# taz.de -- Bundestagswahl 2013: Der Drops ist noch nicht gelutscht
       
       > Das Rennen scheint aktuellen Umfragen zufolge wieder offen und ein Sieg
       > von Rot-Grün möglich zu sein. Doch es fehlt eine große Idee.
       
 (IMG) Bild: „Gegen Laufzeitverlängerung“ sind die Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin
       
       BERLIN taz | Ist das so? Ist der Drops gelutscht und das rot-grüne
       Koalitionsprojekt tatsächlich schon gescheitert? Ist dieser ganze Frust,
       der sich unter den wahlkämpfenden SPDlern breitgemacht hat, sind all die
       Schmähungen des Kandidaten Peer Steinbrück gerechtfertigt? Ist es
       tatsächlich schon als ausgemacht, dass dieses Land nach dem 22. September
       weitere vier Jahre von Schwarz-Gelb regiert wird? Und zwar von einer
       Kanzlerin, die Angela Merkel heißt und die dann mit dem kleineren
       Koalitionspartner ihrer Wahl nach Belieben verfahren kann?
       
       Keineswegs. Zwei Monate vor der Bundestagswahl ist das Rennen wieder offen.
       Das liegt nicht nur an den besser werdenden Umfragewerten für Rot-Grün oder
       daran, dass Merkel und ihr Kanzleramt in der NSA-Affäre eine gefährlich
       schlechte Figur machen. Nein, stellt man sich gedanklich einmal abseits des
       gesellschaftlichen und medialen Großmeinungstums, scheint es dieser Tage
       durchaus möglich, dass die Sozialdemokraten und die Grünen die
       Bundestagswahl noch gewinnen.
       
       In den aktuellen [1][Wählerbefragungen von Infratest dimap] liegen
       Schwarz-Gelb (45 Prozent) und Rot-Rot-Grün (46 Prozent) gleichauf. SPD und
       Grüne kommen zusammen auf 39 Prozent. Zeit also für die Wahlstrategen der
       beiden Parteien, zu schauen, ob und wie sie die Sache mit dem Wechsel doch
       noch hinbiegen könnten – und zwar, ohne Richtung Linkspartei schielen zu
       müssen. Die Möglichkeit gibt es.
       
       Es ist eine Möglichkeit, die nicht nur das Verdienst der beiden
       Wunschkoalitionspartner wäre. Sondern die auch am Agieren – oder
       Themenaussitzen – der Bundesregierung läge sowie am sich in den letzten
       Wochen verstärkenden inhaltlichen Interesse der Wählerinnen und Wähler. Die
       haben nun ausreichend Zeit, im Urlaub die Wahlprogramme der Parteien
       durchzuschauen, statt immer schon zu meinen, man kenne diese Sozis.
       
       ## Zweckehe statt Liebesheirat
       
       Oder diese Grünen. Die haben bekanntlich in ihr [2][Programm]
       hineingeschrieben: „Wir kämpfen in diesem Bundestagswahlkampf für starke
       Grüne in einer Regierungskoalition mit der SPD.“ Weil sie in diesem Bündnis
       die besten Chancen erkennen, den grünen politischen Wandel umzusetzen.
       Zweckehe nennt man derlei. Von Liebesheirat war nie die Rede.
       
       Überhaupt sind die Grünen diejenigen mit der besseren innerparteilichen und
       strategischen Aufstellung. Die Flügelkämpfe sind beigelegt, das Programm
       basisdemokratisch entschieden, die Wahlkämpfer in den Startlöchern. Die
       Grünen haben das Potenzial, zwei, drei Prozentpunkte auf das Stimmenkonto
       draufzubuchen. Ob Energie und Umwelt, Gerechtigkeit oder Modernisierung der
       Gesellschaft – was sie fordern und anbieten, ist nicht weit entfernt vom
       „Regierungsprogramm“ der Sozialdemokraten. Aber meilenweit weg von dem, was
       FDP und Union beschlossen haben. Da mag Merkel noch so übergriffig den
       flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in „tariflich festgesetzte
       Lohnuntergrenze“ ummogeln.
       
       Auch aus einer ersten inhaltlichen Demontageattacke sind die Grünen bereits
       gestärkt hervorgegangen. Ihr Konzept, einen Spitzensteuersatz von 49
       Prozent einzuführen – eigentlich eine urlinke Forderung nach mehr
       Verteilungsgerechtigkeit – widerstand im Faktencheck allen
       Desavouierungsversuchen. Pittoreskerweise kamen die Angriffe nicht nur von
       liberalkonservativen Interessenwahlkämpfern. Auch aus dem linken Lager
       mussten die Grünen hören, Steueranhebungen anzukündigen sei wahlstrategisch
       unklug. Also lieber gar nicht drüber reden? Auch linksgrüne Wähler finden
       offenbar Geschmack an ungefährer Schlagwortprogrammatik.
       
       Und die Sozialdemokraten? Auch in ihrem [3][Programm] steht das Bekenntnis
       zu Rot-Grün. Nur so schaffe man „die Erneuerung unseres Landes“. Bei den
       Steuern jedoch will die SPD es sich mit niemandem verscherzen. Zwar spricht
       Peer Steinbrück von Steuern, „die wir für einige erhöhen wollen“. Und im
       Programm steht, man wolle die Vermögensteuer „auf ein angemessenes Niveau
       heben“, um dann die Mehreinnahmen in Bildung und in Infrastruktur zu
       stecken. Aber den konkreten Vorschlag – wer zahlt wann wie viel? – bleibt
       die SPD schuldig.
       
       ## Wahlkämpfer müssen Themen der Menschen aufgreifen
       
       Selbst wenn den Wählerinnen und Wählern Steuerkonzepte, Kommunalfinanzen
       und Bürgerversicherung zu abstrakt sind – das Schöne an Wahlkampfzeiten
       ist, dass niemand voraussehen kann, welche Themen in den letzten sechs
       Wochen wichtig werden und emotionalisieren. Die Bundeskanzlerin hat es am
       Freitag selbst gesagt in ihrer [4][Pressekonferenz]: „Wahlkampf findet über
       die Dinge statt, mit denen sich die Menschen befassen.“ Mit denen sich also
       im Umkehrschluss die Politik zu befassen hat. Es ist angesichts von NSA,
       „Euro Hawk“ und einem irisierenden Innenminister alles andere als
       ausgemacht, dass in dieser Aufmerksamkeitsökonomie nicht auch die Union in
       eine gefährliche Wahrnehmungsschieflage geraten könnte.
       
       So wenig Gerhard Schröder im Wahlsommer 2002 voraussah, dass eine
       Hochwasserkatastrophe ihn zum helfenden Landesvater in grünen Gummistiefeln
       machen würde, so wenig war eine Angela Merkel schwer beschädigende Pleite
       wie die NSA-Affäre vorauszusehen. Wer weiß schon, wie groß dieses – oder
       ein anderes – Thema noch wird?
       
       Sozialdemokraten und Grüne können nun die letzten Wochen nutzen, um
       klarzumachen, worum es ihnen tatsächlich geht. Immer nur den „Wechsel“ zu
       beschwören reicht nicht. Es fehlt eine große gesellschaftliche Idee, die
       mehr anbietet, als sich auf 150 Jahre Sozialdemokratie zu berufen: ein
       anschlussfähiger rot-grüner Grundgedanke, hinter dem sich die Wählerinnen
       und Wähler versammeln können. Und zwar dann, wenn es darauf ankommt,
       pünktlich am 22. September.
       
       21 Jul 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/sonntagsfrage/
 (DIR) [2] http://www.gruene.de/partei/gruenes-wahlprogramm-2013.html
 (DIR) [3] http://www.spd.de/95466/regierungsprogramm_2013_2017.html
 (DIR) [4] /Bundeskanzlerin-ueber-NSA-Spitzelei/!120280/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Rot-Grün
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
 (DIR) FDP
 (DIR) Peer Steinbrück
 (DIR) SPD
 (DIR) Umfragewerte
 (DIR) Wahlkampf
 (DIR) Rainer Brüderle
 (DIR) Reinhard Bütikofer
 (DIR) FDP
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Schwerpunkt AfD
 (DIR) NSA
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Werbespots von CDU und SPD: Nicht so nah, Angela!
       
       In den gänzlich humorlosen TV-Wahlkampfspots von Union und SPD zeigt sich
       eines: In der Politik lässt sich Authentizität nicht vermitteln.
       
 (DIR) Kommentar Koalitionsoptionen: Mehr Farbenspiele wagen
       
       Der Drops scheint gelutscht: Angela Merkel bleibt nach der Wahl Kanzlerin.
       Doch da ginge noch was, wenn sich die Parteien nicht gegenseitig
       blockierten.
       
 (DIR) Szenarien für Koalitionen: Was geht?
       
       Könnten SPD, Grüne und Linkspartei zusammen? Oder die Grünen mit der CDU?
       Wäre es denkbar, dass die Piraten dabei sind? Drei Szenarien.
       
 (DIR) SPD ist wieder mitgliederstärkste Partei: 3.000 Genossen Vorsprung
       
       Die Volksparteien verzeichnen weiterhin einen deutlichen Mitgliederschwund.
       In der Wählergunst liegen Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün gleichauf.
       
 (DIR) Politdoku über Steinbrück: Grüße aus der Eierschleifmaschine
       
       „Kante Klartext Kandidat“ ist ein gelungenes Stück Fernsehen. Es
       porträtiert Steinbrück nicht als Gescheiterten – sondern als Irrtum der
       Parteiführung.
       
 (DIR) Wahlkampf der SPD: Steinbrück auf der Himmelsleiter
       
       Die Umfragewerte sinken, der Kanzlerkandidat der SPD steigt. Auf einen
       bayerischen Berg, wo er mit der Basis spricht. Eine Reportage aus 1.373
       Meter Höhe.
       
 (DIR) Umfragehoch für Union und FDP: Es gibt keine Wechselstimmung
       
       Laut ARD-„Deutschlandtrend“ bekäme Schwarz-Gelb eine Mehrheit, wenn am
       Sonntag Wahlen wären. Die Eurokrise müsste wieder akut werden, damit es
       anders aussähe.
       
 (DIR) Faktencheck im ZDF: Aufgeschobene Transparenz
       
       „ZDFcheck“ prüft, ob die Fakten in Wahlkampfsätzen stimmen. Doch nun
       bekommt die groß angekündigte Sendung keinen eigenen Sendeplatz.
       
 (DIR) NRW-Verfassungsgericht rügt die FDP: Fragwürdige Wahlkampfpost
       
       Rainer Brüderle pries 2012 in einem Schreiben an die Wähler von
       Nordrhein-Westfalen die Arbeit der Liberalen. Das war wohl nicht
       rechtmäßig.
       
 (DIR) Grüne im Wahlkampf: Es war einmal im grünen Königreich
       
       Die Grünen loben sich selbst als die „Europa-Partei“. Im Wahlkampf taucht
       das Thema nicht auf – weil der Vorstand seine Europa-Enthusiasten
       zurückpfiff.
       
 (DIR) Steuerkonzepte der Parteien: Grüne kassieren am meisten
       
       Mal nachgerechnet: Würden Steuerpläne der Grünen verwirklicht, könnte der
       Fiskus jährlich 7,5 Milliarden Euro mehr einnehmen.
       
 (DIR) Debatte Schwarz-Grün: Die Melange des Zeitgeistes
       
       Claudia Roth als Merkels Migrationsministerin, Sven Giegold als
       Staatssekretär. Warum es nach dem 22. September anders kommt als geplant.
       
 (DIR) Bundespolitik boykottiert Flüchtlingscamp: Protest stößt auf taube Ohren
       
       Die Flüchtlinge in Kreuzberg diskutieren mit Grünen-Politikern und der
       Integrationsbeauftragten – die Bundesvertreter hatten abgesagt.
       
 (DIR) Kommentar „Alternative für Deutschland“: Wahlhoffnung Krise
       
       Die „Alternative für Deutschland“ will nicht nur gegen den Euro sein. Die
       Konsequenz: Sie zieht auch auch Klimaskeptiker und Frauenquoten-Gegner an.
       
 (DIR) NSA-Affäre im Wahlkampf: Die kalkulierte Empörung
       
       Die Wut von SPD und Grünen über die Rolle von Kanzlerin Merkel in der
       Geheimdienstaffäre wirkt hilflos. Doch das kann sich ändern.