# taz.de -- Szenarien für Koalitionen: Was geht?
       
       > Könnten SPD, Grüne und Linkspartei zusammen? Oder die Grünen mit der CDU?
       > Wäre es denkbar, dass die Piraten dabei sind? Drei Szenarien.
       
 (IMG) Bild: Dum di dum, noch tun sie ganz scheinheilig: Trittin, Gabriel, Künast und Gysi
       
       SCHWARZ-GRÜN: Trivial Pursuit mit Schäuble 
       
       Jürgen Trittins Smartphone summt um halb sechs am Wahlsonntag, eine SMS von
       Angela Merkel. „23 Uhr im Kanzleramt? Sie plus KGE. Erbsensuppe ist
       bestellt. Gruß, A.M.“ Wenig später laufen im Fernsehen die Hochrechnungen,
       die Merkel und dem mächtigsten Grünen-Boss bereits am Nachmittag vorlagen.
       Es reicht weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün. Eine große Koalition
       könnte das Land regieren - oder Union und Grüne.
       
       Merkel hat diese Frage beim Unkrautzupfen in ihrem Garten in Brandenburg
       längst entschieden. Sie will ihre Ära mit einem historischen Experiment
       krönen. Sie fände charmant, wenn ihre CDU das heikle Thema der Energiewende
       endlich abgeben könnte. Und sie hat keine Lust, mit dem sprunghaften Sigmar
       Gabriel zu regieren, der nach Peer Steinbrücks Abschied vor Kraft kaum
       laufen kann. Dann doch lieber Trittin und Katrin Göring-Eckardt.
       
       Das pragmatische Spitzenduo der Grünen erscheint fünf Minuten zu früh im
       Kanzleramt. Sie laufen durch einen Tunnel vom Bundestag, um den wartenden
       Journalisten zu entgehen. Das Gespräch ist herzlich, Merkel bricht mit
       Witzchen über Horst Seehofer schnell das Eis. In den Wochen nach dem
       Tête-à-tête testet sie in Sondierungen, ob die SPD billiger zu haben ist,
       lädt dann aber die Grünen zu Koalitionsverhandlungen ein.
       
       Die bürgerliche Presse bejubelt diese „längst überfällige Sensation“,
       Trittin spricht staatsmännische Sätze in die Kameras. „Als Demokraten
       können wir uns der Erkenntnis nicht verweigern, dass es ohne Grün in diesem
       Land keinen Wechsel geben wird.“ Trittin, der in diesem Bündnis seine
       letzte Chance auf ein Ministeramt sieht, weiß, was er seiner skeptischen
       Partei zumutet. Aber wer kann den Grünen diese Machtperspektive beibiegen,
       wenn nicht er, der Chefstratege des linken Flügels?
       
       Die Koalitionsverhandlungen verlaufen reibungslos. Merkel überlasst den
       Grünen die Energiewende, kommt ihnen beim Spitzensteuersatz entgegen, sagt
       sofort einen gesetzlichen Mindestlohn zu und verspricht vier Ministerien.
       Meist hakt die Runde das Offizielle schnell ab und spielt dann Trivial
       Pursuit auf Wolfgang Schäubles iPad, damit der Eindruck langwieriger
       Verhandlungen entsteht. Schäuble gewinnt, was Trittin, Superminister für
       Energie und Umwelt, fürchterlich ärgert.
       
       Der künftige Migrationsminister Cem Özdemir betont bei der
       Abschlusspressekonferenz, die Grünen seien immer schon „links, liberal und
       konservativ in einem“ gewesen. Göring-Eckardt, Familienministerin in spe,
       scherzt über ihren selbstgebackenen Nusskuchen, mit dem sie den Schwarzen
       viel abgerungen habe. Sie kündigt ein Flexi-Kindersplitting an, das die
       familienpolitischen Konzepte beider Parteien vereinigen soll.
       
       Den schwersten Job übernimmt Claudia Roth. Sie wirbt auf einem
       Sonderparteitag um die Zustimmung der Basis. Die Stimmung ist aufgeheizt,
       Delegierte brüllen den abgeänderten Plakatslogan: „Wir sind Grüne! Und du?“
       Als ein Beutel mit schwarzer Farbe Roth am Kopf trifft, kippt die Stimmung.
       Schwarz-Grün wird Wirklichkeit.
       
       ROT-GRÜN-ORANGE: Eine neue Kraft in der Politik 
       
       An einem herbstnassen Oktoberabend erinnert sich Hannelore Kraft an einen
       Satz von Piraten-Chef Bernd Schlömer. Der hatte Anfang August gesagt: „Die
       Piraten sind zu einer themenorientierten Zusammenarbeit in Form einer
       Duldung bereit.“ Von Rot-Grün wohlgemerkt. Das hatte zwar weder in der
       Öffentlichkeit noch in seiner Partei besonders nennenswerte Resonanz
       ausgelöst, aber jetzt sieht Hannelore Kraft Potenzial, in die Geschichte
       einzugehen.
       
       Warum sollte nicht auch in Berlin gehen, was in Düsseldorf möglich war,
       fragte sich Kraft, die bei ihrer ersten Wahl zur Ministerpräsidentin von
       Nordrhein-Westfalen eine rot-grüne Minderheitsregierung angeführt hatte.
       
       Diesmal sollen die Piraten also die tolerierende Fraktion sein. Die sitzen
       überraschend im Bundestag. Da hatten die kritischen Stimmen wohl doch
       recht, die vor der Wahl vor ungenauen Umfragen gewarnt hatten: 5,01 Prozent
       der Wählerstimmen haben gerade noch so für den Einzug ins Parlament
       gereicht.
       
       Die SPD-Führung hat das in den letzten Wochen erst mal nicht weiter
       tangiert. Parteichef Sigmar Gabriel hatte andere Sorgen. Nächtelang musste
       er mit Angela Merkel über eine Neuauflage der Großen Koalition verhandeln.
       Doch je länger sich die Gespräche hinzogen, desto massiver geriet die
       SPD-Führung unter Druck - von der eigenen Basis aus Nordrhein-Westfalen.
       
       Die SPD-Genossen an Rhein und Ruhr, die mit ihrem Zugpferd Hannelore Kraft
       bei den Wahlen Rekordergebnisse eingefahren haben, meutern gegen die
       Männer-Trias aus Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel.
       Sie fordern jetzt, was viele Sozialdemokraten sich schon früher gewünscht
       haben: Mit Kraft an die Spitze! Nach einer siebzehnstündigen Sitzung im
       Willy-Brandt-Haus gibt Gabriel – abgekämpft, angepisst – auf.
       
       Jetzt ist Kraft am Zug. Und Grünen-Turbo Jürgen Trittin zieht mit.
       
       Die Piraten, denen manches egal ist und in anderen Dingen die Positionen
       fehlen, sind geschmeichelt. Sie setzen ein bedingungsloses Nein zur
       Vorratsdatenspeicherung voraus, aber geloben, Rot-Grün zu dulden. Dafür
       erhalten sie Mitspracherecht bei der Neubesetzung im Amt des
       Bundesdatenschutzbeauftragten, die Ende 2013 ansteht. Piraten-Mitglied Udo
       Vetter, Rechtsanwalt und so eine Art Piraten-Papst, wird dazu heiß
       gehandelt.
       
       In anderen Positionen sieht die Piraten-Partei durchaus Anknüpfungspunkte
       zu Rot-Grün. In den Fachausschüssen wollen sie mit Sozialdemokraten und
       Grünen an einer Stärkung des Informationsfreiheitsgesetzes arbeiten. Eine
       Reform der Geheimdienstkontrolle steht ebenso auf der rot-grün-orange
       Agenda wie die Besserstellung homosexueller Lebenspartnerschaften.
       
       Eins allerdings mussten die Piraten, für die der Bundestag noch Neuland
       ist, den alten Polithasen der Regierungskoalition versprechen: „"Wenn es
       ernst wird, haltet ihr die Goschen!“
       
       Das finden natürlich alle Piraten, die nicht in der Bundestagsfraktion
       sitzen, ziemlich scheiße. Und so beginnt ein waghalsiges Abenteuer. In
       einschlägigen Internetforen wird heftig diskutiert, wie lange das wohl gut
       gehen wird.
       
       ROT-ROT-GRÜN: Ein ausbalanciertes Mobile 
       
       Am 15. Oktober kurz vor Mitternacht platzt die Verhandlung über die Große
       Koalition endgültig. Sigmar Gabriel will acht SPD-Minister, genauso viele
       wie 2005 und damit Augenhöhe mit der Union. Doch das ist mit der Union
       nicht drin, nicht mit fast zehn Prozent mehr Stimmen für Merkel. Was nun?
       Schwarz-Grün ist am Widerstand der grünen Basis gescheitert. Die FDP hat
       Verhandlungen über eine Ampel brüsk abgelehnt. Ist Deutschland unregierbar?
       
       Da fasst Gabriel das Undenkbare ins Auge: Rot-Rot-Grün. Er trifft sich
       klandestin mit Gregor Gysi und Jürgen Trittin. Die drei sind sich schnell
       einig: Rot-Rot-Grün kann politisch bei Steuern, Energiewende,
       Familienpolitik gehen. Das größte Hindernis ist die SPD. Auch Gabriel hatte
       ja stets beteuert, nicht mit der Linkspartei zu regieren. Doch die Lage ist
       nun anders. In Hessen regiert Rot-Rot-Grün bereits lautlos unter dem
       SPD-Ministerpräsidenten Thorsten Schäfer-Gümbel. Und die Lage in Berlin ist
       verfahren: Besser eine rot-rot-grüne Regierung als weiter das Vakuum oder
       Neuwahlen, das ist Gabriels Botschaft. Der SPD kann diese Wende nur in
       staatstragender Rolle gelingen. Gabriel bringt ein Opfer: Er verzichtet
       klug auf das Kanzleramt.
       
       Die Verhandlung ist äußerst zäh: Sie scheitert Anfang November fast, als
       die SPD die Erhöhung von Hartz IV auf 500 Euro und Sahra Wagenknecht als
       Wirtschaftsministerin ablehnt. Außenminister in spe Jürgen Trittin
       moderiert geschickt zwischen den Antipoden Steinmeier und Wagenknecht, am
       Ende steht ein Kompromiss. Wagenknecht wird Ministerin, Hartz IV auf 420
       Euro erhöht, eine weitere Anhebung an Steuereinahmen geknüpft.
       
       Die SPD kommt noch mal ins Taumeln, als Klaus von Dohnanyi nach 56 Jahren
       SPD-Mitgliedschaft aus Protest gegen Gabriels Wortbruch aus der Partei
       austritt. Otto Schily folgt. Zwei grüne Hinterbänkler wechseln zur FDP.
       Doch die Spaltung bleibt aus. Der Versuch, den SPD-Rechten Johannes Kahrs
       für eine neue sozialliberale Partei zu gewinnen, misslingt: Er wird lieber
       Staatssekretär im Finanzministerium.
       
       Bundeskanzler Frank-Walter Steinmeier profiliert sich fleißig als Garant,
       dass es nur eine moderate Umverteilung geben wird. Das rot-rot-grüne
       Kabinett ist ein exakt ausbalanciertes Mobile, ein Kunststück politischer
       Diplomatie: Steinmeier und Innenminister Thomas Oppermann beruhigen die
       Mitte, Wagenknecht bindet den Fundiflügel der Linkspartei ein. Im
       Maschinenraum sorgen die Fraktionschefs Dietmar Bartsch, Cem Özdemir und
       Carsten Schneider für störungsarmen Betrieb. Nur Diether Dehm tritt aus
       Protest aus der Linksfraktion aus. Allerdings verstummen Gerüchte nicht,
       dass er sich vergebens um einen Job als Staatssekretär im Innenministerium
       beworben hat.
       
       Außenpolitisch setzt Rot-Rot-Grün den Kurs von Merkel fort: keine neuen
       Bundeswehreinsätze. Als Schlüsselprojekt der Regierung einigt man sich auf
       die Bürgerversicherung, die SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach
       energisch in Angriff nimmt, zudem mehr Geld für EU-Investionen in
       Südeuropa, weniger Waffenexporte. Der von der Union und Bild prophezeite
       Crash an den Börsen bleibt aus.
       
       19 Aug 2013
       
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