalb ein eigenes
       Polizeigesetz für den Bundestag einführen und Mitarbeiter von Abgeordneten
       strenger überprüfen. Sie haben den Gesetzentwurf vor einem Jahr an die
       Fraktionen geschickt. Warum dauert das so lange?
       
       Bas: Es ist ein Parlamentsgesetz und kann nicht von der Regierung, sondern
       muss aus der Mitte des Parlaments kommen. Der Entwurf liegt gerade bei den
       Innenpolitikern, die darüber beraten, wann der Entwurf offiziell
       eingebracht wird. Ich möchte mein Bundestagspolizeigesetz bis Ende des
       Jahres verabschiedet haben, weil es um die Sicherheit des Hauses geht.
       Außerdem habe ich den Fraktionen vor der Sommerpause konkrete Vorschläge
       zum Schutz des Parlaments vor verfassungsfeindlichen Einflüssen und
       Aktionen unterbreitet. Ich habe wenig Verständnis dafür, dass sich das
       hinzieht.
       
       taz: Im Moment gibt es für Mitarbeiter von Abgeordneten, die einen
       Hausausweis für den Bundestag beantragen, nur eine allgemeine
       Zuverlässigkeitsprüfung mit Anfragen bei der Polizei und beim
       Bundeszentralregister. Künftig sollen auch Anfragen beim Verfassungsschutz
       möglich sein. Als Regel? 
       
       Bas: Nein. Wenn ein Mitarbeiter einen Bundestagsausweis beantragt, gibt es
       eine Abfrage in bestimmten Datenbanken der Polizei. Auf Erkenntnisse des
       Verfassungsschutzes darf ich bisher nicht zurückgreifen. Wenn ich im
       Einzelfall Hinweise darauf habe, dass von jemandem eine Gefahr für die
       Sicherheit des Hauses ausgehen könnte, hätte ich gern das Recht, beim
       Verfassungsschutz nachzufragen. Wenn ich dann feststelle, dass von dieser
       Person ein Sicherheitsrisiko für das Haus ausgeht, kann der Abgeordnete den
       Mitarbeiter allerdings trotzdem weiter beschäftigen.
       
       taz: Aber er bekommt keinen Hausausweis für den Bundestag. 
       
       Bas: Ja, er bekommt keinen Zutritt, kann aber zu Hause arbeiten. Deshalb
       prüfen wir zusätzlich, ob wir insgesamt eine Zuverlässigkeitsüberprüfung
       für den Zugriff auf die Bundestag-IT einführen können. Es stellt sich dann
       weiterhin die Frage, ob in einem solchen Fall die Kostenerstattung für
       diese Mitarbeiter der Abgeordneten oder Fraktionen ausgeschlossen werden
       kann. Das ist rechtlich aber kompliziert. Zur Verbesserung des
       Geheimschutzes prüfen wir ebenfalls eine Ausweitung der
       Sicherheitsüberprüfung in bestimmten besonders sensiblen Bereichen.
       
       taz: In den letzten Jahren haben Recherchen der taz gezeigt, dass es bei
       der Bundestagspolizei mehrfach zu [7][rechtsextremen Vorfällen] gekommen
       ist. Ist es gut, deren Befugnisse noch auszuweiten? 
       
       Bas: Es geht in erster Linie darum, die Befugnisse endlich auf eine klarere
       gesetzliche Rechtsgrundlage zu stellen. Artikel 40 Grundgesetz besagt: Die
       Präsidentin übt das Hausrecht und die Polizeigewalt in den Gebäuden des
       Bundestages aus. Das ist sehr abstrakt. Deshalb verstehe ich den Wunsch
       meiner Polizeibeamten, dass sie mehr Rechtssicherheit bekommen. Davon
       würden übrigens auch die profitieren, die von den polizeilichen Maßnahmen
       betroffen wären.
       
       taz: Aber in ihrem Entwurf steht zum Beispiel, dass die Bundestagspolizei
       selbst Wohnungen durchsuchen, Telekommunikation auswerten können soll. 
       
       Bas: Zunächst: Die Zuständigkeit der Bundestagspolizei soll außerhalb der
       Gebäude des Bundestages nur sehr begrenzt erweitert werden. Es geht nur in
       wenigen Fallgestaltungen um eine Angleichung der Befugnisse mit anderen
       Polizeibehörden. So ist zum Beispiel bei einer Wohnungsdurchsuchung auch
       für die Bundestagspolizei entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgaben
       ein Richtervorbehalt vorgesehen.
       
       taz: Und die rechtsextremen Vorfälle? 
       
       Bas: Sie sprechen Vorwürfe an, die vor meiner Zeit als Präsidentin lagen.
       Denen wurde nachgegangen. Es gab auch Disziplinarverfahren. Zudem haben wir
       organisatorische Änderungen vorgenommen: Es gibt jetzt eine eigene
       Unterabteilung für die Sicherheit. Auch das gewährleistet nicht zu 100
       Prozent, dass wirklich alle fest auf dem Boden der Verfassung stehen. Aber
       mir ist wichtig, dass nichts unter den Tisch gekehrt wird und wir als
       Hausleitung klar machen, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht akzeptiert
       und konsequent geahndet werden. Ich bin für jeden Hinweis dankbar. Und wir
       gehen dem dann nach. Gleichzeitig stelle ich mich vor die Kolleginnen und
       Kollegen und sage: Wir können stolz auf unsere Polizei sein, sie schützt
       das Zentrum unserer Demokratie.
       
       taz: Bei unseren Recherchen zeigte sich als ein Problem, dass Polizei und
       Präsidentin weit voneinander entfernt sind. 
       
       Bas: Als ich zu Besuch in der Leitstelle war, sagte mir eine Beamtin, es
       sei das erste Mal, dass ein Präsident vorbeikommt. Ich bin immer mit der
       Leitung im Gespräch und freue mich, wenn ich auf dem Flur von Beamten
       angesprochen werde.
       
       taz: Frau Bas, Sie sind erst die dritte Präsidentin des Deutschen
       Bundestags. Der Bundestag hat ein neues Wahlrecht verabschiedet, Parität
       spielt dabei keine Rolle. War das der Preis, um überhaupt eine Reform
       hinzubekommen? 
       
       Bas: Wer die inneren Verhältnisse dieser Ampel kennt, weiß, dass es für die
       Parität keine Mehrheit gab. Es war schwierig genug, das Wahlrecht so zu
       verändern, dass wir auf eine Begrenzung von 630 Abgeordneten kommen. Mit
       der Parität oder einer Ausweitung der Legislatur auf fünf Jahre hätten wir
       die Wahlrechtsreform überfrachtet. Aber ich freue mich, dass die Initiative
       „Parität jetzt“ ihre Vorschläge gemacht hat.
       
       taz: Die Initiative, bei der auch Ihre Vorgängerin Rita Süssmuth dabei ist,
       hat Ihnen Anfang Oktober Forderungen übergeben. Alle Zweitstimmensitze
       sollten demnach paritätisch vergeben werden. Halten Sie das für machbar? 
       
       Bas: Den Vorschlag haben Juristinnen erarbeitet, ich gehe davon aus, dass
       das sauber geprüft worden ist. Es gab ein Urteil, das sagt, wir dürfen den
       Parteien Parität nicht vorschreiben. Aber es gibt in vielen
       EU-Mitgliedstaaten Paritätsgesetze, warum nicht auch bei uns.
       
       taz: Nach der nächsten Bundestagswahl könnten noch weniger Frauen im
       Bundestag sitzen: AfD und BSW halten nichts von Parität, SPD und Grüne
       werden möglicherweise schlechter abschneiden als beim letzten Mal, auch das
       neue Wahlrecht könnte dazu führen, dass mehr Männer um die weniger
       werdenden Mandate rangeln. 
       
       Bas: Es ist schlimm genug, dass wir seit 20 Jahren bei etwa 36 Prozent
       Frauenanteil im Bundestag festhängen. Das ist kein gutes Zeichen für dieses
       Parlament und die Gleichstellung in diesem Land. Wir machen Politik, die
       sehr stark an Männern ausgerichtet ist. Ich bin den Parteien dankbar, die
       freiwillig auf ihren Landeslisten Reißverschlussverfahren praktizieren. Und
       ich hoffe, dass viele Frauen in ihren Wahlkreisen direkt gewählt werden.
       Aber die Befürchtung liegt nahe, dass die Quote schlechter wird, wenn wir
       kein Paritätsgesetz machen.
       
       taz: Friedrich Merz hat gerade gesagt, was er von Parität hält –
       ausgesprochen wenig. Es ging um das Kabinett, er sprach von
       Fehlbesetzungen. Das ging gegen die ehemalige SPD-Verteidigungsministerin
       Christine Lambrecht. Merz meint, mit Parität tue man auch den Frauen keinen
       Gefallen. 
       
       Bas: (atmet hörbar aus) Frauen können schon selbst entscheiden, womit man
       ihnen einen Gefallen tut. Als einige männliche Kollegen im Kabinett
       gescheitert sind, hat niemand gefragt, ob man damit den Männern insgesamt
       einen Gefallen tue. Es gibt Studien zur Parität, auch in Unternehmen, die
       zeigen, dass sie sich positiv auswirkt, es den Firmen auch wirtschaftlich
       besser geht. Es wird immer Männer und Frauen geben, die in ihren Ämtern
       scheitern. Aber das hat mit dem Geschlecht nichts zu tun.
       
       25 Oct 2024
       
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