# taz.de -- Experte über koloniale Objekte in Museen: „Eine verdrängte Geschichte“
       
       > Eine Tagung diskutiert die Rückgabe von Objekten aus der Lübecker
       > Völkerkundesammlung. In der Stadt beginnt die Diskussion ums koloniale
       > Erbe erst.
       
 (IMG) Bild: Brachten 100 Objekte von einer Afrika-Reise nach Lübeck: Henny und Eugen Duderstadt bei Kapstadt
       
       taz: Herr Frühsorge, in Lübeck ist die Rückgabe von kolonialen Objekten
       umstritten. Welche Vorbehalte gibt es? 
       
       Lars Frühsorge: Die Vorbehalte beziehen sich einerseits auf den großen Wert
       zweier Objekte, die zurückgegeben werden sollen. Es gibt Fragen, was dann
       nach der Rückgabe in Afrika mit ihnen geschehen wird. Wir favorisieren
       natürlich, dass sie in einem Museum ausgestellt werden. Unser Vorschlag
       sieht aber vor, dass wir als Anerkennung des historischen Unrechts keine
       Auflagen, keine Forderungen an die Länder stellen, sondern sagen: Als Akt
       der Anerkennung, dass diese Dinge unrechtmäßig hierher gekommen sind,
       müssen sie auch ohne Auflagen zurückgegeben werden.
       
       Die Debatte um die koloniale Vergangenheit beginnt in der Stadt gerade erst
       – warum? 
       
       Kolonialgeschichte war nicht im öffentlichen Bewusstsein. Es ist eine
       verdrängte Geschichte. Es gab ein paar Straßennamen und Denkmäler, mit
       denen man sich aber nicht auseinandergesetzt hat. Die Geschichte musste
       erst wieder sichtbar gemacht werden. Es gibt keine
       Lübeck-Postkolonial-Bewegung, es gibt keine Aktivist*innen. Und in dem
       Sinne gab es keinen Stein des Anstoßes.
       
       Und warum gibt es jetzt eine Diskussion? 
       
       Als ich [1][die Völkerkundesammlung] vor knapp vier Jahren übernommen habe,
       waren wir die Impulsgeber in die Stadt hinein, im Unterschied zu anderen
       Städten, wo eher die Museen unter Druck sind, etwas aufzuarbeiten. Aber das
       Bewusstsein wächst. Wir arbeiten mit Schulen und Kunstschaffenden zusammen.
       Da ist ein wachsendes Interesse an der Thematik erkennbar, besonders bei
       der jüngeren Generation.
       
       Nun beschäftigen Sie sich in einer Ausstellung mit dem Thema. 
       
       Die Ausstellung heißt [2][„Afrika und Lübeck. Eine Spurensuche“]. Wir gehen
       erstmalig der Frage nach, wie viel Afrika in unserer Stadt steckt, wie
       unsere historischen und heutigen Verbindungen sind. Wir haben [3][mit den
       Communitys] gearbeitet, damit auch Menschen mit Migrationshintergrund aus
       Afrika in der ersten und zweiten Generation berichten, wie sie in unserer
       Stadt leben, wie weit sie sich als Teil des Ganzen fühlen, wie weit sie
       immer noch Diskriminierung erfahren. Wir zeigen, wie weit wir mit Afrika
       historisch verflochten sind, welche Rolle Kolonialwaren für das Wachstum
       unserer Stadt gespielt haben, wie weit sie profitiert hat von Sklavenhandel
       und Ausbeutung. Und wir zeigen, welche Rolle individuelle
       Lübecker*innen im System kolonialer Herrschaft gespielt haben.
       
       Heute gibt es eine Tagung zum Thema. Was wollen Sie erreichen? 
       
       Wir wollen die Stadtöffentlichkeit sensibilisieren und den politischen
       Entscheidungsträger*innen noch mal klarmachen, was die historischen
       Hintergründe sind. Dass es 1904 [4][einen Völkermord in Namibia] gegeben
       hat, dass es seit vielen Jahren Forderungen gibt, diese Schädel
       zurückzugeben. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir proaktiv handeln
       müssten und sollten. Die deutsche Gesellschaft hat diese Dinge noch nicht
       in allen Bereichen verinnerlicht. Als Wissenschaft sind wird da in der
       Pflicht, noch offensiver über Kolonialgeschichte zu informieren. Und wir
       wollen auf diejenigen zugehen, die Vorbehalte gegen die Rückgabe haben. Wir
       haben Expert*innen und einen Repräsentanten der Herero eingeladen, die
       es dann hoffentlich schaffen, diese Bedenken zu zerstreuen, sodass wir zu
       einer konstruktiven Lösung kommen.
       
       3 Nov 2022
       
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 (DIR) [3] https://afrika-in-luebeck.de/beitraege
 (DIR) [4] /Kolonialverbrechen-in-Namibia/!5851850
       
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