# taz.de -- Geheimdienste mit neuer Rechtsgrundlage: Reform in letzter Minute
       
       > Karlsruhe verordnet eine Reform des Nachrichtendienstrechts. Die Ampel
       > kommt dem nach – und kritisiert die Innenministerin.
       
 (IMG) Bild: Ihr Gesetzentwurf wurde harsch kritisiert: Bundesinnenministerin Nancy Faeser
       
       Berlin taz | Den Einsatz gleich mehrerer Werkzeuge des bayerischen
       Verfassungsschutzes hatte das Bundesverfassungsgericht [1][im Frühjahr 2022
       als verfassungswidrig deklariert]: die Wohnraumüberwachung,
       Online-Durchsuchung oder Handyortung. Die Instrumente an sich seien zwar
       zulässig, deren Anwendung werde im Gesetz aber viel zu wenig reglementiert.
       Und das [2][zielte auch auf den Bundesverfassungsschutz], wie Karlsruhe in
       einer Entscheidung im November 2022 klarmachte. Von dort kam die Vorgabe:
       Es bedarf einer Neuregelung bis Ende dieses Jahres.
       
       Die Zeit wurde knapp, aber am Donnerstagabend nun wollen die
       Ampel-Fraktionen im Bundestag die nötige Gesetzesreform im Bundestag
       verabschieden. Zuvor hatten sie einen Gesetzentwurf von
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) deutlich überarbeitet. Dieser war
       nicht nur von Experten, sondern auch von der eigenen Koalition harsch
       kritisiert worden: Zu auslegungsoffen, zu weitgehend sei er. Verbände
       hatten nur 24 Stunden Zeit, sich dazu zu äußern.
       
       Im neuen Gesetzentwurf wird nun vor allem der Rahmen enger gefasst, wann
       das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Erkenntnisse an die Polizei oder
       andere Behörden weitergeben und dort vor extremistischen Gefahren warnen
       darf. Bei der Polizei soll dies nur noch möglich sein, wenn eine
       „konkretisierte Gefahr“ besteht und „ein besonders gewichtiges Rechtsgut“
       bedroht ist – was Leib, Leben oder Freiheit einer Person meint oder die
       Sicherheit des Bundes oder eines Landes.
       
       ## Es braucht eine „konkretisierte Gefahr“
       
       Für die „konkretisierte Gefahr“ muss sowohl eine geplante Tat schon
       „zeitlich absehbar“ sein als auch ein konkret handelnder Personenkreis
       erkennbar. Eine bloß abstrakte, „drohende Gefahr“, [3][wie es in Bayern
       galt], reicht nicht mehr. Droht eine akute Gefahr, ist der
       Verfassungsschutz dagegen verpflichtet, der Polizei sein Wissen zu
       übermitteln.
       
       Hintergrund ist der Grundsatz, dass Verfassungsschutz und Polizei getrennt
       agieren sollen. Jenseits konkreter Gefahren sollen Datenweitergaben des
       Geheimdiensts mit anderen Behörden die Ausnahme bleiben. Auch die werden im
       Gesetz benannt: etwa für die Überprüfung von [4][Bewerber*innen des
       öffentlichen Dienstes auf ihre Verfassungstreue], für die Vorbereitung von
       Parteien- oder Vereinsverboten oder für Zuverlässigkeitsprüfungen für
       Waffen- und Jagdscheine.
       
       An private Stellen ist eine Übermittlung personenbezogener Daten nur in
       Ausnahmefällen zulässig. Auch das hatte der Faeser-Gesetzentwurf offen
       gelassen: Der Verfassungsschutz hätte so etwa auch Sportvereine vor
       Extremisten warnen können. Nun sah der Gesetzentwurf indes nur Warnungen
       für Einrichtungen der kritischen Infrastruktur, der Cybersicherheit oder
       von Schulen vor. Und auch das nur, wenn schwere Straftaten drohen.
       
       ## Vorgaben auch für den BND
       
       Mit einem zweiten Gesetz werden ähnliche Vorgaben auch für den BND
       festgelegt. Diesen Gesetzentwurf hatte das Kanzleramt erarbeitet –
       allerdings offenbar ohne Abstimmung mit dem Gesetz von Faeser, obwohl es um
       gleiche Fragen geht. Auch dieser Entwurf wurde nachgebessert. Der BND soll
       nun ebenso künftig Daten an Strafverfolgungsbehörden nur noch weitergeben
       können, wenn eine „dringende Gefahr“ besteht.
       
       Auch werden, wie beim Verfassungsschutz, strengere Regeln für die
       Übermittlung von Daten Minderjähriger formuliert. Zugleich sollen beide
       Behörden ihre Eigensicherung stärken: Sie dürfen nun auch in
       Verdachtsfällen Taschen oder Handys ihrer Angestellten kontrollieren – was
       bisher nicht möglich war. Auslöser hierfür war der Fall des [5][BND-Manns
       Carsten L.], der interne Papiere an Russland geliefert haben soll.
       
       Der Grüne Konstantin von Notz betonte, aufgrund der Vielzahl an Bedrohungen
       sei man auf Nachrichtendienste angewiesen. Eine gute gesetzliche Grundlage
       sei „unentbehrlich“. Vor allem über den Gesetzentwurf des Innenministeriums
       sei man „sehr irritiert“ gewesen, so von Notz zur taz. Die Ampel-Fraktionen
       hätten mit den „umfassenden“ Überarbeitungen nun „das Risiko, erneut in
       Karlsruhe zu scheitern, minimiert“. Man habe „extrem weitreichende
       Öffnungsklauseln gestrichen“ und für eine Kohärenz der beiden Gesetze
       gesorgt. Die Dienste könnten nun „auf verfassungsfeste Rechtsgrundlagen
       vertrauen“.
       
       16 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /BVerfG-zu-Verfassungsschutzgesetz/!5847193
 (DIR) [2] /Weitergabe-von-Daten-an-Polizei/!5889146
 (DIR) [3] /BVerfG-zu-Verfassungsschutzgesetz/!5847193
 (DIR) [4] /Ampel-verschaerft-Disziplinarrecht/!5969646
 (DIR) [5] /Mutmasslicher-Doppelagent-fuer-Russland/!5960366
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bundesamt für Verfassungsschutz
 (DIR) Verfassungsschutz
 (DIR) BND-Spitzelaffäre
 (DIR) BND
 (DIR) Bundesverfassungsgericht
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Bundestag
 (DIR) Justiz
 (DIR) Sicherheitsbehörden
 (DIR) Geheimdienst
 (DIR) Datenschutz
 (DIR) Datenschutz
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Umstrittenes EU-Überwachungsgesetz: Anlasslose Chatkontrolle abgesagt
       
       Bürgerrechtler:innen jubeln: Das EU-Parlament will das
       Überwachungsgesetz entschärfen. Doch auch am jüngsten Entwurf gibt es
       Kritik.
       
 (DIR) Datenweitergabe an die Polizei: Verfassungsschützer teilen ungern
       
       Der Verfassungsschutz dürfte sich über die Entscheidung des
       Bundesverfassungsgerichts freuen. Er teilt Informationen ohnehin lieber
       weniger als mehr.
       
 (DIR) BVerfG zu Verfassungsschutzgesetz: Viel zu viel Überwachung
       
       Bayerns Verfassungsschutz hat bisher weitreichende
       Ermittlungsmöglichkeiten. Doch die verstoßen teils gegen das Grundgesetz,
       entschied nun das BVerfG.